Sie war überrascht, hatte weder mit Bryce's Nachricht gerechnet, noch damit, dass der Söldner plötzlich vor ihr stehen würde. Dennoch reagierte Lara schnell, ohne zu überlegen. Während der Hörer des Satellitentelefons zu Boden fiel, griff sie nach dem Pistolenhalfter, das neben dem Bett lag. In einer einzigen, fließenden Bewegung zog sie die Waffe, richtete sie auf den Mann vor ihr – und starrte selber in den Lauf eines kurzläufigen Revolvers, den der Söldner offenbar in der Hosentasche verborgen hatte. Auch wenn sein Oberkörper schweißüberströmt war und sein Atem unruhig ging, die Waffe schwankte keinen Millimeter. Und seine Reflexe waren immer noch hervorragend.

"Haben wir das nicht langsam hinter uns, Croft?" Die Stimme des Söldners klang jetzt wieder 'normal' – kalt und zynisch. Wachsam, fast lauernd musterte er sie: "Was zur Hölle soll das?"

"Wer bist du?"

Der Söldner schien für den Bruchteil einer Sekunde zu erstarren. Dann grinste er dünn: "Ich habe mich schon gefragt, ob du es herausbekommen würdest. Du bist einfach zu schlau, Croft. Wie hast du es geschafft?"

"Der echte Jean Roux war vorbestraft. Bei der Polizei hatten sie immer noch seine Fingerabdrücke."

"Daran haben sie also nicht gedacht."

"Was ist mit dem echten Roux?"

Das grausame Lächeln des Söldners erreichte seine Augen nicht, die seltsam tot wirkten. Doch unter der Fassade aus zynischer Gelassenheit glaubte Lara, Gefühle zu erkennen, die sie nicht einordnen konnte. Vielleicht konnte es der Söldner auch nicht. Seine höhnische Stimme vibrierte vor Anspannung, wie ein Stahlseil, das kurz vor dem Zerreißen stand: "Natürlich ist er tot. Was hast du erwartet? Henry Jeanpierre Roux – Verbrecher, Menschenhändler, Söldner, Abschaum. Er starb vor über vier Jahren. Wie ein Hund. Irgendwie passend, nicht? Bevor du fragst, ich habe ihn nicht getötet, das war nicht nötig. Seine Einheit wurde in Liberia versprengt. Auf dem Rückzug erkrankte Roux an Ebola. Seine Kameraden schleppten ihn mit – schwarze Söldner, die für ihn immer nur Kaffer gewesen waren. Aber als er nicht mehr weiter konnte, mussten sie ihn zurücklassen. Mit etwas Wasser, Nahrung und seiner Waffe. Ich hoffe für ihn, dass er sich eine Kugel durch den Kopf jagte, bevor seine inneren Organe sich zu einem blutigen Brei zersetzten. Roux Papiere nahmen seine Kameraden mit, und gaben sie bei einem Rotkreuzposten ab. Ende der Geschichte von Henry Jeanpierre Roux, der starb, wie er gelebt hat."

"Warum das Ganze? Wofür diese Lügen? Um mich in die Irre zu führen?"

Der Söldner lachte jäh und freudlos auf: "Du nimmst dich viel zu wichtig – dich und deine lächerlichen Pfadfinderspiele, Croft. Glaubst du etwa, IRGENDJEMAND investiert Jahre, um eine unbedeutende Grabräuberin in die Irre zu führen!"

Lara war klar, dass der Söldner sie provozieren wollte. Nicht klar war ihr aber, warum er dies tat. Spekulierte er darauf, dass sie wütend wurde und einen Fehler machte?

"Wer bist du wirklich? Ich will die Wahrheit!"

"Das hatten wir doch auch schon. Wie willst du mich dazu zwingen, sie dir zu verraten? Willst du mich foltern? Du bist nicht der Typ dazu, so gut kenne ich dich inzwischen! Du kannst es nicht – und du willst auch gar nicht dazu fähig sein. Und womit kannst du mir dann noch drohen? Willst du mich hier zurücklassen, auf eigene Faust weitermachen? Nein, wohl kaum - das wäre zu riskant für dich. Ich weiß zu viel. Und du brauchst mich noch."

Lara schüttelte den Kopf: "Bilde dir das nicht ein. Lieber ziehe ich die Sache alleine durch, als dass du mir im falschen Augenblick versuchst, mir ein Messer in den Rücken zu jagen."

"Wenn es mir darum ginge, dann wärst du schon lange tot, Croft. Erinnerst du dich noch an diese Biker in London? Einer von ihnen hatte einen Revolver bei sich – diese Waffe hier. Was meinst du, wie oft ich dich hätte töten können, wenn ich das gewollt hätte!"

"Aber das hätte vielleicht deiner Aufgabe widersprochen, deinen Befehlen."

"Es gibt keine Befehle. Und es gibt keine Verschwörung. Es gibt nur dich und mich." Bei diesen Worten winkelte der Söldner seinen Arm leicht an. Die Mündung seiner Waffe zielte jetzt auf die Decke. Mit ausdruckslosem Gesicht klappte er die Trommel des Revolvers auf und ließ die Patronen zu Boden fallen, alle bis auf eine. Es schien ihn nicht zu verunsichern, dass Lara immer noch auf sein Gesicht zielte. Mit einer schnellen Bewegung ließ er die Trommel wieder einrasten und rotieren. Die ganze Zeit über sah er Lara an: "Du kannst mich zu nichts zwingen, Croft. Du kannst mir nichts befehlen. Vielleicht kannst du mich töten. Aber das spielt keine Rolle. Nicht die geringste." Und bei diesen Worten riss er den Arm zurück, presste die Waffe gegen seine Schläfe und drückte ab.

Es fiel kein Schuss, doch das leise Klicken des Revolverhahns klang unnatürlich laut, ließ Lara unwillkürlich zusammenzucken. Der Söldner hingegen wirkte völlig unbeteiligt. In seinen ausdruckslosen Augen war kein Zeichen von Erleichterung oder Freude darüber zu erkennen, dass die Kammer leer gewesen war. Mit einer fast beiläufigen Bewegung warf er die Waffe auf Laras Bett und lächelte verzerrt: "Und damit wären wir wieder am Anfang, Croft. Du hast eine Waffe, ich habe keine. Du bist am Zug. Was willst du tun?"

Sie wusste es nicht. Von Anfang an hatte sie den Söldner nicht völlig durchschauen können, waren ihr seine Motive rätselhaft gewesen. Und jetzt, da sich seine Vergangenheit, sogar sein Name als unwahr herausgestellt hatte, erschienen ihr die Ziele und der Charakter dieses Mannes noch rätselhafter. Als sie geglaubt hatte, seine Vergangenheit zu kennen, da hatte sie auch geglaubt, ihn einschätzen zu können. Im Stillen ärgerte sie sich über ihren Leichtsinn. Sie hatte es gespürt, hatte gewusst, dass irgendetwas mit dem Söldner nicht stimmte, dass sein Verhalten, sein Charakter, seine Fähigkeiten nicht zu seiner angeblichen Vergangenheit passten. Was wollte er? Und was sollte sein fast selbstmörderisches Verhalten eben? Lara war klar, er hatte ihr damit etwas zeigen wollen – aber sie verstand nicht, warum. Nur eines wusste sie jetzt mit absoluter Sicherheit. Im Augenblick wollte er ihr offenbar nichts tun, obwohl seine Tarnung aufgeflogen war. Und momentan schien ihm sein eigenes Leben völlig egal zu sein. Und das machte ihn noch unberechenbarer.

Schweigend standen sie sich gegenüber. Der Söldner schien abzuwarten, scheinbar gleichgültig gegenüber der Entscheidung, die sie treffen würde. Und Lara wusste nicht, was sie tun sollte. Momentan herrschte eine paradoxe Pattsituation, trotzdem nur Lara bewaffnet war. Sie hatte diesem Mann nie völlig vertraut – und jetzt konnte sie es erst recht nicht mehr. Aber sie brauchte ihn auch, brauchte seine Kontakte und sein Wissen über den von Bürgerkrieg und Anarchie zerrissenen Kongo. Und sie verdankte ihm ihr Leben, möglicherweise mehrmals. Sie konnte ihn nicht einfach erschießen, erst recht nicht, wenn er keine Waffe hatte. Wahrscheinlich wusste er das auch. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie der Söldner sich seine eigene Waffe an den Kopf gehalten und abgedrückt hatte. Hier und Jetzt war es ihm gleichgültig, ob er sterben oder leben würde. Und seltsamerweise ließ dieser Gedanke sie die Waffe senken.

Doch dann hörte sie mit einmal in der Ferne ein neues Geräusch, das die Stille zerschnitt: das dumpfe Dröhnen schwerer LKW-Motoren. Sie kamen näher, und es musste eine ganze Kolonne sein.

"Wer..."

"Wer wohl? Unsere Freunde vom Fluss. Deserteure und Banditen."

Instinktiv erwachte in Lara ein Verdacht: "Woher wissen die, dass wir hier sind?"

Der Söldner schnaubte sarkastisch: "Weil ich es ihnen gesagt habe, glaubst du das! Damit sie mich auch mal 'rannlassen, wenn sie mit dir fertig sind? Dann hab ich wohl bloß zur Tarnung ein halbes Dutzend von denen kaltgemacht! Red doch keinen Scheiss! Das hier ist das größte Dorf in der Gegend und hier läuft die einzige halbwegs stabile Straße durch. Warum werden die wohl herkommen! Ich glaube nicht, dass sie wissen, dass wir hier sind. Aber sie werden es verdammt schnell erfahren!"

Insgeheim war sie fast froh, dass das Anrücken der Deserteure ihr die Entscheidung abnahm, oder wenigstens einen Aufschub ermöglichte. Im Kampf gegen diesen Feind konnte sie dem Söldner wahrscheinlich trauen. Das war keine Frage der Ehrlichkeit oder Loyalität – es ging ums nackte Überleben: "Hol deine Sachen. Wir setzen uns ab!"

Beide hatten sie halb angezogen geschlafen und ihre Rucksäcke erst gar nicht ausgepackt. Die Waffen hatten griffbereit gelegen und so dauerte es nur wenige Sekunden, bis sie leise die schmale Treppe hinuntereilten und zur Hintertür huschten. Lara hatte dem Söldner mit einer knappen Bewegung bedeutet voranzugehen. Momentan wollte sie ihn nicht im Rücken haben. Erstaunlicherweise war er ihrer Aufforderung sogar gefolgt.

Als Lara hinter dem Söldner geduckt hinaus huschte, sah sie bereits die Scheinwerfer der LKW's. Und sie erkannte, dass es zu spät war, der Feind zu nah: "Wenn wir jetzt zu Fuß flüchten, dann haben sie uns."

"Ich weiß..." die Stimme des Söldners klang angespannt: "...auf der Straße können sie uns bequem aufsammeln und in diesen verdammten Reisfeldern kommen wir nicht weit. Was für eine Scheiße!"

"Also brauchen wir ein Fahrzeug."

"Umwerfend geniale Idee. Hier findest du jedenfalls keines, was auch nur halbwegs tauglich ist. Willst du vielleicht unsere Freunde fragen, ob sie uns eins leihen!"

"Genau das."

Die Kolonne, zu der neben drei alten amerikanischen LKW's auch vier Jeeps gehörten, fuhr mit aufgeblendeten Scheinwerfern in die Ortschaft ein. Binnen Sekunden waren die ersten Kämpfer von den Wagen herunter, sprangen bereits ab, ehe sie richtig angehalten hatten. Während ein paar Männer die Ortsausgänge sicherten, verteilten sich ein paar andere und fingen an, gegen die Häuserwände und Türen zu hämmern. Andere hoben vorsichtig Verwundete aus einem der Laster und trugen sie fluchend und schreiend zu der kleinen Sanitätsstation des Dorfes. All das vollzog sich lautstark, chaotisch, aber auch mit einer gewissen Routine.

"Die machen das hier wohl nicht zum ersten Mal." Lara flüsterte, während sie vorsichtig durch die kleine Luke ins Freie späte. Der Söldner neben ihr schnaubte nur: "Man kann nicht immer das Huhn schlachten, dass die Eier legt. Aber mit der Routine dürfte es gleich vorbei sein."

Wie auf dieses Stichwort wurde es bei dem 'Hotel' des Ortes laut. Eine kleine Gruppe Deserteure, die Hälfte Kinder, schleifte den jammernden Besitzer heraus. Während ein Bewaffneter, dessen bestimmtes Auftreten und bessere Kleidung den ehemaligen Offizier verriet, den unglücklichen Mann verhörte, durchsuchte ein halbes Dutzend seiner Leute schreiend die Gästezimmer. Sie gingen dabei ziemlich rüde vor, Glas klirrte und mit dumpfen Poltern wurden Möbel gegen die Wände geschleudert.

"Und jetzt merken sie, dass die Vögel schon ausgeflogen sind." In Laras Stimme schwang leise Befriedigung mit.

"Hoffen wir, dass sie nicht auf die Idee kommen, auf dem Dachboden nachzusehen..."

"Still jetzt."

Sie hatten Glück. Nach der erfolglosen Kontrolle der Gästezimmer sammelten sich die Bewaffneten auf der Straße. Ihnen kam offensichtlich nicht einmal der Gedanke, dass die Gesuchten sich ausgerechnet auf dem kaum hüfthohen Dachboden des Weghotels verstecken könnten. Im Schein eines LKW-Scheinwerfers stritten sich die Deserteure offenbar lautstark über das weitere Vorgehen. Ein knapper Befehl ihres Offiziers beendete jedoch das Palaver. Auf ein paar kurze Anweisungen hin kletterten ein paar Bewaffnete in zwei der Jeeps und jagten in Richtung Westen und Osten los. Einige andere, die sich neben ihren Waffen mit Taschenlampen ausgerüstet hatten, bildeten eine lockere Schwarmlinie und begannen am Ortsrand zu suchen.

"Die sind ja eifrig bei der Sache."

"Woran mag das bloß liegen! Aber was anderes macht mir Sorgen. Erstens, wir müssen auf jeden Fall an einem der Jeeps vorbei. Und zweitens scheint ihr Chef auf Zack zu sein."

Lara ging nicht näher darauf ein: "Wir geben ihnen noch eine halbe Stunde, dann verschwinden wir."

Dreißig Minuten später war die Straße wieder dunkel und fast menschenleer. Die Bewohner der Ortschaft trauten sich sowieso nicht aus den Häusern, und die Deserteure waren entweder an der Jagd auf die Flüchtlinge beteiligt, hatten sich auf der Suche nach Lebensmitteln zerstreut – oder sich in dem Hotel einquartiert, aus dessen Erdgeschoss jetzt die verzerrten Musikfetzen eines alten Radios, Stimmgewirr und Gelächter drang. Keiner bemerkte, wie eine schmale Dachluke aufgedrückt wurde, die auf eine kleine Seitengasse führte, und sich nacheinander zwei Gestalten lautlos ins Freie schoben. Selbst als sie sich die fünf Meter, die sie noch vom Boden trennten, fallenließen, war nichts zu hören, als ein leise Knirschen. Lara und der Söldner hatten sich Gesichter, Hände und Arme mit Staub dunkel gefärbt. Während sie verstohlen von einer Deckung zur anderen huschten, machten sie nicht mehr Geräusche als ein Schatten. Die abgestellten Fahrzeuge waren ihr Ziel. Nur zwei Mann hielten dort Wache. Während der eine auf dem Boden saß und den Kopf auf die Knie gestützt hatte, lehnte der zweite, ein halbwüchsiger Bursche, an einem der LKW's und rauchte eine Zigarette. Mit einer verstohlenen Handbewegung signalisierte der Söldner, welcher der Beiden sein Ziel war. Lara nickte nur knapp. In ihrer Hand ruhte die ebenfalls geschwärzte Klinge eines Kommandomessers.

Keiner der beiden Wachposten sah die unhörbare Bedrohung. Der Angriff erfolgte fast gleichzeitig. Lara war unter einem LKW hindurch gekrochen und hatte sich so an den am Boden Sitzenden angeschlichen. Blitzschnell schoss die Hand mit dem Messer jetzt vor, bohrte sich die Klinge warnungslos in den Rücken der Wache, drang in die Lunge ein. Sofort riss sie das Messer heraus, stach noch einmal, zweimal zu. Jetzt konnte es keine Gnade geben, es ging um Leben oder Tod. Der Mann starb, ohne mehr als ein dumpfes Stöhnen von sich gegeben zu haben.

Der andere Wachposten hatte vielleicht etwas gehört, oder aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrgenommen. Jedenfalls drehte er sich halb zu seinem Kameraden – und in diesem Augenblick griff der Söldner an. Während sein linker Arm sich um die Brust des Deserteurs legte, presste der Söldner seine andere Hand auf den Mund des Postens, packte ihn am Kinn. Ein schneller und brutaler Ruck brach dem Halbwüchsigen das Genick. Ein paar Augenblicke hielt der Söldner den im Todeskampf zuckenden Körper noch fest, dann ließ er ihn zu Boden gleiten und schob ihn unter den LKW: "Alles klar. Croft?"

"Klar."

Während der Söldner ihre Rucksäcke und Waffen in einen der Geländewagen warf, rannte Lara geduckt zu den anderen Fahrzeugen. Binnen Sekunden zerschlitzte sie mit ihrem Messer die Reifen und sprang dann in den übrig gebliebenen Jeep. Sie übernahm das Steuer, während der Söldner eine der erbeuteten AK's in den Händen hielt. Keiner der beiden sagte ein überflüssiges Wort. Das Anlassen des Motors erschien ihnen ohrenbetäubend laut, aber kein Alarmruf erklang, niemand schien sich um den anfahrenden Wagen zu kümmern.

Aber das änderte sich schlagartig am Ortseingang, wo die Deserteure Posten aufgestellt hatten. Die drei Männer standen mitten auf der staubigen Landstraße und wirkten sichtlich überrascht, als sie einen ihrer eigenen Jeeps ohne Licht und mit Höchstgeschwindigkeit auf sich zu rasen sahen. Schreiend sprangen sie beiseite, rissen die Waffen hoch – und fielen im Kugelhagel. Der Söldner hatte sich halb aus dem Wagen gelehnt und bestrich kaltblütig die Straße mit Sperrfeuer. Nur einer der drei Posten konnte sich rechtzeitig in Deckung werfen. Im Dorf wurde es jetzt laut, erklangen Schreie und Schüsse. Doch es war zu spät, der Jeep schon in der Dunkelheit verschwunden. Mit ohnmächtiger Wut konnten die Deserteure nur feststellen, dass sie mit den ihnen verbliebenen Wagen niemals die Verfolgung aufnehmen konnten.

Lara fuhr ohne Licht und in einem Tempo, das nur als halsbrecherisch zu bezeichnen war. Keiner der beiden sagte ein Wort, und die Anspannung blieb. Irgendwo vor ihnen musste immer noch einer der Geländewagen der Deserteure unterwegs sein, auf der Suche nach ihnen – auch wenn die Männer in dem Jeep annehmen würden, dass ihre Ziele zu Fuß unterwegs waren. Außerdem fragte sich Lara, wie es weitergehen sollte, wenn sie es erst einmal geschafft hatten. Sollte sie den Söldner, wer auch immer er wirklich war, mitnehmen? Sollte sie ihn zurücklassen? Konnte sie das überhaupt? Und wenn nicht – wie sollte sie ihm jetzt noch vertrauen? Die Dunkelheit verbarg das Gesicht des Söldners und so konnte sie nur raten, welche Gedanken ihm durch den Kopf gingen.

Diesmal wurden sie von dem Angriff überrascht. Ohne Vorwarnung hämmerte vor ihnen auf einmal ein Maschinengewehr los, zuckten Leuchtspurgeschosse über die Straße und schlugen in den Jeep ein. Fast gleichzeitig fiel eine Mpi ein. Binnen weniger Sekunden trafen fast ein Dutzend Kugeln den Wagen, zersiebten Kühler, Karosserie und die vorderen Reifen.

Der Jeep brach zur Seite aus, es fehlte nicht viel, und er hätte sich überschlagen. Der Ruck, mit dem Lara den Wagen schleudernd zum Stehen brachte, beförderte ihren Beifahrer beinahe durch die Windschutzscheibe. Während sich Lara aus dem Wagen warf, dicht gefolgt von dem Söldner, der nur um ein Weniges langsamer war, schien sich der Beschuss noch zu steigern und verwandelte den Jeep in ein Sieb.

Lara presste sich flach auf den Boden. Unter dem Wagen hindurch sah sie in der Dunkelheit das Mündungsfeuer ihrer Gegner aufblitzen. Das musste der feindliche Aufklärungsjeep sein, offenbar mit einem aufmontierten schweren MG bewaffnet. Zum Glück schoss der Gegner ziemlich wahllos, schien sich vor allem auf den Wagen zu konzentrieren, statt nach dessen Insassen Ausschau zu halten. Aber andererseits nagelte das Sperrfeuer Lara und den Söldner fest, machte jeden Ausbruchsversuch unmöglich.

„Rou…" Lara stoppte unwillkürlich mitten im Wort, als sie automatisch den falschen Namen des Söldners benutzte. Der Mann neben ihr schob Lara einen Gegenstand zu – eine der Handgranaten, die sie erbeutet hatten: „Schmeiß nicht daneben."

Sie sparte sich die Antwort. Stattdessen schob sie sich, immer noch flach an den Boden gepresst, vorwärts. Jetzt stoppte das Maschinengewehrfeuer kurz – der Schütze musste wohl einen neuen Gurt einlegen. Lara stieß zischend die Luft aus, während ihr Arm durch die Luft schnitt, die Handgranate in einem flachen Bogen auf den Feind zuflog, auf den Boden prallte und unter den feindlichen Jeep rollte.

Die Explosion riss die feindlichen Schützen in Stücke, hinterließ nur rauchende Trümmer, als sich der Tank und die Reservekanister entzündeten. Die auflodernden Flammen leuchteten weithin, ein Zeichen, das noch in Kilometern zu erkennen sein würde.

„Das war ein Hinterhalt..."

„Ach, sag bloß!"

Der Söldner ließ sich durch den sarkastischen Einwurf nicht beirren: „…und das heißt, sie wussten, dass wir kommen. Vermutlich hatten sie ein Funkgerät. Wir müssen davon ausgehen, dass der andere Aufklärungsjeep genauso ausgerüstet ist. Also werden sie in spätestens fünfzehn Minuten hier sein, wahrscheinlich mindestens ein halbes Dutzend Kämpfer. Und wegen diesem kleinen Signalfeuer hier können wir sie wohl kaum noch überraschen. Also müssen wir uns absetzen."

„Zu Fuß." Das war keine Frage.

„Deine Entscheidung Croft. Du wolltest doch unbedingt zu der Scheiß-Ausgrabungsstelle."

„Wenn du nichts Konstruktives hast, halt einfach den Mund."

„Schon gut. Auf der Straße kommen wir zu Fuß nicht weit. Aber in diesem verdammten Sumpf werden sie uns nicht folgen können – und in zehn Meilen Entfernung Richtung Nordost gibt es ein kleines Dorf. Vielleicht gibt es dort einen Wagen."

„Worauf warten wir dann noch?" Mit diesen Worten schulterte Lara ihren Rucksack und ließ sich die Böschung der Piste hinunter rutschen. Der Söldner sah ihr hinterher, den Mund zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Dann folgte er ihr. Binnen Sekunden waren die beiden in der Dunkelheit verschwunden.

„""""""""""""""""""""""""""""""""

Der Marsch wurde schnell zur Tortur. Keiner der Beiden hatte in den letzten Tagen viel schlafen können und das rächte sich jetzt. Auch wenn sie nur relativ leicht bepackt waren, sich durch die aufgegebenen Reisfelder zu schleppen, durch Schlamm und Wassergräben, die meist bis zu den Knien, oft aber auch bis zum Gürtel reichten, war eine Qual. Es war zu gefährlich, die Taschenlampen zu verwenden, deshalb mussten sie sich völlig auf ihren Instinkt und Tastsinn verlassen. Bis zum Morgen waren es noch ein paar Stunden, aber so lange konnten sie nicht warten. Der Söldner hatte sich außerdem bei dem Absprung vor ein paar Tagen den Knöchel verstaucht, was ihn zusätzlich behinderte. Trotzdem schleppte er sich verbissen vorwärts, versuchte mit Lara Schritt zu halten, oder sie sogar zu überholen, ohne dabei jedoch viel Erfolg zu haben. Die Grabräuberin schien ihm für den Augenblick immerhin soweit zu trauen, dass sie bereit war, vor ihm zu gehen. Doch das bedeutete dem Söldner momentan wenig. Ja es schien ihm, als würde sie ihn damit verhöhnen wollen, mit dem immer gleich bleibenden Abstand, der scheinbaren Leichtigkeit, mit der sie ihm stets ein paar Schritte voraus war. Er fühlte, wie eine irrationale Wut in ihm aufstieg, Wut auf Lara – und Wut auf sich selbst. Wut darüber, dass sie ihn zumindest teilweise durchschaut hatte.

Er war erschöpft, übermüdet und wütend – und deshalb war er nicht so sehr auf der Hut wie sonst, waren seine Reflexe um ein weniges langsamer. Als er fühlte, dass die Böschung des schmalen Dammes, den er gerade überquerte, unter seinen Füßen nach gab, reagierte er zur spät. Statt wieder sicheren Stand zu gewinnen, verlor er völlig den Halt und rutschte ab. Beim vergeblichen Versuch, das Gleichgewicht wieder zu finden, verlor er die Waffe in seiner Hand.

Der Sturz war nicht tief, nur einen knappen Meter, aber er reichte, um den Söldner bis zum Gürtel in dem zähen Schlamm versinken zu lassen. Während er vergeblich versuchte, einen Halt zu finden, sank er tiefer: bis zum Bauch, bis zur Brust.

Doch dann fühlte er plötzlich festen Boden unter den Füßen. Es war kein richtiges Schlammloch, in das er geraten war, nur ein aufgegebener Bewässerungsgraben, in dem die Ablagerungen von Jahrzehnten ruhten.

Während er mit den Füßen die Festigkeit des Grundes prüfte, tastete der Söldner nach einem Halt, nach irgendetwas, an dem er sich herausziehen konnte. Doch er fand nichts. Er würde nicht versinken. Aber er konnte sich auch unmöglich aus eigener Kraft befreien: „Croft, verdammt…"

Erst jetzt fand er Zeit, sich umzusehen – und er bemerkte, dass Lara auf der Böschung kniete, von der er abgerutscht war, und zu ihm hinuntersah. Ihre Taschenlampe leuchte kurz auf. Ihr Gesichtsausdruck war undeutbar. Schweigend musterte sie den Söldner. Und er glaubte zu begreifen.

„Na schön." Seine Stimme klang hart, feindselig, voller Wut: „Wie bequem für dich, Croft. Ist es das, worauf du gehofft hast! Was willst du, verdammt! Willst du mich hier zurücklassen! Mich so verrecken lassen? La sale putain! Verdammte Nutte! Dann knall mich lieber ab. Das schuldest du mir auf jeden Fall. Los, schieß schon, du Nutte – DU SOLLST SCHIESSEN!"

Sie schwieg immer noch, schien ihn einfach nur zu mustern. Dann, plötzlich beugte sie sich vor und hielt dem Söldner die Waffe hin, die sie in den Händen hielt. Die tastenden Finger des Mannes berührten den Lauf der Waffe, schlossen sich darum. Lara stemmte die Füße in den nachgiebigen Boden, suchte nach Halt. Jeder Muskel ihres Körpers war angespannt. Dann, während sie keuchend die Luft ausstieß, zog sie: zwei Zentimeter, fünf, zehn. Dann ließ der Söldner den Lauf der Waffe los und krallte sich in festeren Boden, zog sich mühsam auf sicheres Gelände.

Ein paar Sekunden blieb er liegen, dann richtete er sich mühsam auf. Der Schlag traf ihn überraschend – keine Ohrfeige, sondern ein wuchtiger Kinnhaken, der ihn herumwirbelte und wieder zu Boden schickte. Laras Stimme klang sardonisch: „Das war für die ‚Nutte', verstanden!"

Der Söldner starrte sie an. Dann plötzlich, zuckte es in seinem Gesicht. Er betastete sein Kinn. Sein Mund öffnete und schloss sich ein paar Mal, als würde er nach Worten suchen. Doch der einzige Laut, der über seine Lippen kam, war ein seltsames Keuchen, dass seinen Körper schüttelte – und Lara begriff, dass er lachte. Lachte, während er mühsam nach Atem rang und schwerfällig den Kopf schüttelte. Seine Stimme klang undeutlich: „Verdammt…Croft. Lara. Du bist wirklich einmalig. So was wie dich gibt's nur einmal." Und wieder lachte er.

„Gewöhn dich besser an den Gedanken. Kannst du weiter?"

Das Lachen des Söldners verstummte ebenso plötzlich, wie es begonnen hatte: „Warte."

„Wir haben nicht ewig Zeit. Genauer gesagt läuft sie uns davon."

„Du sollst still sein und zuhören – bevor ich zur Vernunft komme und es mir anders überlege, verdammt." Das ließ sie innehalten. Von der zynischen Selbstsicherheit des Söldners war jetzt nicht mehr viel zu spüren. Stattdessen klangen seine Worte jetzt langsam, zögernd – wie die Bewegungen eines Soldaten, der sich durch ein Minenfeld tastete.

„1989…brach für uns eine Welt zusammen. An einem Tag waren wir noch eine Armee gewesen, am nächsten Tag nur noch die Lakaien eines maroden, überlebten Systems. Unserer Führung fehlte der Mut – oder die Skrupellosigkeit, alles auf eine Karte zu setzen.

Damals…war ich ein Soldat des ‚anderen Deutschlands'. Fallschirmjäger der NVA, Freiwilliger frisch aus der Grundausbildung. Wir waren nicht ein Haufen lustloser, vergammelter Wehrdienstleistender – wir waren eine Eliteeinheit. Auf jeden Fall sahen wir uns damals so. Die meisten von uns hatten noch an ‚die Sache' geglaubt. Doch das Alles war plötzlich nur noch ein Dreck wert. Unsere Uniformen, unsere Ideale – nur noch Ramschware der Geschichte.

So kam es uns jedenfalls vor. Mein Gott, waren wir naiv. Und verbittert. Aber wie dem auch sei, uns war klar, mit unserer Armee war es vorbei. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Es gab keine Garantien für unsere Zukunft mehr. Wenn wir Glück hätten, würde man uns übernehmen in die Bundeswehr, uns Idioten aus dem Osten einfach schlucken. Schon der Gedanke daran war zum Kotzen. Wir kamen uns verraten vor. Verraten und verkauft.

Für die Offiziere war es natürlich am schlimmsten – vor allem für die Linientreuen. Die konnten sich ausrechnen, dass sie mit einer Frühpensionierung noch Glück haben würden. Und wenn sie irgendwelchen Dreck am Stecken hatten…

Nur deswegen konnten wir auf eine so blödsinnige Idee kommen. Oder eigentlich war es Königs Idee - Major König. Und wir drei, Lanz, Wourzac und ich, nahmen ihm die Geschichte ab. Wir glaubten keine Zukunft mehr zu haben. Aber wir hatten unsere Waffen und unsere Ausbildung – und nichts mehr zu verlieren.

Es war einfach damals, über die Grenze zu kommen, auch mit den Waffen. Die Grenzsicherung war zusammengebrochen und die Grenzer waren noch schlimmer dran als wir. Der Plan war ganz simpel, sagte König. Irgendwoher wusste er von einem Geldtransport im Westen. Den sollten wir ausnehmen und wieder jenseits der Grenze sein, bevor die Polizei überhaupt mitbekam, was los war. Unser Startkapital in die Marktwirtschaft. Wir waren wirklich so bescheuert.

Natürlich ging etwas schief. Der Überfall wäre um ein Haar daneben gegangen. Zwei Wachleute starben, zwei weitere wurden schwer verletzt und ich bekam einen Steckschuss in die Schulter. Wir schafften es mit knapper Mühe wieder über die Grenze. Aber dann fing der Ärger erst an. Wir hatten mehr als neunhunderttausend Westmark erbeutet – zuviel, als dass es gut gehen konnte."

„Irgendjemand wollte nicht teilen."

„Allerdings. König hatte für mich die Adresse eines Arztes besorgt. Zum Glück hatte mein Auto eine Panne – als ich dort ankam, wimmelte es bereits von Polizei. Ich sah, dass ich wegkam – aber bei unserem Versteck war es genau dieselbe Scheiße. Ich konnte nur zusehen, wie sie Wourzac raustrugen. Beim Prozess wälzte er dann alle Schuld auf König, Lanz und mich ab. Verständlich. Aus seiner Sicht mussten wir drei uns abgesprochen haben, um ihn zu verraten und ans Messer zu liefern. Trotzdem bekam er zwölf Jahre."

„Aber du hattest ihn nicht verraten?"

„Nein. Nein, das hatten König und Lanz sich alleine ausgedacht. Aber der eigentliche Kopf war natürlich König. Lanz war nur ein nützlicher Idiot für ihn. Ungefähr einen Monat später fand man Lanz – mit einer Kugel im Kopf. Und König, der verschwand einfach, mit dem Geld. Er löste sich in Luft auf. Ich saß in einer beschissenen Klemme – ich hatte kein Geld, die Polizei war hinter mir her und zu allem Überfluss hatte ich eine ziemlich frische Schussnarbe. Eigentlich hatte ich nur noch einen Ausweg…"

Lara fragte sich kurz, was er damit meinte. Söldner zu werden? Doch dann erinnerte sie sich an die guten Französischkenntnisse des Söldners, seine Fähigkeiten und die Ausbildung, die er absolviert haben musste – eine bessere Ausbildung, als man als ein einfacher „freiberuflicher Söldner" haben konnte. Und sie begriff. Für einen Mann, einen Soldaten, der mit seinem alten Leben abschließen wollte, gab es tatsächlich eine nahe liegende Möglichkeit: „Und dieser Ausweg war die Fremdenlegion, richtig?"

Der Söldner quittierte ihre Vermutung mit einem knappen, müden Grinsen: „Du bist wirklich gut. Damals, Anfang 1990, gab es die Sowjetunion noch. Die Schwemme arbeits- und hoffnungsloser Ostblocksoldaten hatte noch nicht begonnen. Ich hatte Glück, die Legion konnte einen Ex-Fallschirmjäger gebrauchen. Johann Rückert hörte auf zu existieren, und Jean Rouget schrieb sich ein bei der Fremdenlegion, als Legionär zweiter Klasse.

Meine Feuertaufe erhielt ich am Golf, während der Operation ‚Desert Storm'. Bald danach wechselte zum 2e Regiment Etrangere Parachutiste. In Guayana wurden wir in Guerillakriegführung und Counterinsurgency ausgebildet. In der Legion interessierte sich niemand für meine Vergangenheit. Meinen deutschen Pass hatte ich verbrannt, noch bevor ich anmusterte. Dann…" Die Stimme des Söldners verebbte und lange Zeit, mehr als eine Minute schwieg er. Lara konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie hörte, wie er tief ein und ausatmete, nach Worten zu suchen schien.

„Es war Anfang 1994, als unsere Einheit wieder einmal in den Einsatz geschickt wurde. Das Ziel war diesmal Ruanda. Die meisten Soldaten wussten wenig oder gar nichts über das Land. Unsere Aufgabe war scheinbar klar und einfach. Wir sollten den Regierungstruppen im Kampf gegen Guerillas helfen, eine Aufgabe, für die wir gut ausgebildet waren. Aber was wir vorfanden…

Das Land war seit der Unabhängigkeit immer nur zeitweise zur Ruhe gekommen. Der während der Kolonialzeit künstlich geschürte Gegensatz zwischen Tutsi und Hutu hatte bereits mehrmals zu blutigen Massakern geführt. Von beiden Seiten. Sie brauchten gar keine Kolonialherren mehr, die sie gegeneinander aufhetzten. Doch was nun folgte…

Kurz bevor wir abflogen, hörten wir davon, dass der Präsident Ruandas bei einem Anschlag ums Leben gekommen war. Seine Maschine wurde abgeschossen – bis heute ist nicht klar von wem, Tutsi-Rebellen oder einer Fraktion seiner eigenen Regierung und Armee. Er war de facto ein Diktator gewesen, skrupellos und brutal. Aber er hatte wenigstens halbwegs für Ruhe gesorgt. Nach seinem Tod…

Alles war bereit. Diejenigen Hutu in der Regierung, die auf einen ‚Befreiungsschlag' setzten, hatten nichts dem Zufall überlassen. Die Propaganda hämmerte pausenlos, dass die Tutsi Kakerlaken seien, minderwertig, eine Bedrohung – und genauso jene Hutu, die sie unterstützten oder beschützten. Waffenlager waren angelegt worden. Die Milizen der Interahamwe standen bereit. Interahamwe bedeutet ‚fest zuschlagen'. Und das taten sie.

Das alles erfuhren wir allerdings erst später. Aber wir merkten schnell, dass etwas nicht stimmte. Bei unserem Vormarsch in Richtung ‚Front' fiel uns auf, die Menschen flohen in dieselbe Richtung, in die wir marschierten. Sie flohen nicht vor den Kämpfen. Wir kamen in eine Stadt… Ich habe ihren Namen nie erfahren, wir sollten dort nur Station machen. Kaum Soldaten waren dort, kein schweres Gerät, stattdessen Banden in Zivil, schlecht bewaffnet. Es kamen immer mehr davon aus dem Umland. Dort war eine Kirche, umstellt von ein paar Soldaten der regulären ruandischen Armee.

Es wimmelte von Zivilisten, das Gebäude war völlig überfüllt. Flüchtlinge, Tutsi, die wohl nichts hatten retten können als das nackte Leben. Ich weiß nicht wie viele es waren, vielleicht Tausend - Männer, Frauen, Kinder. Sie waren erschöpft, abgerissen, durstig und hungrig. Aber sie alle jubelten, als sie unsere drei LKWs anrollen sahen. Sie schrieen, tanzten und lachten. Am liebsten wären sie uns wohl um den Hals gefallen. Sie dachten wohl, jetzt seien sie in Sicherheit. Sie dachten, wir würden sie schützen. Aber das war nicht unser Auftrag…

Binnen einer halben Stunde kam der Befehl, dass wir uns zurückziehen und am Stadtrand kampieren sollten. Keiner aus unserem Zug fragte nach dem Grund. Ich glaube, wir hatten Angst vor der Antwort. Es ist leichter, sich unwissend zu stellen, wenn man die Augen vor der Wirklichkeit verschließt. Die Flüchtlinge…für sie muss es grausam gewesen sein, unmenschlich. Als würde man einen geretteten Schiffbrüchigen wieder in die See stoßen. Das war mir damals noch nicht klar – oder ich wollte es vielmehr nicht begreifen. Sie weinten und bettelten. Wir verstanden ihre Worte nicht, aber wir verstanden ihre Gesten. Sie flehten uns an zu bleiben. Sie krallten sich an den Seiten unserer LKW fest – und wir schlugen mit den Gewehrkolben nach ihren Händen. Ein paar Frauen versuchten, ihre Kinder auf die Ladeflächen zu schieben – und wir stießen die Kinder wieder zurück in die Menge. Spätestens da hätte uns klar sein müssen, was geschehen würde. Aber wir wollten es nicht sehen.

Wir schlugen unser Lager am Stadtrand auf, vielleicht ein, anderthalb Kilometer von der Kirche entfernt. Kaum einer von uns konnte essen oder schlafen. Wir saßen einfach da und warteten. Und konnten uns nicht einmal selber eingestehen, worauf wir warteten. Überall in den Straßen hatten die Milizen Feuer entzündet. An manchen Stellen sah es fast so aus, als würde die Stadt brennen.

Es begann mit Schüssen, nur ein paar, vereinzelt. Vielleicht hatten einige Flüchtlinge versucht, ihrem Tod zu entkommen. Diese Schüsse waren das Signal für den Massenmord.

Wir hörten wie sie schrieen, Männer, Frauen, Kinder – hundertfach. Und wir griffen nicht ein, wir blieben bei unseren Wagen. Wir griffen nicht ein – und sie starben. Und schrieen, schrieen, schrieen. Wir hörten keine Schüsse mehr, wir hörten nicht die Befehle und Kommandos der Mörder – wir hörten nur die Schreie der Sterbenden. Stundenlang. Und wir taten nichts – nichts, als uns die Hände auf die Ohren zu pressen, um nicht mehr hören zu müssen. Einige weinten, andere verlangten von unserem Kommandant, er sollte eingreifen. Doch der lieutenant blieb bei seinen Befehlen. Und keiner von uns brachte den Mut auf, auf eigene Faust etwas zu tun, einzugreifen. Als die Schreie schwächer wurden, als sie verstummten, waren wir erleichtert, fast froh. Wir waren froh, dass sie alle tot waren – wenigstens waren sie jetzt endlich still!

Am nächsten Tag rückten wir weiter vor – und sahen mit eigenen Augen, was in der Nacht geschehen war. Überall lagen Leichen. Unsere Wagen mussten über sie hinweg fahren. Die Milizen, die Soldaten – und auch die Hutu-Zivilisten hatten die Flüchtlinge getötet, ohne Ausnahme, ohne Gnade. Männer, Frauen, Kinder. Nicht erschossen, das war den Mördern wohl zu barmherzig gewesen. Stattdessen hatte man sie mit Knüppeln und Eisenstangen erschlagen, mit Macheten und Beilen zerhackt, sie reihenweise abgeschlachtet. Jede Frau, jedes Mädchen war vergewaltigt worden, bevor sie starben. Die Milizionäre hatten Kinder in die überall brennenden Feuer geworfen und bei lebendigem Leib verbrannt.

Die Mörder waren blutverschmiert, und für sie schien das Blut auf ihren Armen und Kleidern fast so etwas wie eine Auszeichnung zu sein. Sie lachten, posierten vor den Leichenhaufen wie Jäger vor ihrer Beute. Zweimal mussten wir anhalten, weil die Leichen sich so hoch türmten, dass wir nicht weiterkonnten. Die Männer, die die Körper beiseite räumten…für sie schienen die Leichen nichts weiter als Müll zu sein, Abfall, ihre Entsorgung eine lästige Pflicht. Keine Reue, keine Scham – nicht einmal Verlegenheit.

Ich sah einen Jungen auf dem Boden liegen… Sie hatten ihm die Beine zerschlagen, sein Körper war eine einzige Wunde, sein rechter Arm war fast abgehackt. Aber er lebte noch. Lebte, und weinte lautlos. Er schien mich anzusehen. Sein Blut sickerte in den Dreck. Fliegen wimmelten auf seinem Körper. Er starb. Starb langsam.

Wir hätten wenigstens ihn retten sollen, ihn retten müssen. Aber wie? Wir konnten ihn in kein Krankenhaus schaffen. Wir waren auf dem Weg zur Front. Wir konnten ihn nicht mitnehmen. Ihn ausfliegen? Das hätte keiner bewilligt. Unsere Befehle waren klar. Wir hatten einen Kampfauftrag – und nur den.

Also nahm ich mein Gewehr…" Der Söldner hob die Hände, als würde er eine Waffe auf ein Ziel richten, dass nur er sehen konnte. Seine bisher tonlose Stimme schien vor innerer Anspannung zu vibrieren, überschlug sich beinahe: „…nahm es, und erschoss ihn. Besser ein schnelles Ende… Die Kugel zerschlug seinen Hals, die Schlagader. Sein Blut…plötzlich war es überall, auf meinen Händen und in meinem Gesicht. Ich weiß nicht mehr genau, was dann geschah, nur dass ich dann auf dem Laster hockte und heulte wie ein Kleinkind. Erbärmlich. Der lieutenant schlug mir ins Gesicht und befahl mir, mich zusammenzureißen. Dann nahm er mir die Waffe ab und gab sie mir erst am Abend wieder. Keiner aus dem Zug verlor jemals ein Wort darüber – oder überhaupt über das Massaker. Keiner sprach davon – aber keiner vergaß es…

Es währe zu pathetisch, zu behaupten, dass wir an diesem Tag den Glauben verloren. Und keiner hatte noch so etwas wie moralische Unschuld. Aber etwas war zerbrochen in uns. Wir verweigerten nicht den Gehorsam, wir waren Legionäre. Wir kämpften weiter gegen die Tutsi-Guerillas. Wir kämpften und sahen Flüsse, in denen die Leichen dicht an dicht trieben. Wir sahen Körper, hunderte, tausende, die in der Sonne verfaulten. Ganz Ruanda war ein Schlachthaus. Keiner hat die Toten gezählt. Sechshunderttausend? Achthunderttausend? Eine Million? Und der Westen sah weg, keiner griff ein – trotzdem sie wussten, was geschah. Es waren ja nur Afrikaner. Noch bevor das Massaker begann, hatten einige Tutsi-Politiker Washington gewarnt, hatten um Hilfe gebeten – umsonst. Die Welt wusste, was geschah – oder hätte es wissen müssen, wenn es nicht bequemer gewesen währe, die Augen zu schließen.

Die UNO sah ohnmächtig zu. Niemand stellte Truppen, um das Schlachten zu beenden. Die einzigen Einheiten, die nach Ruanda geschickt wurden, das waren wir, die schnelle Eingreiftruppe der Grande Nation. Und wir halfen beim Massenmord. Wir trieben zwar keine Tutsi zusammen und wir verübten keine Massaker. Aber wir hielten den Mördern den Rücken frei. Jeder Tutsi-Guerillero den wir töteten, jeder Tag, den wir dem wankenden Regime erkauften, half das Morden zu verlängern.

Später hörte ich von einer kleinen UN-Einheit, nur ein halbes Dutzend Mann, die sich nicht zurückzogen. Sie hatten Befehl, eine ruandische Politikerin zu beschützen, eine Tutsi oder missliebige Hutu – ich weiß es nicht genau. Diese Soldaten hielten ihre Stellung. Sie kämpften, bis sie überrannt und in Stücke gehackt wurden. Keiner von ihnen überlebte.

Das waren Helden. Wir aber, wir waren keine Helden. Wir sahen auch nicht einfach nur weg, wie der Rest der Welt - wir waren Mittäter.

Als das Regime zusammenbrach, flog man uns aus. Wir kamen in Ruhestellung. Manche wurden nicht mit fertig mit dem, was sie gesehen hatten. Ein paar schieden aus der Legion aus. Der lieutenant, der unseren Zug befehligt hatte, erschoss sich ein dreiviertel Jahr nach unserer Rückkehr. Angeblich, weil seine Frau ihn verlassen hatte.

Ich selber… Ich erschoss mich nicht. Vermutlich fehlten mir dazu der Mut und die Konsequenz. Und ich schied auch nicht aus. ‚Legio patria nostra' – die Legion ist unser Zuhause. Ich wusste einfach nicht, wo ich hätte hingehen sollen. Also blieb ich. 1997 kehrte ich nach Zentralafrika zurück. Das Mobutu-Regime im Kongo lag in seinen letzten Zügen. Die pseudokommunistischen Rebellen Kabilas waren auf dem Vormarsch. Einmal mehr sollten wir eingreifen, um eine Diktatur zu stabilisieren – nicht, dass Kabila auch nur einen Deut besser war als Mobutu.

Aber etwas war diesmal anders. Diesmal war Paris nicht bereit, offiziell reguläre Truppen zu entsenden. An unseren Uniformen, an der Politik der französischen Intervention, klebte nach Ruanda wohl zu viel Blut. Außerdem verfolgten die USA ihre eigenen Ziele im Kongo. Nach dem Ende des Kalten Krieges waren sie auf einmal bereit, mit Kabila zu verhandeln, ihn als eine Option zu sehen. Mobutu hatte abgewirtschaftet, seine Armee war nichts wert, hatte keine Moral, keine Disziplin und viel zu wenig richtige Soldaten.

Da Frankreich offiziell keine Hilfe schicken konnte, nicht einmal die Fremdenlegion, kamen wir eben inoffiziell zum Einsatz. Wir waren nicht viele, höchstens fünfzig Mann: ‚Kommando Hydra'. Alles Offiziere oder Unteroffiziere. Viele aus dem 2e Regiment Etrangere Parachutiste, ausgebildet in Konterguerilla, Sabotage, Kommandoaktionen. Einzeln, zu zweit oder zu dritt setzte man uns ein, als Berater und Ausbilder des zerbröckelnden Regimes. Wir zogen uns kämpfend zurück – das heißt, wenn wir die Soldaten Mobutus zum Kämpfen bewegen konnten. Viele hatten keine Lust mehr, für ein marodes System und einen kranken, alten Diktator zu sterben. Und andere plünderten lieber.

Es war nicht wie in Ruanda, aber es starben dennoch zahllose Unschuldige. Und der Kongo wurde einmal mehr verwüstet. Und warum? Die Menschen begrüßten Kabilas Truppen begeistert. Nicht, dass sie ihn liebten. Aber sie hofften, dass dieser Wahnsinn endlich ein Ende haben würde. Seit fünfzig Jahren war der Ostkongo nicht zur Ruhe gekommen.

Als dann jede Ordnung zum Teufel ging, zog man uns ab. Wir sollten nicht in Gefangenschaft geraten. Aber man schickte uns nicht nach Hause. Noch nicht. Man brauchte uns noch. Denn Kabila hatte Feinde. Feinde, die Paris nützlich erschienen. Auch sie brauchten Ausbilder und Berater. Also kämpften wir weiter. Ein Guerillakrieg – das ist ein schmutziger Krieg. Und hier im Kongo…

Frankreich wollte nicht mit unserem Kampf in Verbindung gebracht werden. Also kämpften wir namenlos, oder unter falschen Identitäten. Jean Rouget war offiziell auf eine Mine getreten und an den Wunden gestorben. Es fiel mir leicht, Jeanr Roux zu werden. Es war nur ein weiterer Name. Und was auch immer der echte Roux für Verbrechen begangen hatte, es waren nicht meine gewesen. Sie belasteten mich nicht.

Kabila erwies sich schnell als mindestens ebenso schlimm wie Mobutu. Er war ein Gangster, ein Psychopath. Aber das hätte man ihm wohl nachgesehen – wenn er ein verlässliches Werkzeug geblieben währe. Aber nach nur kurzer Zeit merkten die Amis, dass sie ihn nicht dirigieren konnten, dass er sein eigenes Spiel spielte.

Also kam er bei einem Anschlag ums Leben. Sein Sohn übernahm das Kommando – doch der Krieg ging weiter. Der Westen, die afrikanischen Nachbarn und die multinationalen Konzerne – sie alle wollen ein Stück haben vom Kuchen. Sie alle wollen Diamanten, Uran und Coltan.

Unsere Operation begann in dem Moment aus dem Ruder zu laufen, als Kabila versucht hatte, sich von seinen amerikanischen Gönnern zu lösen und den Kontakt auch mit Frankreich suchte. Plötzlich erschienen wir unseren neuen Freunden als unzuverlässig. Außerdem war irgendetwas durchgesickert und Paris kam in Erklärungsnot. Einer aus dem Kommando war wohl in Gefangenschaft geraten und konnte den Mund nicht halten. Überstürzt kam der Rückzugsbefehl, während offiziell alles geleugnet wurde. Keiner wollte die Verantwortung übernehmen.

Ich war bei einer Dreiergruppe, als der Befehl kam uns abzusetzen. Wir versuchten, Richtung angolanische Grenze durchzubrechen, aber das ging schief. Die anderen beiden schafften es, ich aber fing mir eine Kugel ein und geriet in Gefangenschaft.

Ich…hatte Glück, relativ gesehen. Aber Paris ließ mich fallen wie eine heiße Kartoffel. Keine heldenhafte Rettungsmission, sie waren nicht mal bereit, Geld zu bezahlen. Zum Glück war der Chef der Bande, die mich aufgesammelt hatten halbwegs vernünftig. Er ließ mich gehen."

„Einfach so?"

Roux lachte humorlos: „Nun ja, da gab es auch noch eines unserer alten Waffenlager, dessen Koordinaten ich ihm geben konnte.

Doch danach war ich fertig mit Frankreich. Sie wollten mich offensichtlich nicht zurück haben. Sie hatten mich hängen lassen. Ich hatte ganz einfach genug. Der Legionär Jean Rouget war für Frankreich gestorben. Jean Roux schuldete weder der Legion noch Frankreich irgendetwas. Ich schlug mich als Söldner durch, meistens nur mit zweitklassigen Aufträgen: dem Schutz einer geologischen Expedition, als Wachmann für Shell. Es waren nicht die bestbezahlten Jobs, aber es reichte. Und wenigstens verlangte keiner von mir…" Der Söldner brach mitten im Satz ab. Aber Lara wusste ohnehin, was er hatte sagen wollen. Sie wünschte sich, sein Gesicht besser sehen zu können, aber dazu war es zu dunkel: „Warum bist du in Afrika geblieben?"

„Wo sollte ich denn hin? Nach Deutschland? Dort stand ich immer noch auf der Fahndungsliste. Und selbst wenn nicht, ich hatte jeden Kontakt abgebrochen und mit dem Eintritt in die Legion sowieso die Staatsbürgerschaft verloren. Das Land, aus dem ich gekommen war, das gab es nicht mehr. Es gab kein Zurück. Und ich hatte es so gewollt.

Und was konnte ich schon! Schießen, Sprengen, Sabotieren, Töten. Aber einen richtigen Beruf, eine Ausbildung hatte ich nicht. Ich hätte vielleicht in der Unterwelt etwas finden können – aber bevor ich Schläger für die Mafia oder Zuhälter werde, jage ich mir lieber eine Kugel durch den Kopf.

Nach Frankreich konnte ich auch nicht. Ich kannte da niemanden, außer in der Legion. Und die würden wohl kaum noch viel mit mir zu tun haben wollen. Für meine Vorgesetzten und für die Initiatoren des ‚Kommando Hydra' währe ich nur ein unbequemer Mitwisser. Ich glaube nicht, dass sie mich umlegen würden, aber ich wollte es nie drauf ankommen lassen…"

Wieder schwieg er lange, dann fuhr er mit leiser Stimme fort. Lara hatte Mühe ihn zu verstehen, und sie konnte die Emotionen nicht deuten, die in seinen Worten lagen. Wut, Bitterkeit, Selbsthass?

„Man hat mir Orden verliehen und ich habe die Männer nicht gezählt, die ich im Kampf getötet habe. Aber ich war nie ein Held. Ich habe nie etwas getan, um das Morden zu beenden. Immer bin ich nur meinen Befehlen gefolgt – oder hab mich um mein eigenes Leben gekümmert.

Aber diesmal nicht! Irgendwann muss es ein Ende haben.

Ich weiß nicht, warum diese Söldner die Expedition angegriffen haben. Ich weiß nicht, warum meine Männer sterben mussten.

Robert war ein Phantast. Ein halber Junge noch, der Söldner geworden war, um sich seine Männlichkeit zu beweisen, weil er Abenteuer erleben wollte. Ein verdammter Narr. Josephe war ein guter Soldat und mit Phillipe hatte ich schon mehrmals zusammengearbeitet. Er…hat mir einmal das Leben gerettet, als wir in einen Hinterhalt gerieten. Die Schuld konnte ich niemals zurückzahlen. Andre und Patrice waren Angeber, die glaubten, mit ihren Waffen und Tarnuniformen könnten sie Kommandosoldaten spielen. Tatsächlich waren sie wohl arbeitslose Gendarmen, die sich als Söldner versuchen wollten. Und ich habe sie in den Tod geführt. Meine Aufgabe war es, die Expedition zu beschützen und meine Männer heil wieder nach Hause zu bringen. Ich habe versagt.

Ich weiß nicht, warum all die Männer und Frauen der Expedition sterben mussten. Aber sie haben es nicht verdient. Sie haben es nicht verdient. Ich will wissen, wer den Befehl dazu gab. Und ich will wissen warum. Ich will…" Er brach abrupt ab, während sich seine Hände fast krampfhaft öffneten und wieder schlossen. Dann schüttelte er langsam den Kopf. Jetzt klang wieder der übliche Zynismus in seiner Stimme mit: „Ich will vieles, was ich niemals bekommen werde. Spielt keine Rolle. Aber mehr gibt es nicht zu sagen. Bist du jetzt zufrieden? Du wolltest die Wahrheit – das war Sie. Keine sehr hübsche Geschichte, was?"

„Nein. Aber ich kann dich verstehen. Oder wenigstens verstehe ich, warum du hier dabei bist. Und das reicht mir." Mit diesen Worten stand Lara auf und schulterte wieder ihren Rucksack: „Komm schon, Legionär. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.

Wie soll ich dich eigentlich jetzt nennen?

Der Söldner schien schwach zu grinsen: „Bleiben wir bei Jean Roux. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt." Mühsam kam er auf die Beine. Er war immer noch erschöpft, übermüdet und jetzt auch noch bis fast zum Hals schlammverkrustet. Aber dennoch schien es, als währe eine schwere Last von seinen Schultern gewichen.

Lara sah ihm einige Augenblicke hinterher, bevor sie dem Legionär folgte. Sie glaubte Roux. Trotzdem würde sie bei Gelegenheit einige Details nachprüfen – nur zur Sicherheit. Immerhin, DIESE Geschichte passte besser zu dem Bild, dass sie sich in den letzten Tagen von Roux gemacht hatte. Jetzt ergab Vieles einen Sinn, was sie vorher misstrauisch gemacht hatte – seine Fähigkeiten ebenso, wie die Dinge, die er zu verbergen trachtete.

Sie war sich auch ziemlich sicher, dass Roux ihr nicht die Gefühle vorgespielt hatte, die sie in seiner Stimme gehört hatte – Wut, Selbsthass und Hoffnungslosigkeit. Sie wusste nicht, ob Sie den Legionär bedauern oder verachten sollte.

Aber Mitleid hätte er bestimmt nicht gewollt – und sie fühlte irgendwie, dass sie nicht das Recht hatte, über ihn zu urteilen…

Schweigend marschierten sie weiter.