Kapitel 14
Remus richtete sich auf und starrte Sirius ungläubig an.
„Ihr habt euch in kleinen Kästchen versteckt?"
Sirius nickte lachend.
„Ja, ob du es glaubst oder nicht, es ist die Wahrheit. Zwar war es ganz schön unbequem, aber Harry meinte, es sei der sicherste Weg. Portschlüssel wären zu aufwendig gewesen und abgesehen davon, hätten dann die Schutzzauber Alarm geschlagen. Das war auch der Grund, weshalb wir nicht einfach so in die Festung marschieren konnten, selbst wenn wir uns unsichtbar gezaubert hätten. Frage mich nicht wie, aber Harry hat irgendeinen Zauber angewandt, der bewirkte, dass wir – eingeschlossen in den Kästchen – die Schutzzauber ebenfalls passieren konnten. Jedenfalls, sobald Harry, Ginny Weasley und Snape im Schloss waren, haben sie uns befreit und wir konnten Voldemorts Hauptquartier ohne Schwierigkeiten einnehmen. Unser Überraschungsangriff war ein voller Erfolg."
Während Sirius weitererzählte, lehnte Remus sich zurück in die Kissen und schüttelte den Kopf.
Erschöpft wie er war, fiel es ihm schwer die unglaublichen Geschehnisse zu erfassen, die gestern den jahrelangen Krieg beendet hatten. Dass die Dunkle Seite besiegt worden war und er noch am Leben war, erschien ihm wie ein Wunder, das er kaum begreifen konnte. Er blickte zum Fenster, sah hinaus in den Garten von Godric's Hollow und wusste, dass er wahrhaftig zu Hause war. Er war in seinem Zimmer, lag in seinem Bett und war in Sicherheit.
Und doch gaukelten ihm die Schmerzen, die er bei jeder Bewegung verspürte, etwas anderes vor. Unwillkürlich beschleunigte sich sein Atem und er schluckte hart, kämpfte mit aller Macht gegen die Erinnerungen an. Seine Augen irrten durch das Zimmer, glitten über die vertrauten Dinge. Sich auf Sirius' Stimme konzentrierend, bemühte er sich angestrengt seinem Freund zuzuhören, der ihm gerade mit einem amüsierten Unterton erzählte, dass James es tatsächlich fertiggebracht hatte sich von einem Todesser den Zauberstab wegnehmen zu lassen und es nur Alice Longbottom zu verdanken hatte, dass ihm nichts geschehen war.
Zeit, dachte Remus, ja, es würde seine Zeit brauchen bis er sich von seiner Gefangenschaft erholen würde. Das hatte auch die Heilerin in St. Mungo gesagt, die sich um seine Verletzungen gekümmert hatte. Allmählich beruhigte sich Remus wieder, froh, dass er zu Hause war. Es war ein Glück gewesen, dass das Krankenhaus überlastet gewesen war und es sein Zustand erlaubt hatte ihn nach Godric's Hollow zu bringen. Er wäre nur ungern dort geblieben. Hier, in seiner vertrauten Umgebung und mit seiner Familie, würde er schneller wieder zu Kräften kommen.
Der Gedanke an Sirius, Peter und James ließ ihn die Stirn runzeln. Zu erfahren, dass James einen Sohn hatte, der zudem der Erbe des Dunklen Lords gewesen war und dass es Peter gewesen war, der Lily damals verraten hatte, war ein gewaltiger Schock für ihn gewesen. Und war es noch.
Hin und hergerissen zwischen fassungsloser Wut und Trauer um Lily, fühlte er, wie die Ereignisse der letzten Tage ihn zu überwältigen drohten. So Vieles war geschehen, das er erst einmal verarbeiten musste.
„Sirius.", sagte er leise.
„Für den Augenblick reicht es. Alles andere kannst du mit später erzählen."
Dann schlug er die Bettdecke beiseite und sah Sirius bittend an.
„Würdest du mir ins Badezimmer helfen?"
James legte eine Hand auf die Türklinke und hielt inne, zögerte. Nach einem tiefen Atemzug, gab er sich schließlich einen Ruck, öffnete die Tür und ging über die Schwelle. Die abgestandene Luft ließ ihn husten. Rasch schritt er zum Fenster und riss es auf.
Erst nach einer Weile drehte er sich wieder herum und betrachtete den großen Raum, den er seit Lilys Verschwinden nicht mehr betreten hatte. All die Jahre war ihr beider Schlafzimmer verschlossen gewesen und selbst den Hauselfen hatte er verboten hier sauberzumachen. Er hingegen war in eines der Gästezimmer gezogen. Sich in diesem Zimmer aufzuhalten, welches von Anfang an untrennbar mit Lily verbunden gewesen war, hatte er einfach nicht ertragen. Alles hier drinnen erinnerte ihn an Lily. Sie war es auch gewesen, die das ehemals düstere Zimmer eingerichtet und in einen hellen, freundlichen Raum verwandelt hatte.
Mit einem leisen Seufzer sah James zur Kommode hinüber. Lilys Sachen lagen unverändert an ihrem Platz. Seine Augen wanderten über die kleine Schmuckschatulle, den Spiegel, dessen Fassung kunstvoll mit elfenbeinernen Rosen verziert war und das Buch, welches sie damals gelesen hatte. Wäre nicht der zentimeterdicke Staub gewesen, hätte er sich für einen gnädigen Moment vielleicht etwas vormachen können, so aber wurde er unbarmherzig mit der Wirklichkeit konfrontiert.
James wandte sich ab und heftete seinen Blick auf eine Fotografie Lilys, die an der Wand hing. Es war eines dieser glücklichen Zufälle gewesen, erinnerte sich James.
Eines Abends im Sommer war Lily mit wehenden Haaren und strahlenden Augen geradewegs auf ihn zu gelaufen um sich in seine Arme zu stürzen, nichts ahnend, dass Sirius mit einem Fotoapparat auf der Terrasse gestanden hatte. Es war eines dieser seltenen Bilder, die vor Leben geradezu sprühten. Ein Bild seiner Lily, überschäumend vor Glück und Liebe, festgehalten für die Ewigkeit.
James erwiderte Lilys Lächeln zaghaft und trat einen Schritt auf das Bild zu.
„Wir haben den Krieg gewonnen, Lily. Zusammen mit Harry haben wir es geschafft. Während wir mit den Todessern gekämpft haben, hat Harry Voldemort getötet. Es ist vorbei, Lily. Der Krieg ist endlich vorüber. Harry wohnt jetzt in meinem alten Kinderzimmer. Ich werde mich um ihn kümmern, Lily, das verspreche ich dir. Es wird ihm an nichts fehlen. Und ich werde ihm helfen mit seiner Vergangenheit fertigzuwerden. Er hat gestern das kleine Buch gefunden, das dir meine Mutter gegeben hat und den Zauberspruch entdeckt. Ich habe versucht ihm klar zu machen, dass es nicht seine Schuld war, aber ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist. Ich habe ihm gesagt, du hättest gewollt, dass er glücklich ist. Ja, ich weiß, ich auch. Und eines Tages werden wir es sein, Lily. Dank dir, werden wir es sein."
James streckte einen Arm aus und strich leicht über Lilys Wange.
„Und doch wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass du jetzt bei uns wärst. Ach, Lily, wenn es den Krieg doch nur nie gegeben hätte, wenn Voldemort dich nur nie gesehen hätte. Wie glücklich hätten wir werden können, du und ich und Harry. Wenn…"
Als er näherkommende Schritte hörte, verstummte James. Wenig später standen Sirius und Remus in der Tür und starrten ihn verblüfft an. James ging ihnen entgegen und trat zu Remus, der von Sirius gestützt wurde und musterte seinen Freund besorgt.
„Wie geht es dir?"
„Besser.", sagte Remus, spähte an ihm vorbei ins Schlafzimmer und sah ihn dann wieder an.
Doch bevor Remus oder Sirius etwas hätten sagen können, fragte er schnell:
„Wisst ihr, wo Harry ist?"
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als er eine Erschütterung spürte.
„Die Schutzzauber! Wir werden angegriffen!", rief James und lief zur Treppe, dicht gefolgt von Sirius.
James stürmte hinaus in den Garten und fluchte, als sein Blick auf die schwarzmaskierten Zauberer fiel, die sich auf der anderen Seite der Gartenmauer versammelt hatten. Es lag auf der Hand, dass die Anhänger des Dunklen Lords gekommen waren um sich an Harry zu rächen. Doch woher zum Teufel hatten sie gewusst, dass Harry hier sein würde?
Seinen Zauberstab auf die Angreifer richtend, rief er sich den gestrigen Tag ins Gedächtnis zurück. War es möglich, dass einer der Gefangenen ihre Gespräche belauscht hatte oder ihn mit Harry zusammen gesehen und die richtige Schlussfolgerung gezogen hatte? Gleich darauf schüttelte er den Kopf. Ein Gefangener hätte es nicht sein können. Er hätte ja überhaupt keine Möglichkeit gehabt die Nachricht an seine Kameraden weiterzugeben. Jemand, der unbemerkt entkommen war?
Nun, woher sie es gewusst hatten, spielte im Moment wahrlich keine Rolle, dachte James. Jetzt waren sie hier und das war das Entscheidende.
Es waren Viele und das machte ihm Sorgen. Einen unentwegtem Angriff ausgesetzt, würden die Schutzzauber nicht lange halten. Und obwohl kein Fluch zu ihnen hineingelangen konnte, sie aber welche hinausschicken konnten, wusste James, dass es schwierig sein würde. Sie waren nur zu dritt, Remus nicht mitgezählt, der noch zu schwach war um ihnen zu helfen.
„Geht mir aus dem Weg!"
James wirbelte überrascht herum, als er Harrys Stimme hörte, doch er tat wie ihm geheißen. Auch Sirius und Remus, der inzwischen ebenfalls den Garten erreicht hatte, traten beiseite. Harry blieb stehen und hob eine Hand. Eine Sekunde später schoss eine Welle aus silbernem Licht auf die Eindringlinge zu.
Und James beobachtete fassungslos, wie ein großer Teil der Angreifer zu Boden sank. Eine weitere Welle des silbernen Lichtes überzeugte die übriggebliebenen Angreifer davon schnellstens zu verschwinden.
James ließ langsam seinen Zauberstab sinken und blickte zu Harry, nicht wissend, ob er entsetzt oder erleichtert sein sollte.
Es war später Nachmittag, als Ginny durch den kleinen Garten schlenderte und in regelmäßigen Abständen hinauf zum Himmel starrte und Ausschau nach Harrys Phönix hielt. Sie wusste, dass sich ihre Eltern Sorgen um sie machten, doch wie hätte sie ihnen erklären sollen, dass sie Harry vermisste und an seiner Liebe zu ihr zweifelte? Sie hatte ihm heute in aller Frühe einen Brief geschrieben und seitdem wartete sie ungeduldig auf seine Antwort.
Sie musste einfach wissen, ob es ihm gut ging. Warum schrieb er ihr denn nicht zurück?
Sich mühsam davon abhaltend über mögliche Gründe nachzudenken, beschleunigte sie ihre Schritte. Fast wünschte sie sich, dass Luna noch hier wäre um sie abzulenken. Auch wenn sie sich ungemein gefreut hatte ihre Freundin wiederzusehen, die vorhin kurz zu Besuch gekommen war, war doch ein Teil ihrer Gedanken bei Harry gewesen. Als Ginny wieder in die Nähe des Hauses kam, hörte sie laute Stimmen. Sie bedachte Rons offenes Fenster mit einem flüchtigen Blick und ging weiter.
Immer noch konnte sie es nicht fassen, dass sie erst am vergangenen Abend bemerkt hatte, dass Ron und Hermione sich zerstritten hatten und Hermiones Fröhlichkeit größtenteils nur aufgesetzt gewesen war. Und wie sie ihren Bruder kannte, der manchmal eine unglaubliche Sturheit an den Tag legen konnte, würde es eine Weile dauern bis er einsah, dass Hermione das einzig Richtige getan hatte, als sie Ron, der gestern tatsächlich vorgehabt hatte sich auf den Weg zum Hauptquartier des Dunklen Lords zu begeben, seinen Zauberstab weggenommen und ihn gezwungen hatte in Hogwarts zu bleiben.
Aber das wollte Ron natürlich nicht wahrhaben, noch wollte er etwas davon hören, dass er ohnehin nichts hätte ausrichten können. Selbst wenn er Voldemorts Festung erreicht hätte, wäre er nicht durch die Schutzzauber gekommen. Er hätte nur sein Leben aufs Spiel gesetzt. Ginny wusste, dass es einigen Todessern gelungen war zu fliehen und gegen die Anhänger des Dunklen Lords hätte Ron gewiss keine Chance gehabt.
Seufzend, schüttelte Ginny den Kopf und fragte sich, ob sie versuchen sollte mit Ron zu sprechen. Vielleicht könnte sie ihm begreiflich machen, dass Hermione es nur getan hatte, weil sie ihn liebte und er definitiv im Unrecht war.
„Ginny!"
Auch wenn sie Bills Stimme erkannte, zuckte sie erschrocken zusammen. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie wohl stärker erschüttert, als sie sich eingestehen wollte. Bill kam auf sie zu und ergriff ihren Arm.
„Ah, Bill, lass mich los. Mir tun alle Knochen weh."
„Von deinem Sturz?"
Ginny nickte und sah ihren Bruder beunruhigt an.
„Ist etwas geschehen?"
„Nein. Ich soll dich nur ins Haus holen."
„Warum? Es ist doch noch hell.", fragte sie verwundert.
„Mum macht sich Sorgen um dich. Und nun komm.", erwiderte Bill schroff und wies mit dem Kopf in Richtung des Hauses.
Dort war Molly Weasley bereits damit beschäftigt das Abendbrot vorzubereiten. Als Ginny und Bill die Küche betraten, gab Molly Ginny einen Kuss, überhäufte sie mit zahlreichen Vorschlägen, was sie im Laufe des Sommers alles unternehmen könnten und wollte ihre Meinung dazu hören. Dass Ginny recht einsilbig antwortete, schien Molly nicht zu stören. Ginny sah ihre Mutter an und hatte mehr und mehr das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.
Beim Abendbrot war sie sich dessen sicher. Aus irgendeinem – für sie nicht ersichtlichen – Grund machte ihre gesamte Familie einen angespannten Eindruck. Als sie jedoch fragte, was denn geschehen wäre, bekam sie bloß zu hören, dass überhaupt nichts vorgefallen wäre und alles in bester Ordnung sei. Doch warum hatten Bill, Charlie und die Zwillinge dann ihre Zauberstäbe auf dem Tisch liegen? Warum schauten sie immer wieder zum Fenster?
Auch das Hermione ihrem Blick auswich, ließ sie ahnen, dass sie Recht mit ihrer Vermutung hatte. Wütend über die Geheimnistuerei trank sie schnell ihren Tee aus, schützte ein weiteres Mal Müdigkeit vor und ging bald darauf die Treppe hoch. Sie hatte die Schwelle ihres Zimmers kaum überschritten, als sich eine Hand auf ihren Mund presste und sie jemand festhielt. Verzweifelt versuchte sie sich zu wehren, doch es war vergeblich.
„Ginny. Ich bin es, Harry.", flüsterte eine Stimme.
Harry lockerte seinen Griff und drehte sie zu sich herum.
„Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe."
Ginny nickte. Zu mehr war sie nicht imstande und während sie sich allmählich beruhigte, schloss Harry die Tür ab und zog sie zum Fenster.
„Wir müssen leise sein. Ich war vorhin hier und wollte dich besuchen, doch deine Familie hat mich fortgeschickt."
„Sie haben was?"
„Sie haben mir verboten jemals wieder hierherzukommen. Ich musste mich durch die Terrassentür ins Haus schleichen.", sagte Harry und lächelte schelmisch.
„Sei nicht zornig, Gin. Sie haben nur Angst um dich."
„Sie hatten kein Recht dazu!", sagte Ginny und konnte es nicht fassen. Jetzt begriff sie, weshalb sich ihre Eltern und Brüder so merkwürdig benommen hatten, verstehen allerdings konnte sie es nicht. Wie konnten sie es wagen Harry so zu behandeln? Nach allem, was er für sie und ihren Vater getan hatte?
„Sie lieben dich. Ist es da nicht das Natürlichste auf der Welt, dass sie dich beschützen wollen?", fragte Harry und legte einen Arm um ihre Taille.
Die Zärtlichkeit in seiner Stimme ließ Ginny ihre Wut vergessen und den Atem anhalten. Und bevor ihr bewusst wurde, was er beabsichtigte, spürte sie schon seine Lippen auf den ihren. Also bedeutete sie ihm doch etwas, dachte sie überglücklich und erwiderte seinen Kuss.
Einen Moment später ließ Harry sie jäh los. Ginny sah ihn fragend an, doch dann hörte auch sie, wie die Türklinke heruntergedrückt wurde. Als sich die Tür nicht öffnete, klopfte es laut und Hermione rief ihren Namen.
Harry riss indessen das Fenster auf und pfiff leise.
„Harry, was…"
„Ich komme so bald wie möglich wieder. Gute Nacht, Ginny."
Er gab ihr einen schnellen Kuss auf die Stirn und schwang sich aus dem Fenster.
„Harry!"
Sie versuchte noch ihn festzuhalten, doch es gelang ihr nicht. Das Geräusch von Flügelschlagen und der Anblick Harrys, der seelenruhig auf seinem Phönix davonflog, ließ sie fluchen. Das würde sie ihm irgendwann heimzahlen, schwor sie sich. Erst erschreckte er sie fast zu Tode und jetzt das! Hätte er ihr nicht wenigstens sagen können, dass sein Phönix auf ihn wartete?
Zornig auf ihn, wie auch auf Hermione und ihre gesamte Familie, stampfte sie zur Tür. Sie drehte den Schlüssel herum, öffnete die Tür und blickte in Hermiones besorgtes Gesicht.
„Ginny! Ist alles in Ordnung?"
„Sicher, was sollte denn sein?", entgegnete sie kühl und fügte rasch hinzu:
„Tut mir leid, dass ich die Tür abgeschlossen habe, Hermione. Ich wollte nur ein wenig allein sein."
Hoffentlich hatte ihre Stimme nicht so wütend geklungen, wie sie sich fühlte, dachte Ginny, trat ein paar Schritte zurück und setzte sich auf ihr Bett. Es war schließlich nicht Hermiones Schuld. Sie hatte es nicht wissen können.
„Denk ja nicht, ich wollte dich aussperren.", sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln.
Hermione ging jedoch nicht darauf ein, sondern setzte sich neben sie und sah sie ernst an.
„Du weißt, dass ich für dich da bin, wenn du reden möchtest, nicht wahr? Wenn du jemanden brauchst…"
„Ich weiß, Hermione.", fiel Ginny ihrer Freundin ins Wort.
Ruhiger sagte sie:
„Ich weiß. Und vielleicht werde ich es dir eines Tages erzählen. Aber nicht jetzt. Ich…bitte, verstehe es, Hermione. Es ist vorbei und ich will mich nicht daran erinnern. Mir ist nichts Schlimmes geschehen und das ist das Wichtigste, nicht wahr?"
Hermione sah sie an und zögerte, doch zu Ginnys Erleichterung nickte sie schließlich, streckte die Arme aus und umarmte sie.
„Ja, das ist es. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich darüber bin. Aber vergiss es nicht, ja? Du kannst jederzeit zu mir kommen."
Ginny lächelte und drückte Hermione an sich.
„Danke, Hermione. Und ich werde es bestimmt nicht vergessen. Versprochen."
Als sie sich losließen, fragte Hermione:
„Möchtest du, dass ich bleibe?"
„Bleiben? Aber natürlich, Hermione. Weshalb…"
Begreifend, dass sie Hermiones Frage falsch aufgefasst hatte, brach sie ab.
„Ihr habt euch also immer noch nicht versöhnt?"
„Er spricht nicht mit mir."
„Typisch Ron.", sagte Ginny und schüttelte den Kopf.
„Aber mach dir keine Sorgen, Hermione. Spätestens in einer Woche bittet er dich auf Knien um Verzeihung. Glaube mir, ich kenne meinen Bruder."
Ein flüchtiges Lächeln glitt über Hermiones Gesicht.
„Wollen wir es hoffen."
Dann sah sie Ginny mit großen traurigen Augen an.
„Ich konnte ihn nicht gehenlassen, Ginny. Ich konnte es einfach nicht."
„Ich weiß. Es war das Richtige. An deiner Stelle hätte ich dasselbe getan. Und Ron wird es ebenfalls verstehen. Manchmal braucht er halt eine Weile bis er gewisse Sachen begreift.", sagte Ginny und sprang auf.
„Komm, ich helfe dir packen."
Hermione stand auf und sah sie unschlüssig an.
„Wenn du möchtest, bleibe ich noch eine Weile."
Ginny betrachtete ihre Freundin voller Zuneigung.
„Das ist lieb von dir. Aber ich weiß, dass du nach Hause willst und außerdem kann ich dich doch besuchen kommen, Hermione."
Aber erst nachdem sie Hermione versprochen hatte ihr sofort einen Brief zu schreiben, falls irgendetwas sein sollte oder sie jemanden zum Sprechen brauchte, ging Hermione zu ihrer Tasche hinüber. Bald darauf begleitete Ginny Hermione ins Wohnzimmer, wo Hermione sich von den Weasleys, abgesehen von Ron, der sich in seinem Zimmer verkrochen hatte, verabschiedete. Dann trat sie in den Kamin und griff nach dem Flohpulver.
Als Hermione in den grünen Flammen verschwunden war, ging Ginny wieder nach oben. Sie dachte kurz daran Ron ihre Meinung zu sagen, aber entschied sich noch ein paar Tage zu warten. Sie kannte ihren Bruder gut genug um zu wissen, dass es momentan keinen Zweck haben würde und er nur auf seinem Standpunkt beharren würde.
Zurück in ihrem Zimmer schloss Ginny ihr Fenster, lehnte sich gegen die Wand und sah nachdenklich hinauf zu den Wolken.
Als Ginny am nächsten Morgen in die Küche kam, war ihre Familie bereits vollzählig versammelt. Sobald sie ihre Anwesenheit bemerkten, wurde der Tagesprophet eilig zusammengefaltet und betont beiläufig zur Seite gelegt. Auffälliger hätte es ihre Familie nicht machen können, dachte Ginny. Aber sie würde schon herausfinden, was in der Zeitung stand. Vorerst hatte sie mit ihrer Familie jedoch noch ein Hühnchen zu rupfen.
Sie setzte sich und griff nach der Teekanne. Sie schenkte sich ein und trank ein paar Schlucke. Dann stellte sie ihre Tasse ab und sah ihre Familie an.
„Warum habt ihr Harry verboten mich zu sehen?"
Während ihre Eltern einen Blick tauschten, fragte Bill mit gerunzelter Stirn:
„Woher weißt du das?"
„Weil Harry es mir gesagt hat. Er war gestern in meinem Zimmer."
Ihrer Antwort folgte verblüfftes Schweigen.
„Aber...aber wie um aller Welt ist er durch die Schutzzauber gekommen?"
Bill bedachte Charlie mit einem düsteren Blick.
„Hast du vergessen, wer er ist?"
Ihre Mutter hatte derweil eine Hand auf ihren Arm gelegt und musterte sie besorgt.
„Hat er dir etwas getan?"
„Nein! Natürlich nicht. Harry würde mir nie etwas antun. Er hat mich gerettet, Mum. Und ich liebe ihn."
Arthur Weasley zog scharf den Atem ein und beugte sich vor.
„Ginny. Du hast einen schrecklichen Schock erlitten. Du weiß nicht, was du da sagst. Es…"
„Meinen Verstand habe ich aber noch nicht verloren.", unterbrach Ginny ihren Vater und obwohl sie wütend war, sagte sie mit ruhiger Stimme:
„Außerdem irrst du dich. Es wäre nur ein schrecklicher Schock gewesen, wenn Harry mir nicht geholfen hätte. Ich habe gesehen, was die Todesser Katie, Cho und der kleinen Anne angetan haben. Mir wäre das Gleiche widerfahren, hätte Harry mich nicht aus dem Kerker befreit."
Ihre Worte trafen ins Schwarze. Bill jedoch fragte zurück:
„Willst du uns damit etwa sagen, dass er dir überhaupt nichts getan hat? Das sollen wir dir glauben? Snape hat uns erzählt, dass er dich geschlagen hat."
Unwillkürlich flog Ginnys Hand zu ihrer Wange.
„Das war nicht Harry, sondern derjenige, der mich entführt hat. Und was zwischen Harry und mir vorgefallen ist, geht euch nichts an.", sagte Ginny und verschwieg, dass Harry sie ebenfalls ein Mal geschlagen hatte, doch das war schließlich gerechtfertigt gewesen.
„Es geht uns nichts an?", fragte ihr Vater und starrte sie ungläubig an.
„Du bist unsere Tochter! Weißt du, welche Sorgen wir uns um dich gemacht haben?"
Schuldbewusst schaute Ginny hinunter auf ihren Teller. Wie sollte sie ihrer Familie nur ihre Beziehung zu Harry erklären? Aber dann erkannte sie plötzlich, dass sie das gar nicht wollte. Wie sollten ihre Eltern und Brüder auch verstehen, was Harry für sie getan hatte?
Die ersten zwei Nächte mochte sie keine Wahl gehabt haben, doch Harry hatte sich wenigstens bemüht ihr nicht mehr als nötig weh zu tun. Und war es ein Wunder, dass Harry sich so verhalten hatte, wenn man bedachte, welche Tragödie er als kleines Kind erlebt hatte? Was in den ersten beiden Nächten geschehen war, spielte keine Rolle mehr für sie. Sie hatte Harry vergeben. Doch ihre Familie würde das gewiss nicht verstehen. Ja, sie selbst konnte es sich nicht erklären, wie es hatte geschehen können. Sie wusste bloß eines: dass sie Harry liebte und ihm vertraute. Er hatte ihr die Hoffnung wiedergegeben, als sie alles verloren geglaubt hatte. Und sie war sich sicher: auch Harry liebte sie.
An seine Worte denkend, sah Ginny ihre Familie an und sagte sanft:
„Ich weiß und es tut mir leid. Ich habe ebenfalls geglaubt, ich würde euch nie wieder sehen. Aber ich bin nur hier wegen Harry. Nur wegen Harry ist der Krieg beendet. Dad, er hat dein Leben gerettet. Er hat mich gerettet. Wir verdanken ihm viel."
Ihr Vater erwiderte ihren Blick ernst, nickte leicht.
„Ja, das tun wir und ich wünschte es wäre nicht so. Er ist ein Schwarzer Zauberer, Ginny. Er ist gefährlich. Was er dem Dunklen Lord und einigen seiner Anhänger angetan hat...er hat sich nicht damit begnügt sie zu töten, Ginny, er hat sie regelrecht vernichtet. Von ihnen ist nur ein Häufchen Asche übriggeblieben."
Ginny schluckte schwer. Unvermittelt sah sie sich in der Halle stehen, schaute zu, wie die Todesser in dunklem Feuer verglühten, erinnerte sich an Harrys eiskalte Augen, an das unbarmherzige Glitzern in ihnen, Sekunden bevor er sie erkannt hatte.
Ja, sie hatte gesehen, wozu er fähig war. Doch sie kannte auch seine andere Seite.
„Er hat sie gehasst, Dad.", sagte sie.
„Sie haben ihm seine Mutter genommen. Und vergiss nicht, dass er auf der Dunklen Seite aufgewachsen ist. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass er gefährlich ist. Wenn er es wäre, hätte er euch getötet und mich entführt."
Ginny sah ihre Eltern flehentlich an.
„Wir lieben uns. Glaubt mir bitte, Harry würde mir nie etwas tun. Ich kenne ihn. Bitte, verbietet mir nicht Harry zu sehen."
Ihr Vater seufzte tief, streckte eine Hand aus und legte sie auf ihre.
„Wir wollen nicht, dass dir etwas geschieht, Ginny. Und vielleicht solltest du die heutige Zeitung lesen."
„Mir wird nichts geschehen.", sagte Ginny entschieden und nahm die Zeitung entgegen, die ihr Dad ihr reichte. Mit einem beklommenen Gefühl sah sie auf die erste Seite und fing an zu lesen.
Molly Weasley indessen betrachtete ihre Tochter und verspürte einen schmerzhaften Stich. Es war ihr nicht entgangen, dass sich Ginny verändert hatte. Vor ihrer Entführung wäre Ginny bei einem Streit niemals so ruhig geblieben, ganz zu schweigen davon wäre es ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen nach dem Grund zu fragen, wenn sie erst einmal in Wut geraten war und glaubte ihr sei Unrecht getan worden. Sie hätte geschrien, wäre vom Tisch hochgesprungen und wäre aus der Küche gelaufen. Jetzt jedoch schien sie sich ihren Zorn für wirklich wichtige Angelegenheiten aufzuheben.
Ein seltsames Gemisch aus Bedauern und Stolz stieg in ihr hoch, als ihre Augen auf der jungen Frau ruhten, die den Platz des kleinen Mädchens eingenommen hatte, das sie noch vor ein paar Monaten in Ginny gesehen hatte. Ihre Tochter, die in den Kerkern des Dunklen Lords elendig hätte umkommen können, wäre Harry Potter nicht gewesen. Sie verdankte es ihm, dass Ginny wie auch Arthur noch am Leben waren und sie ihre Tochter und ihren Ehemann wiederhatte. Die Dankbarkeit, die sie dem jungen Zauberer gegenüber empfand, konnte sie nicht in Worte fassen, so glücklich war sie.
Und doch erfüllte sie der Gedanke an eine Liebesbeziehung zwischen ihm und Ginny mit Unbehagen.
Es gab Zeiten, da kam Albus Dumbledore nicht umhin zu bedauern, dass der Eigentümer des Tagespropheten und seine wenigen Mitarbeiter, die ihm noch geblieben waren, es tatsächlich geschafft hatten in all den Jahren nicht nur ihr Versteck vor Voldemort geheim zu halten, sondern auch noch ihre Zeitung mehr oder weniger regelmäßig zuzustellen. Mit gerunzelter Stirn las Albus den Zeitungsartikel ein zweites Mal, lehnte sich anschließend in seinem Stuhl zurück und starrte auf die große Schlagzeile, die mit unmissverständlichen Worten vor dem jungen Lord warnte. Sogar Harrys wahre Identität hatte der Tagesprophet bereits herausgefunden.
Irgendein Ordensmitglied hatte wohl wieder seinen Mund nicht halten können, dachte Albus resigniert. Hätte seine Besorgnis nicht bei Weitem überwogen, wäre er sicherlich zornig gewesen, so aber versuchte er abzuschätzen wie viel Schaden der Artikel anrichten würde, der Harrys Abstammung als Nebensächlichkeit abtat und Harry als Schwarzen Zauberer darstellte, der vorhatte der nächste Dunkle Lord zu werden. Seine Vergangenheit und der Grund, weshalb er Voldemort gehasst hatte, wurde mit keinem Wort erwähnt, dafür aber wurde der gestrige Angriff auf Godric's Hollow ausführlich erörtert.
Nun, eines stand fest. In Anbetracht der Tatsache, dass Harry einen Großteil der Angreifer getötet hatte, würde es ohne Zweifel sehr viel schwieriger werden seinen Orden und die ehemaligen Auroren und Regierungsmitglieder davon abzuhalten Harry zu verhaften.
Aber gerade das durfte unter keinen Umständen geschehen. Denn das würde zu einer Katastrophe führen. Harry würde sich ihnen niemals freiwillig ergeben und das bedeutete, dass es zu einem Kampf kommen würde, der den Phönixorden unweigerlich entzweien würde. James, Sirius und Remus würden sich auf jeden Fall auf Harrys Seite stellen, wie auch höchstwahrscheinlich die Eltern der geretteten Schülerinnen. Abgesehen von seiner Überzeugung es Harry und James schuldig zu sein, war dies der schwerwiegendste Grund, warum er Harrys Verhaftung unbedingt verhindern musste.
Und es lag an ihm dies dem Orden begreiflich zu machen. Zwar musste er zugeben, dass die Sorge Harry könne in Voldemorts Fußstapfen treten, nicht ganz aus der Luft gegriffen war, aber seiner Meinung nach war sie unberechtigt. Jedenfalls dann, wenn sie Harry eine Chance gaben ein neues Leben anzufangen.
Nachdenklich beugte sich Albus vor, verhakte seine Finger und stützte sein Kinn auf seine Hände. Und als würde Harry ihm nicht schon genug Sorgen bereiten, musste er sich auch noch Gedanken um Severus' Schicksal machen. Abermals fragte er sich, was Severus sich nur dabei gedacht hatte Narcissa Malfoy zu befreien und an einen Ort zu bringen, der nur ihm allein bekannt war und den er sich standhaft weigerte zu verraten.
Immerhin versprach die Ordensversammlung, die am Nachmittag stattfinden würde, recht interessant zu werden, dachte Albus zynisch und schloss flüchtig die Augen. Dass sie heute schon dazu kommen würden über die Bildung eines neuen Zaubereiministeriums zu diskutieren, glaubte er nicht. Dabei sollte gerade dies die höchste Priorität haben. Erst das Ministerium würde imstande sein geordnete Verhältnisse zu schaffen und vor allem die öffentliche Ordnung wieder herzustellen.
Als Albus darüber nachsann, wie viel es noch zu tun gab, seufzte er leise, doch zumindest würde er keine Entscheidungen mehr treffen müssen, die sein Herz auseinanderrissen. Vorläufig würde er niemanden in den Kampf schicken müssen, würde nicht gezwungen sein das Leben seiner Ordensmitglieder aufs Spiel zu setzen. Dafür musste er unendlich dankbar sein. Albus wusste jedoch, dass es noch eine Weile dauern würde bis er endgültig begreifen würde, dass der Krieg vorüber war und Voldemort besiegt worden war. Der Krieg hatte zu lange gedauert und zu viele Narben hinterlassen, um ihn einfach so aus dem Gedächtnis tilgen zu können.
Unwillkürlich schweifte sein Blick zu dem Fotoalbum des Phönixordens. Einen Moment später stand er auf und holte es aus dem Regal. Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, schlug das Album auf und blätterte langsam die Seiten um. Als er auf die Gesichter der Hexen und Zauberer schaute, die mit ihm gegen Voldemort und seine Anhänger gekämpft hatten, wurde er von tiefer Traurigkeit ergriffen. So Viele hatten sinnlos ihr Leben verloren – und wofür?
Lily Potters Foto ließ ihn innehalten. Wie lange er es betrachtete, wusste er nicht, doch es war die Erinnerung an Lily, die ihn aus seiner Niedergeschlagenheit riss. Sie hatte sich nie gescheut ihm ihre Meinung zu sagen und sähe sie ihn jetzt, hätte sie wohl nur den Kopf über ihn geschüttelt und ihn gefragt, warum er nicht das Ende des Krieges feierte.
Fast war es ihm, als würde er ihre Stimme hören, die ihm sagte, er solle in die Zukunft blicken und nicht zurück. Er erwiderte Lilys Lächeln und nickte, begriff plötzlich, dass weder Lilys Opfer noch das der anderen Ordensmitglieder umsonst gewesen war. Ohne sie hätte es keinen Sieg gegeben. Lily jedoch waren sie ganz besonders zu Dank verpflichtet. Ihr Mut und ihre Liebe waren es gewesen, die letztendlich zum Sturz der Dunklen Seite geführt hatten.
Ja, dachte Albus und richtete sich auf. Sie würden nicht vergessen, wie viel sie Lily und all den Anderen, die ihr Leben gegeben hatten, zu verdanken hatten. Dafür würde er sorgen. Und auch wenn er um sie trauern würde, würde er darüber nicht das Leben vergessen.
Was geschehen war, war geschehen. Die Vergangenheit war nicht mehr zu ändern. Das musste er akzeptieren, auch wenn ihm das schwer fiel. Was seine Schuldgefühle anging, so mochte ein großer Teil irrational sein, ein Teil jedoch war berechtigt. Aber wenn er klug war, würde er aus seinen Fehlern lernen. Denn die Zukunft war noch nicht in Stein gemeißelt und folglich würde er sie beeinflussen können. Entschlossen nickte Albus und fixierte einen bestimmten Punkt an der gegenüberliegenden Wand.
Nie wieder würde er für das Leben Anderer leichtfertig einen Einzelnen opfern. Zwar war dies in Kriegszeiten zuweilen eine bittere Notwendigkeit, aber er wusste, dass er während des Krieges einige Male die Wahl gehabt hätte eine andere Entscheidung zu treffen, wenn er sich nicht so sehr an seine Überzeugungen geklammert hätte.
Und vielleicht gab es sogar eine Möglichkeit sicherzustellen, dass sich solch ein Krieg niemals wiederholen würde. Der Phönixorden als Wächter des Friedens, grübelte er nach. Ja, das wäre vielleicht die Lösung. Darüber würde er auf jeden Fall nachdenken.
Zuvor jedoch würde er all seine Kräfte einsetzen um der Welt seine Ordnung wiederzugeben. Erfüllt von neuem Tatendrang legte er das Album an seinen Platz zurück und nahm wieder die Zeitung zur Hand. Sich daran erinnernd, wie Ginny Weasley während des Kampfes auf Harry zu gelaufen war und Harry sie in seine Arme gezogen hatte, war Albus zuversichtlich, dass Harry Potter nicht vorhatte der nächste Dunkle Lord zu werden.
Als Ginny und Harry das ehemalige Hauptquartier des Dunklen Lords erreichten, rückte Ginny näher an Harry heran und klammerte sich an seinen Arm. Die Festung nach ihrem Sieg wiederzusehen, weckte zwiespältige Gefühle in ihr. Auch wenn es ihr gelang die Erinnerung an ihren Aufenthalt im Kerker rasch zu verdrängen, war sie doch froh über Harrys Vorschlag erst einen Spaziergang im Park zu machen, ehe sie zu seinen alten Gemächern gingen um noch einige Sachen von ihm zu holen.
Während sie langsam einen der schmalen Pfade entlang schlenderten, erzählte Ginny Harry von ihrem Besuch in St. Mungo. Zusammen mit Bill was sie gestern Nachmittag dort gewesen und hatte nach den zwei kleinen Muggelkindern gesucht, deren Schicksal ihr einfach keine Ruhe gelassen hatte.
„Ihre Eltern haben nicht überlebt.", sagte sie traurig.
„Ich bin gerade dabei meine Eltern zu überreden sie zu adoptieren, wenn sie keine andere Familie mehr haben.", fügte sie hinzu, sah zu den Bäumen hinauf und versuchte nicht darüber nachzudenken, ob es nicht doch einen Weg gegeben hätte die Muggelfamilie zu retten.
Harry drückte schweigend ihre Hand und fragte einen Moment später:
„Weißt du, wie es Anne und den anderen Mädchen geht?"
„Nein. Ich habe nichts mehr von ihnen gehört, aber ich werde ihnen bald schreiben. Eines steht jedoch fest: vergessen werden sie es nicht."
„Wir alle werden es nicht vergessen.", sagte Harry leise und blieb stehen.
Ginny folgte seinem Blick und erkannte, dass sie in der Nähe von Lily Potters Rosengarten standen.
„Wollen wir hineingehen?"
Harry schüttelte den Kopf.
„Lass uns zum See gehen."
Ginny nickte und warf Harry einen Seitenblick zu. Diesmal war sie es, die seine Hand drückte.
Und als sie ihre Schritte den seinen anpasste, wanderten ihre Gedanken unvermittelt zu ihren Eltern, die ihrer heutigen Verabredung mit Harry nur widerwillig zugestimmt hatten. Da der gestrige Zeitungsartikel sie erschüttert und lediglich ihre Sorge um Harry verstärkt hatte und nicht, wie ihr Vater gehofft hatte, ihre Meinung über ihn geändert hatte, war die Diskussion natürlich weitergegangen. Ihr Dad hatte sie sogar gefragt, ob sie Harry wirklich liebte oder es sich bloß eingeredet hatte, weil er sie gerettet hatte und glaubte ihm etwas schuldig zu sein. Darüber war Ginny so zornig gewesen, dass sie immer noch nicht wusste, wie sie es geschafft hatte sich davon abzuhalten ihre Eltern anzuschreien und ihnen mit zusammengebissenen Zähnen zu erklären, dass dies nicht stimmte und sie sich ihrer Gefühle völlig sicher war.
Zu Ginnys Erleichterung hatten ihre Eltern letztendlich nachgegeben, doch der Gedanke ihrer Familie mit ihrer Entscheidung für Harry Kummer zu bereiten tat ihr weh. Und das Wissen, dass ihre Eltern sie nur beschützen wollten, machte die ganze Sache auch nicht besser.
„Woran denkst du?"
So plötzlich aus ihren Gedanken gerissen, sagte Ginny das erstbeste, das ihr einfiel:
„Ach, ich musste gerade an den Zeitungsartikel denken, der gestern im Tagespropheten stand."
Wie sich herausstellte, hatte Harry besagten Artikel ebenfalls gelesen. Er lachte leise und legte einen Arm um ihre Schultern.
„Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Ginny. Ich wette mit dir, dass sie es nicht wagen werden mich zu verhaften."
„Und wenn doch?"
„Dann steht mir die ganze Welt offen. Sie würden mich niemals finden.", sagte Harry und schien nicht im Geringsten besorgt.
„Aber ich denke nicht, dass es dazu kommen wird. Komm, setzen wir uns ans Ufer."
Als sie ein schattiges Plätzchen gefunden hatten, richtete Harry seinen Blick auf den See und fing ohne Übergang an ihr zu erzählen, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte. Er erzählte ihr von seinem Kampf mit Voldemort, von dem kleinen Buch, das er im Rosengarten seiner Mutter gefunden hatte und von dem Gespräch, das er mit seinem Vater geführt hatte.
„Ich weiß, dass Dad Recht hat. Wenn ich mich nicht dazwischen geworfen hätte, hätte sie der erste Fluch getroffen und doch…"
„…gibst du dir trotzdem die Schuld.", führte Ginny seinen Gedanken zu Ende und legte eine Hand auf Harrys Arm.
„Aber es war nicht deine Schuld, Harry. Es war Voldemorts. Er war es, der den Krieg angefangen hat und deine Mutter entführt hat."
Als Harry sich langsam zu ihr drehte und sie anschaute, sagte sie hart:
„Und dafür hat er bezahlt. Für alles, was er je getan hat."
Mit sanfterer Stimme fügte sie hinzu:
„Es ist vorbei, Harry. Du hast ihn besiegt. Es ist vorbei."
Harry schüttelte den Kopf und hob ihr Kinn empor.
„Ich habe es nicht alleine getan, Ginny. Du vergisst welchen Anteil meine Mutter und du an unserem Sieg hatten. Ohne euch wäre die Dunkle Seite nie besiegt worden."
Harry streichelte ihr zärtlich über die Wange.
„Du hast mich aus meiner Gleichgültigkeit geholt, Ginny. Du hast mich gerettet, als ich mich in meiner Magie verloren habe."
Ein Schauder lief durch seinen Körper und er wandte den Blick ab.
„Weißt du, dass ich mir nach dem Kampf mit Voldemort geschworen habe nie wieder schwarze Magie anzuwenden?"
Er sah sie an und sagte mit bitterem Unterton:
„Nicht einmal einen Tag später habe ich meinen Schwur gebrochen. Doch als Godric's Hollow angegriffen wurde, da habe ich…ich habe einfach reagiert, Ginny. Dass ich schwarze Magie benutzt habe, war mir überhaupt nicht bewusst! Erst später ist es mir aufgefallen. Aber…"
Ein jähes Lächeln erhellte Harrys Gesicht.
„…ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, wie ich verhindern kann, dass ich mich in meiner Magie verliere. Es hilft mir an dich zu denken, Ginny. An dich und deine Liebe."
Er ergriff ihre Hand und ihre Finger verflochten sich.
„Ich liebe dich, Ginny.", flüsterte er.
„Du bist mein Licht in der Dunkelheit."
Ginny starrte in seine smaragdgrünen Augen und als Harry sich zu ihr beugte und sie küsste, schlang sie ihre Arme um ihn. Ja, dachte sie glückselig.
Er liebte sie.
Doch umgekehrt verhielt es sich ebenso. Während sie sein Licht in der Dunkelheit war, so war Harry ihres und Ginny wusste: wie auch immer die Zukunft aussehen würde, solange sie beide sich liebten, würden sie alles überstehen.
A/N: Und hiermit wäre die Geschichte zu Ende. Vielen herzlichen Dank an alle, die sich die Mühe gemacht haben mir ein Review zu schreiben! Über Kommentare und Meinungen würde ich mich jedoch natürlich weiterhin freuen.
Und wem die Geschichte gefallen hat und mehr lesen möchte, folgende Geschichten spielen in derselben Welt:
die Vorgeschichten:
„Licht in der Dunkelheit"
„Selbst in der dunkelsten Nacht"
die Fortsetzung:
„Stille Tränen"
