Kapitel 3 – Das Mishima Anwesen

Am nächsten Morgen wachte Lara früh auf. Sie war noch immer sehr müde, aber schlafen konnte sie jetzt nicht mehr. Sie hatte ihr Zeitgefühl komplett verloren, erst der Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits sechs war. Langsam erhob sie sich aus dem Bett. Sie suchte frische Anziehsachen aus ihrer Tasche und machte sich auf ins Badezimmer um zu duschen.

Das kalte Wasser half ihr wach zu werden. Langsam begann sie sich Gedanken zu machen, was sie heute tun könnte. Für den Abend hatte sie Karten für das Kampfturnier, wo sie Heihachi sehen konnte, aus der ersten Reihe; eine sehr gute Gelegenheit ihn in Aktion zu sehen, aber bis dahin war es noch eine ganze Weile, vor allem nachdem sie jetzt so früh wach war.

Als sie dabei war sich anzuziehen, fiel ihr endlich ein, was sie heute machen könnte. Sie könnte losziehen und sich das Mishima Anwesen ansehen. Lara packte ihr Fernglas und ihre vertrauten HK USP Matchs, sowie weiteres brauchbares Equipment in ihre Tasche, warf sie über ihre Schulter und ging nach unten zum Frühstück. Sie aß nicht wirklich viel, packte sich aber etwas für den Tag ein. Dann begab sich Lara zur Rezeption um dort ein Motorrad zu mieten. Sie wählte bewusst ein Motorrad, da es sich leichter verstecken ließ als ein Auto. Sie konnte auch nicht mit dem Bus fahren, da das Mishima Anwesen abgelegen war und nichts in diese Richtung fuhr. Sie hätte auf jeden Fall einen langen Fußweg vor sich.

Etwa um 11 Uhr erreichte Lara das Mishima Anwesen. Ein großer elektrisch gesicherter Zaun umgab das Grundstück und am Haupttor waren eine Barriere und ein Wachhaus. Auch die Auffahrt war von mehreren Männern bewacht. Downeys Worte klangen in ihrem Ohr 'Von Croy's Hochhaus ist nichts im Vergleich'. Er hatte es wohl richtig eingeschätzt. Hier konnte Lara jedenfalls nicht einfach so mit einem Paraglider hinein segeln. Das Mishima Anwesen lag ohnehin auf dem höchsten Punkt der Umgebung und außerdem hatte Lara das Gefühl, dass selbst der Himmel gut bewacht war. Diverse, nach oben gerichtete Kameras auf den Dächern des Wachhauses und einiger kleinerer Pagoden deuteten darauf hin. Auch das Haupttor schien keine Option zu sein. Das Wachhaus war gut besetzt und weitere Kameras taten dort ihren Dienst.

Lara fuhr am Zaun entlang, bis sie etwas Abstand zwischen sich und das Tor gebracht hatte. Hier versteckte sie ihr Motorrad hinter einem Busch und holte ihr Fernglas aus dem Rucksack. Wieder einmal machte es sich bezahlt, dass sie das teuerste Modell gewählt hatte. Das Haus was sehr weit vom Zaun entfernt, obwohl sie schon eine Stelle gesucht hatte, wo der Zaun näher am Haus verlief und wo die Sicht auf die Villa frei war. Lara sah sich um und suchte sich die Stelle mit der besten Sicht aus. Auf dieser Seite sah das Anwesen weniger bewacht aus, aber auf den zweiten Blick erkannte Laras geübtes Auge, dass auch hier Kameras installiert waren, gut versteckt auf Steinsäulen und an Bäumen. An der Gestaltung des Gartens konnte man erkennen, dass Heihachi Mishima wirklich Geld hatte, alles war bis auf das kleinste Detail perfekt. Ein riesiger Pool lag vor dem Haus und außen herum fand man unzählige Steinstatuen und exotischen Pflanzen. Alles in allem eine perfekte Kombination aus einem klassischen japanischen Garten und einem neumodischen Urlaubsparadies. Laras Augen fielen auf eine Person, die in einem Sonnenstuhl beim Pool saß. Er hatte silber-weißes Haar, und ein makelloses, perfektes Gesicht. Lara fand ihn auf Anhieb attraktiv. Er trug ein weißes, kurzärmliges Hemd, welches sich aber an den Schultern spannte und darauf hindeutete, dass der Träger ein gut gebauter Mann war. Trotzdem wirkte er ganz anders als Heihachi, wie sie ihn auf dem Bild gesehen hatte, welches Downey ihr geschickt hatte. Lara war sich sicher, dass dieser Mann nicht mit Heihachi blutsverwandt war, sondern vermutlich Lee Chaolan, sein adoptierter Sohn. Sie bemerkte, dass er mit jemandem im Pool sprach, also suchte die die Wasseroberfläche ab. Dies erwies sich aber als unnötig, da die Person gerade aus dem Wasser stieg. Mit einer flüssigen Bewegung hatte er sich am Beckenrand hoch gestoßen und kletterte hinaus. Auch dieser zweite Mann hatte eine gut gebaute Figur und auf den ersten Blick wirkten seine Schultern noch breiter, als die des anderen Mannes. Lara erkannte sofort die Frisur. Obwohl er gerade aus dem Wasser gekommen war, waren seine Haare perfekt zurück und leicht nach oben gegelt.

"Kenne ich Dich nicht irgendwoher?" sagte Lara zu sich selbst. "Das ist der Mann von gestern. – Kazuya Mishima." Er musste es sein. Auch er sah zwar Heihachi nicht sonderlich ähnlich, aber Lara war sich trotzdem sicher. Sie beobachtete ihn genau. Zuerst hatte sie ihn nur von hinten gesehen, aber als er sich ein Handtuch genommen hatte, drehte er sich um. Lara erkannte eine Narbe auf seiner Brust, davon hatte Downey nichts erzählt. Sein Gesicht wirkte nicht so sanft wie das des anderen jungen Mannes, aber das machte ihn nicht weniger attraktiv, im Gegenteil Lara fand es sogar ansprechender.

"Ok, Lady, denk an Downeys Worte, er ist gefährlich… Lee Chaolan ist der Mann der Wahl. Es geht hier ums Geschäft."

Eine Zeit lang beobachtete Lara die zwei Männer weiter. Lee redete auf den anderen Mann ein und dieser nickte. Lara war leicht genervt, dass sie nicht verstehen konnte, was sie sagten. Sie unterhielten sich für weitere 10 Minuten und verschwanden dann im Haus. Lara benutzte ihr Fernglas um weiter das Gelände zu erkunden. In der Ferne sah sie weitere Gebäude, unter anderem ein Teehaus. Sie schlich am Zaun entlang um näher zu kommen. Kurz darauf kamen die zwei Männer wieder aus dem Haus und verschwanden einen Steinpfad den Berg hoch. Schon bald konnte sie sie nicht mehr sehen und sie kamen auch nicht wieder. Schließlich beschloss Lara zu ihrem Motorrad zurückzukehren.

Mit diesem fuhr Lara weiter am Zaun entlang, bis sie irgendwann zum Ende kam, wo die Straße nicht länger am Grundstück vorbei, sondern davon weg führte und sich der Zaun den Berg hoch fortsetzte. Dort war der Zaun zwar weniger hoch, aber auch unerreichbar.

Lara beschloss schließlich wieder in die Stadt zurück zu kehren. Sie kehrte zu ihrem Hotel zurück und rief von dort aus Downey an, um ihm mitzuteilen, was sie herausgefunden hatte.

"Ich hatte Dir gesagt, dass das kein Spaziergang wird. Du solltest Dich nicht vom friedlichen Aussehen des Gartens täuschen lassen. Jeder Millimeter ist überwacht und selbst wenn Du hinein gelangst, bist Du noch nicht an Heihachi vorbei. Der Mann muss nichts fürchten, Du wirst heute Abend sehen, was ich meine."

"Warum begleiten sie mich heute Abend nicht, Professor?"

"Ich muss lange arbeiten. Aber wenn Du mit mir persönlich reden möchtest, habe ich jetzt gerade Zeit, eine Pause zu machen. Hast Du Hunger?"

"Einen Bärenhunger," entgegnete Lara.

"Wie wäre es mit japanischem Essen?"

"Ach warum nicht. Wenn ich schon mal hier bin."

"Ich hole Dich an Deinem Hotel ab, warte in der Eingangshall."

"Dann sehe ich Sie später", sagte Lara und legte auf.

Lara wartete auf Downey und dann fuhren sie gemeinsam zu einem edlen Restaurant, welches Downey ausgewählt hatte. Lara hätte eine durchschnittliche Sushi Bar genügt, aber beschweren wollte sie sich sicher nicht.

"Sie glauben also, dass Lee Chaolan hilfreich für mich sein könnte?" begann Lara die Unterhaltung.

"Vielleicht. Ich habe keine bessere Idee, wie Du sonst an Heihachi herankommen könntest. Ich vermute, dass Mr. Lee auch heute Abend beim Kampf da sein wird. Versuche einfach mal an ihn heranzukommen. Ach ja richtig, bevor ich es vergesse, ich habe auch einen Zeitplan für Dich. Außerdem habe ich auch eine Anfahrtsskizze dabei."

Downey überreichte Lara die zwei Flyer und sie sah sie sich gründlich an.

"Kazuya Mishima kämpft ebenfalls heute?" stellte sie überrascht fest.

"So scheint es. Heihachis Kampf ist um 7, der von seinem Sohn um 9."

"Das ist geradezu perfekt. So kann ich über beide etwas in Erfahrung bringen."

"Lara, was immer Du tust, versprich mir, vorsichtig zu sein. Es heißt, dass manche Leute, die mit den Mishimas Geschäfte hatten, spurlos verschwunden sind."

"Ich bin immer vorsichtig und heute Abend werde ich nur beobachten."

"Wir sollten jetzt essen, ich muss gleich ins Museum zurück", beendete Downey das Gespräch.

Für eine Weile aßen sie in Stille, bis Lara wieder sprach.

"Glauben sie, dass Heihachi das Artefakt in seinem Haus hat?"

"Ich bin mir sicher, dass es irgendwo auf dem Mishima Anwesen versteckt ist."

"Wäre es dann nicht klüger, wenn ich mir das heute Nacht noch mal vornehme, wo alle bei dem Kampf sind?"

"Wie willst Du es finden, ohne weitere Informationen? Du würdest Wochen damit verbringen, danach zu suchen."

"Das ist natürlich wahr. Also gut, dann werde ich mal sehen, was Mr. Lee für mich tun kann."

Nach dem Essen kehrte Downey ins Museum zurück und Lara fuhr wieder zu ihrem Hotel. Dort packte sie sich ein paar nützliche Dinge, die eine Frau wie sie immer dabei haben musste, in ihren Rucksack.