Kapitel 8
Als die gleißende Sonne direkt in sein Gesicht schien, kniff Arthur Weasley blinzelnd die Augen zusammen. Er drehte sich ein wenig zur Seite und verfluchte die Hitze, die langsam unerträglich wurde. Der frühe Nachmittag war wahrlich nicht der ideale Zeitpunkt um einen Kampf auszufechten. Nichtsdestotrotz stand er in Hogsmeade und wartete angespannt darauf, dass ihre Gegner endlich erscheinen würden. Wenn sie wenigstens im Schatten stehen würden, aber weit und breit war kein schattiges Plätzchen in Sicht.
Mit einem leisen Seufzer dachte Arthur an die vergangenen Stunden zurück. Nachdem sie die Liste fertig geschrieben hatten und die Ordensversammlung zu Ende gewesen war, war er mit seiner Familie zum Fuchsbau aufgebrochen. Sie hatten das Nötigste eingepackt und hatten kurz darauf beklommen vor ihrem Haus gestanden, nicht wissend, wann und ob sie überhaupt je zurückkehren würden.
Wieder in Hogwarts waren sie gerade damit beschäftigt gewesen sich in ihrer neuen Unterkunft einzurichten, als sie ein schwarz schimmernder Phönix gestört hatte, der mit seinem Schnabel gegen die Fensterscheibe geklopft hatte.
Sobald sie Ginnys kurzen Brief gelesen hatten, waren sie auf dem schnellsten Wege zu Albus gegangen. Froh über die Warnung hatte Albus sofort den Orden alarmiert. Zwar gelang es Severus Snape meistens sie zu warnen, doch heute hatte der Spion, der sich nach der Versammlung zurück in das Hauptquartier des Dunklen Lords begeben hatte, um die geforderte Liste abzuliefern, offensichtlich keine Möglichkeit dazu gehabt.
Dank Ginny hatten sie sich jedoch auf den heutigen Kampf vorbereiten können. Obwohl einige der Ordensmitglieder in Ginnys Brief eine Falle gewittert hatten und dagegen gewesen waren nach Hogsmeade zu gehen, hatte Albus sich durchgesetzt. Sie hatten die Dorfbewohner informiert und all diejenigen die nicht kämpfen wollten oder konnten nach Hogwarts in Sicherheit gebracht.
Das war jetzt eine halbe Stunde her und ihre Feinde hatten sich immer noch nicht blicken lassen.
Nervös schaute Arthur umher. Für einen flüchtigen Moment traf sein Blick den von James Potter, der ein Stückchen entfernt von ihm stand. Potter nickte ihm kurz zu und Arthur grüßte zurück.
James und er hatten verabredet, dass sie – sofern sie überlebten – sich nach dem Gefecht mit James' Freunden, Alice Longbottom, deren Ehemann im Hauptquartier des Dunklen Lords gefangen gehalten wurde, Nymphadora Tonks und mit den Eltern der Schüler, die entführt oder getötet worden waren, treffen würden. Der Gedanke ließ Arthur grimmig lächeln. Ja, sie würden einen Plan ersinnen. Und dann würden sie endlich zur Tat schreiten und das Schloss des Todes angreifen.
Zwar hatten ihm Ginnys Briefe die Gewissheit gegeben, dass seine Tochter am Leben war, doch würde ihn nichts und niemand jemals überzeugen können, dass ein Anhänger der Dunklen Seite seine Gefangenen anständig behandelte. Wie Ginny es geschafft hatte den Phönix des jungen Lords zu bewegen ihnen die Briefe zu überbringen, wusste Arthur nicht. Aber er kannte seine Tochter. Ginny hätte alles dafür getan, um ihm und Molly Schmerzen zu ersparen. So gern Arthur es auch getan hätte, konnte er Ginnys Worten, dass es ihr gut ging, einfach keinen Glauben schenken.
Laute Rufe schreckten Arthur auf. Er sah auf und spannte sich unwillkürlich an. Ihre Feinde waren gekommen.
Während Arthur die Neuankömmlinge musterte, fielen ihm zwei Gestalten besonders ins Auge.
Dem Dunklen Lord jedoch schenkte er kaum Beachtung. Es war der zweite Zauberer, der neben ihm stand, der Arthurs Aufmerksamkeit auf sich zog. Er war jung und groß, hatte rabenschwarze Haare und auf seiner linken Schulter saß ein schwarzer Phönix.
Der Sohn des Dunklen Lords!
Die heftigen Emotionen und die ohnmächtige Wut, die seit der Entführung Ginnys in ihm getobt hatten, ließen ihn alle Vorsicht vergessen.
Er hörte weder den erschrockenen Schrei seiner Frau, noch die warnenden Rufe seiner Söhne und weiterer Ordensmitglieder. Es war ihm nicht einmal bewusst, dass er sich in Bewegung gesetzt hatte und direkt auf den jungen Zauberer zulief, der seine Tochter zu seiner Geliebten gemacht hatte.
Als er näher kam, bemerkte er die kalten smaragdgrünen Augen, die ihm ausdruckslos entgegensahen.
„Du! Was hast du meiner Tochter angetan? Wo ist sie?", schrie Arthur außer sich vor Hass.
Sehend, wie der Erbe des Dunklen Lords mit einer Handbewegung einige Todesser zurückhielt, wurde er nur noch zorniger. Ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, ob das klug war oder nicht stürmte Arthur mit erhobenem Zauberstab auf den Folterer seiner Tochter zu.
Inzwischen waren auch die restlichen Kämpfer des Phönixordens näher herangekommen. Binnen Sekunden griffen sich beide Seiten an. Es dauerte nicht lange bis der Kampf in ein erbittertes Gefecht auf Leben und Tod ausartete.
Der Dunkle Lord zauberte das Dunkle Mal in den wolkenlosen Himmel und ging gemächlich auf den Anführer des Phönixordens zu. Als er die drei weißen Lilien und den feurigen Blitz erblickte, die neben seinem Zeichen erschienen, glitt ein feines Lächeln über sein Gesicht. Siegessicher wartete er auf Albus Dumbledores ersten Fluch.
Harry hatte unterdessen Arthur Weasley mühelos überwältigen können. Doch bevor er dazu kam über eine Möglichkeit nachzudenken, wie er Ginnys Vater retten konnte, wurde der rothaarige Zauberer von zwei Todessern ergriffen.
Harry, der alle Hände voll damit zu tun hatte sich seiner immer zahlreicher werdenden Gegner zu erwehren, presste die Lippen aufeinander, als er begriff, dass er nichts tun konnte um zu verhindern, dass Ginnys Vater in das Schloss des Todes gebracht wurde. Harry wagte es nicht einmal mehr sich umzuschauen, als er sich verteidigte und gleichzeitig versuchte niemanden zu töten.
Es schien so, als ob jeder Zauberer und jede Hexe des Phönixordens es gerade auf ihn abgesehen hatte. Was wohl nicht weiter verwunderlich war, wenn man bedachte für wen ihn der gesamte Orden hielt. Als ihn ein Todesfluch um Zentimeter verfehlte, war es jedoch vorbei mit seiner Zurückhaltung. Er kämpfte um sein Überleben.
Bald wurde es offensichtlich, dass die Dunkle Seite den Kampf gewinnen würde. Albus Dumbledore, der sich immer noch mit Voldemort duellierte, erkannte dies ebenfalls. Es blieb ihm nichts anderes mehr übrig als den Rückzug zu befehlen. Während seine Stimme noch über den Platz hallte, apparierten schon die ersten. Augenblicke später waren nur noch die Todesser, ihre Gefangenen und die Toten übrig. Aber auch sie verschwanden schnell.
Als der Wind über das verlassene Dorf und die Ebene fegte, erinnerten nur die zwei Bilder am Himmel an den Kampf, der sich in Hogsmeade ereignet hatte.
Auf die drei schlafenden Mädchen blickend, die in Harrys breitem Himmelbett bequem Platz gefunden hatten, fuhr sich Ginny mit einer Hand über die Stirn. Nachdem sie Annes Wunden versorgt hatte, hatte sie sich um Katie und Cho gekümmert, die beide auf einem Bad bestanden hatten und dazu ihre Hilfe gebraucht hatten.
Zu sehen was ihnen angetan worden war, hatte ihr ziemlich zugesetzt. Vielleicht rührte daher ihre Erschöpfung. Hin und hergerissen zwischen Mitgefühl und Wut, fühlte sie sich schuldig.
Ginny wusste, dass es unsinnig war, wusste, dass ein paar Stunden keinen Unterschied gemacht hätten und doch konnte sie nicht aufhören daran zu denken, wie sie mit Harry durch den Park gewandert war.
Als hätten wir alle Zeit der Welt gehabt, dachte sie bitter und schüttelte den Kopf. Für Anne, Katie und Cho hätte es einen Unterschied gemacht. Mit einem tiefen Seufzer ging sie hinaus und zog leise die Tür hinter sich zu.
Während sie ans Fenster trat, fiel ihr schlagartig ein, wohin Harry gegangen war. Sie konnte nicht fassen, dass sie den Kampf in Hogsmeade zwischenzeitlich völlig vergessen hatte. Sie öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. Jetzt hatte sie den Eingang des Schlosses besser im Blick.
Die Minuten vergingen unerträglich langsam. Sich alle möglichen Schreckensszenarien ausmalend, sorgte sie sich um Harry und ihre Familie und betete, dass ihnen nichts geschehen würde.
Und dann endlich erspähte sie die zurückkehrenden Todesser. Der Dunkle Lord und Harry gingen an vorderster Stelle. Sobald Ginny Harry sah, erfasste sie unbeschreibliche Erleichterung. Sie merkte nicht, dass sie lächelte.
Im nächsten Moment erstarrte sie. Inmitten der schwarzgekleideten Gestalten entdeckte sie ihren Vater, der von zwei Todessern vorwärts gezerrt wurde. Hektisch wanderten ihre Augen über die Menge, doch sie sah keine weiteren Rotschöpfe, sodass sie rasch wieder zu ihrem Vater schaute.
Warum? Warum gerade ihr Dad? Angst überwältigte sie, machte sie schwindelig. Ginny musste sich gegen die Wand lehnen. Sie schloss die Augen und versuchte tief Luft zu holen. Als der Schwindel allmählich nachließ und sie aus dem Fenster blickte, waren ihr Vater und die Todesser verschwunden.
Kurz darauf hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde und sie wirbelte herum.
„Harry! Sie haben meinen Dad gefangen genommen!"
„Ja, aber nicht nur deinen Vater. Andere auch. In einer Viertelstunde wird eine Versammlung stattfinden. Höchstwahrscheinlich um die Gefangenen zu foltern und zu töten."
„Nein! Wir müssen irgendetwas tun! Wir müssen sie retten!"
„Wir können nichts tun."
„Harry… wir können doch nicht einfach zulassen….wir müssen etwas tun! Bitte, wir müssen meinen Vater retten!", rief Ginny und rang verzweifelt die Hände.
„Wir können nichts tun oder wie stellst du dir das vor? Dass wir geradewegs in die Große Halle marschieren und jeden Gefangenen retten, während Voldemort und ungefähr zweihundert seiner engsten Anhänger uns seelenruhig dabei zuschauen? Das wäre wirklich ein exzellenter Plan und so Erfolg versprechend."
Ginny zuckte so heftig zusammen, als hätte Harry sie geschlagen. Doch Harry beachtete sie nicht weiter. Stattdessen ging er zu einem der Bücherregale. Er holte ein kleines schwarzes Buch hervor, auf dessen Einband seltsame silberne Zeichen abgebildet waren und begann, nachdem er einige Seiten umgeblättert hatte, zu lesen.
Ginny starrte Harry ungläubig an. Sie konnte nicht fassen, wie er jetzt ein Buch lesen konnte, während sie fieberhaft versuchte eine Möglichkeit zu finden ihren Vater zu retten. Es musste einfach einen Weg geben! Ginny weigerte sich zu glauben, dass es nichts gab, was sie tun konnten. Irgendetwas mussten sie tun!
„Harry, wir…."
„Sei still.", befahl er ihr, ohne den Blick von seinem Buch zu lösen.
Ginny schluckte die Worte, die sie hatte sagen wollen, mühsam hinunter. Schlagartig begriff sie, dass – obwohl sie und Harry sich nahe gekommen waren und miteinander geschlafen hatten – sie ihn überhaupt nicht kannte. Was wusste sie schon über ihn?
Harry wollte den Dunklen Lord töten. Er wollte sich rächen. Woher wollte sie wissen, ob ihm das Leben der Gefangenen etwas bedeutete? Vielleicht war es ihm gleichgültig, was mit den Gefangenen geschah. Er war schließlich der junge Lord. Er war in tiefster Dunkelheit aufgewachsen.
Der Gedanke ließ sie innehalten. Aber warum hatte er dann ihre Mitschüler aus den Kerkern befreit? Warum hatte er sich um Annes, Katies und Chos Verletzungen gekümmert?
Ginny wollte gerade einen erneuten Versuch wagen mit Harry zu sprechen, als Harry das Buch heftig zuschlug und in das Bücherregal zurückstellte.
„Ich komme gleich wieder.", sagte er, schaute sie kurz an und ging mit großen Schritten zur Tür.
Dann war er fort. Ginny ging langsam zu einem Sessel und setzte sich. Zutiefst enttäuscht von Harry, fühlte sie sich vollkommen allein gelassen. Was sollte sie nur tun? Sie musste ihrem Vater helfen! Doch ihre Gedanken drehten sich im Kreis.
Ginny zog ihre Knie zu sich, umfasste sie mit ihren Armen und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. Auch wenn sich alles in ihr weigerte es sich einzugestehen: sie war machtlos. Es gab nichts, was sie tun konnte. Sie hatte ja noch nicht einmal einen Zauberstab.
Jäh sprang sie auf und lief zur Tür. Harry hatte gesagt, die Versammlung würde in einer Viertelstunde stattfinden! Verzweifelt rüttelte sie an der Türklinke und wusste doch, dass es vergebens war. Die Tür war verschlossen.
Was, wenn Harry nicht mehr zurückkommen würde? Wenn er sie nicht zur Versammlung mitnehmen würde? Der Gedanke in Harrys Gemächern eingesperrt zu sein, während ihr Vater in der Großen Halle Gefahr lief gefoltert und getötet zu werden, war schrecklich. Das konnte Harry ihr nicht antun. Sie musste dabei sein. Sie musste…
Doch Harry kam nicht. Ginny lehnte sich gegen die Tür und presste ihre Wange gegen das Holz. Wohin war Harry nur gegangen?
Nach einer Ewigkeit hörte sie, wie jemand näherkam. Sie wich gerade noch rechtzeitig zurück, als sich die Tür öffnete.
„Harry!"
Doch Harry sah sie nicht einmal an. Er ging so schnell, dass sie beinahe laufen musste, um mit ihm Schritt zu halten. Auf halbem Wege blieb Ginny wie angewurzelt stehen. Die Angst schnürte ihr die Luft ab. Wie sollte sie ruhig daneben stehen, wenn ihr Vater gefoltert und getötet wurde? Wie sollte sie das ertragen?
„Harry! Gibt es denn nichts…können wir denn gar nichts tun um meinen Dad zu retten?"
Harry drehte sich um und kam zu ihr zurück. Der eiskalte Ausdruck in seinen smaragdgrünen Augen erschreckte sie.
„Wir werden sehen.", sagte er leise, ergriff ihren Arm und zog sie mit sich.
Unbeholfen stolperte Ginny hinter ihm her.
Als sie kurze Zeit später die Halle betraten, erstarb jegliche Konversation. Der Dunkle Lord stand auf und sah ihnen entgegen.
„Du kommst spät, Henry."
„Verzeih mir, Vater. Es wird nicht wieder vorkommen.", sagte Harry kühl und neigte leicht den Kopf.
Der Dunkle Lord winkte ungeduldig ab.
„Setz dich endlich. Wir haben lange genug auf dich gewartet."
Ginny stellte sich neben Harrys Thron und ließ ihre Augen durch die Halle wandern. Sie konnte ihren Dad nirgendwo entdecken.
In der Zwischenzeit fuhr der Dunkle Lord fort zu sprechen.
„Heute waren wir erfolgreich wie lange nicht mehr. Wie ich es vorausgesagt habe, waren wir unbesiegbar! Mit der Hilfe meines Sohnes werden wir den Phönixorden vernichten und Hogwarts dem Erdboden gleichmachen. Und dann kann uns nichts und niemand mehr aufhalten! Bald werden wir die ganze Welt erobern und beherrschen. Der heutige Sieg war nur der Anfang!
Aber jetzt lasst uns unseren Sieg feiern! Bringt die Gefangenen!"
Während einige der Todesser die Halle verließen, wandte sich der Dunkle Lord an Harry.
Ginny sah, wie ein Lächeln auf seinem Gesicht erschien, doch ließ ihn dies nur noch abstoßender wirken.
„Ich bin stolz auf dich, Henry. Du hast dich hervorragend geschlagen und viel zu unserem Sieg beigetragen."
„Danke. Aber ich habe nur meine Pflicht getan."
„Obwohl es merkwürdig war, dass der Phönixorden uns schon erwartet hat, findest du nicht, Henry? Ich frage mich, woher Dumbledore es wusste."
Ginny hielt unwillkürlich den Atem an, doch Harrys Gesicht war ausdruckslos, als er dem durchdringenden Blick Voldemorts begegnete.
„Das war in der Tat recht seltsam. Vielleicht befindet sich ja ein Spion unter deinen Anhängern, Vater.", erwiderte Harry gelassen.
„Unter meinen Anhängern?", wiederholte der Dunkle Lord gedehnt.
„Ja."
Schweigend sahen sie sich an. Erst als die Todesser mit den Gefangenen zurückkehrten, beendeten Harry und Voldemort ihren lautlosen Kampf.
Unterdessen hatte Ginny zu ihrer Bestürzung Remus Lupin und Nymphadora Tonks unter den Gefangenen entdeckt. Sowohl Lupin, wie auch Tonks waren einmal ihre Lehrer gewesen und sie hatte beide gern. Als sie jedoch ihren Vater erblickte, verblasste jeglicher Gedanke an Lupin und Tonks. Unvermittelt hob ihr Dad den Kopf.
„Ginny!", schrie er und begann gegen seine Fesseln anzukämpfen.
Einer der Todesser schlug ihm daraufhin brutal ins Gesicht und Arthur Weasley fiel auf seine Knie. Hätte Harrys Hand sich nicht um ihren Arm geschlossen, wäre Ginny zu ihrem Vater gelaufen. Sie öffnete ihren Mund um nach ihm zu rufen. Doch sie brachte keinen Ton heraus.
„Arthur Weasley ist der Vater deiner Geliebten, Henry? Wie interessant." , bemerkte der Dunkle Lord und sah von dem rothaarigen Gefangenen zu dem Mädchen, das neben seinem Sohn stand.
„Warum zeigst du Mr. Weasley nicht, wie wir mit unseren Gefangenen verfahren und folterst ihn, Henry? Ich bin sicher, Miss Weasley wird deine Fertigkeiten sehr bewundern."
Ginny starrte entsetzt zu Harry. Er würde doch nicht…
Mit unbeweglichem Gesicht hob Harry eine Hand. Ginnys Vater fiel zu Boden und begann zu schreien.
„Nein! Harry, hör auf, bitte hör auf!", wisperte Ginny und versuchte ihren Arm aus Harrys Griff zu befreien.
Harry hielt sie jedoch nur noch fester und zwang sie auf die Knie. Er tat ihr weh. Schluchzend wandte Ginny den Blick ab. Sie konnte nicht zusehen, wie Harry ihren Vater folterte. Auch wenn sie sich selbst für ihre Schwäche hasste, sie konnte es einfach nicht.
Seine qualvollen Schreie schnitten ihr ins Herz.
Das Gefühl der Hilflosigkeit, welches sie vor wenigen Tagen im Kerker befallen hatte, kehrte mit aller Macht zurück. Die Kälte, die sie umgab, ließ sie wie Espenlaub zittern. Und während ihr unaufhörlich die Tränen über die Wangen rannen, schmerzte sie Harrys Verrat wie eine tödliche Wunde.
Wie hatte sie Harry je vertrauen können? Wie hatte sie je glauben können, er würde ihr helfen? Wie hatte sie nur so blind sein können? Und sie hatte ihm alles erzählt, was sie über den Orden wusste. Das würde sie sich nie verzeihen.
Mit jedem Schrei ihres Dads wuchs ihr Hass auf Harry. Ginny sah nicht, was Harry ihrem Vater alles antat. Erst als die Schreie verstummten und der Dunkle Lord anfing zu sprechen, blickte sie wieder auf.
„Deine kleine Vorführung war äußerst vergnüglich anzuschauen, Henry. Warum tötest du ihn jetzt nicht?"
Als der Phönixorden in Hogwarts zusammenkam, war in der Ferne leises Donnergrollen zu hören. Doch keiner der Zauberer und Hexen schenkte dem heraufziehenden Sturm Beachtung. Einige unternahmen halbherzige Versuche sich gegenseitig zu trösten und sich Mut zu machen, dass noch nicht alles verloren war, aber es schien so, als hätte die Hoffnung jeden der Anwesenden verlassen.
Über den Verlust so vieler ihrer Mitglieder waren sie alle bis aufs Schwerste getroffen.
„Wir müssen endlich handeln! Ich werde Remus nicht einfach sterben lassen!", rief James Potter und blitzte die Versammelten wütend an.
„James, beruhige dich. Wir können gegenwärtig nichts tun. Lasst uns warten bis Severus zurückkehrt. Er wird sicherlich Neuigkeiten haben.", sagte Albus mit resignierter Stimme.
„Neuigkeiten? Was für Neuigkeiten wird er wohl haben? Dass Voldemort sich plötzlich entschlossen hat alle Gefangenen freizulassen?"
James stand auf und schüttelte vehement den Kopf.
„Nein! Es reicht jetzt! Wir haben lange genug gewartet. Wir müssen endlich etwas tun und dem Krieg ein Ende setzen. Wir können dieses verdammte Schloss angreifen! Es ist nicht unmöglich! Wir müssen es nur wagen. Ich sage euch, wir können es schaffen! Wir müssen es nur versuchen! Und ich werde es tun. Ich habe keine Angst. Und sollte ich dabei getötet werden, dann sei es so, aber ich werde meine Frau und Remus retten. Habt ihr Mut genug mit mir zu kommen? Oder seid ihr alle zu feige um Voldemort herauszufordern?"
„Ich werde mit dir kommen.", sagte Sirius Black.
„Ich auch.", verkündeten Bill und Charlie Weasley gleichzeitig.
„Nein, das ist viel zu gefährlich! Ich könnte es nicht ertragen, wenn ich euch auch noch verlieren würde!", weinte Molly und sah ihre ältesten Söhne verzweifelt an.
„Mum, unsere Schwester und unser Vater werden dort gefangen gehalten! Wir müssen sie retten.", sagte Bill mit ruhiger Entschlossenheit.
„Ja, wir werden auch gehen.", sagten Fred und George.
„Und ich auch.", sagte Alice Longbottom.
„Wir auch.", nickten die Changs und Bells, die außer sich vor Sorge um ihre entführten Töchter waren.
Immer mehr Leute erklärten sich bereit mitzukommen und James Potter konnte sein Frohlocken kaum verbergen. Endlich hörten sie ihm zu! Endlich hatte er die Mehrheit des Ordens auf seiner Seite!
James trat einen Schritt vor und rief:
„Dann ist es entschieden! Wir werden das Hauptquartier Voldemorts angreifen!"
„James, das ist doch Wahnsinn! Du würdest jeden umbringen!", protestierte Albus.
Doch es war vergeblich. James und der restliche Orden ignorierten ihn. James Potter hatte die Führung des Phönixordens an sich gerissen und freiwillig würde er sie nicht wieder hergeben. Er würde Voldemorts Schloss angreifen und daran würde ihn niemand mehr hindern.
„Was wir jetzt noch brauchen ist ein guter Plan!", fuhr James fort.
„Irgendwelche Vorschläge?"
Ginnys Lippen bewegten sich, doch sie blieb stumm. Kein Schrei entrang sich ihr. Sie war im wörtlichen Sinne regelrecht erstarrt. Dass Harry seine Hand hob, entging ihr. Sie sah nur das gleißend grüne Licht, das so charakteristisch für den Todesfluch war, verfolgte wie gebannt den Lichtstrahl, der Sekunden später ihren am Boden liegenden Vater traf.
Der Dunkle Lord lächelte und lehnte sich zurück.
„Ihr habt meinen Sohn gesehen. Ich erwarte nichts Geringeres von euch. Amüsiert euch gut!", befahl er.
Seine Anhänger verbeugten sich. Die Gefangenen wurden ergriffen und die Todesser begannen ihre Opfer zu foltern oder zu vergewaltigen.
„Vater, bitte entschuldige mich. Ich werde in meine Gemächer zurückkehren.", sagte Harry.
„Ja…natürlich. Wenn du willst, Henry. Ich bin sicher, dein Mädchen wird dich genügend unterhalten, nicht wahr?"
Harry lachte leise.
„Das wird sie allerdings."
Harrys Worte drangen wie aus einem dichten Nebel zu Ginny. Sie verstand sie zwar, doch hatten sie keinerlei Bedeutung für sie, als sie auf den leblosen Körper ihres Vaters starrte. Sie spürte kaum, wie Harry sie hochzog und sie mit sich aus der Halle zerrte.
Ihre Beine schienen von selbst zu gehen, als sie schweigend durch die Korridore schritten. Erst als sie Harrys Räume beinahe erreicht hatten, riss sie ihren Arm aus Harrys gelockertem Griff und blickte ihn an. Tränen flossen ihre Wangen hinunter.
„Du hast ihn getötet! Und ich habe dir vertraut! Ich hasse dich! Ich hasse dich!", schrie sie und hob ihren Arm. Sie wollte ihn schlagen, wollte ihn verletzen. Doch es gelang ihr nicht, da Harry ihre Handgelenke ergriff und sie fest an sich presste.
„Ginny! Hör mir zu! Er ist nicht tot!", flüsterte er.
„Wie konntest du das nur tun? Ich habe dir vertraut und du hast ihn einfach umgebracht!"
„Gin! Hör mir doch zu! Er ist nicht tot."
Ginny wehrte sich gegen Harry mit all der Kraft derer sie fähig war und schrie ihn weiterhin an. Sie hatte nicht ein einziges von Harrys Worten gehört. Sie konnte nur an das grauenvolle grüne Licht denken, das ihren Vater getötet hatte.
„Sei still!"
Harry schüttelte sie an der Schulter, aber Ginny schlug bloß noch heftiger um sich. Plötzlich ließ Harry sie los und schlug sie hart ins Gesicht. Ginny fiel taumelnd auf die Knie und schnappte nach Luft. Ihre Wange brannte wie Feuer. Blind vor Tränen starrte sie zu Boden und als Harry sich neben sie kniete und ihre Schultern umfasste, wehrte sie sich nicht mehr.
Inzwischen war ihr alles gleichgültig.
„Ginny, dein Vater ist nicht tot. Bitte, hör mir zu.", wisperte er eindringlich und hob sanft ihr Kinn hoch. Blinzelnd sah sie in seine smaragdgrünen Augen, aus denen jegliche Kälte gewichen war.
„W…was?"
„Ich habe ihn nicht getötet. Es war nur eine Täuschung."
Ginny schüttelte den Kopf.
„Du lügst. Ich habe das grüne Licht gesehen.", sagte sie tonlos.
„Ja, das Licht war dort. Aber es war nicht der Todesfluch. Ich habe den Zauberspruch verändert. Dazu braucht man schwarze Magie und es ist mehr als kompliziert, da du den Zauberspruch verändern musst, während du ihn ausführst. Ich werde dir jetzt nicht jedes Detail erklären. Es ist jedoch möglich. Glaube mir, Ginny. Bitte, vertrau mir. Vertrau mir."
„Das kann niemand."
„Ich schon. Bitte, Gin. Glaube mir."
„Ich will ihn sehen. Bring meinen Dad zu mir.", flüsterte sie.
Harry nickte, stand auf und half ihr hoch.
„Komm. Zuerst bringe ich dich zurück in meine Räume."
Kurz darauf drückte Harry Ginny in einen der gemütlichen Sessel und befahl einem Hauselfen eine Tasse Tee zu bringen. Sobald das kleine Wesen die Tasse gebracht hatte, verließ Harry das Zimmer wieder um in die Halle zurückzugehen.
Allein gelassen starrte Ginny auf die gegenüberliegende Wand und umklammerte die Teetasse mit beiden Händen, als müsste sie sich an der Tasse festhalten, doch sie trank nicht.
Konnte es wahr sein? Hatte Harry die Wahrheit gesprochen? Doch wie sollte das möglich sein? Niemand war zu solch einer Zauberei fähig. Und doch hielt sie sich an Harrys Worten fest wie eine Ertrinkende an ein Stück Treibgut.
Als sich die Tür endlich öffnete, sprang Ginny so heftig auf, dass die Teetasse zu Boden fiel.
Harry schloss die Tür hinter sich und nachdem er eine ausladende Handbewegung gemacht hatte, wurde eine in der Luft schwebende Gestalt sichtbar. Einen Augenblick später hatte Harry Arthur Weasley auf das Sofa gebettet.
Ginny fiel neben ihrem Vater auf die Knie. Und er atmete! Er sah aus, als ob er schliefe. Mit zitternder Hand strich sie ihm über die Stirn. Er war warm, nicht kalt.
„Weck ihn auf.", flüsterte sie mit einer Stimme, die nicht zu ihr gehören schien.
Harry schüttelte den Kopf.
„Nein, Ginny. Er braucht seinen Schlaf. Es wäre nicht gut, wenn er sich jetzt aufregen würde. Mach dir keine Sorgen um ihn. Ich habe einen Heilzauber auf ihn gelegt. Morgen wird es ihm wieder besser gehen. Er wird von den Folterungen keinen bleibenden Schaden davontragen."
Ginny stand langsam auf und Harry fügte hinzu:
„Ich denke, wir sollten uns auf den Weg nach Hogwarts machen. Solange Voldemort und seine Anhänger damit beschäftigt sind ihren Sieg zu feiern, wird uns keiner vermissen."
Fassungslos sah Ginny Harry an. Dann brach sie plötzlich in Tränen aus. Harry war mit einem Schritt bei ihr und zog sie in seine Arme.
„Es tut mir so leid, Ginny. Es muss schrecklich für dich gewesen sein die Folter mit anzusehen und zu glauben, dass ich ihn getötet habe. Es tut mir leid."
Doch Ginny konnte nicht aufhören zu weinen. In den letzten Stunden war einfach zu viel geschehen. All die Gefühle, die sich seit ihrer Entführung in ihr angestaut hatten, die ausgestandene Angst um ihren Vater, der Schmerz und der Hass, als sie geglaubt hatte, Harry hätte ihn ermordet, rissen sie wie eine Welle mit sich fort.
Harry hielt sie derweil fest an sich gedrückt und flüsterte immer wieder:
„Es tut mir so leid. Ich wusste doch nicht, was ich machen sollte."
Es dauerte lange bis Ginnys Weinen nachließ und sie sich beruhigte. Erschöpft lehnte sie sich gegen Harry und murmelte:
„Warum hast du mir nicht erzählt, dass du zu solch einer Magie fähig bist?"
Als Harry nicht antwortete, hob sie den Kopf. Sie war erstaunt Schmerz in seinen Augen zu sehen und da war noch etwas anderes: eine Verletzlichkeit, die sie tief berührte.
„Wie hätte ich es dir sagen können? Ich wusste zwar, dass solch eine Magie existiert und ich habe sie in der Vergangenheit für ein paar kleinere Zaubersprüche auch angewandt, aber niemals zuvor habe ich versucht den Todesfluch zu verändern. Wie ich bereits sagte, es ist schwarze Magie und höchstgefährlich."
Harry schwieg für einen Moment. Schließlich sagte er:
„Dein Vater hat mich angegriffen. Ich konnte seine Gefangennahme nicht mehr verhindern. Also musste ich mir irgendetwas ausdenken, um ihm trotzdem noch zu helfen. Dass du mir nie verzeihen würdest, wenn dein Vater getötet werden würde, war mir klar.
Ich wusste, dass Voldemort die Gefangenen foltern würde und dass dann die größte Chance bestehen würde ihn zu retten. Deswegen habe ich in dem Buch gelesen, Ginny. Ich wollte mich vergewissern, dass ich nicht etwas falsch machen würde. Allerdings brauchte ich vorher noch ein wenig Übung und so ging ich in die Kerker. Das erste Mal ist es fürchterlich schief gegangen. Das war ein weiterer Grund, warum ich dir nichts gesagt habe. Ich war mir nicht sicher, ob es funktionieren würde."
Ginny starrte ihn an.
„Du bringst Leute um, nur um einen Zauber auszuprobieren?"
„Es war notwendig. Anderenfalls hätte ich deinen Vater vorhin getötet. Vielleicht hätte es eine bessere Möglichkeit gegeben. Ich weiß es nicht. Denk daran, dass ich nicht gerade massenhaft Zeit hatte, mir einen brillanten Plan auszudenken. Es hätte ohnehin sonst etwas geschehen können. Was, wenn Voldemort auf die Idee gekommen wäre deinen Vater eigenhändig zu töten? Oder wenn er den Befehl nicht mir sondern einen seiner Anhänger gegeben hätte? Wäre das geschehen, hätte ich deinem Vater nicht helfen können. Außerdem musste ich den Zauberspruch an irgendjemandem üben. Verschwende dein Mitleid nicht an die Todesser. Sie haben es verdient."
„Haben sie das? Weißt du, dass du mir Angst machst, Harry, wenn du dich so eiskalt gibst?"
„Ich wurde als Voldemorts Erbe erzogen, Ginny. Vergiss das nicht. Glaube nicht, dass ich nie zuvor getötet oder gefoltert habe. Ich habe…"
Ginny schüttelte traurig den Kopf und unterbrach ihn rasch.
„Nein, Harry. Sag' nichts weiter. Ich will gar nicht wissen, was du alles getan hast.
Es ist nicht mehr wichtig. Du hast meinem Vater das Leben gerettet. Das werde ich dir nie vergessen und du hast mich gerettet, Harry. Verzeih, dass ich an dir gezweifelt habe. Ich hätte dir vertrauen sollen."
Als Harry eine Hand an ihre Wange legte, zuckte sie zusammen. Dann verspürte sie das kribbelnde Gefühl von Magie.
„Es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe. Aber ich wusste mir nicht anders zu helfen, um dich dazu zu bringen mir zuzuhören. Du warst so…"
Harry verstummte und sie starrten sich an.
„Gin, was tust du mir an?", flüsterte er und während Ginny in Harrys smaragdgrünen Augen versank, konnte sie nicht glauben, dass sie ihn vor Kurzem noch aus tiefsten Herzen gehasst hatte.
Doch nun war alles vergessen, war alles andere unwichtig geworden. Aber sie konnte unmöglich den Sohn des Dunklen Lords lieben, oder?
Jäh ließ Harry sie los und stand auf. Die Magie des Augenblicks war dahin und Ginny kehrte schlagartig in die Realität zurück.
„Komm, lass uns nach Hogwarts gehen. Sonst wird es dafür zu spät sein."
Ginny nickte.
„Ja, natürlich. Ich werde Katie und Cho einen Zettel schreiben."
Während sie schrieb, fragte sie Harry nach den beiden Kindern der Muggel- Familie und erwähnte auch ihre Lehrer.
„Diamond sucht die Kinder gerade. Wir werden bestimmt bald wissen, wo sie gefangen gehalten werden. Was deine beiden Lehrer angeht…Es tut mir leid, aber für sie können wir wirklich nichts tun.
Es war schon schwierig genug deinen Vater aus der Halle zu bekommen. Nicht alle Todesser waren mit den Gefangenen beschäftigt."
Ginny seufzte leise.
„Aber wenn V…Voldemort merkt, dass mein Dad…weg ist? Wird er dann nicht misstrauisch werden?"
„An einem Toten wird er nicht viel Interesse haben, Ginny. Abgesehen davon wird es nach der Feier wohl mehrere Tote geben. Da wird es nicht auffallen, wenn jemand fehlt. Aber nun komm. Übrigens, bist du eigentlich jemals auf einem Phönix geflogen?"
