Ungefähr eine Stunde später erreichte der Wagen Kananga. Wie ein Ring umgab die eigentliche Stadt ein wahres Meer aus erbarmungswürdigen Hütten und Verschlägen aus Blech, Plastikabfällen und Brettern. Hier kampierten die Flüchtlinge und Gestrandeten – ohne Strom, sauberes Wasser oder genügende medizinische Versorgung. Abgesehen von dem, was die Vereinten Nationen und die Hilfsorganisationen zur Verfügung stellen konnten. Müllberge türmten sich auf den unbefestigten Gassen. Es stank fürchterlich. Abfälle, menschliche Ausscheidungen, Rauch und Essengeruch vermischte sich zu einem Gestank, der zarter besaitete Gemüter schon in die Flucht geschlagen hatte. Doch weder Lara noch Roux ließen sich davon besonders stören.

Der LKW kam nur langsam, fast im Schritttempo voran. Seltsamerweise interessierte sich kaum jemand für die beiden Weißen auf der Ladefläche. Lara erinnerte sich daran, was der Fahrer bei dem Kontrollpunkt gesagt hatte: „Weiße, die hinten auf einem LKW mitfahren, die sind verrückt. Oder Söldner."

Die 'eigentliche' Stadt bestand aus einer kruden Mischung aus alten, einstmals durchaus ansehnlichen, doch inzwischen vielfach verfallenden Bauten der Kolonialzeit und 'Neubauten' – auch wenn die meisten schon mindestens dreißig Jahre alt waren. In den 'Blütezeiten' der Mobutu-Diktatur hastig hochgezogen, waren sie meist bereits wieder im Verfall begriffen – da man die schlecht gebauten Häuser seitdem völlig vernachlässigt hatte. Und selbst die wichtigeren, staatlichen Gebäude zeigten Verfallserscheinungen. Die Diktatur hatte schon lange vor ihrem Sturz abgewirtschaftet – und seitdem war es nicht besser geworden.

Natürlich gab es auch Gebäude, die in gutem Zustand waren. Der Wagen passierte auch etliche Internetcafes, viele der Passanten wirkten gut angezogen, wohlgenährt und modern. Handys waren häufig. Aber diese Anzeichen von Wohlstand und Weltoffenheit konnten einen aufmerksamen Beobachter nicht täuschen. Der größte Teil der Bevölkerung lebte am Rande des Existenzminimums, oder darunter. Das galt auch für das, was früher mal der 'Mittelstand' des Kongos gewesen war.

Der Söldner hämmerte wieder lautstark gegen die Rückwand des Fahrerhauses. Der LKW hielt: „Endstation, Croft."

„Hast du einen Plan?"

„Noch nicht so richtig. Aber ab hier kenne ich mich aus."

Lara schulterte ihren Rucksack und sprang leichtfüßig auf den Boden. Der Söldner folgte weniger elegant. Er drückte dem Fahrer noch ein paar Dollarscheine in die Hand. Der alte Mann nickte knapp zum Abschied.

„Also, Roux. Das ist dein Heimspiel. Wie gehen wir vor?"

„Zuerst suchen wir uns ein Quartier. Dann schaue ich bei Tounkare vorbei. Dazu brauche ich übrigens noch Geld. Ich glaube nicht, daß der Mann auch nur einen Finger rührt, ohne eine ordentliche Einstiegsprämie."

Lara fragte nicht, ob sie mitkommen könnte. In einem Bordell würde sie wahrscheinlich die falsche Art von Aufmerksamkeit erregen. Nicht, daß sie nicht hervorragend auf sich selber aufpassen konnte – aber sie wollte kein Aufsehen. Sie warf dem Söldner einen Blick zu, der sich zu orientieren schien. Roux würde dort bestimmt nicht auffallen. Man sah ihm seinen Beruf an. Er paßte hierher, fast als wäre er heimgekehrt – auch wenn dies eine Heimat war, die von Krieg, Bürgerkrieg, Elend und jähem Tod geprägt war.

Fürs erste überließ Lara dem Söldner die Führung. Er schien sich hier tatsächlich auszukennen, bewegte sich zielstrebig und schnell. Binnen kürzester Zeit sahen sich Lara und Roux von einer ganzen Schar halbwüchsiger Jungen umgeben, die anboten, als Führer zu arbeiten – oder angeblich wussten, wo man Leopardenfelle, Gorillaköpfe und Elfenbeinarbeiten kaufen konnte. Der Söldner beachtete die Kinder nicht einmal, und Lara tat es ihm nach. Und achtete darauf, daß keiner der Möchtegern-Taschendiebe in der Gruppe ihr zu nahe kam.

Sie beide fielen auf, daß war klar. Zwar waren sie nicht die einzigen Weißen auf der Straße, aber die meisten waren nicht zu Fuß unterwegs, von ein paar etwas verloren wirkenden Rucksacktouristen abgesehen.

„Wir sollten uns einen Wagen zulegen."

„Später. Wir sind da." Der Söldner wies auf ein heruntergekommen wirkendes Gebäude aus der Kolonialzeit, daß sich rein äußerlich in keinster Weise von den umliegenden Häusern unterschied. Dass dieses Gebäude als eine Art Herberge diente, sah man ihm von Außen nicht an. Der Besitzer, ein älterer, mediteran wirkender Weißer, dessen Französisch durch einen schweren Akzent fast unverständlich war, fragte nicht nach Pässen, nachdem ihm der Söldner fünfzig Dollar zugesteckt hatte.

Wortkarg händigte der Mann Lara und Roux zwei Schlüssel aus und verschwand dann wieder in seinen eigenen Räumen.

„Portugiese, richtig?"

„Richtig. Er ist in den Siebzigern aus Angola raus, als klar wurde, daß die Portugiesen sich nicht mehr lange halten würden."

„Auch ein Söldner?"

„Nein, Farmer. War aber bei einer Miliz. Angeblich ist er dann hier irgendwie in die Unterstützung der Swapo verwickelt gewesen, die versucht hat, die kommunistische Regierung in Angola zu stürzen.

Aber egal, er stellt jedenfalls keine Fragen, garantiert dafür, daß nichts geklaut wird – und er hat ein paar Kontakte, die wir vielleicht noch brauchen können. Zufrieden?"

Lara sah sich im Treppenhaus um, an dessen Wänden nur noch Reste von Tapete waren. Es stank nach Verfall und verrottendem Holz. Sie grinste spöttisch: „Wie könnte ich es nicht sein..."

Die Zimmer waren keine Überraschung – klein, das letzte mal wahrscheinlich vor zwanzig Jahren renoviert, und nicht gerade sauber. Aber wahrscheinlich waren die meisten Leute, die sich hier einmieteten, schlechtere Unterkünfte gewöhnt: Männer wie Roux, denen Unauffälligkeit und Sicherheit wichtiger waren als Komfort.

„Mach es dir ruhig bequem, Croft. Das kann ein paar Stunden dauern. Wenn ich bis zum Abend nicht zurück bin..."

„Ich weiß, dann bist du wahrscheinlich tot." Laras Stimme klang sarkastisch, und auch der Söldner grinste kurz, aber humorlos: „Kann gut sein. Ich kenne diesen Tounkare nicht persönlich. Aber er ist ein Mann, mit dem man rechnen muß – sonst hätte er nicht so lange überlebt."

„Wie kommt es eigentlich, daß jeder deiner Kontakte irgendetwas mit Söldnern, den Kolonialkriegen oder ähnlicher Scheiße zu tun hat? Ihr kommt wohl nicht viel in andere Gesellschaft?"

„Die meisten im Geschäft können sich nicht mal selber ausstehen. Aber sie wissen wenigstens, was sie voneinander zu halten haben. Nicht viel.

Die Behörden sehen in uns entweder bezahlte Totschläger oder nur einen Haufen Ärger. Und die Zivilbevölkerung kann Söldner und Ex-Söldner nicht ausstehen. Begreiflich, nach allem was Typen wie Müller, Schramme und Konsorten hier veranstaltet haben."

„Das ist doch schon vierzig, fünfzig Jahre her."

„In Afrika wiederholt sich die Geschichte, Croft. Inzwischen sind's zwar eher die Amerikaner und die großen Konzerne, die uns brauchen, aber die alten Kolonialmächte mischen hier immer noch mit. Und die Warlords brauchen Berater, Ausbilder, Spezialisten. Sogar die UN hat überlegt, Professionelle anzuheuern..."

Während dieser Worte streckte Roux die Hand aus, und Lara gab ihm kommentarlos einen Packen Geldscheine. Der Söldner zählte das Geld und grinste kurz: „Fünfhundert Dollar, gut. Du kennst die Spielregeln."

„Hältst du mich für eine Idiotin? Sag deinem ehemaligen Kollegen, den Rest bekommt er erst bei Lieferung der Informationen. Und es muß mehr sein, als irgendein allgemeines Blabla."

„Darf ich ihm auch sagen, dass er das Geld nur bekommt, wenn er mich unversehrt laufen läßt?"

Lara lachte kurz auf und schlug Roux leicht auf die Schulter: „Schieb schon ab, Soldat. Ja, du darfst ihm sagen, wenn er Geld sehen will, darf er dir keine Ohren, Finger – oder was auch immer abschneiden. Viel Glück."

„Eigentlich soll er ja halbwegs zivilisiert sein. Und das ist mehr, als ich von vielen meiner weißen Kollegen sagen kann..." Der Söldner nickte Lara noch einmal kurz zu, dann ging er.

Aus alter Gewohnheit packte sie ihre Sachen nicht aus, sondern ließ das meiste im Rucksack. So konnte sie jederzeit aufbrechen. Eine kurze Überprüfung der Tür ergab, daß das Schloß wohl das stabilste Bestandteil ihres Zimmer war.

Das Badezimmer hatte die Größe eines Wandschrankes, und als sie an den Wasserhähnen drehte, kam nur ein schwacher Strahl von verdächtig hellbrauner Färbung aus dem Duschkopf. „Welche Überraschung."

Aber sie wollte das Wasser schließlich nicht trinken, sondern nur den gröbsten Dreck abbekommen, den die Notlandung, der Marsch und die Fahrt auf der unbefestigten Straße aufgewirbelt hatte. Während sie sich wusch, mit einem Ohr immer auf etwaige Geräusche auf dem Gang achtend, rekapitulierte sie ihre Lage.

Eigentlich hatte sie auf dem Flughafen von Kananga landen wollen, aber die Notlandung hatte den Plan über den Haufen geworfen.

'Aber es ist es noch nicht zu spät. Ich kann immer noch zum Flughafen. Roux dürfte eine Weile unterwegs sein.'

Dort sollte ein Jeep mit Ausrüstung auf sie warten. Und dort konnte sie Informationen einholen, ohne auf die undurchsichtigen Kontakte angewiesen zu sein, die Roux in der Stadt hatte. Sie mochte es nicht, von irgendjemandem abhängig zu sein – vor allem, wenn dessen Zuverlässigkeit noch nicht über jeden Zweifel erhaben war. Aber vielleicht war es auch das Beste, wenn der Söldner nicht zu viel von dem Ausmaß an Möglichkeiten und Ressourcen wußte, die ihr zur Verfügung standen. Wenn er glaubte, daß sie völlig auf ihn angewiesen war, dann machte er vielleicht einen Fehler, wenn er sie zu hintergehen beabsichtigte.

'Aber will er das wirklich? Er sagt mir nicht alles, ja – vielleicht nicht mal die Hälfte. Aber bisher hat er noch nicht offen gelogen' Lara grinste zynisch. Nein, Roux war zu klug, sich bei einer offensichtlichen Lüge ertappen zu lassen.

Wenigstens in einem Punkt hatte der Söldner sie jedenfalls mal wieder überrascht – und auch seinen portugiesischen Kontaktmann. Nach den Blicken, die der Portugiese ihr zugeworfen hatte, hatte der wohl damit gerechnet, daß sie sich ein Zimmer – und ein Bett – teilen würden. Und auch Lara hatte halb und halb eine derartige Avance seitens Roux erwartet, ob nun ernst gemeint oder nicht. Aber sie war ausgeblieben, obwohl sie sich sicher war, daß der Söldner sie ein paar mal mit nicht nur rein professionellem Interesse angesehen hatte. 'Also ist er entweder schüchterner, als ich dachte - Nicht sehr wahrscheinlich. Oder er weiß, was die Antwort gewesen wäre...' , sie lächelte dünn, 'dann wirst du wohl langsam durchschaubar, Mädchen. ODER, er will auf jeden Fall Abstand halten, weil er etwas zu verbergen hat.'

Sie entschied sich ohne lange überlegen zu müssen für Möglichkeit drei.

Aber das war alles im Grunde nicht so wichtig. Auf jeden Fall würde sie nicht einfach hier sitzen bleiben und darauf warten, daß Roux zurückkam und ihr die Informationen zukommen ließ, die er zu teilen gewillt war. Eine solche Rollenverteilung war nichts für die Grabräuberin. Deshalb verließ sie kaum zehn Minuten später das namenlose Hotel, jetzt in Jeans und T-Shirt wie eine normale Touristin. Die Pistole lag verborgen, aber griffbereit in der Sporttasche, die sie über der Schulter trug. Aus reiner Gewohnheit hatte sie das Gebäude so leise verlassen, dass der Portugiese nicht einmal bemerkt hatte, dass sie gegangen war.

Roux kannte sein Ziel, wenn auch nur vom Hörensagen. Die paar Mal, die er in Kananga gewesen war, hatte er weder die Zeit noch das Geld gehabt, um sich im „Josephine" zu amüsieren. Nach allem was er wußte, war das Bordell der Treffpunkt der kleinen Oberschicht, die die anarchischen Verhältnisse im Kongo überstanden, ja von ihnen profitiert hatte. Auch zahlungskräftige Söldneroffiziere, UN-Mitarbeiter und Vertreter von Hilfsorganisationen und Konzernen sollten dort Stammgäste sein. All dies bedeutete, das die Sicherheit im „Josephine'" gut sein mußte. Deshalb war Roux unbewaffnet. Ein Waffe würde man ihm sowieso abnehmen.

Um diese Tageszeit war in dem Nobelbordell offenbar nicht viel los. Vor dem weißen, renovierten Gebäude aus der Kolonialzeit standen nur ein paar Autos – schwere Geländewagen. Roux grinste zynisch. In manchen Gegenden Afrikas galten solche Autos inzwischen als Markenzeichen für „Sicherheitsberater", zwielichtige Geschäftsleute und erfolgreiche Kriegsgewinnler.

Am Eingang hielten zwei Männer in den Uniformen der kongolesischen Gendarmerie Wache. Sie wirkten allerdings erheblich professioneller und aufmerksamer, als normale Polizisten. Sie stuften Roux sofort als ein neues Gesicht ein – und da er nicht in einem eigenen Wagen gekommen war und sein Auftreten seinen „Beruf" förmlich heraus schrie, war Roux nicht überrascht, als er angehalten und einer schnellen aber gründlichen Leibesvisitation unterzogen wurde, bevor er eintreten konnte. Aber das machte ihm nichts aus, so wußte man wenigstens, dass er keine unmittelbare Gefahr darstellte. Sicherlich verdankte er es seiner gut gefüllten Brieftasche, dass er überhaupt eingelassen wurde. Normales „Fußvolk" hatte hier nämlich keinen Zutritt.

Im Inneren war das „Josephine" sehr westlich eingerichtet. Von der momentan fast leeren Bar bis zu der mit allen üblichen technischen Spielereien ausgestatteten Showbühne glich die Einrichtung der ähnlicher Etablissements in Paris, London oder New York. Die an der Bar aufgereihte Flaschenbatterie war beeindruckend und zusammengerechnet sicherlich mehr Wert, als ein normaler Kongolese in seinem ganzen Leben verdiente.

Zur Zeit herrschte hier gähnende Leere, der einzige Gast außer Roux war ein bereits angetrunkener Europäer mit UN-Abzeichen, der trübsinnig in sein Glas starrte. Während Roux so tat, als ob er er die mehr als freizügigen Fotos an den Wänden inspizierte, die offenbar die zur Verfügung stehenden Mädchen darstellten, sah er sich unauffällig um.

Der Barkeeper war keine Gefahr, verfügte aber sicherlich über einen Alarmknopf oder sogar eine Sprechanlage, um im Falle von Schwierigkeiten schnell Verstärkung rufen zu können. Drei Türen führten offenbar in die zweite Etage: zwei zu den Zimmern der Prostituierten, die dritte aber...

Auch aus den Augenwinkeln konnte Roux feststellen, daß diese Tür massiver war als die anderen. Das Schloß war ein Sicherheitsfabrikat und es gab sogar eine halb verborgene Kamera, die jeden erfasste, der die Tür passieren wollte.

Jetzt zu Schritt Zwei.' dachte Roux und trat an die Theke. Der Barkeeper schenkte schnell und kompetent den bestellten Drink ein, wirkte aber überrascht, als Roux ihm einen Fünfzig-Dollar-Schein zuschob: „Ich brauche ihre Hilfe..."

Der Schwarze musterte den Gast abschätzend und kam zu seinem Urteil: „Falls Sie eine Waffe wollen, Sir, so muß ich Sie enttäuschen. Wir sind ein anständiges Haus und achten darauf..."

Der Söldner grinste nur zynisch und fiel dem Mann einfach ins Wort: „Du verstehst nicht. Ich will keine Waffe. Ich will zu Tounkare. Ich will zum Elefanten. Geschäftlich."

Der Barkeeper zuckte sichtlich zusammen. Er klang jetzt unsicher: „Sie können nicht einfach..."

Roux Stimme hingegen war kalt und bestimmt, regelrecht drohend: „Ich kann. Und sag ihm außerdem noch folgendes: Les Afreux, Kommando Schramme. Compries!"

Der Barkeeper wich zurück. Tatsächlich hob er jetzt ein Mobiltelefon auf, daß vorher unauffällig hinter der Theke gelegen haben mußte. Gleichzeitig hatte er wohl einen Alarmknopf gedrückt, denn noch bevor er mehr als zwei, drei Sätze in das Handy geflüstert hatte, betraten zwei Männer den Raum. Beide waren Afrikaner, beide waren hochgewachsen und kräftig. Die elegante Kleidung konnte Roux nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Männer sich mit den schnellen, sparsamen Bewegungen ehemaliger Soldaten bewegten – und daß sie unter ihren Jackets Pistolen und am Kopf Kehlkopfmikrofone aus Militärbeständen trugen. Während einer der beiden an der Eingangstür stehenblieb, postierte sich der Zweite an der Theke – mehrere Meter von Roux entfernt. Nahe genug, um auch die kleinste Bewegung zu registrieren. Weit genug entfernt, um nicht überrumpelt zu werden.

Während der Barkeeper weiter leise und hastig in den Telefonhörer murmelte, tat Roux, als hätte er die Neuankömmlinge nicht einmal bemerkt. Als der Eine auf ein knappes Nicken des Barkeepers hin an Roux herantrat und ihn leise aufforderte, ihm zu folgen, stand er einfach auf und kam der Aufforderung nach. Dabei registrierte er sehr wohl, dass seine beiden Begleiter weiterhin Abstand hielten und wachsam blieben, während sie ihn zu der Sicherheitstür führten. Einer der Beiden ging zwei Schritte hinter Roux, der andere fünf Schritte. Das Ganze verlief so schnell und unspektakulär, daß der einzige andere Gast in der Bar nicht einmal richtig bemerkte, was praktisch vor seinen Augen ablief.

Kaum hatte sich die Tür hinter dem Hinteren von Roux Begleitern geschlossen, ließen die Beiden ihre verbindliche Maske fallen. Blitzschnell zogen sie ihre Waffen und visierten den Söldner an: „An die Wand. Hände über den Kopf, Beine auseinander." Roux kam der Aufforderung sofort nach – sein Leben hing davon ab.

Einer der beiden Männer, die Roux in Schach hielten, gab seinem Kameraden seine eigene Waffe, trat dann an den Söldner heran und begann ihn zu durchsuchen.

Reglos, mit unbewegtem, neutralen Gesichtsausdruck ließ Roux die gründliche Leibesvisitation über sich ergehen. Dass man keine Waffe, nicht einmal einen Dolch oder eine Garotte bei ihm fand, schien seine Bewacher zu überraschen. Ein-, zweimal glaubte Roux zu hören, wie einer der Beiden ein paar kurze Sätze in sein Kehlkopfmikrofon murmelte. Dann trat der Mann zurück, der Roux durchsucht hatte: „Wir bringen Sie zu Tounkare. Wenn Sie ihn angreifen – sterben Sie. Los jetzt." Die vollkommene Ausdruckslosigkeit in seiner Stimme überzeugte Roux davon, daß der Mann seine Worte ernst meinte. Verdammt ernst. Aber er war eigentlich nicht sonderlich überrascht. Andre Tounkare, der Elefant, war nach allem was Roux wußte nicht nur ein Söldner im Ruhestand und Bordellbesitzer. Sondern auch noch ein Waffen- und Diamantenschmuggler, verstrickt in zahllose halblegale und illegale Geschäfte. Ein Mann der Feinde hatte.

Das Zimmer, in das Roux geführt wurde, war sauber, aber recht einfach eingerichtet. Die Möbel waren eher funktionell als elegant und der luxuriöseste Gegenstand in dem Zimmer war sicher die Klimaanlage, die für angenehme Kühle sorgte.

Der dunkelhäutige Mann, der hinter einem Schreibtisch saß und Roux aus wachsamen, schwarzen Augen musterte, war alt. Andre Tounkare mochte sicherlich schon in den Siebzigern sein. Sein Haar war längst weiß geworden und das schwarze Gesicht von Falten durchzogen. Seine Stimme klang brüchig, aber ruhig und autoritär: „Ich bin Andre Tounkare. Ich bin...Ich WAR der Elefant. Aber ich habe diesen Namen seit fast vierzig Jahren nicht mehr benutzt, und das Kommando Schramme... Die Männer die dabei gewesen sind, leben nicht mehr – oder haben sich längst um den Verstand gesoffen. Was wollen Sie?"

„Ich bin..."

„Es ist mir egal, wie sie heißen. Namen bedeuten nichts. Und ich weiß, WAS sie sind – Söldner."

„Es heißt, sie würden auch mit Informationen handeln..."

„Wenn der Preis stimmt, vielleicht. Und mein Preis ist hoch. Was können Sie mir bieten?"

„Ich habe Fünfhundert Dollar..."

Wieder schnitt Tounkares Stimme den Satz ab: „Die gehören mir bereits. Wie auch ihr Leben, wenn Sie mir keinen triftigen Grund geben, sie zu verschonen. Sie leben nur noch, weil ich erfahren will, warum Sie mich sprechen wollten.

Enttäuschen Sie meine Neugier nicht. Geben Sie mir einen Grund, Sie nicht zum Teufel zu schicken, oder Sie zu liquidieren."

„Sie können weitere Zweitausend Dollar verdienen, wenn Sie mich am Leben lassen und mir ein paar Fragen beantworten."

„Zweitausend Dollar? Lächerlich. Für was halten Sie mich, für eine Nutte! Mit meinen anderen Geschäften verdiene ich Hunderttausende. Was soll ich mit Zweitausend Dollar." Aber ungeachtet seiner abschätzenden Worte schien der alte Mann dennoch interessiert, fast amüsiert durch diesen Zwischenfall. Roux war sich ziemlich sicher, dass er wahrscheinlich nicht einfach aus einer Laune heraus erschossen werden würde. Wahrscheinlich.

„Ich will nur wissen, wo Piet Krueger und seine Hyänen sind. Wo kann ich sie finden?"

Tounkare schien gelinde überrascht: „Das Hyänenrudel? Krueger ist ein rassistisches Schwein. Und nicht mehr auf dem freien Markt tätig. Sie sind kein Auftraggeber, Söldner, sie sind selber nur Kanonenfutter. Was wollen sie von Krueger und seinen Banditen?"

„Sie kennen ihn?"

„Auch mit einem Schwein kann man Geschäfte machen. Die einzige positive Eigenschaft dieses Hurensohns ist, dass er für Geld für jeden arbeitet."

„Krueger ist im Besitz von Informationen, die ich brauche."

„Ist das alles? Und wenn ich weiß, wo Krueger ist, soll ich ihn dann einfach anrufen und ihm sagen, daß sich jemand mit ihm treffen will?" Die Stimme des Alten klang spöttisch.

„Ich will nur wissen, wo er ist. Das reicht mir."

Tounkare überraschte seine Leibwächter und Roux mit einem leisen Lachen: „Sie wollen ihn nicht etwas fragen, Söldner. Sie wollen Krueger töten, nicht war? Da sind Sie nicht der Erste. Geht es um Geld? Um Rache? Um Verrat?"

Roux blieb die Antwort schuldig.

„Nun, das kann mir egal sein. Ich schulde Krueger nichts, und wenn Sie sterben wollen, ist mir das egal. Wenn Sie es aber schaffen... Dann tun Sie dem Kongo einen Gefallen. Vielleicht benennt man auch eine Straße nach Ihnen."

Roux begriff, der „Elefant" hatte seine Entscheidung getroffen. Er unterdrückte ein zufriedenes Grinsen, als er dann die Worte hörte, auf die er gehofft hatte: „Fünftausend Dollar. Versuchen Sie nicht zu handeln, Söldner. Entweder Sie bringen mir das Geld, oder Sie können zum Teufel gehen. In vier Tagen kommen Sie wieder hierher. Bringen Sie die Dollar mit." Auf eine kurze Handbewegung des Alten hin wurde der Söldner hinaus geführt.

Kaum hatte sich die Tür hinter Roux geschlossen, verwandelte sich das amüsierte Lächeln Andre Tounkares in etwas anderes – ein zynisches, fast grausames Grinsen. Hätte Roux diese Veränderung gesehen, er hätte angefangen sich Sorgen zu machen. Tounkare griff zum Telefonhörer und wählte eine Nummer: "Geben Sie mir den capitaine!"

Am selben Abend

Der "Kriegsrat" fand in Laras Zimmer statt. Während sie mit angezogenen Beinen auf dem Bett saß, hatte der Söldner auf dem einzigen Stuhl im Raum Platz genommen.

"Und du traust ihm?"

"Natürlich nicht. Aber ich glaube, er wird seinen Teil des Geschäfts einhalten. Wie gesagt, Tounkare war früher Söldner im Kommando Schramme – und wenn diese Bastarde etwas für sich hatten, dann die Tatsache, dass die schwarzen Söldner als Kameraden behandelt wurden. Bei den Südafrikanern war das niemals der Fall – und Piet Krueger ist genau der Typ, der in Negern wirklich nur Kaffer und Kanonenfutter sieht. Und außerdem...Ich habe gehört, Krueger hätte Tounkare mal bei einem Waffendeal Richtung Ruanda über den Tisch gezogen. Der 'Elefant' wird Krueger und seine Burcorps-Kameraden mit Freuden ans Messer liefern – vor allem, wenn es ihm nichts bringt, es nicht zu tun."

"Bist du bereit, dein Leben darauf zu setzen?"

"Das habe ich schon. Und dein's gleich mit, Croft. Wenn Tounkare einen Deal mit Krueger oder seinem Auftraggeber hat, dann ist die Jagdsaison eröffnet." Aber Roux klang nicht besonders besorgt, und Lara war geneigt, seinem Urteil zuzustimmen. Außerdem hatte sie sich noch nie vor einem Kampf gedrückt.

"Und was hast du jetzt vor – vier Tage warten, bis dein Söldnerfreund sich bequemt, dich wider zu empfangen?"

Roux kniff die Augen zusammen und musterte sie forschend: "Was hast du vor, Croft? Worauf willst du hinaus?"

Lara mußte ein Grinsen unterdrücken. Roux war wirklich nicht dumm und hatte anscheinend begriffen, woher der Wind wehte.

"Ich denke, vier Tage in Kananga zu warten, hieße vier Tage verschwenden. Ich will nicht nur auf eine Karte setzen und darauf hoffen, daß dieser Ex-Söldner mir Kruegers Position und den Namen seines Auftraggebers auf einem silbernen Tablett serviert."

"Und was willst du tun? Eine Suchannonce in die Zeitung setzen?"

"Nein. Ich will zum Tatort." Damit hatte sie es geschafft, den Söldner zu überraschen. Roux wirkte überrumpelt – und alles andere als erfreut: "Was soll das bringen? Es gab doch schon eine Untersuchung."

"Und was kam dabei heraus? Ich traue den örtlichen Behörden nicht mal zu, den eigenen Hintern zu finden!"

"Was glaubst du, kannst DU finden? Es sind Monate vergangen! Das ist doch längst alles überwuchert. Was diese Arschlöcher vom Hyänenrudel nicht mitgenommen haben, dass hat die Gendarmerie beiseite geschafft..."

"Egal. Ich muß dorthin."

"Hör mal, Croft..."

"Nein. Du hörst zu. Wir haben ein Abkommen, schon vergessen? Ich bezahle und hör auf deinen Rat. Du kennst dich hier aus, O. K. Aber die Entscheidungen treffe ich, verstanden!" Laras Stimme war nicht lauter geworden, aber schärfer. Und Roux begriff, daß er hier auf Granit biss. Frustriert zuckte er mit den Schultern, den Mund verzogen, als hätte er einen unangenehmen Geschmack auf der Zunge. Seine Stimme klang jetzt fast zögerlich: "Wie du willst, Croft. Aber...Ich bin nicht scharf darauf, da noch einmal hinzukommen. Es ist..." Er stockte, schüttelte kurz den Kopf. In seinem Gesicht arbeitete es. Lara glaubte zu wissen warum. Aber ihr Entschluß stand fest: "Glaubst du etwa, mir macht es Spaß? Pieter war mein Freund. Aber es muß sein."

Roux schien alles andere als überzeugt, aber sein Ton wurde sofort wieder ruhig und nüchtern. Die Entscheidung war gefallen, jetzt mußte man das Beste aus der Sache machen: "Wir brauchen ein Fahrzeug..."

"Schon besorgt. Ein Geländewagen. Und die nötige Ausrüstung habe ich auch schon zusammen: Verpflegung, ein Zelt, ein Benzinkocher -alles was man für den Campingurlaub braucht."

"Wir müssen uns über die aktuelle Lage informieren..."

"Nach der Einschätzung der örtlichen UN-Außenstelle nicht kritisch. Verhältnismäßig. Es gibt Sichtungen von einigen Räuberbanden und kleinen Gruppen von Deserteuren. Falls es da überhaupt einen Unterschied gibt. Abgesehen von den wichtigeren Straßen und größeren Ortschaften ist die Präsenz von Gendarmerie und Armee nur sporadisch. Die UN ist kaum aktiv, sie hat hier keine Blauhhelm-Kontingente, sondern nur ein paar Beobachter und zivile Einrichtungen. Karten habe ich auch besorgt. Sonst noch Fragen?"

Roux wirkte überrascht. Er hatte offenbar nicht damit gerechnet, bereits vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. "Und du bist wirklich noch nie im Kongo gewesen, Croft? Das alles in vier Stunden zu organisieren und auf die Beine zu stellen..."

"Ich reise einfach viel. Man lernt sich zu helfen." Der Söldner schien ihr diese Erklärung nicht ganz abzunehmen, zuckte dann aber nur mit den Schultern: "Na ja, mir soll's Recht sein. Wann geht es los?"

"Wie wäre es mit sofort?"

"In der Nacht? Nein Danke, Croft. Das ist mir zu riskant. Sicherheitslage hin oder her, wir müssen uns nicht mit Gewalt verdächtig machen. Zwei Weiße, die nachts alleine in einem Jeep durch die Landschaft kurven..."

"...sind verrückt oder Söldner, nicht wahr?"

Roux lachte jäh auf, wurde aber sofort wieder ernst: "Richtig, Croft. Warum sollten sie sonst nachts unterwegs sein? Vor allem aber sind sie leichtsinnig. Die Straßen sind in einem miesen Zustand. Die Gefahr eines Überfalls steigt. Und Gendarmerie und Armee schießen nach Einbruch der Dunkelheit auf alles, was auch nur vage verdächtig wirkt. Und selbst wenn sie es nicht tun, sie würden uns festhalten. Ich weiß nicht, ob deine Papiere SO gut sind. Wir könnten versuchen ihnen auszuweichen - die Regierungsposten beschränken sich ja auf die wichtigeren Straßen. Aber natürlich sind die Nebenstraßen in noch schlechterem Zustand, die Orientierung beschissen – und es wäre eine Einladung für Räuber und Deserteure."

"Und du willst ein Söldner sein?"

"Ich bin ein LEBENDER Söldner, weil ich gelernt habe, überflüssige Risiken zu meiden. Die acht Stunden, die du gewinnst, sind es nicht wert, Croft. Der Überfall ist Monate her – eine Nacht mehr oder weniger bedeutet gar nichts."

Widerstrebend mußte sie Roux Recht geben. Aber bis zum letzten Basislager der Jackson-Expedition waren es mehr als 300 Kilometer. Es würde nicht viel Zeit für Untersuchungen bleiben, wenn sie rechtzeitig wieder in Kananga sein wollten. Dennoch hatten die Argumente des Söldners etwas für sich.

"Also gut, Morgen."

"Noch vor Sonnenaufgang, wenn du willst. Noch was – welche Farbe hat dein Jeep eigentlich?"

"Nato-Olive. Was ist, ist dir das zu militärisch?"

Der Söldner grinste: "Vielleicht ein wenig. Wenn du nichts dagegen hast, werd' ich uns mal ein etwas anderes Outfit verpassen..."