Kapitel 7

Nach dem Mittagessen kehrten Harry und Ginny in den Park zurück. Während sie langsam am Ufer des Sees entlang schlenderten und beratschlagten, was sie nun tun sollten, wurde Ginny wieder von einem Gefühl der Unwirklichkeit ergriffen. Immer noch konnte ein Teil von ihr nicht wirklich fassen, dass sie zusammen mit dem jungen Lord überlegte, wie sie die Dunkle Seite besiegen konnten.

Und dass sie ihm tatsächlich das Wenige erzählt hatte, was sie über den Orden wusste. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie hatte sich entschieden ihm vorbehaltlos zu vertrauen.

Sie sah nachdenklich auf das glitzernde Wasser und sagte:

„Da wir ohnehin Hilfe vom Orden brauchen, sollten wir so schnell wie möglich nach Hogwarts gehen. Dann können wir uns zusammen mit dem Orden einen Plan ausdenken."

Harry blieb stehen und sah sie an.

„Glaubst du nicht, dass es ein bisschen gefährlich für mich wäre dort einfach hineinzuspazieren? Wenn sie mich erkennen, werden sie mich garantiert nicht willkommen heißen."

Gegen ihren Willen musste Ginny lächeln.

„Nein, wahrscheinlich nicht. Ich denke, es wäre am besten, wenn wir zuerst mit Albus Dumbledore sprechen. Ihn davon zu überzeugen, dass du auf unserer Seite bist, müsste nicht allzu schwierig sein. Und dann…"

„Du glaubst, dass er sich so leicht überzeugen lassen wird? Dass der mächtige Zauberer, der Voldemort so lange Widerstand geleistet hat mir vertrauen wird?"

„Er wird dir zuhören, Harry."

Harry lachte leise auf.

„Doch vertrauen wird er mir nicht. Wie dem auch sei, ich denke, wir können es wagen für eine kurze Zeit aus dem Schloss zu schleichen. Ich hoffe nur, dass Dumbledore sich wirklich damit einverstanden erklärt mit mir gemeinsame Sache zu machen."

„Auf jeden Fall wird er dich anhören. Was jedoch die anderen Mitglieder und meine Familie betrifft…", sagte Ginny und brach ab.

Sie sah Schwierigkeiten voraus. Bei manchen Ordensmitgliedern würden auch alle Überredungskünste nicht helfen. Und ihre Familie würde sicherlich auch nicht so ohne Weiteres bereit sein Harry zu vertrauen.

„Wir werden es schon schaffen. Wenn Dumbledore erst einmal auf unserer Seite ist, werden die anderen sich ihm anschließen.", sagte Ginny und warf Harry einen Seitenblick zu.

„Du sagtest vorhin, du hättest bereits eine Idee wie wir den Dunklen Lord besiegen könnten."

Harry schüttelte den Kopf.

„Ich habe über verschiedene Möglichkeiten nachgedacht. Aber am Erfolgversprechendsten wäre es meiner Meinung nach, wenn wir es fertigbrächten die Mitglieder des Ordens ins Schloss zu schmuggeln. Irgendwann in der Nacht oder am frühen Morgen. Niemand würde je mit einem Angriff innerhalb der Festung rechnen. Wir würden Voldemort und seine Anhänger völlig überraschen. Vor allem hat es den Vorteil, dass wir gleich den gesamten Inneren Kreis ebenfalls besiegen könnten."

Ginny seufzte.

„Der Plan ist gut. Aber die Ordensmitglieder und meine Familie zu bewegen freiwillig ins Schloss zu gehen, wird alles andere als leicht sein. Sie werden sagen, dass es eine Falle ist. Und wie willst du sie eigentlich ins Schloss schaffen?"

„Das ist kein Problem. Da gibt es mehrere Wege. Zuerst müssen wir den Orden jedoch überzeugen. Alles andere wird sich finden.", sagte Harry und fügte nach einem Augenblick hinzu:

„Wenn du deine Familie wieder siehst, werden sie es zulassen, dass du mit mir zurückgehst? Wir können es uns nicht leisten, dass Voldemort misstrauisch wird. Und wenn du plötzlich nicht mehr da bist, wird er sich bestimmt wundern, wo du abgeblieben bist."

„Ich weiß, Harry. Ich werde mit dir zurückkommen, gleichgültig, was meine Familie dazu sagen wird."

Zu ihrer Überraschung stellte Ginny fest, dass sie es tatsächlich so meinte. Was auch immer geschehen würde, wenn sie den Orden aufsuchten, sie würde mit Harry zurückkehren.

„Was ist, wenn sie versuchen mich zu verhaften? Das könnte unter Umständen ziemlich brenzlig werden, insbesondere wenn es Viele sind, die mich angreifen. Anderenfalls kann ich bestimmt entkommen. Aber dann müssten wir zusammenfliehen."

„Einen Angriff brauchst du nicht zu befürchten, Harry. Dumbledore würde so etwas niemals zulassen."

„Ich kenne ihn nicht, Gin. Und ich werde ihm weder vertrauen, noch werde ich mich auf ihn verlassen."

Harrys Gesicht wurde kalt und als er nun sprach, schwang in seiner Stimme eisige Schärfe mit.

„Jeder kann dich verraten, selbst wenn du demjenigen vertraust."

Ginny blieb stehen und schaute Harry an.

„Du brauchst nicht gleich jedem zu vertrauen.", sagte sie verständnisvoll.

„Du könntest jedoch anfangen mir zu vertrauen, Harry."

In Harrys smaragdgrüne Augen trat ein seltsamer Ausdruck. Es war unmöglich ihn zu deuten.

„Vertraust du mir denn?"

Es war eine berechtigte Frage.

„Ja.", sagte sie langsam.

„Würde ich dir nicht vertrauen, hätte ich dir wohl kaum etwas über den Orden erzählt."

Mit Mühe hielt sie Harrys durchdringenden Blick stand.

„Hasst du mich nicht?"

„Warum sollte ich dich hassen?"

„Ich habe dich vergewaltigt."

Ginny wandte den Kopf ab und beobachtete einen kleinen Schmetterling, der munter von Blume zu Blume flog.

„Hast du das? Du hast mich vor diesem schrecklichen Todesser gerettet. Du hast mich aus dieser fürchterlichen, kalten Zelle geholt. Du warst sanft zu mir. Mein Entführer wäre es mit Sicherheit nicht gewesen. Du hast mich nie gefoltert, nie geschlagen und du hast mir erlaubt einen Brief an meine Familie zu schreiben."

Sie schaute Harry wieder an und sagte ernst:

„Du hast mir die Hoffnung wieder gegeben, Harry. Weißt du, was das bedeutet? Nein, ich hasse dich nicht und ich vertraue dir, Harry."

Plötzlich lächelte sie.

„Wenn ich dir vertrauen kann, dann kannst auch du mir vertrauen."

Dicht nebeneinander stehend, starrten sie sich an. Schließlich neigte Harry den Kopf.

„Dann werde ich es versuchen, Ginny."

Sie gingen weiter und eine Weile lang spazierten sie schweigend durch den Park. Ginny hing ihren Gedanken nach. Erst langsam wurde ihr wahrhaftig bewusst, dass sie ihre Familie wiedersehen würde. Vielleicht noch nicht heute oder morgen, aber bestimmt irgendwann in den nächsten Tagen. Leichten Herzens ging sie neben Harry auf die Festung zu, die selbst im hellen Tageslicht düster wirkte.

Als sie näherkamen, fiel Ginnys Blick auf eine schwarzhaarige Frau, die mit schnellen Schritten über den Rasen ging. Im nächsten Moment blieb sie jedoch jäh stehen und fiel auf die Knie. Während sie sich nicht von der Stelle rührte, marschierte Harry auf die Fremde zu, ergriff sie bei den Armen und zog sie zu sich hoch.

„Bella, wie schön, dass ich dich sehe.", sagte Harry mit seidiger Stimme.

Die Frau zuckte unmerklich zusammen.

„Mylord.", erwiderte sie leise.

Als Harry ihr Kinn hochhob, sah Ginny die Angst in Bellas dunklen Augen.

„Du weißt doch sicherlich, wo die Schüler aus Hogwarts gefangen gehalten werden, nicht wahr?"

„Ja, Mylord. Sie…sie sind in einer Zelle im südlichen Kerker, gleich neben einer der Folterkammern, Mylord."

„Danke. Du kannst gehen, Bella.", sagte Harry und ließ sie los.

Bella knickste tief, ging zwei Schritte zurück und hastete dann in die entgegengesetzte Richtung davon.

Ginny schaute zu Harry und wich unwillkürlich zurück, als er sich zu ihr umdrehte.

„So, wenigstens wissen wir jetzt, wo deine Mitschüler gefangen gehalten werden.", sagte Harry.

„Was hast du ihr getan, dass sie sich so vor dir fürchtet?"

„Man kann wohl sagen, dass ich nicht gerade so sanft zu ihr war, wie ich es zu dir war."

„Warum? Was hat sie dir getan?"

„Nichts. Sie hat nichts getan um es zu verhindern."

„Was zu verhindern?"

„Den Mord meiner Mutter."

Harrys Ton warnte sie davor weiter zu fragen und so schwieg sie. Die Erinnerung an den gestrigen Abend war ihr noch frisch im Gedächtnis.

Als sie das Schloss erreichten, wurden sie bereits von einem Hauself erwartet, der ihnen sagte, dass der Dunkle Lord seinen Sohn zu sprechen wünschte.

Harry nickte wortlos und ging auf die Treppe zu. Ginny folgte ihm mit einem unbehaglichen Gefühl. Darauf erpicht dem Dunklen Lord ein zweites Mal zu begegnen, war sie wahrlich nicht, aber da sie neugierig und wie sie sich eingestand auch um Harry besorgt war, fragte sie ihn nicht, ob er sie zuvor nicht in seine Räume bringen könnte. Und Harry schlug es auch nicht vor.

Wenig später betraten sie das Arbeitszimmer des Dunklen Lords. Voldemort saß hinter einem riesigen Schreibtisch aus schwarzem Holz und während Harry zu ihm ging, hielt sich Ginny im Hintergrund, hoffend, Voldemort würde sie nicht bemerken.

„Du wolltest mich sprechen?", fragte Harry.

Der Dunkle Lord sah ihn schweigend an, dann neigte er kaum merklich den Kopf.

„Ja, Henry, das wollte ich in der Tat. Ich habe für heute einen kleinen Angriff auf Hogsmeade geplant. Meine Anhänger sollen schließlich nicht aus der Übung kommen. Und du sollst an meiner Seite kämpfen, Henry.

Zusammen werden wir unbesiegbar sein und wenn der Phönixorden den Dorfbewohnern zu Hilfe eilt, werden wir Dumbledore und seinem jämmerlichen Orden endlich begreiflich machen, dass sie den Krieg niemals gewinnen werden.

Heute jedoch möchte ich so viele von Dumbledores Anhängern gefangen nehmen wie möglich. Wenn wir es schaffen den Orden so weit zu minimieren, dass er kampfunfähig ist, müsste der Rest von ihnen leicht aufgeben, wenn sie wissen, dass von ihrer Entscheidung das Leben ihrer Familienangehörigen und Freunde abhängt."

„Wie du willst. Ich denke, es sollte amüsant werden.", entgegnete Harry mit kalter Stimme.

Der Dunkle Lord lächelte.

„Daran habe ich keinen Zweifel. Triff mich in zwei Stunden in der großen Halle."

„Ich werde da sein, Vater."

Harry hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als Ginny sich an Harry wandte.

„Wir müssen den Orden warnen!"

Der Griff mit dem Harry ihren Arm packte, war schmerzhaft.

„Sei leise.", zischte er und zog sie vorwärts.

Ginny stolperte, fing sich jedoch wieder. Sie hörte Stimmen, näherkommende Schritte und schalt sich eine Närrin. Bei Harrys Anblick verbeugten sich die zwei Todesser und verharrten in dieser Stellung bis sie vorbei waren.

„Glaubst du, sie haben mich gehört?", fragte Ginny sobald sie in Harrys Gemächern waren.

„Nein, ich denke nicht. Sie waren zu weit weg.", sagte Harry und ging zu seinem Schreibtisch.

„Komm, vorsichtshalber kannst du eine kurze Nachricht schreiben. Wer weiß, ob Snape es geschafft hat den Orden zu benachrichtigen."

Nachdem Ginny ein paar Zeilen geschrieben hatte, nahm Harry ihr den Brief ab, gab ihm seinen Phönix und öffnete das Fenster.

Ginny dachte indessen an den bevorstehenden Kampf. Zögernd, fragte sie:

„Harry, du wirst niemanden töten, oder?"

„Wenn ich es vermeiden kann, dann nicht. Abgesehen davon möchte er Gefangene machen. Du hast es ja gehört. Und wenn alles gut geht, können wir nach dem Überfall versuchen aus dem Schloss zu schleichen. Wenn wir viele Gefangene machen, wird Voldemort den ganzen Abend damit beschäftigt sein sie zu foltern."

Froh, dass sie heute noch nach Hogwarts gehen würden, wollte Ginny gerade nicken, als ihr ein Gedanke kam. Sie erstarrte.

„Was, wenn meine Familie gefangen genommen wird? Wenn er sie tötet, während wir in Hogwarts sind?", fragte sie mit schwankender Stimme.

Harry sah sie ausdruckslos an.

„Wir werden sehen.", sagte er schließlich.

„Heute Abend können wir uns immer noch entscheiden, ob wir nach Hogwarts gehen oder nicht. Sich jetzt schon Gedanken zu machen ist sinnlos."

Das mochte stimmen, aber für Ginny was es unmöglich nicht daran zu denken, dass auch ihre Eltern und Brüder bei dem Kampf dabei sein würden.

Als Harry zu zischeln begann, wurde sie abgelenkt. Sekunden später glitt seine Schlange ins Blickfeld. Das Reptil hatte sich allem Anschein nach unter dem Tisch versteckt. Nach einem kurzen Gespräch, welches Ginny einfach nur unheimlich fand, verschwand die kleine Schlange in Richtung Tür.

„Was hast du ihr gesagt?", wollte Ginny wissen.

„Ich habe Diamond gebeten herauszufinden in welcher Verfassung deine Mitschüler sind. Vielleicht können wir ihnen doch helfen.", sagte Harry, zog eine der Schreibtischschubladen auf und holte einen schwarz schimmernden Zauberstab hervor.

„Ich dachte, du brauchst keinen Zauberstab?", fragte Ginny, während sie sich verbot sich allzu große Hoffnungen zu machen. Hoffentlich würde die Schlange bald zurückkommen und ihnen Nachricht bringen.

Harry steckte seinen Zauberstab in eine seiner Taschen, drehte sich um und zuckte mit den Achseln.

„Nein. Eigentlich nicht. Aber wenn ich für längere Zeit zaubern muss, ist es leichter für mich mit einem Zauberstab. Anderenfalls ermüde ich rasch."

Unvermittelt verdunkelte sich Harrys Gesicht.

„Er will mich testen und dieser Gedanke gefällt mir überhaupt nicht."

Es dauerte einen Augenblick bis Ginny begriff, wovon Harry sprach.

„Warum sollte er so etwas tun?"

„Ich habe dir doch gesagt, dass Voldemort mir nicht vertraut, Ginny. Er denkt, dass der Kampf zeigen wird, ob ich auf seiner Seite stehe oder nicht. Was soll's. Ich kann ohnehin nichts dagegen tun. Übrigens, könntest du mir eine ungefähre Skizze von Hogwarts machen, Gin? Wenn wir heute tatsächlich dorthin gehen, möchte ich wissen, wie ich entkommen kann, falls irgendetwas schiefgehen sollte."

Ginny nickte und wenig später beugte sie sich über ein Pergamentblatt. Während sie sich bemühte eine möglichst genaue Skizze zu zeichnen, fragte sie beiläufig:

„Warum nennt der Dunkle Lord dich eigentlich ‚Henry'?"

Es war ihr schon gestern aufgefallen und sie hatte sich darüber gewundert.

„Meine Mutter hat mich so genannt. Voldemort jedoch war damit nicht einverstanden, also gab er mir stattdessen den Namen ‚Henry'.", erwiderte Harry und musterte ihre Zeichnung.

„Sind dort noch andere Ausgänge?"

„Warte, Harry. Ich bin noch nicht fertig."

Nachdem Ginny die Feder beiseite gelegt hatte, erklärte sie Harry die Zeichnung. Ein leises Zischeln unterbrach sie.

Zusehend, wie Harry seine Schlange vom Boden aufhob, konnte Ginny ihre Ungeduld kaum zügeln. Endlich war das für sie unverständliche Gespräch zwischen Harry und dem kleinen Reptil vorbei.

Harry blickte sie an.

„Zwei deiner Mitschüler wurden getötet. Sie haben versucht zu fliehen. Die anderen drei sind am Leben. Sie sind jedoch gefoltert worden."

Entsetzt schlug Ginny eine Hand vor ihren Mund.

„Bitte, Harry. Wir müssen sie retten! Sonst werden sie auch noch ermordet! Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich nicht alles versucht hätte ihnen zu helfen. Außerdem, erinnerst du dich noch an die Muggel Familie? An die zwei kleinen Kinder? Ihnen müssen wir auch helfen, Harry!"

Harry sah sie wortlos an. Jäh stand er auf.

„Also gut. Wir werden ihnen helfen. Was die Kinder betrifft, müssen wir allerdings erst herausfinden, wo man sie hingebracht hat. Komm, wir müssen uns beeilen. Voldemort schätzt es gar nicht, wenn man ihn warten lässt."

Als sie die Kerker erreichten, kroch eisige Kälte in Ginny hoch, die nicht unbedingt auf die klamme Luft zurückzuführen war. Sie rückte näher an Harry heran und kämpfte gegen den Drang an sich einfach umzudrehen und diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Die Schreie, die durch die Kerker hallten, machten ihr ein weiteres Mal bewusst, welches Glück sie gehabt hatte.

Endlich blieb Harry vor einer Zelle stehen und hob eine Hand. Die Tür erglühte kurz in einem silbernen Licht und öffnete sich dann geräuschlos.

Ginny schluckte und folgte Harry hinein.

In einer Ecke sah sie zwei Mädchen sitzen. Eines von ihnen hielt ein kleines Mädchen in den Armen. Es schien bewusstlos zu sein. Bei ihrem Eintritt schauten die Größeren auf. Ihre Blicke waren seltsam stumpf.

„Ginny?"

Die Stimme war rau und Ginny brauchte eine Weile um das schlimm zugerichtete Mädchen zu erkennen.

„Katie!"

Schnell kniete sich Ginny hin und versuchte ihre Betroffenheit zu verbergen.

„Könnt ihr gehen? Kommt, wir bringen euch in Sicherheit."

Katie und das andere Mädchen, welches Ginny nun als Cho Chang erkannte, zuckten zurück, als Harry sich bückte und das Kind aufhob. Cho machte noch einen Versuch das kleine Mädchen festzuhalten.

„Nein, ihr braucht keine Angst vor Harry zu haben. Er hilft uns. Kommt.", sagte Ginny rasch und fasste Katie am Arm, die augenblicklich erstarrte.

„Kommt, schnell.", drängte Ginny und half Katie auf.

„Hilf Cho. Ich komme schon zurecht.", wehrte Katie ihre Hilfe ab, während sie sich schwankend an der Mauer festhielt.

Chos Gesicht war aschfahl, als Ginny es endlich schaffte sie auf die Beine zu hieven. Sie legte einen Arm um Chos Taille und stützte sie.

Sie verließen die Zelle und gingen langsam den verlassenen Korridor entlang. Harry war neben einer unscheinbaren Tür stehen geblieben und wartete auf sie. Kurz bevor sie Harry erreicht hatten, hörte Ginny schnelle Schritte. Die schwarzhaarige Frau, die sie vorhin im Park getroffen hatten, kam in Sicht. Das kleine Mädchen schwebte plötzlich in der Luft. Mit zwei großen Schritten war Harry bei Bella und drückte sie brutal gegen die Mauer.

„Du wirst niemandem sagen, dass ich die Gefangenen von Hogwarts aus ihrer Zelle genommen habe. Sollte Voldemort sich nach ihnen erkundigen, sage ihm, sie sind tot. Du weißt, was geschehen wird, wenn du mir nicht gehorchst, Bella.", flüsterte er und Ginny spürte, wie es ihr eiskalt über den Rücken lief.

„Ja, Mylord. Ich…ich werde es niemandem sagen, Mylord."

„Gut.", sagte Harry und ließ sie los.

Dann nahm Harry das kleine Mädchen wieder in die Arme und stieß mit einem Fuß die Tür auf.

„Schnell, geht die Treppe hoch."

Befürchtend, dass Cho jeden Moment umkippen würde, formten sich Schweißperlen auf Ginnys Stirn. Die Wendeltreppe wand sich steil nach oben. Auf jeder zweiten Stufe mussten sie anhalten. Immer wieder warf Ginny einen Blick zurück zu Katie, die hinter ihnen ging. Auch Katies Gesicht hatte mittlerweile jegliche Farbe verloren.

Als sie endlich Harrys Gemächer erreichten, seufzte Ginny erleichtert.

Während sie Katie und Cho zu den Sesseln führte, legte Harry das kleine Mädchen behutsam auf das Sofa. Er nahm ihre Hand in seine und für einen Augenblick war das Mädchen von einem goldenen Licht umgeben.

„Sie wird jetzt schlafen.", sagte Harry und trat zu Cho, deren Augen geschlossen waren.

Als das Licht von Harrys Magie verblasste, sah sie blinzelnd auf.

Katie wich in ihrem Sessel zurück, als Harry zu ihr kam. Sie sah zu Ginny. Erst als Ginny nickte, ließ sie zu, dass Harry ihre Hand nahm.

Nachdem Harry sich um Katie gekümmert hatte, richtete er sich auf und sagte:

„Gin, ich muss gehen. Wenn du irgendetwas brauchst, rufe einen von den Hauselfen."

Harry war beinahe an der Tür, als Ginny ihn zurückrief:

„Pass auf dich auf, Harry."

Schweigend starrten sie sich an.

„Das werde ich.", sagte er schließlich und verließ das Zimmer.

Als Ginny sich wieder umdrehte, sah sie, dass Katie sie anblickte.

„Er ist der junge Lord, nicht wahr?" flüsterte Katie.

„Ja, aber ihr könnt ihm vertrauen. Glaubt mir. Er hat mich gerettet und ohne ihn würdet ihr immer noch in den Kerkern sein.", sagte Ginny.

Sie rief nach einem der Hauselfen und wenig später waren Katie und Cho in warme Decken gehüllt.

Während Katie und Cho trotz ihrer Erschöpfung versuchten etwas zu essen, kümmerte sich Ginny um das Kind, das immer noch nicht aufgewacht war.

„Anne ist noch so klein und die Todesser haben auch sie vergewaltigt, Ginny. Sie haben ihr so wehgetan und sie mit dem Cruciatus Fluch gefoltert.", sagte Katie leise.

Ginny biss sich auf die Lippen. Als sie das getrocknete Blut von Annes Gesicht wischte, spürte sie Tränen in ihren Augen brennen. Ihre Hand zitterte vor unterdrückter Wut. Sie strich Anne sanft über das Haar und schüttelte traurig den Kopf. Was für ein Mensch war das nur, der einem elfjährigen Mädchen so etwas antat?