Kapitel 8:
Lizzie hatte ungeduldig auf die Rückkehr ihres Vaters aus Derbyshire gewartet. Vielleicht hatten die beiden Männer, die sie am meisten liebte, ja doch eine Art der Verständigung gefunden. Aber ein Blick auf das grimmige Gesicht ihres Vaters zerstörte ihr diese Hoffnung. Was war bloß geschehen und wie ging es ihrem Verlobten? Sie wusste, egal wie schlecht die Nachrichten sein würden, sie musste erfahren, was zwischen ihrem Vater und Mr. Darcy vorgefallen war.
So suchte sie ihren Vater auf, kaum hatte er sich in die Bibliothek zurückgezogen. "Was hat er gesagt?", fragte sie, "Was ist los, Papa?" "Was er gesagt hat, willst du wissen? Er hat einiges gesagt, Lizzie, aber nur wenig Erfreuliches und nichts von Belang."
"Papa", mahnte Lizzie ihn, "bitte spann mich nicht auf die Folter. Was ist vorgefallen?" "Nichts ist vorgefallen, Lizzie", erwiderte Mr. Bennet, "er hat mir gesagt, wie viel er Wickham gezahlt hat. Und er hat einmal mehr bewiesen, dass er ein arroganter unerträglicher Mensch ist." "Wieso? Was hat er denn gemacht?", erkundigte sich Lizzie hastig. Angst stieg in ihr auf. Sie wusste um Fitzwilliams wahren Charakter, wusste aber auch, dass er, wenn er wütend war, sein gutes Benehmen auch einmal vergessen konnte, vor allem wenn es um sie ging.
"Er hat mir sozusagen unter die Nase gerieben, dass das Geld, was wir ihm schuldig sind, für ihn nur ein Pappenstiel ist und sich dabei auf die unmöglichste Art und Weise erkundigt, ob wir überhaupt in der Lage sind, ihm sein Geld zurückzuzahlen", Mr. Bennets Stimme hob sich vor Verärgerung über Mr. Darcys Herablassung. "Er wollte gewiss nur sicher gehen, dass unsere Familie keinen Nachteil davon hat, wenn er dein Geld annimmt", versuchte Lizzie ihren Vater zu beruhigen. "Lizzie, ich verstehe nicht, wie du ihn verteidigen kannst. Wenn du dabei gewesen wärst, würdest du gewiss anders denken. Du kannst es dir nicht vorstellen diese Worte", Mr. Bennet ahmte Mr. Darcys Stimme nach, "'Ich verdiene das Dreifache im Jahr! Denken Sie tatsächlich, dass es mich in irgendeiner Weise "betrifft", ob Sie mir die dreitausend Pfund zurückzahlen oder nicht. Meine Schwester hat eine zehnmal so große Mitgift!', ich bin noch nie mit solcher Herablassung behandelt worden und dann sagte er noch 'Aber wenn es Ihnen schon so wichtig ist, Ihre eingebildeten Schulden bei mir zu bezahlen, können Sie Wickham auch die tausend Pfund zahlen, die ich ihm jährlich dafür versprochen habe, dass er Ihre Tochter nicht wieder verlässt. Oder erschöpft das die Möglichkeiten Ihres Geldbeutels?' Was sagst du nun, Lizzie? Hast du jetzt immer noch Mitleid mit ihm?"
Lizzie hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen. Mr. Darcy hatte sich wirklich nicht besonders höflich gegenüber ihrem Vater verhalten, im Gegenteil seine Worte waren beleidigend und voller Spott. Sie verstand, wieso ihr Vater erbost war. Er hatte ihren Vater eindeutig beleidigen wollen, aber wieso?
"Papa, Mr. Darcys Worte waren wirklich nicht besonders höflich, ich verstehe, dass du wütend bist, aber ich kann nicht glauben, dass er es einfach so gesagt hat", tat Lizzie ihre Meinung zu Mr. Darcys Worten kund, "Vielleicht war er einfach schlechtgelaunt oder erbost über etwas, was du gesagt hast. Er ist nämlich eigentlich ein liebenswerter Mensch."
"Ein liebenswerter Mensch?", brauste Mr. Bennet auf, "ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der weniger liebenswert ist als Mr. Darcy. Das Einzige, was mich für Mr. Darcys ungehobeltes Benehmen entschädigt, ist die Genugtuung, die ich empfunden habe, als ich ihn darüber informieren konnte, dass du nur aus Dankbarkeit seinen Heiratsantrag angenommen hast. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, Lizzie. Ich habe niemals einen Mann gesehen, dem die Liebe so zugesetzt hat. Du hättest sehen sollen, wie er sich am Tisch festgeklammert hat, als ich ihm den Verlobungsring wiedergegeben habe. Es war sowieso ein Wunder, dass er noch stehen konnte, bei den Mengen Alkohol, die er alleine während meines Besuches zu sich genommen hat." Mr. Bennet lachte bitter auf. "Ich hoffe bloß, er erschießt sich nicht vor lauter Liebeskummer, obwohl er schien nahe daran, sein Leben zu beenden."
Bei diesen Worten sprang Lizzie entrüstet auf. "Wie kannst du dich nur so über ihn lustig machen? Wie kannst du dich nur so an dem Schmerz eines anderen Menschen weiden? Er leidet und du findest das witzig. Wie kannst du nur so unbarmherzig sein?", schrie sie, dann fügte sie leiser und nachdenklich hinzu: "Selbstmord, oh mein Gott, wenn er es wirklich täte…" Bei diesen Worten traten Tränen in ihre Augen.
Mr. Bennet starrte seine Tochter perplex an. Wie sehr sie dieser Mann berührte? Ob sie ihn doch liebte, von ganzem Herzen und unabhängig von Dankbarkeit und familiärer Verpflichtung? Aber, nein, das konnte doch nicht sein. Wie könnte seine Tochter jemals einen so unhöflichen, herablassenden und arroganten Mann lieben? Es war gewiss nur ihre allgemein mitfühlende Seele, die sie Mitleid mit Mr. Darcy haben ließ.
"Ich denke nicht, dass Mr. Darcy an Selbstmord denkt. Er wäre doch viel zu stolz dazu, sein Leben nur deshalb zu beenden, weil er nicht die Frau heiraten kann, die er liebt. Außerdem glaube ich nicht, dass er dich wirklich liebt, Elisabeth. Er will dich nur besitzen. Er hat dich zum Beispiel nur mit deinem Vornamen angeredet, als gehörest du ihm. Und als ich wissen wollte, wie viel Geld wir ihm schuldig sind, nannte er als Grund, dass er mein Geld nicht annehmen wollte, die Befriedigung, die es ihm gebe, dass er das Geld für dich ausgegeben hat. Als ob er sich deine Zuneigung mit dem Geld erkaufen könnte. Absolut lächerlich!"
Lizzie begann im Zimmer hin und her zu laufen. Die letzten Worte ihres Vaters hatte sie kaum gehört. Das Einzige, woran sie denken konnte, war, dass Fitzwilliam sich wegen ihr umbringen könnte, und von Minute zu Minute stieg ihre Angst davor. Sie musste etwas tun, nur was?
"Komm, Lizzie", meinte Mr. Bennet, den seine durchs Zimmer streifenden Tochter nervös machte, "wenn du spazieren gehen willst, mache dies doch draußen an der frischen Luft und nicht in meiner Bibliothek. Und hör bitte auf dir Sorgen wegen Mr. Darcy zu machen. Er wird an seinem Liebeskummer schon nicht umkommen und selbst wenn, ist er selber schuld daran. Bei diesem Benehmen sollte er sich nicht wundern, dass ihn keine vernünftige Frau heiraten will." Mit diesen Worten schob er seine Tochter aus der Bibliothek.
Lizzie wusste nicht, wie sie das Gespräch mit ihrem Vater genau einschätzen sollte, beschloss aber, dem Rat ihres Vaters zu folgen und einen Spaziergang zu machen. Das würde ihre Gedanken ordnen. Sie machte sich auf den Weg nach Meryton, während sie das Gespräch mit ihrem Vater immer wieder in ihrem Kopf durchspielte.
Sie versuchte klar zu denken, aber es war ihr nicht möglich. Immer wieder hörte sie die Worte: "Ich hoffe bloß, er erschießt sich nicht vor lauter Liebeskummer, obwohl er schien nahe dran sein Leben zu beenden." Könnte ihr Fitzwilliam tatsächlich so was tun? Sie glaubte es nicht, aber dann dachte sie wieder daran, wie verletzt er sein musste. Er hatte einiges für sie ertragen, hatte sein Verhalten geändert, hatte sogar den Mann, der sein größter Feind war, aufgesucht, um ihn dafür zu bezahlen, ihre Schwester zu heiraten, und war sich dann noch nicht einmal zu schade gewesen, sich mit ihr und ihrer Familie zu verbinden, und nun musste er Abweisung und Missbilligung ertragen. Das war nicht gerecht! Wenn jemand es verdient hatte zu leiden, war sie das, die sie ihre ganze Familie mit ihrer schlechten Meinung von ihm negativ beeinflusst hatte, aber doch nicht er.
Lizzie bemerkte kaum, dass sie schon in Meryton war, bis sie auf einmal fast von einer Kutsche angefahren worden wäre. Blitzschnell hechtete sie zur Seite und da kam ihr die Idee: Sie musste ihn aufsuchen und ihn davon überzeugen, dass sie ihn immer noch liebte. Es durfte nicht passieren, dass er sich ihretwegen noch etwas antat. Sie könnte nicht damit leben. Nein, er musste wissen, dass ihre Liebe ihm immer noch sicher war. Sie dachte nicht darüber nach, was ein solches Handeln ihrerseits nach sich ziehen würde, sie tat einfach das, was ihr in diesem Moment richtig erschien. Sie lief zu der Poststation, um sich einen Platz in der nächsten Postkutsche zu sichern. Leider hatte sie nur wenig Kleingeld dabei, aber als sie ihren kleinen Kreuzanhänger als Pfand anbot, bekam sie, was sie wollte, wenn auch der Postbeamte sie leicht verwirrt ansah. Er kannte die Bennets und wunderte sich, wieso die Zweitälteste der Mädchen vollkommen allein nach Derbyshire reisen wollte. Doch er sagte nichts dazu, jedenfalls nicht vor Lizzie. Aber sobald sie die Poststation verlassen hatte, konnte er einfach nicht anders als jedem weiteren Kunden davon zu erzählen.
Lizzie selbst bekam davon jedoch nichts mehr mit, denn schon eine Viertelstunde später fuhr eine Postkutsche nach Norden los und sie war schon auf dem Weg zu ihrem Verlobten, als die Gerüchte um ihre merkwürdige Reise in Meryton und Umgebung die Runde machten.
Zunächst waren Lizzies Gedanken nur mit dem Wunsch ihren Verlobten wieder zu sehen und der Hoffnung, ihn von dem Schlimmsten abhalten zu können, beschäftigt. Doch je mehr Lizzie über die ganze Situation nachdachte, desto mehr musste sie einsehen, dass sie viel zu überstürzt gehandelt hatte. Sie war wie Lydia einfach abgehauen und wenn sie auch nicht wie diese eine ganze Weile mit einem Mann von zweifelhaftem Charakter in den schäbigsten Vierteln Londons hausen würde, ihr Ruf würde nach diesem Ausflug genauso ruiniert sein. Auch konnte Lizzie nach reiflicher Überlegung nicht mehr glauben, dass ihr Verlobter kurz vor einem möglichen Selbstmord stand. Sie wusste zwar, dass Fitzwilliam verletzt und gekränkt sein würde, von dem was ihr Vater ihm glaubhaft gemacht hatte, aber er war nicht der Mann, der sich wegen einer Frau das Leben nahm.
So bereute Lizzie diese Reise schon, bevor sie nur in Sichtweite ihres Ziels gekommen war, und dachte ernstlich darüber nach, umzukehren, um ihrer Familie Angst und Sorgen zu ersparen. Aber als ihr klar wurde, dass sie die Schande, die sie mit ihrem unüberlegten Handeln über ihre Familie bringen würde, auch durch eine reuige Rückkehr nicht verhindern konnte, entschied sie sich, wenn sie schon sich selbst und ihre Familie in Verruf gebracht hatte, wenigstens noch etwas Gutes aus dieser ganzen unangenehmen Sache zu ziehen und ihren Fitzwilliam nichtsdestotrotz aufsuchen. Sie musste ihn einfach wieder sehen und ihm gestehen, wie es um ihre Gefühle tatsächlich bestellt war, auch wenn die Freude ihn bald wieder zu sehen, nun deutlich durch ihre Besorgnis bezüglich der Reaktion ihrer Familie und der Leute in Meryton getrübt wurde. Schließlich hatte sie nicht einmal eine Notiz hinterlassen, die besagte, wohin sie unterwegs war. Niemand wusste von ihrem Vorhaben. Oh, was würde sich ihr Vater für Sorgen machen!
Lizzie vergoss bittere Tränen darüber, wie sehr sie mit ihrem Handeln ihrer Familie geschadet hatte und sie alle ihre Lieben und vor allem ihren Vater beunruhigt haben musste. Aber dennoch kehrte sie nicht um. Ja, was sie getan hatte, war unentschuldbar, aber ihre sofortige Rückkehr konnte die Dummheit, die sie begangen hatte, auch nicht wieder rückgängig machen. Nein, für Lizzie stand fest, dass sie ihre Entscheidung schon getroffen hatte, und wenn ihre Versöhnung mit Fitzwilliam, die Abkehr von ihrer Familie und ihrem alten Leben bedeuten würde, dann musste das wohl so sein und sie würde nichts daran ändern können. In diesem Moment war ihr trotz aller Reue klar, dass ihr Handeln, so falsch es auch gewesen war, auch die einzige Möglichkeit gewesen war, eine Aussöhnung mit ihrem Verlobten herbeizuführen. Sie hatte sich zwischen ihrer Familie und ihrem Verlobten entschieden und, bevor ihr überhaupt bewusst gewesen war, dass sie eine wichtige Entscheidung traf, ihren Verlobten gewählt. Diese Entscheidung wollte und konnte sie, so sehr sie auch die Folgen für sich selbst und ihre Familie bedauerte, nicht rückgängig machen.
Kapitel 9:
Nachdem sie fast zwei Tage gereist war, stand Lizzie endlich vor den Toren Pemberleys. Das letzte Wegstück von Lambton nach Pemberley hatte sie zu Fuß zurückgelegt. Der Schnee hatte mehr als nur den Saum ihres Kleides durchnässt und ihr Haar war durch den Wind in Unordnung geraten. Sie war sehr froh, dass sie in dieser Situation nicht Miss Bingley gegenüber treten musste. Zwar hatte sie das Geläster von Bingleys Schwestern einfach immer nur ignoriert, doch heute war sie so müde und erschöpft von der langen Reise und dem Fußmarsch, dass sie nicht glaubte, dass ihre Kräfte einem Zusammentreffen mit den "Lästerschwestern" gewachsen seien. Als sie von einer überraschten Mrs. Reynols begrüßt wurde, fiel ihr kaum noch eine höfliche Begrüßung ein. Stockend kamen ihr folgende Worte über die Lippen: "Mrs. Reynolds, guten Tag, ich wollte Mr. Darcy sehen. Könnten Sie mich zu ihm führen?"
Mrs. Reynolds grüsste sie höflich und brachte sie zu Miss Darcy ins Musikzimmer. Lizzie sah sich suchend im Zimmer um und stellte fest, dass die Person, die sie zu sehen wünschte, nicht dort war. "Miss Darcy, darf ich fragen, wo Ihr Bruder?", erkundigte sie sich ungeduldig nach Mr. Darcy. "Mein Bruder ist in der Bibliothek", antwortete die überrumpelte Georgiana und fuhr dann, an ihre Pflichten als Gastgeberin erinnert, fort, "aber wollen Sie sich nicht erstmal frisch machen?" "Nein, ich möchte zuerst mit Ihrem Bruder sprechen", entgegnete Lizzie bestimmt und fügte dann freundlicher hinzu, "bitte, Miss Darcy, wie finde ich ihn?" "Die erste Tür auf der rechten Seite im ersten Stock, aber…", begann Georgiana, doch Lizzie unterbrach sie: "Danke, Miss Darcy" und war schon aus dem Zimmer verschwunden. Leise führte Georgiana ihren Satz zu Ende: "…aber er wollte unter keinen Umständen gestört werden."
Als Lizzie die Bibliothek betrat, sah sie Mr. Darcy an einem Schreibtisch. "Ich habe doch gesagt, mich soll keiner stören. Ich habe zu tun.", war seine sofortige Reaktion auf das Öffnen der Tür. Doch dann hob er seine Augen zu dem Eindringling auf und hielt inne. Er sah Lizzie mit dem ihm eigenen eindringlichen Blick an und Lizzie wusste erst gar nicht genau, was sie sagen sollte. Sie hatte so lange darüber nachgedacht, wie sie ihn begrüßen würde. Doch nun blieb sie stumm. Kein Wort kam von ihren Lippen. Auch Darcy schwieg, er schien darauf zu warten, dass sie etwas sagte oder tat. Schließlich fand sie ihre Sprache wieder: "Fitzwilliam"
Darcy wand seinen Blick abrupt von ihr ab. "Fitzwilliam, was ist los?", wollte Lizzie wissen. Dieser wandte sich ihr wieder zu, aber diesmal war sein Blick nicht nur durchdringend, sondern auch kühl: "Darf ich fragen, was Sie hier wollen, Miss Bennet?" Lizzie zuckte bei der unpersönlichen Anrede zusammen. "Wieso nennst du mich nicht mehr Elisabeth?", fragte sie gekränkt. "Wir sind nicht mehr verlobt.", erwiderte Darcy kühl. Er versuchte ruhig und gelassen zu klingen, aber das Beben in seiner Stimme verriet seine Erregung. "Habe ich denn je etwas getan, was dich zu der Annahme geführt hat, dass ich dich nicht heiraten will, trotz allem?" Mr. Darcy stand erbost auf und schmiss ihr den Verlobungsring vor die Füße. "Zählt das etwa nicht als Beweis deiner Ablehnung?" Seine Stimme war deutlich lauter geworden. In dem Versuch seine Selbstbeherrschung wiederzuerlangen, drehte er sich zum Fenster um.
Lizzie stand perplex da und wusste nicht, was sie als Entschuldigung vorbringen sollte. Sie hob den Ring auf und legte ihn wortlos auf Darcys Schreibtisch. Sie trat einige Schritte zurück und begann dann stockend: "Es tut mir leid, Fitzwilliam. Eigentlich bin ich gekommen, weil ich mit dir reden wollte. Aber nun sehe ich, dass mein Besuch nur alte Wunden aufreißt. Das wollte ich nicht. Und wenn ich endgültig zu spät komme…" sie hielt inne, "Ich meine, Mr. Darcy, wenn Sie möchten, dass ich wieder gehe, werde ich das auf der Stelle tun. Ich möchte Ihnen, dir, nicht mit meiner Anwesenheit zur Last fallen und Sie sicher nicht weiter belästigen. Also, soll ich wieder verschwinden, Fitzwilliam, sag es mir ehrlich, soll ich wieder abreisen? Ist es das, was du willst?" Lizzie waren Tränen in die Augen getreten und ihr Blick war auf Darcys Rücken fixiert. Schließlich kam die knappe Antwort Darcys: "Ja, es ist mir lieber, du gehst." Er sah nicht, wie Lizzie daraufhin erschreckt nach Luft schnappte. Schnell jedoch besann sie sich wieder und entgegnete: "Ich gehe dann jetzt, ich wünsche Ihnen, dass Sie glücklich werden, Mr. Darcy, und Gottes Segen." Dann drehte sie sich um und rannte aus dem Zimmer. Sie eilte die Treppe hinunter und hätte fast einen Bediensteten umgerannt.
Als sie das Haus verließ, bemerkte sie, dass sie ihren Umhang im Haus vergessen hatte. Sie schwankte, ob sie zurücklaufen sollte oder nicht, entschied sich aber dafür. Dass Mr. Darcy sie nicht sehen wollte, war kein Grund zu erfrieren. Sie trocknete schnell ihre Tränen. Denn schließlich musste nicht jeder von Darcys Angestellten gleich sehen, dass er sie zurückgewiesen hatte. Als sie fast bei der Tür zum Haus angelangt war, kam Mr. Darcy ihr entgegen. Entschieden drehte sie sich wieder um. Dann würde sie halt ohne Umhang zurück nach Lambton laufen. Lieber frieren als noch mal Mr. Darcy gegenübertreten zu müssen.
Doch Mr. Darcy ließ sie nicht so einfach gehen. "Miss Bennet", rief er ihr hinterher, "ich meinte nicht, dass Sie sofort gehen müssen? Wo wollen Sie überhaupt hin? Sie werden sich bei diesem Wetter sicher den Tod holen?" "Na, und?", schrie Lizzie zurück, "das kann Ihnen doch egal sein!" Ungebetene Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie wollte hier weg, sie musste hier weg. Entschlossen stapfte sie durch den Schnee vom Haus weg. Mr. Darcy folgte ihr humpelnd. "Miss Bennet, Elisabeth, wieso sind Sie überhaupt hier? Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie wieder mit Ihrer Tante und Ihrem Onkel Urlaub machen?" "Wieso ich hier bin, geht Sie nichts an, Mr. Darcy. Kümmern Sie sich um die Unterlagen auf Ihrem Schreibtisch und lassen Sie mich in Ruhe." Während sie das sagte, hatte Lizzie einen kurzen Moment nicht auf den Weg geachtet und war über eine Stufe gestolpert. Sie schrie vor Schmerz auf, was dazu führte, dass Mr. Darcy an ihre Seite eilte. "Elisabeth, geht es dir gut? Ist alles okay bei dir?"
Als er ihr Gesicht anhob, sah er, dass dem nicht so war. Tränen rannen Lizzie über die Wangen und sie presste vor Schmerz die Lippen zusammen. "Es tut mir leid, Elisabeth", bemerkte er mit rauer Stimme. Lizzie war nicht ganz klar, ob er ihren schmerzenden Fuß oder etwas anderes meinte. Und er selbst wusste es wohl auch nicht so genau. "Tut es sehr weh?", wollte er mitfühlend wissen. Lizzie nickte nur. Darcy ergriff ihre Hand und drückte sie leicht. "Soll… darf ich nachschauen, ob du… Sie dir was gebrochen hast?" Lizzie nickte erneut und Darcy zog ihr vorsichtig den Schuh aus und befühlte sanft ihren Fuß. "Es ist nichts gebrochen", stellte er fest, ließ aber ihren Fuß nicht los. Selbstvergessen strich er über ihren zierlichen Fuß, bis er schließlich Lizzies Blick auf sich spürte. Schnell ließ er ihren Fuß los und stand hastig auf. "Ich werde jemanden rufen, der dich reinbringen kann oder denkst du, dass du es mit meiner Hilfe bis zum Haus schaffst." Er wagte es nicht sie anzuschauen.
"Ich denke, ich schaffe es bis zum Haus", erwiderte Lizzie mit leiser Stimme. Darcy blickte zu ihr runter. Der liebevolle Blick in ihren Augen bewegte ihn dazu sich instinktiv zu ihr herunter zu beugen. Gerade wollte er sanft ihre Stirn küssen, als er hinter sich eine Stimme hörte: "Mr. Darcy, was ist denn passiert? Hat sich Miss Bennet verletzt?" Darcy seufzte leise auf. Wieso musste Mrs. Reynolds sie gerade in diesem Augenblick stören?
Er drehte sich um und entgegnete: "Miss Bennet ist über diese Stufe gestolpert. Vielleicht könnten wir sie zusammen stützen, so dass sie sich im Haus hinlegen kann." Mrs. Reynolds stimmte zu und Mr. Darcy und Mrs. Reynolds brachten Miss Bennet ins Haus zurück. Dort hatte Mr. Darcy aber erst auch nicht die Möglichkeit, ein paar Minuten allein mit ihr zu verbringen, denn Mrs. Reynolds bestand darauf, dass Miss Bennet zur Aufwärmung ein warmes Bad nehme, und da Darcy sah, dass Lizzie vor Kälte zitterte, und keineswegs wollte, dass sie erkrankte, stimmte er zu, obwohl es bedeutete, dass er eine Weile von seinem Gast getrennt sein würde. Er beschloss zurück an seine Arbeit zu gehen, doch da er sich auf nichts konzentrieren konnte, gab er es schließlich auf und wanderte im Flur vor dem Zimmer, in dem Miss Bennet untergebracht war, hin und her.
Schließlich kam Lizzie heraus, während sie sich auf eine Dienerin stützte. Sie lächelte, als sie sah, dass Mr. Darcy schon auf sie gewartet hatte. Mit einem "Danke, ich helfe Miss Bennet jetzt", schickte er die Dienerin weg, während er Miss Bennet seinen Arm anbot. Lizzie nahm seine Hilfe gerne in Anspruch und ließ sich von ihm die Treppen in das Musikzimmer hinunterführen. Erst sagte Mr. Darcy nichts, so dass Lizzie schon befürchtete, dass sie ihn vorhin missverstanden hatte und er immer noch nicht bereit war, ihr zu vergeben, aber dann bemerkte er plötzlich mit gesenkter Stimme: "Elisabeth, ich hoffe es geht dir besser. Ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn dir etwas passiert wäre." Lizzie war zunächst etwas überrascht von der Liebe in seinen Worten und wusste nicht, was sie entgegnen sollte, dann aber fing sie sich wieder und antwortete leise: "Ja, mir geht es besser, danke nochmals für deine Gastfreundschaft." Darcy zuckte bei diesen Worten merklich zusammen. "Meine Gastfreundschaft? Elisabeth, ich habe mich dir gegenüber unhöflich und grob verhalten. Wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du dir sicher nicht den Knöchel verstaucht. Ich hoffe nur, du wirst mir mein ungehobeltes Verhalten verzeihen. Ich, oh, Lizzie, ich war nur so überrascht dich hier zu sehen, dass meine Gefühle mit mir durchgegangen sind. Aber das ist keine Entschuldigung für mein Verhalten dir gegenüber, ich könnte gut verstehen, wenn du mich nun nie wieder sehen möchtest." Er wandte sein Gesicht von ihr ab.
Lizzie drückte sich näher an ihn und presste leicht seine Hand: "Fitzwilliam, hör doch bitte auf, dir Vorwürfe zu machen. Es ist doch vollkommen verständlich, dass du mich nach allem, was passiert ist, nicht mehr wieder sehen wolltest. Ich habe mich dir gegenüber auch nicht gerade fair verhalten. Was mein Vater dir über mich erzählt hat, muss dich sehr verletzt haben." "Ja, das hat es", erwiderte Darcy, "aber sag mir nur eins: Ist es wahr, was er gesagt hat?" "Dass ich dich nur aus Dankbarkeit heiraten wollte?", fragte Lizzie sanft nach. Darcy nickte nur stumm. "Nein, das ist nicht wahr. Ich bin dir natürlich schon dankbar für das, was du für uns, mich getan hast, aber das war nicht der Grund, warum ich dir meine Zustimmung gegeben habe. Ich liebe dich, wieso glaubst du mir das nicht endlich?" Lizzies Stimme klang fast schon frustriert bei diesen Worten und Darcy wollte ihr erklären, wieso er so misstrauisch war und erklärte: "Deine Reaktion auf meinen ersten Antrag hat wohl dazu geführt, dass es mir schwer fällt an deine Liebe zu glauben, vor allem, wenn dein Vater mir versichert, dass du mich sowieso nur aus Dankbarkeit angenommen hast. Ich wollte es nicht glauben, aber es schien alles dagegen zu sprechen, dass du etwas für mich empfindest und der Ring hat mich dann vollends überzeugt, dass du mich nie geliebt hast." "Natürlich der Ring", entfuhr es Lizzie, "ich hätte ihn nie aus der Hand geben sollen." "Dann tue es jetzt nicht wieder", entgegnete Darcy. Er nahm liebevoll ihre Hand in die seine und steckte ihr erneut den Verlobungsring auf den Finger. Dann hob er ihre Hand und küsste sie leicht. Lizzie blickte zärtlich zu ihm hoch und lächelte. Wieder einmal wünschte Darcy sich mit ihr allein zu sein, aber da sie schon fast das Musikzimmer erreicht hatten und er seine Schwester nicht warten lassen wollte, bezwang er den Wunsch, sie an einen etwas privateren Ort zu entführen, und begnügte sich damit zurückzulächeln.
