Es war bereits Nachmittag, als sie das ehemalige Basislager der Jackson-Expedition erreichten. Der altersschwache US-Jeep, den Lara für Zweihundert Dollar in dem kleinen Dorf gekauft hatte, war unterwegs zweimal liegen geblieben. Roux hatte sarkastisch bemerkt, dass sie vermutlich zu Fuß schneller gewesen wären. Lara hatte ihm freigestellt, das auszuprobieren.

Ohne noch einmal näher auf Vergangenheit des Söldners einzugehen, waren sie beide vorerst zu ihrem alten Verhältnis zurückgekehrt – zu vorsichtiger gegenseitiger Akzeptanz.

Von dem Basislager war fast nichts mehr übrig. Der Urwald hatte die Lichtung zurückerobert, die drei Monate vorher geschaffen worden war, um Zelten und Ausrüstung Platz zu bieten. Ein paar rostende Konservendosen, die Überreste einer Holzkiste und eine zerfetzte Zeltplane waren alles, was noch zu sehen war. Und die Einschusslöcher in einem der Bäume waren die einzigen Hinweise auf das gewaltsame Ende der Expedition. Dennoch hatte Roux anscheinend keine Mühe, sich zurechtzufinden. Ohne innezuhalten führte er Lara zu der Ausgrabungsstelle. Seine Hand blieb immer in der Nähe des Pistolenkolbens. Wachsam sah er sich immer wieder um, ging geduckt, fast lauernd. Lara entging nicht, dass er darauf achtete, möglichen Scharfschützen kein Ziel zu bieten. Diese Vorsicht hätte unter anderen Umständen übertrieben gewirkt. Doch nicht hier. Die Augen des Legionärs wirkten ausdruckslos und kalt, doch in seinem Gesicht schien es zu arbeiten. Sein Atem ging flach, fast pfeifend. Ein-, zweimal fuhr er sich kurz über das Gesicht, als wolle er etwas Unsichtbares fortwischen.

Lara glaubte zu wissen, was ihn beschäftigte. Aber sie hatte mit ihren eigenen Gespenstern zu kämpfen. Pieter war hier gestorben. Auch wenn sie ihre kurze Affäre längst abgehakt hatte – sie hatte ihn gemocht. Sie waren Freunde gewesen. Er hatte es nicht verdient. Sie biss die Zähne zusammen, während sie sich daran erinnerte, was ihr Roux vor einer halben Ewigkeit über Pieters Tod gesagt hatte, mit kühler, emotionsloser Stimme: ‚Eine Salve in Rücken und Hinterkopf, er muss fast sofort tot gewesen sein.' Wut stieg in ihr auf. Wut über die gnadenlose Brutalität, mit der ihr Freund abgeschlachtet worden. Wut auf ein Land, in dem ein solcher Tod alltäglich, gewöhnlich war. Aber auch eine irrationale Wut auf den Mann vor ihr – der dabei gewesen war und den Mord nicht verhindert hatte.

Aber Roux hatte das Massaker wohl auch gar nicht verhindern können, rief sie sich ins Gedächtnis. Es brachte nichts, ihm die Schuld zu geben. Ob der Fremdenlegionär nun in seinen Sicherheitsvorkehrungen nachlässig gewesen war oder nicht, auch er hatte dafür bezahlt. Sie warf einen Blick auf das angespannte Gesicht des Söldners, seine seltsam tot wirkenden Augen. Er bezahlte wohl noch immer dafür. Deswegen war er hier.

Dann hatten sie die ehemalige Ausgrabungsstätte erreicht – die flache Grube war bereits wieder zugewuchert, die Konturen der Grabung verwischt. Lara verzog kurz den Mund. Es würde nicht einfach werden. Aber das hatte sie auch nicht erwartet.

„Und was nun, Croft?"

Sie wies auf das Kommandomesser, das am Gürtel des Söldners befestigt war: „Mach dich nützlich. Wir haben nur wenig Zeit."

Es dauerte fast zwei Stunden, bis sie die Grube von Sträuchern und jungen Baumsprösslingen gesäubert hatten. Und dabei war das nur die Vorbereitung gewesen, hatte sie noch gar nicht richtig mit der Untersuchung begonnen. Lara war sich bewusst, dass ihr die Zeit davonlief. Dieser ‚Abstecher' hatte schon jetzt viel länger gedauert, als sie eigentlich geplant hatte. Sie hatte nur den heutigen Tag – und morgen vielleicht ein paar Stunden. Das war sehr wenig. Außerdem war fast ihre gesamte Ausrüstung bei der Schießerei auf dem Fluss abhanden gekommen. Sie hatten nicht einmal das richtige Werkzeug. Und auch wenn Roux in seinem Metier mehr als kompetent war – von Ausgrabungen verstand er nichts. Er beurteilte diese Grube wahrscheinlich nur danach, inwieweit sie Deckung bieten konnte, oder als Stellung für einen Mörser geeignet war. Die Untersuchung der Ausgrabungsspuren war alleine ihre Sache.

„Ab hier übernehme ich. Raus mit dir."

„Sonst noch irgendwelche Wünsche?"

„Keine Ahnung – wenn du willst kannst du uns ja was zum Abendessen schießen." Roux zuckte bei Laras Worten zusammen, als würden sie ihn an etwas erinnern – etwas sehr Unerfreuliches. Seine Stimme klang gepresst: „Ich bleibe hier." Sie zuckte mit den Schultern. Eigentlich war es auch egal. Nur am Rande ihres Bewusstseins nahm sie war, dass der Legionär sich in der Nähe der Ausgrabungsstelle hinkauerte. Während er den Rucksack absetzte, blieben seine Augen in Bewegung, suchten wachsam und methodisch die Umgebung ab. Nur ab und zu warf er Lara einen kurzen Blick zu, die in der Grube kniete, die Wände und den Boden der Ausgrabung Zentimeter für Zentimeter zu erkunden schien. Ihre vorsichtigen, tastenden Bewegungen erinnerten den Fremdenlegionär an Pioniere, die einen unbekannten Sprengsatz untersuchten.

‚'''''''''''''''

Eine dreiviertel Stunde später war sie zu einem ersten Urteil gekommen: „Es waren drei Grabungen."

„Was?"

„Es gibt Spuren von mindestens drei Grabungen. Hier wurde schon einmal Erdreich ausgehoben – für eine Grube, einen Graben – vielleicht auch einen unterirdischen Raum. Dann kommt Pieters Grabung." Sie lachte kurz auf: „Wie immer, wie im Lehrbuch. Er hasste Notgrabungen und schlampige Arbeit. Nach seiner Meinung war das nicht viel besser, als mit einem Bulldozer zu arbeiten. Er…" Sie brach ab. Dann fuhr sie fort: „Und dann hat hier jemand den Boden einfach aufgewühlt. Vermutlich mit Spaten – und sogar mit Messern. Ich habe ein zerbrochenes Kommandomesser gefunden. Sagt dir das was?" Sie warf dem Söldner die dreckverkrustete Waffe zu, der sie geschickt auffing und das Messer kurz musterte: „Amerikanisches Fabrikat, schätze ich. Marinecorps. Oder eher eine billige Kopie. Von denen gibt's Millionen."

„Du bist wirklich eine Hilfe." Aber das kam eher reflexartig. Sie hatte keine andere Antwort erwartet.

„Und, was schließt du daraus, Croft?"

„Erstens, Pieter war wirklich auf einer richtigen Spur. Hier muss etwas gelegen haben. Und die Söldner wollten dieses Etwas haben. Sie haben praktisch den ganzen Boden aufgewühlt. Sie haben sich beeilt, sie standen unter Zeitdruck. Und was es auch war – ich glaube, sie haben es gefunden und mitgenommen."

Roux gab keine Antwort. Lara beugte sich wieder hinab. Piet Kruegers Hyänen waren schneller gewesen, aber sie hatten sich nur wenig Zeit genommen. Und das bedeutete, sie hatten möglicherweise irgendetwas übersehen.

Dann fand sie den ersten Menschenknochen – einen Fingerknochen. Danach ein paar nicht genau zuzuordnende Knochensplitter. Dann Zähne. Die Knochen waren bereits gebleicht von der Zeit – zu alt, um von einem der ermordeten Expeditionsteilnehmer zu stammen. Vorsichtig drehte sie einen Zahn, den sie eben gefunden hatte, wischte den anhaftenden Lehm ab.

Roux musste gehört haben, wie sie überrascht Luft holte, denn plötzlich kniete er am Rande der Grube: „Was ist los, Croft?"

„Sieh dir das an." Der Söldner schnaubte kurz, sprang in die Grube und sah Lara über die Schulter. Und dann begriff auch er. Unter dem abblätternden Dreck konnte man deutlich erkennen, dass der Zahn plombiert war.

„Und was…"

„Such weiter, verdammt. Such! Wir sind nahe dran – ich fühle es." Laras Stimme war leise, aber duldete keinen Widerspruch. Sie fühlte, wusste es – irgendwo hier, unter ihren Füssen lag eine Antwort auf ihre Fragen. Und die Zeit lief ihr davon. Es war bereits später Nachmittag. Die ersten Tropfen des alltäglichen Sturzregens fielen. Der Regen würde Schlamm und Erde in die Grube waschen. Wenn sie nicht morgen die ganze Untersuchung von Vorne beginnen wollte, dann musste sie sich beeilen. Während der tropische Regen auf sie herunterprasselte, fuhren ihre Hände suchend über den Boden.

Binnen weniger Minuten waren sie beide völlig durchnässt und lehmbeschmiert, aber Lara gab nicht auf. Und Roux auch nicht, obwohl er noch viel weniger wusste, was sie eigentlich suchten.

Das Wasser stand bereits zwei Zentimeter hoch, als Lara etwas unter ihren blind tastenden Händen fühlte, was kein Stein und auch kein weiteres Knochenfragment sein konnte. Es war zu glatt, zu regelmäßig. Während sie den Gegenstand aus dem Erdreich zog, stieß Roux einen überraschten Fluch aus. Auch er schien etwas gefunden zu haben. Lara warf noch einen kurzen Blick auf die trübe, schlammige Brühe, die stetig anstieg und jede weitere Suche sinnlos machte. Während sie einen Fluch zwischen den Zähnen zerbiss, traf sie ihre Entscheidung: „Das reicht! Hat keinen Sinn mehr. Schluss jetzt."

Ein paar Minuten später kauerten sie beide in dem dürftigen Schutz eines Baumes und einer Zeltplane, die Roux offenbar schon vorher aufgespannt hatte. Erst jetzt konnte Lara ihren Fund genauer in Augenschein nehmen. Es war ein Ring. Der Regen hatte den Schlamm abgewaschen und sie erkannte sofort das Material, aus dem der Ring bestand – Gold, eine eher minderwertige Legierung. Dieses Schmuckstück konnte noch nicht sehr alt sein – maximal vielleicht hundert Jahre. Wahrscheinlich sehr viel weniger, auch wenn das vom bloßen Augenschein her nur schlecht zu beurteilen war. Während sie vorsichtig mit den Fingern über den Ring fuhr, erkannte sie, dass eine schwache, abgewetzte Inschrift in den Ring eingraviert war: „Mme. Patricia Furret"

Das war alles. Während sie noch nachdenklich die Inschrift musterte, fiel ihr auf, dass Roux offenbar gar nicht an ihrem Fund interessiert zu sein schien. Stattdessen starrte er mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck auf den Gegenstand, den er entdeckt hatte. Eine Patronenhülse. Während sie den Ring einsteckte, beugte sie sich näher zu Roux Fundstück: „Kaliber 7, 62, richtig? NATO-Munition. Von einem leichten Mg oder einem Sturmgewehr, schätze ich. Ziemlich durchgerostet."

Der Söldner blickte auf, seine Stimme klang ausdruckslos: „Croft, meine Männer hatten russische Waffen oder Neun-Millimeter-Maschinenpistolen. Und die Angreifer, Piet Kruegers Hyänen – die schossen mit M-16. Kaliber 5, 56. Und mit nichts Anderem."

„Bist du sicher?"

„Todsicher. Der Klang ist unverwechselbar. NIEMAND hat mit einer Waffe geschossen, zu der diese Hülse passt. Wie alt sind diese Knochen, die du gefunden hast?"

„Jedenfalls älter als ein paar Monate. Eher Jahre. Vom bloßen Augenschein her – vielleicht zwanzig, dreißig."

„Das könnte passen. Wir haben also Knochen aus den 80ern oder 70ern. Und eine Patronenhülse, die dazwischen lag. Das war kein Graben, kein unterirdischer Raum, der dort ausgehoben wurde…"

„Es war ein Grab. Ein Massengrab."

„…sale guerre…" Es klang wie ein Fluch. Der Söldner überlegte ein paar Augenblicke: „Aber das ergibt keinen Sinn. Der ganze Kongo ist ein einziges Massengrab. Seit der Unabhängigkeit sind über eine Million Menschen ums Leben gekommen. Was kann an ein paar zwanzig Jahre alten Toten so wichtig sein?"

„Ich weiß es nicht. Aber wir werden es herausfinden. Vielleicht schon, wenn wir erfahren, für wen Piet Kruegers Bande wirklich arbeitet. Und ich habe noch etwas gefunden. Einen Ring, mit einem Namen. Vielleicht hilft uns das weiter."

„Willst du hier weitersuchen? Tounkare könnte etwas ungeduldig werden." Roux Stimme klang beiläufig, aber Lara hatte den Eindruck, dass der Söldner lieber Heute als Morgen diesen Ort verlassen wollte. Sie glaubte auch zu wissen, warum.

„Wenn ich die nötige Ausrüstung hätte… Und mehr Zeit. Aber die haben wir nicht. Morgen fahren wir zurück." Sie hoffte, dass dies die richtige Entscheidung war. Sie würde morgen noch einmal einen Blick auf die Ausgrabungsstätte werfen. Aber für systematische Arbeit fehlte ihr einfach die Zeit.

‚''''''''''''''

Bryce war spürbar erleichtert, als Lara sich bei ihm meldete. Vermutlich hatte er schon mit dem Schlimmsten gerechnet, als der Kontakt so plötzlich abgebrochen war. Er wirkte allerdings etwas verschnupft, als Lara ihm kurzerhand mitteilte, über ‚die Sache mit Roux' solle er sich vorerst keine weiteren Gedanken machen, sondern lieber zusehen, was er über eine Patricia Furret herausfinden konnte, die vermutlich vor zwanzig bis dreißig Jahren im Kongo ums Leben gekommen war. Und über einen Fremdenlegionär namens Jean Rouget, der vor ein paar Jahren angeblich im Kongo bei einer Minenexplosion gestorben war.

Als sie das Satellitentelefon abschaltete, bemerkte Lara, dass der Söldner sie ansah. Um seine Mundwinkel schien es zu zucken. Seine Stimme klang fast amüsiert: „Vertrauen ist gut…."

„Kontrolle ist besser. Bist du enttäuscht, dass ich deine Geschichte lieber noch einmal abklopfe?"

„Wahrscheinlich sollte ich enttäuscht sein, wenn du es nicht tun würdest. Aber mach, was du willst. Dann hat dein Konsolen-Cowboy wenigstens was zu tun." Mit diesen Worten reichte er Lara eine selbst erhitzende Feldration: „Soll ich das noch vorkosten?"

„Was währe das Leben ohne ein kleines Risiko." konterte Lara. Sie aßen stumm, aber das Schweigen war fast freundschaftlich. Inzwischen hatte der Regen nachgelassen und die Dunkelheit hatte sich herabgesenkt. Ringsum ertönten die typischen Geräusche des nächtlichen Regenwaldes. Das Knarren, Pfeifen und Heulen hätte jemanden Unerfahrenen sicherlich beunruhigt – aber für Lara und Roux war diese Geräuschkulisse vertraut. Sie bot sogar Schutz – ein Feind, der sich anpirschte, würde unweigerlich die Tiere des Waldes aufschrecken und sich durch ihre Warnrufe verraten.

„Was glaubst du, ist hier passiert?" Laras Stimme war leise, fast ein Flüstern. Der Söldner zögerte kurz. Auch er sprach leise, doch mit einem harten, schleifenden Unterton: „Was für ein Name stand auf dem Ring?"

„Madame Maria Furret."

„Massenmord. Das wird hier passiert sein. Ein Massaker an Zivilisten, ob nun weiß oder schwarz. Vor zwanzig Jahren, vor dreißig Jahren, gab es im Kongo keine Söldnerinnen. Die gibt es nicht mal Heute. Obwohl du das Zeug dazu hättest, eine eigene Einheit zu führen, Croft."

„Soll das ein Kompliment sein?" Ihre Stimme klang ironisch.

„Wahrscheinlich eher nicht. Aber es ist die Wahrheit. Mich wundert es nur, dass sie dich bei der SAS haben gehen lassen."

„Ich war nie wirklich reguläres Mitglied."

„Na ja, wenn die Fremdenlegion auch Frauen nehmen würde…"

„Sagst du das zu jedem Mädchen?"

Roux lachte leise auf: „Zu jedem Mädchen, das als Scharfschütze, Fallschirmjäger und Pionier ausgebildet wurde. Das einen sergent-chef des 2e R.E.P. im Nahkampf schlagen kann und ihm die eigene Waffe unter die Nase hält. Merde, das ist mir seit der Ausbildung nicht mehr passiert."

„Wenn du glaubst, damit eine andere Sorte ‚Nahkampftraining' anbahnen zu können…"

Er lachte wieder: „Schon gut, schon gut. Du wirst wohl nicht gerne gelobt?"

Sie behielt ihren ironischen Ton bei, auch wenn Roux Frage zumindest halbernst zu sein schien: „Ich bezahle dir immer noch den Trip. Und eigentlich habe ich hier das Sagen. Und wenn ein Untergebener seinen Vorgesetzten lobt, dann…"

„Botschaft verstanden. Aber eigentlich – eigentlich hatte ich gedacht, das wir eher als Partner arbeiten könnten."

Sie blickte auf, versuchte in der Dunkelheit vergeblich, das Gesicht des Legionärs zu erkennen. Das war etwas überraschend gekommen. Was hatte in dieser Frage eigentlich mitgeklungen?

Ihre Stimme klang jetzt neutral, sondierend: „Partner?"

„Nenn es, wie du willst - Partner, Kameraden… Du bist gut, Croft – besser als ich, falls du das hören wolltest. Und du weißt inzwischen mehr über mich, als irgendein Mensch. Verdammt noch mal mehr, als ich jemals einem Lebenden erzählen wollte. Wir arbeiten gut zusammen, glaube ich. Ich weiß nicht, wo diese Geschichte hier noch hinführt. Aber wenn wir es schaffen wollen – dann schaffen wir es nur gemeinsam. Und damit meine ich keine verdammte Befehlskette. Und keinen Solddienst. Das Geld – ist nicht so wichtig. Es ist nur ein Mittel."

„Das dachte ich mir." Sie überlegte, was hinter den Worten des Legionärs liegen mochte: „Hm. Ich werde es mir überlegen. Vielleicht kannst du dich auch mal etwas klarer ausdrücken…" Und bei diesen Worten kehrte der Sarkasmus in ihre Stimme zurück: „…war das nun ein Versuch, deine Rangstellung aufzuwerten, oder eine Liebeserklärung?"

Roux schien zu grinsen, blieb aber eine direkte Antwort schuldig: „Soll ich die erste Wache übernehmen?"

„Nachdem du mir so viel zum Nachdenken gegeben hast? Wahrscheinlich könnte ich gar nicht schlafen. Ich weck dich um Mitternacht."

„…und, wenn Piet Krueger und seine Hyänen hier aufkreuzen, einverstanden?"

„Glaubst du, das könnte passieren?"

„Eigentlich nicht. Aber vielleicht haben wir doch eine Spur hinterlassen. Könnte sein, dass Krueger und seine Geldgeber nicht wollen, dass du hier herumwühlst. Wenn sie es wüssten…"

„Vielleicht währe das nicht mal das Schlechteste. Vielleicht würde sie das aus der Deckung locken."

Der Söldner schien den Kopf zu schütteln: „Croft, wenn du einen Hai fangen willst, springst du dann zu ihm ins Wasser? Wenn du Kruegers Hyänen ‚aus der Deckung lockst', dann möglichst nicht, indem du dich als Köder präsentierst."

„Deine Fürsorge ist richtig rührend."

„Zwei gegen Zwanzig halte ich für ein wenig unsportlich. Kruegers Leute sind gut. Wenn sie den Ort und den Zeitpunkt bestimmen, ist es ein verdammter Tanz mit dem Tod."

„Sehr eloquent. Ich dachte die Fremdenlegion…"

„Die Fremdenlegion hat eine verflucht lange Tradition von Schlachten gegen überlegene Truppen, richtig. Wir…sind sogar stolz darauf. Es ist ein Teil der Tradition. Camerone, Bir Hacheim, das 1e B.E.P. bei Operation Therese. Und Dien Bien Phu. Weißt du, was alle diese glorreichen Schlachten gemeinsam haben?"

Sie musste nicht lange überlegen: „Ihr habt verloren."

„Ja. Letztlich wurden wir geschlagen. Nach erbitterten Kämpfen, um jedes Erdloch, bis zur letzten Patrone und bis aufs Messer – wortwörtlich. Ist es das, was du dir als Epilog wünschst?"

„Gutes Argument."

Roux schien zu meinen, dass er damit einen Punktsieg erzielt hatte. Nach nur wenigen Minuten zeigten tiefe, regelmäßige Atemzüge, dass der Söldner eingeschlafen war. Lara blickte kurz hinüber, aber die Dunkelheit verbarg seine Gesichtszüge. Das Kopf gegen den Lauf ihrer Waffe gelehnt, saß sie regungslos und lauschte wachsam in die laute Stille der Tropennacht.

‚'''''''''''''''''''''''''''''''

Roux weckte Lara noch vor dem Morgengrauen. Auch seine Wache war ergebnislos verlaufen. Während sie ihre Ausrüstung zusammenpackten, kontaktierte Lara noch einmal Bryce. Über Maria Furret hatte er noch nichts in Erfahrung bringen können. Dafür hatte er offenbar Teile von Roux Geschichte verifiziert – zumindest seine Karriere in der Fremdenlegion als Jean Rouget. Anscheinend hatte der Legionär diesmal die Wahrheit erzählt, auch wenn natürlich jeder Hinweis auf die ‚Operation Hydra' fehlte.

Allerdings hatte bereits das, was er herausfinden konnte, Bryces Einstellung zu dem Legionär nicht gerade verbessert. Schließlich würgte Lara seine Bedenken mit der lakonischen Bemerkung ab, sie hätte Roux nicht wegen seines tadellosen Lebensstils mitgenommen, und im Zweifelsfall sei ihr ein Ex-Fremdenlegionär allemal lieber, als ein krimineller Menschenhändler.

Anschließend kehrte sie noch einmal zu der Ausgrabungsstelle zurück. Der Sturzregen hatte weiteres Erdreich und Steine von den Rändern gewaschen und auf den Boden der Grube gespült. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie überhaupt noch verwertbare Spuren gefunden hatte. Vielleicht lag da unten noch mehr – aber ihr fehlten die Zeit und die Ausrüstung. Lara ließ noch einmal den Blick über die Umgebung schweifen. Hier konnte sie nichts mehr tun. Unwillkürlich musste sie wieder an Pieter denken. Sie drängte die wieder aufflackernde Wut und dumpfe Trauer in den Hintergrund ihres Bewusstseins. Pieter war tot – und sie würde die genauen Umstände seiner Ermordung nur dann klären können, wenn sie sich auf die Gegenwart konzentrierte. Andernfalls konnte es sehr leicht sein, dass sie das Schicksal ihres Freundes teilte. Wie hatte es der Söldner ausgedrückt? ‚So ist der Kongo.'

Der ehemalige Fremdenlegionär kniete neben dem Jeep. Mit gerunzelter Stirn ließ auch er den Blick über das Areal wandern, auf dem das Basislager der Jackson-Expedition gestanden hatte. Seine Augen hatten einen seltsam abwesenden Ausdruck. Dann sah er Lara an, und sie erkannte Wut in seinem Blick – aber auch Ratlosigkeit. Seine Stimme war leise: „Ich begreife es einfach nicht. Ich begreife es nicht. Sie haben meine Posten ausgeschaltet, ohne Probleme. Sie müssen genau gewusst haben, wo sie standen. Wie viele wir waren. Sie kannten das Terrain, das ganze verdammte Lager. Sie haben angegriffen, als hätten sie eine Karte gehabt. Sie wussten, wie sie sich nähern konnten, ohne bemerkt zu werden. Sie wussten genau, wie sie uns vor sich her treiben konnten. Wo sie dann ihre Schützen postieren mussten, damit keiner entkommen konnte."

„Sie werden Späher ausgeschickt haben."

Roux Gesicht verzog sich kurz zu einer wütenden Grimasse: „Hältst du mich für einen Idioten, Croft? Vielleicht haben sie einen Späher vorausgeschickt, ja – aber der kann das unmöglich alles herausgefunden haben. Er hätte sich zwei verfluchte Tage bei uns rumdrücken müssen. Und das ist unmöglich. Josephe und Philippe waren gute Soldaten. Und ich will verdammt sein, wenn sich ein beschissener Afrikaandersöldner tagelang um mein Lager herumschleichen kann, ohne dass ich es bemerke! Ich begreife es einfach nicht!"

Lara glaubte zu verstehen. Der Söldner warf sich sein Versagen immer noch vor. Die Fremdenlegion war berühmt für ihre Dschungelausbildung und Roux sah es wohl als persönliches Versagen an, dass er überrascht worden war. Nun, da konnte sie ihm nicht helfen – und wollte es eigentlich auch gar nicht. Ohne sein Versagen…

Sie unterbrach diesen Gedanken. Er hatte keinen Sinn: „Das bringt nichts. Los komm schon, wir haben schon genug Zeit verloren. Überleg dir lieber, wie du Tounkare die Verspätung erklären willst."

Der Söldner schnaubte abfällig: „Vermutlich will er einfach noch mehr Geld haben." Aber er sprang auf, und ohne noch einen Blick zurück zu werfen folgte er Lara zu ihrem Jeep.

‚''''''''''''''''''''''''''''''

Fast sechs Tage waren seit ihrem Aufbruch aus Kananga vergangen, als sie die Stadt wieder erreichten. Lara wusste noch nicht genau, wie sie die Bilanz der letzten Tage werten sollte.

Sie hatte die Wahrheit über Roux Vergangenheit erfahren. Im Nachhinein war sie sich allerdings nicht sicher, ob es das letztlich wert gewesen war. Sehr viel durchschaubarer oder gar berechenbar war Roux jedenfalls nicht geworden. Er schleppte offenbar seine eigenen Probleme mit sich, auch wenn ihn die tatsächlichen oder eingebildeten Fehler und Sünden seiner Vergangenheit nicht weniger gefährlich machten. Und sie wusste immer noch nicht so recht, welche Ziele der ehemalige Fremdenlegionär letztlich verfolgte – und wie er nun eigentlich zu ihr stand. Oder, was das betraf, was sie letztlich von ihm halten sollte. Sie glaubte, ihm jetzt trauen zu können. Etwas. Sie glaubte sogar, ihn in einer gewissen Art und Weise achten zu können. Aber wieweit? Er wollte ihr helfen. Gut. Aber offensichtlich zu seinen eigenen Bedingungen und aus seinen eigenen Gründen. Währe es ihm nur um Geld gegangen, währe er sicherlich nicht vertrauenswürdiger, aber besser einzuschätzen gewesen.

Ein Gutteil ihrer Ausrüstung war auf der Strecke geblieben, doch das belastete sie kaum.

Aber über die Hintergründe des Überfalls auf die Ausgrabungsstelle hatte sie weniger erfahren können, als sie sich erhofft hatte. Dafür waren neue Fragen aufgetaucht. Zweifelsohne waren an der Stelle, an der die letzten Ausgrabungen stattgefunden hatten, im Verlauf der letzten Jahrzehnte mehrere Menschen vergraben worden – nicht in normalen Gräbern, sondern in einer Grube. Einem Massengrab. Wahrscheinlich waren diese Menschen vorher mit Armeewaffen ermordet worden. Und wahrscheinlich war zumindest ein Teil der Toten Zivilisten gewesen. Aber diese Informationen brachten keine Klarheit. Warum war dieses alte Grab es jemanden wert, zwanzig oder dreißig Menschen zu ermorden? Welches Geheimnis war der Grund? Welcher Schatz lag dort vergraben – oder welche Waffe, welche Information? Und wie hatten die schattenhaft bleibenden Geldgeber Piet Kruegers von den Ausgrabungen erfahren können? Erfahren können, dass Pieter Jackson für sie eine Bedrohung war – oder dicht davor stand, etwas zu finden, dass sie unbedingt haben wollten.

Der Portugiese schien überrascht zu sein, Lara und Roux wieder zu sehen. Vermutlich hatte er sie bereits abgeschrieben. Aber er war nur zu bereit, ihnen wieder Zimmer zu geben – momentan waren sie wohl seine einzigen Gäste. Allerdings fragte sich Lara kurz, ob sie schon unter Verfolgungswahn litt, oder ob der Mann sie beide tatsächlich wachsamer, fast misstrauisch musterte. Aber vielleicht fragte er sich auch bloß, in welche schmutzigen Geschäfte sie wohl verwickelt waren. Sie hatte allerdings auch nicht viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

Lara blickte kurz zu Roux hinüber, der scheinbar völlig damit beschäftigt schien, Geldscheine zu zählen: die vereinbarte Bezahlung für Tounkare. Vielleicht würde der alte Söldner ja Licht in das Dunkel bringen und die Fragen beantworten können.

„Du willst das Geld also mitnehmen?"

„Es ist ein Risiko. Aber ich glaube nicht, dass sich Tounkare die Zahlungsmodalitäten diktieren lassen will. Das ist für ihn auch eine Frage des Prinzips. Und ich denke, 5.000 Dollar sind nicht genug, dass er deswegen eine Verabredung bricht. Er muss auf seinen Ruf achten."

Lara verzog abfällig den Mund: „Seinen Ruf als Waffenhändler, Diamantenschmuggler und Bordellbesitzer, meinst du?"

„Trotzdem. Ich glaube, Tounkare ist noch aus der alten Schule. Er hat keine Hemmungen, dir die Kehle durchzuschneiden, wenn er es für notwendig hält. Aber er bildet sich etwas darauf ein, seine Abmachungen zu halten. Im Guten wie im Schlechten."

„Söldnerehre, richtig? Und was ist, wenn du dich irrst?"

„Ich schätze, du kannst 5.000 Dollar entbehren."

Lara zuckte mit den Schultern. Das Geld war tatsächlich nicht so wichtig. Andererseits...: „Wenn er meint, ohne Gegenleistung kassieren zu können, dann kommst du da nicht lebend raus."

„Söldnerschicksal." konterte Roux sardonisch. Er schien allerdings diese Möglichkeit für nicht sehr wahrscheinlich zu halten. Lara hätte beinahe den Kopf geschüttelt. Stattdessen warf sie dem Fremdenlegionär sein Head-Komm zu: „Sag mir wenigstens Bescheid, wenn dein Freund die Daumenschrauben anzieht." Roux grinste kurz und streifte das Sprechfunkgerät über: „Und du spielst dann die Kavallerie?"

„Rechne mal lieber nicht zu sehr damit." Aber auch sie musste lächeln. Der Söldner salutierte statt einer Antwort nur spöttisch und ging.

‚'''''''''''''

Als Roux das „Josephine" erreichte, fiel ihm sofort auf, dass sich im Vergleich zum letzten Mal etwas verändert hatte. Diesmal standen nicht bloß zwei Mann an der Eingangstür und hielten Wache. Auch nicht vier. Sondern sechs Mann, alle in den typischen Tarnuniformen der kongolesischen Streitkräfte, um einen Jeep gruppiert. Sie waren alle mit Mpi's, Pistolen und Kommandodolchen bewaffnet. Auch wenn ihre Uniformen etwas schäbig wirkten, die Waffen waren gut gepflegt, die Männer wirkten fitt und wachsam. Fast automatisch versuchte Roux, die Männer zu taxieren, suchte nach Schwachstellen und Angriffsmöglichkeiten. Zwei Türwächter waren eine Sache – ein kompletter Angriffstrupp war etwas völlig anderes und außerdem weder unauffällig, noch geschäftsfördernd. Tounkare musste einen verdammt guten Grund haben, seine Sicherheit so offensichtlich aufzustocken. Und Roux wollte nicht unbedingt in irgendwelche Streitigkeiten oder Verteilungskämpfe der Halbwelt von Kananga verwickelt werden.

Aber die Soldaten hatten ihn ohne Zweifel bereits bemerkt. Deshalb blieb er nicht stehen, drehte sich erst recht nicht um, sondern ging einfach weiter, änderte allerdings leicht seine Marschrichtung. Er würde jetzt nicht ins „Josephine" gehen – noch nicht. Erst einmal würde er sich hier umsehen, die Lage sondieren. Während er sich den Wachposten näherte, sie in einer Entfernung von ein paar Schritten passierte, achtete er darauf, dass seine Hände gut sichtbar blieben. Das letzte, was er wollte, war, dass ihn die Soldaten für eine Bedrohung hielten.

Dann war er an den Wachposten vorbei. Und in diesem Augenblick begriff Roux, dass er sich verschätzt hatte, dass er zu leichtsinnig gewesen war. Denn in diesem Augenblick hörte, er, wie einer der Soldaten ein einziges Wort zischte: „ALLEZ!"

Roux fuhr herum, riss die Fäuste hoch – zu spät. Während zwei der Soldaten aufgesprungen waren, ihre Waffen hochrissen, warfen sich die anderen auf den Fremdenlegionär. Roux wusste, er hatte keine Chance. Es waren zu viele.

„HINTERHALT!" Dann traf ihn irgendetwas mit brutaler Wucht seitlich am Kopf, riss ihn herum, schleuderte ihn zu Boden. Bevor es schwarz vor seinen Augen wurde, fragte er sich, ob Lara den Funkspruch überhaupt gehört hatte. Ob…

‚''''''''''''''''

Lara war gerade damit beschäftigt, ihre zerlegten Pistolen zu säubern, als Roux scharfe, sich überschlagende Stimme aus dem Head-Komm drang und dann abrupt abbrach. Fast gleichzeitig hörte die Grabräuberin noch etwas anderes – einen Jeep, der mit quietschenden Reifen vor dem Haus des Portugiesen hielt. Stiefel, die über den Boden der Eingangshalle donnerten, die Treppen hinauf. Vier Mann, vielleicht fünf – die den Weg genau zu kennen schienen.

Ihr blieben nur wenige Sekunden, doch als der erste Soldat die Tür aufriss und mit der Maschinenpistole im Anschlag ins Zimmer springen wollte, da hatte sich Lara bereits neben der Tür flach gegen die Wand gepresst. Der hereinstürzende Soldat wusste gar nicht, was ihm geschah. Er hatte die Schwelle noch nicht überschritten, als ihm Lara ihren Ellenbogen ins Gesicht rammte. Der Kopf des Soldaten flog zurück, während ihm die Beine von seinem eigenen Schwung unter dem Leib weggerissen wurden und er lang hinschlug. Der Mann hinter ihm reagierte schnell und geistesgegenwärtig, setzte mit einem Sprung über den Gefallenen hinweg - aber nicht schnell genug. Lara drehte sich leicht, während ihr rechtes Bein durch die Luft schwang – und den Soldaten mit knochenbrechender Wucht in den Rippen traf. Der Mann stürzte mit einem gellenden Schmerzensschrei zu Boden. Das rettete ihn aber nicht vor einem weiteren Tritt gegen den Hinterkopf, der den Soldaten vorerst aus dem Spiel nahm.

Offenbar hatten die Angreifer geglaubt, dass zwei Soldaten reichen würden, um Lara zu überwältigen. Aber sie war sich sicher, dass mindestens zwei weitere auf dem Gang warteten. Ihre Vermutung wurde bestätigt, als sie vom Gang einen leisen Fluch hörte, und eine andere Stimme sie in schlechtem Englisch anrief: „Rauskommen – wir schießen!"

Lara sparte sich eine Antwort. Es folgten auch keine Schüsse auf die Ankündigung. Stattdessen meldete sich nach ein paar Sekunden die Stimme wieder zu Wort, wütend, aber anscheinend auch etwas verunsichert: „Wenn du dich nicht ergibst – du stirbst. Komm raus. Es wird dir nicht passieren!"

Lara grinste kurz. Offensichtlich wollte man sie lebend haben. Und ebenso offensichtlich hatte man sie unterschätzt. Das waren schon mal zwei positive Nachrichten. Ihr Lächeln gefror, als sie sich vergegenwärtigte, dass sie nicht sicher sein konnte, dass Roux ebensoviel Glück gehabt hatte. Und dass wahrscheinlich bald Verstärkung eintreffen würde. Kurz schätzte sie ihre Chancen ab und blendete dabei die Stimme aus, die sie schon wieder zur Kapitulation aufforderte. Auf den Gang vorzustoßen, war riskant. Sie wollte nicht auf die harte Tour herausfinden, ob ihre Gegner auch in diesem Fall auf den Einsatz von Schusswaffen verzichten würden. Und sie konnte sich hier auch nicht gerade belagern lassen. Sie musste verschwinden, und das schnell, bevor noch mehr Soldaten kamen. Ihr blieb nur ein Fluchtweg übrig...

Ihr unsichtbarer Belagerer forderte sie schon wieder auf, sich zu ergeben. Aber diesmal war Lara ihm sogar dankbar dafür. Während sie aufmerksam lauschte, hob sie eine der erbeuteten AK's auf und visierte die Wandstelle an, hinter der sich dem Klang nach der Sprecher verbergen musste. Mit einer leichten Daumenbewegung schaltete sie die Waffe von Einzel- auf Salvenfeuer. Dann drückte sie ab.

In dem kleinen Raum klangen die Schüsse ohrenbetäubend. Das Haus des Portugiesen war massiv gebaut, und wahrscheinlich hatten die Kugeln keine große Durchschlagskraft mehr, nachdem sie die Mauer durchschlagen hatten. Aber darauf kam es auch gar nicht so sehr an. Mit grimmiger Befriedigung hörte Lara einen überraschten Schmerzensschrei und Stiefelschritte, die sich hastig den Gang hinunter bewegten. Im nächsten Augenblick war sie schon aufgesprungen, hatte mit zwei, drei Schritten das Fenster erreicht. Mit dem Kolben der Mpi zerschlug sie die Scheiben, nur um dann noch einmal herumzufahren und eine weitere Salve durch die Wand zu schicken. Das würde diese Möchtegern-Soldaten davon abhalten, zu schnell in das Zimmer vorzustoßen. Dann schwang sie sich aus dem Fenster, fand an den abbröckelnden Fassadenverzierungen im Kolonialstil des 19. Jahrhunderts halt und begann nach oben zu klettern. In weniger als einer halben Minute war sie auf dem Dach, überbrückte mit einem schnellen Sprung die zwei Meter bis zum nächsten Gebäude. Ihre Gegner hatten vielleicht die Straßen blockiert. Aber offensichtlich hatten sie nicht daran gedacht, auch die Dächer zu überwachen. Während Lara geduckt vorwärts hastete und ihre Füße fast automatisch Halt auf den rutschigen, häufig lockeren Ziegeln suchten, fragte sie sich, wer zu Hölle diese Angreifer waren.

Und was mit Roux passiert war. Im Stillen verfluchte sie den Söldner, der offenbar diesmal zu selbstsicher gewesen war. Und fragte sich, ob sie ihn noch einmal wieder sehen würde, um ihm dazu ihre die Meinung sagen zu können.