Anmerkung: Dieses Kapitel hat länger gebraucht, als gedacht.

Aber die Geschichte nähert sich langsam dem Ende. Es werden wohl noch zwei Kapitel werden.

A. B.

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Roux erwachte langsam, etappenweise. Zuerst kehrte sein Tastsinn wieder. Er lag auf einer rauen Oberfläche, einem Betonfußboden. Die Kälte auf seinem zerschlagenen Gesicht und seinen Händen fühlte sich…angenehm an.

Dann, allmählich kehrten auch sein Gehör und sein Geruchsinn wieder. Er war nicht alleine im Raum. Er hörte leises Scharren, das vertraut klingende Schaben von festem Uniformstoff. Er schätzte, dass drei oder vier Menschen außer ihm in dem Zimmer waren. Zwei schienen an der Wand zu stehen. Ein oder zwei andere saßen wohl in der Mitte des Raumes. Keiner sprach.

Roux bemühte sich, flach zu atmen, keiner sollte bemerken, dass er wieder bei Bewusstsein war. Er ließ seine Augen geschlossen, um sich nicht zu verraten. Ein seltsam würziger Geruch lag in der Luft.

„Das reicht. Hör auf, uns etwas vorzuspielen." Die Stimme klang nicht drohend, sondern fast amüsiert. Dennoch traf sie Roux wie eine Klinge, ließ ihn wie unter einem Schlag zusammenzucken. Das war unmöglich! Fast wäre er wieder hingeschlagen, als er sich hastig aufrichtete, taumelnd auf die Beine kam. Es konnte nicht sein!

Nur am Rande nahm er die zwei schwarzen Soldaten war, die neben der Tür des Zimmers an der Wand Aufstellung genommen hatten, die Mpi locker vor der Brust. Selbst die Tatsache, dass einer der Männer, die in der Mitte des Raumes saßen, Tounkare war, erschien ihm unwichtig. Denn der andere Mann…

„Capitaine?"

Der Mann lächelte dünn und zog genüsslich an seiner Zigarette. Er war kleingewachsen, aber breitschultrig. Lange Jahre unter tropischer Sonne hatten seine Haut dunkelbraun gefärbt und tiefe Falten in das hagere Gesicht gegraben. Die scharf geschnittene Nase und die schwarzen, stechenden Augen gaben ihm etwas beunruhigend Falkenhaftes. Das ehemals schwarze Haar war fast völlig ergraut. Aber es war nichts Schwächliches oder Weiches an ihm.

„Soso. Der verlorene Sohn kehrt zurück. Ich muss mich wahrscheinlich entschuldigen. Ich hatte meinen Leuten gesagt, dass du vielleicht nicht mitkommen würdest. Aber dass sie dich unversehrt zu mir bringen sollten. Vielleicht hätte ich das etwas klarer formulieren sollen."

„Wie…"

„Du bist nicht der einzige, der sich selbstständig gemacht hat, weißt du? Und als ich von meinem alten Freund Tounkare höre, dass jemand mit deinem Gesicht plötzlich hier auftauchte, da dachte ich, wie können die alten Zeiten mal wieder aufleben lassen."

Roux unterdrückte den Impuls, seinen Kopf zu schütteln. Es war zu viel auf einmal. Er hatte nicht geglaubt, diese Stimme noch einmal zu hören. Er hatte es sogar gehofft. Ganz bestimmt hatte er nicht damit gerechnet, den capitaine hier zu treffen. Aber dennoch reagierte er automatisch, nahm Haltung an. Und ließ sich nicht von der nachsichtigen, fast freundlichen Stimme des capitaine täuschen.

„Warum wollten Sie mich sprechen, mon capitaine?"

„Tounkare hat da eine seltsame Geschichte erzählt. Eine Geschichte, die mich – neugierig gemacht hat. Und es interessiert mich immer, wenn einer aus meinem Haufen plötzlich wieder auf der Bildfläche erscheint. Außerdem…du verschwindest aus der Stadt und keine zwei Tage später höre ich von einem Militärposten aus dem Norden, dass ein verdammter Haufen von Deserteuren von ein oder zwei weißen Söldnern dezimiert wurde. Gute Arbeit, nach allem was ich gehört habe – ganz unsere Handschrift. Ich habe…Interessen in der Gegend hier. Wo ein Söldner von deinem Kaliber auftaucht, da sind vielleicht noch mehr. Ich möchte gerne wissen, ob irgendjemand einen kleinen Privatkrieg anzettelt. Compries?"

„Oui, mon capitaine. Aber ich bin alleine. "

„Du warst schon immer ein Einzelgänger. Und was ist mit der Frau? Die Gendarmerie müsste sie eigentlich gleich bringen – mehr oder weniger intakt." In die Stimme des capitaine war ein lauernder Unterton getreten. Er musterte Roux scharf.

Der Söldner biss die Zähne zusammen. Es würde nichts bringen, wenn er hier die Beherrschung verlor. Er konnte nicht einmal wissen, ob der capitaine nur bluffte. Vielleicht versuchte er nur, Roux zu einer verräterischen Bewegung oder Geste zu bewegen. Er wusste es nicht. Das einzige, was er für Lara tun konnte, war, sie als unwichtig, als unerheblich darzustellen: „Diese Frau? Sie zählt nicht. Nur eine Touristin, Engländerin. Keine Ahnung, warum sie sich unbedingt an mich gehängt hat. Vielleicht wollte sie es sich einfach mal von einem Söldner besorgen lassen."

Der capitaine grinste: „Und warum nicht eine gute Gelegenheit nutzen, nicht wahr? Na ja, vielleicht kann ich das ja auch noch austesten." Roux hielt sein Gesicht ausdruckslos. Nur seine Hände zuckten kurz. Der capitaine zog weiter an seiner Zigarette, schien auf etwas zu warten. Das zynische Lächeln blieb auf seinen Lippen.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Roux hielt seine Stellung, drehte nur seinen Kopf. Sein erstes Gefühl war Erleichterung. Statt einer von Soldaten eskortierten Lara stand nur ein Lieutenant der kongolesischen Gendarmerie in der Tür. Der junge Mann salutierte zackig. Der capitaine winkte ihn näher und erhob sich. Mit undeutbarer Miene lauschte er, während der Lieutenant flüsternd Meldung machte und entließ ihn dann mit einem kurzen Kopfnicken. Während er noch einmal an seiner Zigarette zog, trat der capitaine neben Roux, der jetzt wieder geradeaus starrte.

Plötzlich, ohne Übergang, rammte der capitaine dem Söldner die rechte Faust in den Leib. Roux klappte zusammen wie ein Taschenmesser, ein weiterer Schlag mitten ins Gesicht warf ihn auf die Knie. Ein brutaler Tritt in den Rücken ließ Roux lang hinschlagen. Ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, ohne dass das zynische Lächeln von seinen Lippen verschwand, trat der capitaine dem Söldner dreimal, viermal in die Rippen. Denn nahm er die Zigarette aus dem Mund und spuckte dem am Boden Liegenden in den Nacken. Die Stimme des capitaine blieb leise, doch jetzt lag ein kalter, tödlicher Ernst in seinen Worten: „Versuch nicht, mich zu verarschen, sergent. Versuch das lieber nicht! Deine Fickbekanntschaft hat drei Gendarmen ins Krankenhaus geschickt, bevor sie sich übers Dach abgesetzt hat. Klingt für eine Touristin etwas überqualifiziert. WER IST SIE?"

Roux versuchte, wieder aufzustehen. Er schaffte es nur auf die Knie. Halb rechnete er damit, dass der capitaine ihn wieder zu Boden schicken würde, aber nichts geschah. Der capitaine stand einfach nur da, und zog an seiner Zigarette. Er betrachtete Roux mit verächtlich verzogenen Mundwinkeln: „Erbärmlich. Was ist nur aus dir geworden, sergent? WER IST SIE? Ich frage nicht noch einmal. Wenn du mir was zu sagen hast, dann mach das besser gleich. Das ist einfacher – besser für dich."

Roux Stimme klang schwerfällig, aber fest: „Ich…melde. Jean Rouget. Sergent-chef, 2e R.E.P., Kennnummer 24528…"

Andre Tounkare lachte schallend. Der capitaine hingegen wirkte alles andere als amüsiert: „Ich habe mich wohl verhört? Rouget…Roux – wie auch immer. Falls du es vergessen hast, du bist nicht mehr bei der Legion. Und ich auch nicht. Glaubst du wirklich, du kannst dich hier auf die Genfer Konvention berufen – nur Name, Rang und Kennnummer? Wie bescheuert bist du eigentlich? Diese Spielregeln gelten jetzt nicht mehr. Hier gelten nur noch meine Regeln.

Keiner kümmert sich darum, was mit dir passiert. Ich kann dich deine eigene Scheiße fressen lassen. Ich kann es dir von ein paar Bimbos in den Arsch besorgen lassen, bis du eine Tunte bist. Ich kann dir jeden verdammten Knochen einzeln brechen lassen. Und irgendwann WIRST DU REDEN. Niemand hält durch. Das weißt du."

„Oui, mon capitaine. Aber ich verrate…verrate keinen…Kameraden."

„Dann ist sie auf einmal ein Kamerad? Ich dachte, du hättest sie nur gevögelt?" Der capitaine schüttelte den Kopf. Ein seltsames, schmales Lächeln trat auf seine Lippen: „Immer noch der Alte. Verdammter, sturer Hund…" Fast schien Bedauern in seiner Stimme zu liegen. Er nahm die Zigarette aus dem Mund und schnippte sie achtlos auf den Boden: „Glaub bloß nicht, dass mir das hier Spaß macht." Ein paar Augenblicke überlegte er, dann blickte er zu den an der Tür wartenden Soldaten und nickte kurz. Einer der Soldaten hob die Maschinenpistole und zielte auf Roux, während der andere an ihn herantrat und ihm blitzschnell den Arm auf den Rücken drehte, Roux hochriss und ihn aus dem Raum zerrte…

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Inzwischen waren vier Stunden seit dem Überfall vergangen, und langsam fragte sich Lara, ob ihr Entschluss der richtige gewesen war. Sie war über die Dächer zu dem Haus des Portugiesen zurückgekehrt und hatte sich auf einem benachbarten Gebäude versteckt. Immer noch standen zwei Jeeps vor dem ‚Hotel'. Die vier noch unverletzten Soldaten schienen einfach nur abzuwarten. Das gleiche galt für den dritten Wagen, der mit vier Kämpfern besetzt in der nächsten Seitenstraße stand. Keiner machte Anstalten, seinen Posten aufzugeben – anscheinend sollten sie die Stellung halten, oder wussten einfach nicht, was sie tun sollten. Es sah jedenfalls nicht so aus, als ob sie in absehbarer Zeit abrücken – und damit vielleicht Lara zu ihren Auftraggebern führen würden. Oder vielleicht auch zu Roux. Falls der Söldner überhaupt noch lebte. Aber es hatte keinen Sinn, über diese Frage nachzugrübeln. Dennoch tat sie es. Aber Lara fragte sich auch, wer die Soldaten geschickt hatte. Sie schienen tatsächlich zur Gendarmerie oder den regulären Streitkräften zu gehören. Und dass warf eine ganze Reihe unangenehmer Fragen auf. Zum Beispiel, wer die nötigen Verbindungen hatte, die kongolesischen Sicherheitskräfte für sich die Drecksarbeit erledigen zu lassen. Und wer außerdem genug wusste, um Lara und Roux als Bedrohung einzuschätzen und ihnen eine Falle zu stellen, keine zwei Stunden nachdem sie in Kananga eingetroffen waren…

Jetzt tat sich etwas da unten. Ein weiterer Militärjeep näherte sich und hielt unmittelbar vor dem Haus des Portugiesen. Zwei Männer stiegen aus. Zuerst ein Offizier der kongolesischen Gendarmerie. Danach Jean Roux. Lara stieß überrascht die Luft aus, dann grinste sie erleichtert. Sie hatte gefürchtet, dass der Fremdenlegionär bereits tot war. Nun registrierte sie aber auch, dass sich der Söldner seltsam schwerfällig bewegte. Ein Blick auf sein Gesicht und seine Körperhaltung verrieten Lara, dass man ihn offensichtlich zusammengeschlagen hatte. Und zwar gründlich. Andererseits war Roux nicht gefesselt. Laras Verwirrung wuchs noch, als der Offizier ein paar kurze Worte mit den Soldaten wechselte, diese auf ihre Fahrzeuge kletterten und abrückten. Nach einer halben Minute stand nur noch Roux auf der Straße. Aber trotzdem wirkte er nicht, als würde er die Situation beherrschen. So gut glaubte sie ihn inzwischen zu kennen.

Ein paar Augenblicke stand er einfach nur da, leicht zusammengekrümmt. Lara verzog das Gesicht, offenbar hatte man ihm in die Rippen und den Bauch getreten – sie kannte diesen Schmerz. Dann drehte der Söldner sich langsam um die eigene Achse, schien die umstehenden Häuser zu mustern. Seine Augen wanderten über Laras Versteck, er schien kurz zu zögern, dann wandte er sich ab und betrat das Haus des Portugiesen. Lara blieb nichts übrig, als zu warten – und sich zu fragen, was zur Hölle das zu bedeuten hatte. Hofften ihre Gegner, Lara aufzuspüren, indem sie Roux freiließen? War das alles nur ein Missverständnis gewesen? Kaum wahrscheinlich. Oder spielte Roux mal wieder sein eigenes Spiel? Sie war sich ziemlich sicher, dass er sie bemerkt hatte. Sein Verhalten ließ darauf schließen, dass er befürchtete, verfolgt zu werden – er wollte ihr Versteck nicht verraten.

Nach ein paar Minuten war Roux wieder Draußen. Er trug nicht nur seinen Rucksack, sondern auch noch Laras Ausrüstung. Trotzdem jeder Schritt höllisch schmerzen musste, schlug er den typischen, langsamen und Kraft sparenden Marschritt der Legion an. Kurz krümmte er die rechte Hand. Sie kannte dieses Signal – ‚Folgen'.

Lara überlegte kurz. Irgendwann würde sie natürlich die Dächer verlassen müssen – und auf der Straße würde sie zwangsläufig Aufsehen erregen – Weiße gehörten hier einfach nicht zum Straßenbild, erst recht keine einzelnen, weißen Frauen in Tarnuniformen. Im Vergleich dazu war sogar Roux unauffällig. Sie sah hinunter zu dem Söldner und schüttelte leicht den Kopf: ‚Na schön. Hoffentlich bist du es wert.'

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Roux vermied es, sich umzusehen. Falls er verfolgt wurde, dann war er momentan bestimmt nicht in der Lage, den Beschatter zu erkennen oder ihm gar zu entkommen. Sein rechtes Auge war inzwischen fast völlig zugeschwollen, und ein paar Mal war ihm beinahe schwarz vor Augen geworden. Seltsamerweise fühlte er keine Wut. Er hatte nichts anderes erwarten dürfen. Außerdem er war schon schlimmer verprügelt worden, auch wenn ihm gerade nicht einfiel, wo. Und es erschien ihm irgendwie sinnlos, den capitaine zu hassen.

Weitaus mehr beschäftigte ihn die Frage, was der capitaine wohl vorhatte. Doch es fiel ihm schwer, einen Gedanken zu Ende zu denken. Immer wieder blitzten dazwischen bruchstückhafte Erinnerungen auf – vergangene Kämpfe und Einsätze. Und was war mit Lara? Folgte Sie ihm? Hatte er sich nicht einfach nur getäuscht? War Sie…

Plötzlich hielt unmittelbar neben ihm ein Geländewagen mit quietschenden Reifen. Fast automatisch fuhr seine Hand zu seiner Pistole, riss sie heraus und richtete sie auf den Fahrer. Es war Lara, die ihn mit einem schiefen Grinsen musterte: „Haben wir das nicht langsam hinter uns, Roux?" Er starrte sie überrascht an, und ließ die Waffe sinken.

„Steig schon ein, Legionär. Der Wagen gehört mir nicht, und vielleicht vermisst ihn sein Besitzer inzwischen." Kaum war er halb im Wagen, da gab sie schon Gas, schoss wild hupend durch den spärlichen Straßenverkehr. Auch wenn man sie mit einem Auto verfolgt hätte – binnen ein paar Minuten war jeder potentielle Verfolger weit abgeschlagen. Dennoch fuhr Lara nicht langsamer, bevor sie nicht die Außenbezirke der Stadt erreicht hatten.

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„Er ist WAS?"

„Ex-Capitaine Pierre Jalouzet, Fremdenlegion, 2e R.E.P. . Kongo, Libanon, Tschad, Golfkrieg. Ruanda. Überall dabei – auch bei ‚Operation Hydra'. Er war mein Kommandeur, mehr als zehn Jahre."

„Da habt ihr ja richtig Wiedersehen gefeiert." bemerkte Lara bissig, während sie nicht allzu sanft die Rippen des Söldners abtastete. Roux hatte Glück gehabt – seine Rippen waren geprellt, aber nicht gebrochen. Offenbar verstand es der capitaine, einen Mann zusammenzuschlagen, ohne bleibende Schäden anzurichten. ‚Vermutlich jahrelange Übung.'

Roux wollte mit den Schultern zucken, hielt aber inne, als Lara ihn anblaffte: „Halt still, Idiot! Du hast wirklich mehr Glück als Verstand. Und wie kommst du eigentlich dazu, dich dermaßen einfach weg fangen zu lassen, von ein paar lumpigen Gendarmen? Haben sie dir nicht mehr beigebracht bei der Legion?"

„Ja, ich habe mir auch Sorgen um dich gemacht." Roux Stimme klang amüsiert, trotz seines zerschlagenen Gesichts. Lara schluckte die Antwort hinunter, die ihr auf der Zunge lag, als ihr klar wurde, warum sie Roux so anfuhr. Ja, sie hatte sich Sorgen gemacht. Mehr, als ihr lieb war. Mehr, als sie sollte. Sie blickte auf. Auch Roux sah sie jetzt direkt an. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie nahe sie sich gerade waren. Das vertraute zynische Grinsen des Söldners war verschwunden, wie weggewischt. Seine grauen Augen schienen in ihren grünen Augen etwas zu suchen. Ein paar Sekunden sagte keiner der beiden etwas. Dann brach Lara die Spannung zwischen ihnen, indem sie aufstand. Sie hielt ihr Gesicht ausdruckslos. Sie wollte nicht, dass der Söldner dachte, er hätte sie verunsichert. Auch wenn er genau das getan hatte. ‚Und was fange ich jetzt damit an?'

Aber auch Roux hatte sich abgewandt, kurz schien es in seinem Gesicht zu zucken, dann fuhr er fort, als wäre nichts gewesen: „Capitaine Jalouzet wollte nur…seinen Standpunkt klarmachen. Er ist inzwischen offenbar auch…in die Privatwirtschaft gegangen. Er hat seinen eigenen Sicherheitsdienst: ‚Faucon'. Weiße und schwarze Söldner, die er irgendwelchen Minengesellschaften und anderen NGO's zur Verfügung stellt, die hier Interessen haben – Kupfer, Coltan, Diamanten." Er klang fast ungläubig.

„Stimmt etwas nicht?"

„Ich habe den capitaine immer für einen Mann gehalten, der irgendwann mal im Einsatz fällt. Als Privatmann, als Söldner, habe ich ihn mir nie vorstellen können. Aber irgendwann sterben wohl alle Ideale…" Seine Stimme klang jetzt gepresst. Lara war sich nicht ganz sicher, wen Roux mit seinem letzten Satz meinte. Den capitaine oder sich selber. „…Jedenfalls ist er in Kananga ein großes Tier. Gute Kontakte zu Armee und Polizei. Und zur Unterwelt, zu Schmugglern und Waffenhändlern. Also auch zu Tounkare."

„Und was will dein alter Freund?"

Roux grinste kurz, aber humorlos. „Der capitaine ist kein Freund und er hat keine Freunde. Und was er von uns will…Ehrlich gesagt, da bin ich mir nicht so ganz sicher. Er sagt, er wolle nur reden."

„Interessante Vorstellungen hat er von einem Gespräch. Er hätte ja einfach nur fragen müssen."

„Der capitaine hat am liebsten alle Karten in der Hand. Wenn er uns beide festgesetzt hätte – nun, dann wäre er einfach in der besseren Verhandlungsposition gewesen."

„In einer besseren Verhandlungsposition MIT uns, oder ÜBER uns?"

„Interessante Frage. Aber darauf erwartest du jetzt doch keine Antwort?"

„Ich glaube, ich kenne sie. Warum hat er dich laufen lassen?"

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Alte Loyalität? Wohl kaum. Vielleicht will er wirklich nur reden, und das war eine Art Friedensangebot. Nachdem der erste Versuch nicht geklappt hat, setzt er lieber auf einen völlig neuen Ansatz. Vielleicht wollte er dich damit auch einfach überraschen. Er…gibt sich gerne unberechenbar. Das macht einen Teil seines Rufs hier aus. Außerdem glaube ich, du hast ihn beeindruckt. Dass du drei Gendarmen ausknockst und dem Rest entkommst – das hat er bestimmt nicht erwartet. Vielleicht will er dir ja eine Stelle anbieten."

„Lass den Blödsinn. Warum glaubt er eigentlich, soll ich mit ihm reden wollen?"

„Er hat gesagt, wenn wir etwas über Piet Krueger erfahren wollen, über seine Auftraggeber – dann geht das nur über ihn. Wenn irgendjemand in seinem Revier einen Privatkrieg anzetteln will, dann nur zu seinen Bedingungen. Er will wissen, was wir vorhaben – und was wir wissen. Es geht also mal wieder um Kontrolle und Informationen. Die sind hier fast noch wichtiger, als Geld und Waffen."

„Hoffen wir, dass das alles ist, was er will."

„Willst du dich mit ihm treffen?"

„Hm…Haben wir eine Alternative?"

„Nein. Sagt er. Nicht, wenn wir das hören wollen, was Tounkare weiß. Und er und der capitaine haben hier in Kananga genug Zuträger und Kontakte, dass sie es sofort merken, wenn wir auf eigene Faust weitermachen. Das sagte jedenfalls der capitaine – und ich glaube ihm. Außerdem…in dem Fall wäre die Jagd vermutlich eröffnet."

Lara schüttelte den Kopf: „Verdammt. Verdammte Legion. Ich werde einfach nicht schlau aus euch. Da ist es ja einfacher, mit einer Tüte über dem Kopf durch den Straßenverkehr zu tanzen."

Roux grinste kurz: „Wir haben einen Ruf zu verteidigen." Lara schlug ihm mit der Faust gegen die Schulter. Aber sie wusste, sie hatte keine Wahl. Wieder einmal. Langsam gewöhnte sie sich an dieses Gefühl. Und inzwischen glaubte sie zu verstehen, was Roux so zynisch gemacht hatte. Zynismus war seine Art, damit fertig zu werden.

„Also gut. Hören wir uns an, was dein Ex-Capitaine zu sagen hat. Wenn er uns linken will…"

„Dann gar nichts. Er hat dich einmal unterschätzt. Glaub nicht, dass er das noch mal tut."

„Dein Optimismus ist erfrischend. Wann will er uns denn treffen?"

„Wenn er in zwei Tagen noch nichts gehört hat, dann geht er davon aus, dass sein Angebot abgelehnt wurde. Es gibt einen toten Briefkasten, über den wir die genauen Modalitäten regeln können. Uhrzeit und Ort ist unsere Sache."

„Er fühlt sich sehr sicher."

„Ich glaube nicht, dass capitaine Jalouzet vor IRGENDETWAS Angst hat. Aber er will es dir wohl leichter machen, anzunehmen."

„Na schön. Aber wenn wir noch zwei Tage Zeit haben…Kein Grund, es zu überstürzen. Morgen reicht immer noch."

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Sie kehrten nicht in die Stadt zurück. Stattdessen lenkte Lara den Wagen kurzerhand von der staubigen Landstraße hinunter und stoppte im Schutz eines kleinen Waldflecken: „Das wird reichen. Dein Freund hat vielleicht bei der Gendarmerie und der Unterwelt Kontakte. Aber er hat bestimmt nicht genug Leute, um uns hier aufzuspüren."

Der Rest des Tages verlief weitestgehend ergebnislos. Es waren ohnehin nur noch ein paar Stunden bis zur Dunkelheit. Keiner der beiden redete viel. Roux schien das Warten gewöhnt. Das hatte er wohl auch bei der Legion und im Einsatz gelernt. Allerdings ertappte ihn Lara, wie er sie immer wieder aus den Augenwinkeln musterte. Wieder einmal war sie sich nicht ganz sicher, ob sie die Gefühle richtig deuten konnte, die sie in seinem Gesicht zu erkennen glaubte. Oder ob sie es überhaupt wissen wollte. Nicht jetzt. ‚Dazu ist später auch Zeit. Wenn überhaupt.'

Sie übernahm die erste Wache. Es war kurz vor Mitternacht, als sich Laras Satellitenalarm meldete. Das Geräusch war nur sehr leise, dennoch war Roux sofort wach, und griff automatisch nach der Waffe.

„Nur die Ruhe. Ich geh schon ran."

Natürlich war es Bryce: „Lara, Wie geht's euch da Unten?"

„Den Umständen entsprechend. Gibt es einen Grund, warum du wieder mitten in der Nacht anrufst, oder machst du das nur aus Prinzip?"

„Haha. Ich dachte, du wolltest es sofort hören, wenn ich was herausfinde? Diese Maria Furret. Ich bin da vielleicht auf etwas gestoßen. Sie war die Frau von Maximilian Furret, einem französischen Bergbauingenieur. Beide gelten seit 1980 als vermisst. Verschollen im Kongo, Kasai-Region. Nicht sehr genau, diese Ortsangabe…"

„Deswegen redet man ja auch von ‚vermisst'."

„…aber das ist noch nicht Alles. Ich habe ein bisschen nach gegraben. Wie es aussieht, waren die Furrets nicht die einzigen, die zu der Zeit dort verschwanden. Es ging da wohl um mindestens ein Dutzend weiterer Europäer, alles Techniker, Ingenieure, einige Verwaltungsfachleute – Angestellte von Minengesellschaften. Und ihre Familien. Hilft dir das weiter?"

„Kann sein. Bleib da dran. Und noch etwas. Bei deinen Recherchen über Jean Rouget, bist du da auf den Namen Pierre Jalouzet gestoßen?"

Es herrschte ein paar Augenblicke Stille, während denen Bryce vermutlich hektisch auf seinen Computer einhämmerte, dann meldete sich seine etwas atemlose Stimme: „Hab ihn. Er war Captain. Bei der Fremdenlegion seit den 1960ern. Gebürtiger Franzose. Begann als Lieutenant und stieg ziemlich schnell auf. Er war offenbar bei jedem Mist dabei, den die Legion nach dem Algerienkrieg anzettelte. Jede Menge Auszeichnungen. Und…ja, er kann Rouget schon während dem Golfkrieg kennen gelernt haben. Er war Rouget's Vorgesetzter, seitdem der zum 2e R.E.P. wechselte. Jalouzet stieg offenbar vor zwei Jahren bei der Legion aus. Danach…"

„Danke, das reicht schon."

„Willst du DEN etwa auch noch anheuern?"

„Nein. Aber ich weiß gerne etwas mehr über meinen Gesprächspartner."

„Gesprächspartner? Hör mal, Lara, dass du diesen Ex-Legionär…"

„Das hatten wir doch schon. Ich weiß, was ich tue. Gute Nacht, und hör auf, dir Sorgen zu machen." Sie beendete die Verbindung.

„Du solltest deinem Konsolencowboy vielleicht etwas mehr liefern, sonst spielt der noch verrückt."

Laras Antwort klang sardonisch: „Du meinst, ich soll ihm etwas mehr Informationen geben? Etwa in dem Sinne – ich will mich mit einem Söldnerchef treffen, der angeblich die halbe Unterwelt von Kananga kennt und beste Beziehungen zu Armee und Gendarmerie hat. Der einzige Mensch, auf den ich dabei vielleicht zählen kann, ist ein abgehalfterter Fremdenlegionär, der die Hälfte seines Lebens unter nämlichen Söldnerchef gedient hat. Ach ja – ich habe keine Ahnung, was dieser Söldnerchef eigentlich für ein Spiel spielt oder welche Ziele er verfolgt. Und nebenbei hat er vorher versucht, mich festzusetzen. Soll ich es so zusammenfassen?"

Roux musste kurz grinsen: „Bis auf das ‚abgehalftert' klingt es ziemlich akkurat. Du solltest jetzt auch noch etwas schlafen."

Sie war zu müde, um darüber zu streiten. Deshalb akzeptierte sie einfach die Campingdecke, die Roux ihr herüberreichte, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Nach ein paar Augenblicken war sie eingeschlafen. Die einzigen Geräusche waren jetzt nur noch die üblichen Laute der Tropennacht und die fernen, dumpfen Geräusche der Großstadt Kananga. Hier, etliche Meilen außerhalb dessen, was man die „Vorstädte" bezeichnen konnte - die Slums und Flüchtlingscamps – waren die Lichter der Stadt nur ein schwaches Glühen am Horizont. Das aber immer noch hell genug war, damit sich jedes Fahrzeug oder jeder Trupp deutlich vor dem Horizont abzeichnen würde, der sich über die Straße näherte.

Nicht, dass Roux wirklich mit einem Angriff rechnete. Und wenn doch, dann würde capitaine Jalouzet bestimmt nicht so leichtsinnig sein, seine Leute offen anrücken zu lassen. Der capitaine unterschätzte nur selten einen Gegner – und niemals machte er einen Fehler zweimal. Aber es gab natürlich auch andere Gefahren…

Jetzt, da Lara schlief, und er sich sicher sein konnte, dass nicht jeder seiner Bewegungen von ihr bemerkt wurde, erlaubte Roux es sich, ihr Gesicht zu betrachten. Sie anzusehen, ohne selber die Maske aufrechterhalten zu müssen, die er sich angewöhnt hatte. Ohnehin hatte diese Fassade in den letzten Tagen Risse bekommen, aber immer noch hielt er daran fest. Es war einfach zu einer Gewohnheit geworden.

Unwillkürlich fragte er sich wieder, warum er eigentlich noch hier war. Er hätte überhaupt nicht zurückkehren sollen. Das war dumm, es war sinnlos. Wer zurückblickte, der starb. Er musste sich auf den Augenblick konzentrieren und auf zukünftige Gefahren, wenn er überleben wollte. Aber irgendwie, irgendwann hatte diese Regel des Söldnerlebens ihre Gültigkeit verloren. Hatte er sich nicht mehr daran halten können.

Spätestens als auch noch capitaine Jalouzet aufgetaucht war, hätte er sich absetzen müssen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. Er wusste nicht, welche Rolle der capitaine zu spielen beabsichtigte und welche Ziele er verfolgte. Und das beunruhigte ihn, er hatte kein gutes Gefühl dabei. Der capitaine bedeutete Ärger, Jalouzot bedeutete immer Ärger. Wo er auftauchte, da roch es nach Zunder. Capitaine Jalouzet hatte die Himmelfahrtskommandos übernommen, und war immer dort gewesen, wo die Gefahr am größten, der Kampf am heftigsten war. Das hatte in der Legion gegolten, und irgendwie konnte Roux nicht daran glauben, dass sich daran jetzt etwas geändert hatte.

Auf jeden Fall hätte er selber so klug sein, und nicht versuchen sollen, ausgerechnet Jalouzet anzulügen. Er hatte es aber getan. Und er würde sich auch nicht absetzen, sondern bleiben. Er fragte sich bloß manchmal, warum. 'Nicht warum, Schwachkopf – WEGEN WEM!'

Jetzt, da sie schlief, erschien ihr Gesicht ruhiger, fast gelöst. Und noch schöner. Fast hätte er die Hand nach ihr ausgestreckt. Fast. „Verdammter Idiot." Der geflüsterte Fluch galt ihm selber. Das war ja noch blödsinniger, noch dümmer, als diese ganze Aktion ohnehin. War er vollkommen verrückt geworden? Wenn er Glück hatte, dann würde er die Rechnung begleichen können, die Piet Krüger und seine Hyänen vor zwei Monaten mit ihrem Überfall aufgestellt hatten. Und das war alles, worauf er hoffen konnte, das musste reichen. Das, und die Hoffnung, dass wenigstens Lara überleben würde. Aber das würde sie ganz bestimmt. Sie war gut, besser noch als er. Sie würde es schaffen. Und dies wäre mehr als genug.

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Nächster Tag

Der Söldner sah zwar immer noch ziemlich zerschlagen aus, schien sich aber davon nicht weiter beeinträchtigen zu lassen. Mit ruhiger, ausdrucksloser Mine lauschte er Lara, wie sie sich die Kontaktaufnahme vorstellte und akzeptierte kommentarlos die Rolle, die sie ihm zugedacht hatte. Das überraschte Lara etwas. Roux wirkte irgendwie konzentrierter, entschlossener. Fast, als hätte er irgendwann in der Nacht eine Entscheidung getroffen. Aber was dass für eine gewesen war, dass konnte sie wieder einmal nur raten. Aber es musste auch so gehen.

Sechs Stunden später saß Lara in einem der Straßencafes, das in einem der etwas besseren Viertel von Kananga den Anschein besserer Zeiten erwecken wollte – auch wenn vermutlich keiner mehr wusste, wann das gewesen war. Der Mittelstand hatte es schon unter Mobutu nicht leicht gehabt und nach seinem Sturz war es noch schwerer für die niederen Beamten, die Intelligenz und kleinen Unternehmer geworden. Nicht, dass es überhaupt irgendjemand gut ging, außer denen, die von Krieg, Bürgerkrieg und Chaos profitierten. Die meisten Gäste waren anscheinend einheimische Angestellte der verschiedenen Hilfsorganisationen, die es in Kananga gab. Lara fiel hier nicht besonders auf, man hielt sie offenbar für eine Rucksacktouristin. Aber ebenso offensichtlich wussten die Gäste sehr genau, welchen Beruf Roux hatte, der ein paar Tische von Lara entfernt saß. Selbst wenn er Zivilkleider getragen hätte, und nicht die abgenutzte Tarnkombination - breitschultrig, mit dem zerschlagenen Gesicht und den misstrauisch suchenden Augen, hätte er genauso gut ein Schild tragen können, auf dem „SÖLDNER" stand. Und es war auch ziemlich offensichtlich, was die meisten Gäste von ihm hielten.

Ein kurzes Zucken in Roux Gesicht und eine leichte Bewegung seiner Hand alarmierten Lara. Gerade eben war ein Jeep vorgefahren. Zwei Männer stiegen aus. Zuerst ein älterer Schwarzer in Zivil, der aber trotz seiner Jahre immer noch rüstig wirkte. Das musste Tounkare sein. Und dann ein drahtig wirkender Weißer in einer Tarnuniform. Auch er war nicht mehr jung, bewegte sich aber schnell und selbstsicher, mit der ruhigen Autorität und Dominanz langjähriger Erfahrung. Strapazen, Kämpfe und Gefahren hatten das Gesicht gekennzeichnet, es geprägt. Lara musterte ihn wachsam – dieser Mann war gefährlich. Sie glaubte nicht, dass den stechenden, schwarzen Augen viel entging. Sie hatte sich gefragt, was für ein Mann dieser capitaine Pierre Jalouzet war. Jetzt wusste sie es. Ihn zu unterschätzen – konnte tödlich sein, denn er war sicherlich alles, was Roux erzählt hatte und möglicherweise noch mehr. Keiner der beiden Männer trug eine offensichtliche Waffe. Anscheinend hatten sie auch keine Leibwächter mitgebracht, aber Lara wollte sich nicht auf diesen Anschein verlassen. Immerhin konnte sich unter den Passanten und vielleicht auch den Gästen des Cafes eine fast beliebige Anzahl von Bodyguards verbergen. Aber sie hoffte darauf, dass dieser Ex-Capitaine Jalouzet nicht mitten auf der Straße einen Zugriff befehligen würde. Ihm mochte vielleicht der Ausmaß potentieller Kollateralschäden egal sein, aber er war jedenfalls nicht dumm. Ein bewaffneter Zugriff in dieser Menschenmenge würde eine Massenpanik verursachen, die Aktion konnte zu leicht außer Kontrolle geraten. Nein, Jalouzet würde so etwas nicht riskieren, nicht wenn er selber vor Ort war. Oder? Kurz erinnerte sie sich, sah wieder Roux vor sich, den Revolver gegen die Schläfe gepresst. „Vielleicht kannst du mich töten. Aber das spielt keine Rolle. Nicht die geringste." Hoffentlich folgte Jalouzet nicht einer ähnlichen Philosophie. Jemand, dem das eigene Leben nichts bedeutete, war unberechenbar. Aber für solche Bedenken war es jetzt sowieso zu spät.

Der Ex-Capitaine hielt kurz an Roux Tisch inne, grinste humorlos und schien irgendetwas zu sagen. Dann drehte sich Jalouzet um und ging schnurstracks auf Laras Tisch um. Tounkare folgte ihm, und nach ein paar Augenblicken auch Roux. Der Söldner hielt seine Miene ausdruckslos, aber dem Ausdruck in seinen Augen nach war er bereit, einen Mord zu begehen. Dann war Jalouzet bei Laras Tisch angelangt und sie konzentrierte sich auf ihn. Der Ex-Capitaine setzte sich und musterte sie scheinbar amüsiert: „Sie haben diese Gendarmen wirklich gut versorgt, Respekt. Machen Sie so was eigentlich häufiger?"

„Häufig genug. Ich bleibe in Übung."

„Hm… Es würde mich interessieren, ob Sie mit einem meiner Jungs vom 2e R.E.P. genauso gut fertig würden."

„Fragen Sie Roux."

Tounkare lachte heiser, während Jalouzets amüsiertes Lächeln jetzt…zufriedener wirkte. Allerdings lag auch eine gewisse Anerkennung darin: „Jean ist ziemlich gut. Die meisten MÄNNER, die glaubten, es auf den Nahkampf mit ihm ankommen lassen zu können, sind tot."

„Daran hat sich nichts geändert. Sie können stolz auf Ihren Zögling sein." Laras Stimme klang sardonisch. Jetzt schaltete sich Roux ein. Er klang misstrauisch: „Capitaine, Sie sind doch wohl nicht gekommen, um Small Talk zu machen."

„Entspann dich, sergent. Alles zu seiner Zeit. Sagen Sie…Lara, was sind Sie eigentlich? Sie sind keine Söldnerin. Von jemandem wie Ihnen hätte ich gehört. Was suchen Sie hier, im Kongo?"

„Antworten auf meine Fragen."

„Nun, Ihre Fragen habe ich schon gehört. Tounkare war so zuvorkommend. Was mich aber interessiert, ist das Warum. Jean war etwas…zugeknöpft. Aber vielleicht wollen Sie mir mehr erzählen? Der Grund für Ihre Fragen gegen die Antwort auf ihre Fragen."

„Warum fangen Sie nicht an?"

„Sie brauchen mich dringender, als ich Sie. Sie können möglicherweise ein paar Gendarmen zusammenschlagen – und vielleicht sind Sie ja wirklich besser als Jean. Aber damit bekommen Sie keine Antworten. Außerdem ist Ihr Schweigen…sinnlos. Ich weiß, dass Sie Kananga verlassen haben. Ich weiß, in welche Richtung Sie gefahren sind. Es gibt dort nur wenig, was Sie interessieren dürfte. Ich kann es auch so herausfinden. Aber es ist einfacher, wenn Sie es mir sagen."

Lara wusste, dass Jalouzet Recht hatte. Aber das machte es nicht einfacher. Sie wollte nicht ausgerechnet einem Ex-Capitain und Söldner Rede und Antwort stehen müssen, in Vergleich zu dem sogar Roux als ein Muster von Verlässlichkeit und Ehrlichkeit erschien. Aber sie hatte keine Wahl. Also erzählte sie Jalouzet von dem Überfall auf die Expedition, von ihrer eigenen Suche nach der Wahrheit, und von dem, was sie gefunden hatte. Sie erzählte in kurzen, knappen Worten, aus denen nichts auf ihre Gefühle schließen ließ. Roux Rolle ließ sie im Vagen, und das schien dem ehemaligen Fremdenlegionär recht zu sein. Ob ihre Worte bei Jalouzet etwas auslösten, konnte sie nicht beurteilen. Das zynische Lächeln des Ex-Capitaine blieb wie festgefroren, eine Maske. Die kalten, schwarzen Augen verrieten nichts – sie hätten genauso gut aus Glas sein können. Ein-, zweimal blickte Jalouzet zu Roux, der Laras Worten mit ausdruckslosem Gesicht lauschte. Auch Tounkare hörte aufmerksam, schweigend zu. Nur einmal fluchte er halblaut, als die Rede auf den Angriff Piet Kruegers und des Hyänenrudels kam. Ein scharfer Blick Jalouzets ließ ihn sofort wieder verstummen.

„…Das ist alles. Sie sind am Zug, capitaine."

„Eine interessante Geschichte. Etwas verrückt – aber immerhin, das ist der Kongo. Aber eine Frage hätte ich noch – wie passt du eigentlich da rein, sergent?"

„Sie bezahlt mich." Roux Stimme blieb ausdruckslos, aber seine Augen verrieten ihn. Er musterte seinen ehemaligen Vorgesetzten misstrauisch, fast herausfordernd. Aber Jalouzet lächelte nur dünn, blickte zu Lara und musterte sie. Dann wandte er sich wieder Roux zu: „Verstehe."

„Sie schinden Zeit, Jalouzet. Sie sind dran."

„Ich halte meine Versprechen. Und ich zahle meine Schulden – ALLE meine Schulden. Fragen Sie doch mal den sergent, was dass bedeutet, Croft. Aber bis dahin… Sie wollten Antworten? Sie bekommen Ihre Antworten. Andre?"

Tounkare schien von dieser Aufforderung überrascht, aber nur kurz. Seine Blick huschte schnell zwischen Lara und Roux hin und her, dann entschied er sich für Lara: „Kruegers Hyänenrudel ist seit acht Jahren nicht mehr auf dem freien Markt. Aber das heißt nicht, dass sie sich zur Ruhe gesetzt haben. Es hat sich eben nur ein Mann gefunden, der genug Geld hat, um die Hyänen dauerhaft anzuheuern – eine der besten kleinen Söldnereinheiten, die im Kongo aktiv sind. Keine großkotzigen Ex-Special Forces mit Primadonnaallüren. Oder dämliche Jungspunde, die sich mit dem Töten ihre Männlichkeit beweisen wollen. Sondern erfahrene Hurensöhne die jeden Auftrag übernehmen. Töten und Vernichten – aber auch Ausbildung, Training und Kommandoführung für einheimische Verbände. Richtig geführt sind schwarze Söldner und Soldaten immer noch besser als Kindersoldaten. Und Blauhelme." Die Stimme des alten Söldners klang sarkastisch, während er Jalouzet einen kurzen Blick zuwarf.

„Und dieser Mann mit genug Geld ist…?"

„Marcel Renart. Im Vergleich zu ihm bin ich oder der capitaine nur ein kleiner Fisch. Renart handelt mit Waffen, mit Diamanten und anderen Rohstoffen im großen Stil. Und er vermittelt Aufträge, bietet Kontakte an. Wenn ein Kriegslord Auftraggeber oder Sponsoren braucht, wenn eine Minengesellschaft billige ‚Sicherheitskräfte' oder die nötigen Papiere und ‚Freunde' in Verwaltung und Streitkräften benötigt, Renart kann helfen. Er ist vielleicht nicht einer der größten Aasgeier im Kongo, aber sein Gewinn reicht für Privattruppen, die stark genug sind, um eine Provinz in Flammen aufgehen zu lassen. Zwanzig weiße und etwa zweihundert schwarze Söldner reichen dafür aus. Vor allem, wenn man wie Renart auch noch genug Geld hat, um JEDEN in Verwaltung, Gendarmerie und Streitkräften auszuzahlen." Mit leichter Überraschung registrierte Lara, dass in der Stimme des Alten Mannes Neid, aber auch eine Art widerwillige Bewunderung mitschwang. Tounkare blickte kurz zu Jalouzet, der knapp nickte. Daraufhin schob der Alte Mann eine unscharfe, grobkörnige Photographie über den Tisch. Der Mann, der darauf zu sehen war, mochte vielleicht knapp sechzig Jahre alt sein. Er trug einen hellen Anzug und hob sich damit deutlich von dem halben Dutzend weißer und schwarzer Männer ab, die ihn umgaben. Sie trugen alle Tarnuniformen und schwarze Barette, waren mit Uzi-Maschinenpistolen und Colt Commando-Sturmgewehren bewaffnet. Sie verdeckten Renart teilweise, schienen nach allen Seiten zu sichern. Renart war nur mittelgroß, hielt sich aber sehr gerade. Die hellen, fast weißen Haare und der kurze Bart kontrastierten das sonnengebräunte, kantige Gesicht. Auf dem Foto schien er gerade mit einem breitschultrigen, massigen Mann mittleren Alters zu sprechen, mit breitem, fast quadratischen Gesicht, kräftigem Hals und blonden Haaren, der eine Tarnuniform trug.

„Wer ist das?"

„Piet Krueger." Roux Stimme war leise, aber voller Hass.

Tounkare fuhr fort: „Renart hat wahrscheinlich in fünfzig Prozent ALLER größeren Geschäfte, illegal und legal, seine Finger im Spiel, die in der Kasai-Region ablaufen. Er hat auch Kontakte in der Katanga-Provinz und dem Ost-Kongo. Seine Geschäfte reichen bis nach Angola. Vor ein paar Jahren…lieferte er Waffen nach Ruanda. Nur als Beispiel." Instinktiv blickte Lara auf. Tounkares letzte Worte schienen nicht an sie gerichtet gewesen zu sein. Der alte Söldner musterte stattdessen Roux mit einem zynischen Grinsen. Dessen Miene blieb ausdruckslos, aber seine Hand verkrampfte sich kurz zu einer Faust. Lara war sich sicher, dass Tounkare das beabsichtigt hatte.

„Aber warum sollte ein Mann wie Renart ein Massaker an einer archäologischen Expedition befehlen? Er hat sicher keine Skrupel oder Hemmungen, aber er braucht einen GRUND! Warum?"

Diesmal antwortete Jalouzet. Seine Stimme klang ruhig, fast nachdenklich: „1979 war für Mobutu ein kritisches Jahr. Rebellen rückten auf Kolwezi vor und nahmen die Stadt. Die Regierungstruppen flohen in völliger Auflösung. Mehrere hundert Europäer fielen in die Hände der pseudokommunistischen Guerilla…"

„Ich kenne die Geschichte. Frankreich schickte die Fremdenlegion."

„Genauer das 2e Regiment Etrangere Parachutiste. Eine unserer besten Operationen. Ich…führte damals einen Zug."

„Sie wollen mich doch sicherlich mit ein paar alten Kriegsgeschichten abspeisen?" Der Ex-Capitaine grinste nur als Antwort auf ihre sarkastische Frage und fuhr fort: „Damals ging nicht nur in Kolwezi alles zum Teufel. Keiner wusste, wie sich unser Einsatz auswirken würde – und wie es weitergehen sollte. Einige der Minengesellschaften gerieten in Panik. Sie flogen ihre weißen Mitarbeiter und Experten aus oder versuchten, sie in sichere Gebiete zu verlagern. Es ist schlecht für das Image – und teuer, wenn Weiße sterben. Die Evakuierungsmaßnahmen waren oftmals chaotisch. Eskortiert von Armeesoldaten, Gendarmen oder weißen Söldnern irrten einige dieser Trupps hin und her, ständig auf der Flucht vor neuen Gerüchten und Panikmeldungen. Einer der Flüchtlingstreck auf dem Weg nach Kinshasa folgte dem Lauf des Lukenie. Etwa dreißig Europäer, Ingenieure und ihre Familien. Franzosen, Engländer, Belgier, Amerikaner. Fast vierzig schwarze Minenangestellte. Ein Dutzend schwarze Soldaten und acht weiße Söldner. Unter dem Kommando von Marcel Renart, der damals allerdings noch einen anderen Namen hatte. Und einer der Mineningenieure führte Diamanten im Wert von mehreren Millionen Dollar mit sich, die nach Kinshasa in Sicherheit gebracht werden sollten…"

Sie begriff.

„Sie verschwanden einfach. Keiner der Zivilisten kam jemals in Kinshasa an. Und keiner der Soldaten oder Söldner. Die Suchtrupps fanden nichts, und nach ein paar Jahren fragte keiner mehr nach den Verschwundenen. Andere Massaker und Kämpfe ließen die Ereignisse in Vergessenheit geraten. Und die Behörden hatten natürlich erst recht kein Interesse daran, derartige Vorfälle in Erinnerung zu halten.

Und Marcel Renart stieg in der Unterwelt auf. Das System Mobutus förderte…Eigeninitiative. Nach zwei, drei Jahren fragte keiner mehr, woher er das Geld hatte, mit dem er seine Geschäfte finanzierte. Und je mehr Geld er verdiente und investierte, umso weniger fragte man. Es gab…Gerüchte, doch nie etwas Konkretes, keinen Zeugen und keine Leiche. Niemand wagte sich an Renart heran. Er arrangierte sich auch mit Kabila, als Mobutus Diktatur zusammenbrach wie ein Kartenhaus."

„Dann…war das alles nur ein Zufall? Zufällig stößt Pieter auf das Massengrab, zufällig erfährt Renart davon und schickt seine Totschläger? Und das soll ich glauben?"

„Was den Ort der Grabung betrifft – da wissen Sie wahrscheinlich mehr als ich. Ich interessiere mich nicht für Archäologie. Und falls Sie sich wundern, dass Renart von den Ausgrabungen erfuhr – daran ist nichts Geheimnisvolles. Sie glauben doch nicht, dass diese ganze Ausrüstung zum Lukenie transportiert werden konnte, ohne dass Renart davon Wind bekam? Oder dass die Expedition die nötigen Erlaubnisse und Papiere erhalten konnte? Vergessen Sie nicht, dass Renart hier die Hälfte der Administration in der Hand hat. Und er ist nicht dumm."

„Aber warum dann das Massaker? Sie sagten doch, es hätte schon früher Gerüchte gegeben."

„Gerüchte ja. Aber keine Beweise. Der Fund eines Massengrabes – nein, der Fund eines Massengrabes mit Skeletten von WEISSEN - könnte genau die Aufmerksamkeit erregen, die ein Mann wie Renart nicht will. Und außerdem, er ist nicht mehr jung. Ich glaube nicht, dass er den Rest seines Lebens im Kongo verbringen will. Wer will das schon? Und wenn er vorhat, sich zur Ruhe zu setzen, irgendwo in einem etwas zivilisierteren Ambiente, dann will er seinen Lebensabend bestimmt nicht mit dieser Hypothek belasten."

„Und woher wissen Sie all das über seine Kariere?"

Der Ex-Capitaine lachte jäh und zynisch auf: „Ich werde Ihnen ganz bestimmt nicht meine Informationsquellen liefern. So gut können Sie mich nicht bezahlen. Lassen Sie mich nur soviel sagen. Natürlich hat Renart damals nicht alleine gehandelt. Einige der Soldaten und Söldner haben ihm dabei geholfen, den Flüchtlingstreck…verschwinden zu lassen. Vielleicht waren ein paar von ihnen…nicht so verschwiegen wie Renart. Und solche Geschichten machen in gewissen Kreisen leicht die Runde. Aber wenn diese Männer geredet haben, dann sind sie inzwischen längst untergetaucht. Oder tot. Verstehen Sie?"

„Und wer garantiert mir, dass Sie mich jetzt nicht einfach an Renart verkaufen?"

Jalouzet lachte wieder kurz auf: „Niemand. Überhaupt niemand. Ich werde Ihnen nicht mein Ehrenwort geben – Sie würden mir sowieso nicht glauben. Aber wenn Sie sich umbringen wollen, ist das nicht meine Sache. Und selbst wenn Sie eine Chance hätten – ich bin nicht Renarts Leibwächter. Und sollten Sie ihn tatsächlich erwischen... Nun, dann ist mehr Platz für mich und für Tounkare. Glauben Sie das, oder lassen Sie es bleiben. Es bedeutet mir nichts. Suchen Sie weiter, verschwinden Sie, oder sterben Sie bei dem Versuch, Renart anzugreifen. Mir ist das egal."

„Wo…finde ich Renart?"

„Früher war er häufig in Kananga, und in Kinshasa. Aber in den letzten Jahren hat er sich etwas zurückgezogen. Am Oberlauf des Lulua, etwa vierzig Kilometer nordwestlich von Luebo gibt es ein altes belgisches Kolonialfort. Meistens hält er sich dort auf. Habe ich gehört. Mit einer Leibwache von mindestens dreißig Mann. Außerdem soll er mehr als gute Kontakte zu den örtlichen Streitkräften und der Gendarmerie haben. Selbst wenn Sie im Alleingang diese Festung stürmen sollten, Croft – ich schätze, wenn die ersten Schützenpanzer anrücken, haben Sie ihr Glück ausgeschöpft. Also seien Sie vorsichtig."

„Danke für die Warnung. Ich dachte, es ist Ihnen egal, was mit mir passiert?"

„Schieben Sie es auf mein Gefühl für Sportsgeist. Oder vielleicht will ich nicht, dass einer meiner Jungs sinnlos ins Gras beißt. Auch wenn er so etwas wie ein Deserteur ist."

„Jean Rouget ist tot. Und Tote können nicht desertieren." Roux Stimme klang gepresst.

„Wir leben als Legionäre. Wir sterben als Legionäre. Hast du das vergessen, sergent?"

„Nein, mon capitaine. Aber SIE können mir nichts über Pflicht erzählen."

„Vielleicht muss ich das wirklich nicht. Vielleicht begreifst du es inzwischen…"

Laras Augen wanderten zwischen Roux und Jalouzet hin und her. Sie fühlte, dass diese Worte einen besonderen Sinn hatten, mehr als ein Schlagabtausch waren. Einen Sinn, den sie nicht verstand, aber den sie trotzdem wahrnahm. Und der ihr instinktiv nicht gefiel: „War es das, Jalouzet?"

„Alles, was Sie von mir bekommen."

„Und wenn ich noch weitere Fragen habe? Wie finde ich Sie?" Das war nur eine rhetorische Frage. Aber Jalouzet antwortete trotzdem. Seine Stimme klang sarkastisch: „Wir werden Sie finden, Miss Croft. Wir werden Sie finden." Er stand auf und ging. Tounkare folgte ihm. Keiner der Beiden drehte sich noch einmal um.

Erst als der Wagen anfuhr, wandte sich Tounkare an den ehemaligen capitaine: „Glauben Sie, dass das klug war, mon capitaine? Vielleicht hätten Sie ihr nicht so viel erzählen sollen. Wenn sie weiter gräbt…"

„Das war notwendig. Mit weniger hätten wir sie nicht abspeisen können. Entspann dich, Andre. Es läuft immer noch alles nach Plan."

„Das will ich hoffen. Es ist ein verdammtes Risiko. Ich werde langsam zu alt dafür. Und wenn der sergent…"

„Der sergent wird genau das tun, was er tun soll. Ob er es nun weiß oder nicht. Um Jean mache ich mir wirklich keine Gedanken."

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„Willst du immer noch an der Sache dranbleiben?" Nach dem Klang seiner Stimme schien Roux die Antwort bereits zu kennen. Und war nicht besonders froh darüber.

„Es hat sich Nichts geändert."

„Es hat sich Alles geändert. Oder willst du mir erzählen, du hast gewusst, dass du dich mit jemand anlegen willst, der genug Geld für eine verdammte Privatarmee hat? Und außerdem noch die regulären Streitkräfte und die Gendarmerie mobilisieren kann? Hältst du das nicht für ein wenig unausgewogen?"

„Und eben deshalb wird er nicht damit rechnen. Ich will Antworten – und Gerechtigkeit. Renart wird damit nicht davonkommen. Nicht noch einmal. Das war es doch auch, was du wolltest, oder? Wenn dir das Risiko zu groß wird – du kannst gerne aussteigen!" Unwillkürlich war ihre Stimme schärfer geworden. Roux sah sie an, in seinem Gesicht arbeitete es: „Was ich will? Was ich will…Ich bleibe, verdammt." Er lächelte bitter, fast fatalistisch: „Irgendwann muss jeder mal sterben."

„Hör auf damit!" Manchmal ging ihr dieses Gerede ziemlich auf die Nerven. Vor allem, da sie inzwischen wusste, dass Roux den Wert seines eigenen Lebens gegebenenfalls ziemlich niedrig schätzte. Dies war nicht nur eine Pose, das wusste sie mittlerweile.

„Na schön. Wie wäre es, wenn wir zur Planung einen etwas weniger…öffentlichen Platz suchen?" Roux Stimme klang spöttisch. Lara nahm erst jetzt war, dass etliche andere Gäste neugierig, ja misstrauisch zu ihrem Tisch sahen. Abrupt stand sie auf: „Verschwinden wir."

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„Also gut. Zuerst einmal – wie verlässlich sind die Informationen?"

„Ich denke, der capitaine hat die Wahrheit gesagt. Schon weil er damit rechnen muss, dass wir die Daten abklopfen. Das sollten wir natürlich trotzdem tun. Vielleicht kann dein Konsolencowboy noch mal nützlich sein."

„Gehen wir erst einmal davon aus, dass es die Wahrheit ist. Wir wissen also, wo Renart sich wahrscheinlich aufhält und wie groß seine Leibgarde ist. Wir wissen außerdem, dass er im Notfall binnen kurzer Zeit Verstärkung bekommen kann – und zwar reguläre Truppen und Gendarmerie."

„Damit scheidet ein Sturmangriff oder eine Belagerung wohl aus, Croft."

„Sehr witzig. Was wir nicht kennen, sind die unmittelbaren aktiven und passiven Sicherheitsmaßnahmen, das Gelände, die Straßenbedingungen und die Position der nächsten Gendarmerie- und Armeeposten. Außerdem haben wir nur wenig Material – keine Observationstechnik. An Waffen…"

„Die Pistolen und zwei AK-47 Mpi mit einhundertfünfzig Schuss."

„Kannst du weiteres Material besorgen?"

„Vielleicht. Aber es ist nicht einfach. Die meisten Kontakte, die ich hier habe, dürften entweder mit Tounkares Netzwerk zusammenhängen. Wenn wir Glück haben."

Und wenn wir kein Glück haben, dann gehören sie zu Renarts Leuten'.

„…Der Portugiese hat auf jeden Fall gesungen, sonst hätten sie dich nicht so schnell gefunden. Und vielleicht verkauft er sein Wissen auch an andere."

Sie überlegte kurz. Vermutlich hatte Roux Recht. Und sie wollte auch nicht, dass Jalouzet und Tounkare ihnen praktisch über die Schulter sahen. Aber dann blieb die Frage, woher sie sonst die nötige Ausrüstung beschaffen sollten: „Kannst du wenigstens ein paar Waffen beschaffen?"

„Das ist möglich. Erwarte aber nicht zuviel."

„Um den Rest kann ich mich kümmern."

„Wenn du es sagst."

„Sonst noch Vorschläge?"

„Ja – für die nächsten Tage sollten wir uns besser ein Loch suchen, in dem wir uns verkriechen können. Sicherheitshalber. So luxuriös wie beim Portugiesen wird das aber nicht."

„Sehe ich aus wie eine Touristin?"

Der Söldner sah sie ein paar Augenblicke lang an: „Du siehst aus wie eine verdammte Selbstmörderin. Das wird ein Kamikaze-Unternehmen." Sie war sich ziemlich sicher, dass er eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen.

„Nun, wenn das jetzt geklärt ist, machen wir uns an die Arbeit."