Pokerface

1. Tag: Bin in Sydney angekommen. Flug war ruhig. Habe versucht, Dads Hotel zu finden. Erst in der Nacht gefunden. Werde morgen hingehen.

2. Tag: War in Dads Hotel. Leiter sagte, er sei seit drei Tagen nicht mehr da gewesen. Gab anscheinend einen Vorfall, ich habe den Direktor angeschrieen. Er empfahl mir, zur Polizei zu gehen. Wo kann er nur sein?

5. Tag: Sie haben Dad gefunden. War in der Pathologie zur Identifizierung. Bin zusammengebrochen. Ist an Herzstillstand gestorben, zuviel Promille im Blut. Habe Angst, was Mum sagen wird. Fliege morgen nach L.A. mit Dad.

6. Tag: Glaube nicht, was passiert ist. Das Flugzeug ist abgestürzt, irgendwo auf einer Insel. 48 Überlebende, eine Schwangere. Sind am Strand, hoffen auf Rettung, irgendwas ist auf dieser Insel.

Kate legte das Buch zur Seite und starrte hinaus aufs Meer. Es war dunkel geworden, ein Feuer brannte neben ihr.

Was ging hier vor? Warum hatte Sawyer ihr das Buch gegeben?

Sie schloss die Augen und rieb die Hände gegeneinander. Ihr war schlecht. Die Lektüre von Jacks Tagebuch, hatte sie mitgenommen. Zwar wusste sie nicht, was zwischen Jack und dessen Vater vorgefallen war, doch, dass es ihn innerlich zerfraß war offensichtlich. Kate mochte Jack und sie wusste das. Das Flirten tat ihr gut und führte hoffentlich auch zu etwas, auch wenn sie nicht wusste, wohin sie es führen sollte.

Doch, eigentlich weißt du das flüsterte etwas in ihr, du weißt wo du hin willst. Neben ihn und über ihn.

Sie schüttelte den Kopf. Diese Insel tat ihr definitiv nicht gut; sie wusste kaum etwas von Jack, dennoch machte sie sich Sorgen um ihn, half ihm, wo es nur ging.

Kopfschüttelnd und lächelnd dachte sie an den Ausdruck in seinem Gesicht, als sie ihm die Schlinge gebracht hatte. Er hatte gelächelt, ohne Sorgen, ohne Müdigkeit und genau dieses Lächeln war es, dass ihr den Verstand raubte.

„Na, Sommersprosse, planst du deine Hochzeit?"

Die vertraute Stimme war ganz nah an ihrem Ohr. Zornig fuhr sie herum.

„Sawyer! Was fällt dir ein, mir Jacks Tagebuch zu geben?", schrie sie.

Er grinste.

„Was fällt dir ein, darin zu lesen?"

Das saß. Kate musste die Augen niederschlagen. Mit einem bösen Grinsen hob er ihr Kinn.

„Keine Sorge. Ich schlage dir einen Deal vor: Ich sage Jack nichts über das Buch und im Gegenzug überlässt du mir unseren Gewinn."

Kate starrte ihn an und machte sich los. Sie hatte Sawyers „Spiel" völlig vergessen, geschweige denn, dass sie herausgefunden hatte, was der Gewinn war. Dennoch ließ sie sich nichts anmerken.

„Ah ja", meinte sie gedehnt, „davon abgesehen, dass ich noch gar nicht gespielt habe, willst du den Gewinn sofort haben."

„Was soll das heißen, noch gar nicht gespielt?", fragte Sawyer. „ Du zockst, seit du auf der Insel bist."

Fieberhaft arbeitete sie an einer Lösung, doch es wollte sich keine einstellen.

„Nun ja. Und wenn ich mich nicht zurückziehe, erzählst du Jack, dass ich das Buch habe. Warum, meinst du, sollte mich das interessieren?"

Es war nur ein verzweifelter Versuch, Zeit zu schinden und Kate fürchtete, dass Sawyer das wusste.

„Ich könnte mir vorstellen, dass sogar unser Jack seinen Heiligenschein wegwirft, wenn er erfährt, dass du in seinen Privatsachen herumschnüffelst", sagte er und es klang gelangweilt.

„Ich habe nicht geschnüffelt!", rief sie, doch sie war schon wieder rot. „Außerdem würde er mir eher Glauben schenken als dir, Sawyer!"

„Vielleicht. Willst du es drauf ankommen lassen?" Er sah sie durchdringend an.

Kate biss sich auf die Lippen. Zur Hölle, was sollte sie tun? Sawyer würde es Jack auf jeden Fall erzählen, dass war klar.

Und die Chancen, dass er ihr oder Sawyer glauben würde, lagen im Dunkeln - seit der Sache mit Sajid war Jack unberechenbar geworden.

Andererseits war das Risiko, dass Jack sich von ihr abwenden würde, einfach zu groß und das wollte Kate nun überhaupt nicht.

Und wenn sie Sawyer einfach gab, was er verlangte? Auch wenn sie nicht wusste, was es war? Er würde wohl kaum verlangen, dass sie mit ihm schlief, obwohl sie ihm mittlerweile alles zutraute. Sie holte tief Luft.

„Was muss ich tun?"

Sawyers Augen funkelten, doch er behielt sein Pokerface bei.

„Ist das nicht logisch? Du sollst die Finger von Jack lassen."

Kate klappte der Mund auf.

„Ich soll was? Wieso das denn?"

Sawyer zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Willst du mich verarschen? Jack ist de Preis, Zuckerpuppe, deswegen."

Es war, als hätte jemand einen Tornado in ihrem Kopf losgelassen, ein Heulen und Brüllen hallte in ihrem Schädel wieder.

„Du willst Jack?", fragte sie mühsam und ungläubig.

„Sag bloß, das hast du nicht gewusst", spottete Sawyer, doch als er in ihr Gesicht sah, runzelte er die Stirn." Du hast es wirklich nicht gewusst?"

Ehe Kate sich daran hindern konnte, hatte sie den Kopf geschüttelt. Sawyer brüllte vor Lachen.

„Oh Mann! Du hast einfach drauf los gepokert? Respekt, Sommersprosse, soviel Mut hätte ich dir gar nicht zugetraut. Aber, Deal ist Deal und ich halte mich daran."

Er nickte ihr zu und wandte sich ab.

„Was…was hast du mit ihm vor?", fragte Kate und ihre Stimme war voller Angst. Er blieb stehen und sah sie mit höhnischem Grinsen an.

„Keine Sorge, Süße, er wird danach noch leben. Nur du bleibst heute Nacht von ihm fern, verstanden?"

Als Kate immer noch wie ein verängstigtes Kind vor ihm stand, verdrehte er die Augen,

„Ich werde ihn nicht umbringen, wenn das deine Befürchtung ist", sagte er leise. „Ich will nur ein bisschen Würze in die ganze Sache bringen."

Dann drehte er sich um und verschmolz mit der Nacht.

Zurück blieb Kate, die langsam zu Boden sank und sich fühlte als hätte sie soeben über jemanden ein Todesurteil ausgesprochen