Kapitel 11:
Am nächsten Tag verließen Lizzie und Mr. Darcy Pemberley in Richtung Hertfordshire. Zunächst saßen sie sich schweigend in der Kutsche gegenüber. Beide wussten nicht genau, wie sie vor den Dienern, die sie mitgenommen hatten, miteinander reden sollten. Es gab so viel, was sie dem anderen sagen wollten, aber andererseits waren diese Dinge auch zu persönlich, um sie in der Gegenwart von anderen auszusprechen. So sprachen sie über das Wetter, das Reisen allgemein und ähnliche Themen, bis sie schließlich ganz verstummten und sich stattdessen verstohlene Blicke zuwarfen, die dem anderen sagen sollten, was auszusprechen sie nicht wagten.
Nach dem ersten Halt um die Mittagszeit saßen sie dann plötzlich nebeneinander. Dies bot ihnen die Gelegenheit sich nicht nur mit Blicken, sondern auch mit kleinen Gesten ihre Zuneigung zu zeigen. Wie zufällig legte Lizzie ihre Hand leicht auf Darcys Oberschenkel und genauso zufällig berührte er diese mit der seinen. Beide schauten sich nicht an, sondern in verschiedene Richtungen. Sie hätten die Charade der Zufälligkeit dieser Berührung nicht vor den Diener aufrechterhalten können, hätten sie sich angeschaut. Aber so wirkten beide eher unbeteiligt, wenn auch die leichte Röte in Lizzies Gesicht eine andere Sprache sprach.
Die Bediensteten bemerkten zu dem Verhalten ihres Masters und der jungen Dame nichts, obwohl sie sich, wenn die Herrschaften gerade nicht hinschauten, wissende Blicke zuwarfen.
Als es Abend wurde, hielt man in einem kleinen Dorf an. Darcy und Lizzie betraten gleich das Gasthaus des Dorfes und Darcy fragte den Wirt nach zwei Zimmern. „Zwei Zimmer, Sir, das wird schwierig. Wir sind derzeit völlig ausgebucht", antwortete dieser und blätterte in seinen Büchern. „Ja, wir haben nur noch ein Zimmer frei, Sir, aber einem so frischverheirateten Paar wie Ihnen macht das sicher wenig aus." Er zwinkerte Darcy zu. Dieser bemerkte nichts dazu, sondern teilte dem Wirt nur schnell mit, dass er dieses Zimmer nehmen würde, nahm die Zimmerschlüssel entgegen und entfernte sich wieder, während ihm eine nicht wenig aufgebrachte Lizzie folgte.
Kaum hatten sie das Gasthaus verlassen, machte Lizzie ihrem Ärger Luft: „Was denkst du dir eigentlich? Wir sind doch überhaupt nicht verheiratet! Wieso hast du das dem Wirt nicht gesagt? Wie kannst du überhaupt unter diesen Umständen ein Zimmer für uns beide mieten? Ich dachte, du würdest mich respektieren und nichts tun, um meinen Ruf noch weiter zu gefährden und nun das! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wenn jemand herausfindet, dass wir nicht verheiratet…" Hier unterbrach sie Darcy: „Elisabeth, beruhige dich bitte. Bald weiß es jeder. Denkst du, das ist sinnvoll? Es ist besser, man hält dich für meine Ehefrau als andersherum. Was würden denn die Leute sagen, wenn sie wüssten, dass wir nicht verheiratet sind?" Lizzie wollte etwas entgegnen, aber Darcy ließ sie nicht zu Wort kommen, sondern erklärte ihr mit gedämpfter Stimme: „Glaub mir, Elisabeth, es ist besser, wir tun so als wären wir verheiratet. An ein verheiratetes Paar erinnert sich niemand noch nach der Abreise, aber ein Mann und eine Frau, die alleine unterwegs sind und weder verheiratet noch verwandt sind, sorgen unweigerlich für Gesprächsstoff. Und meine Diener werden gewiss schweigen, sie sind vertrauenswürdig, deshalb bitte sei jetzt ruhig und spiele mit."
Lizzie verstand langsam, was Darcy meinte, und doch konnte sie sich damit nicht so einfach zufrieden geben. Sie würde nicht mit ihm in einem Zimmer schlafen, so lange sie noch nicht verheiratet waren. Das war einfach nicht richtig. Und doch, was sollte sie anderes tun? Sie saß in der Falle: Gab sie zu, dass sie nicht verheiratet waren, wäre ihr Ruf ruiniert, und sagte sie nichts dazu und spielte mit, musste sie auch mit ihm das Zimmer teilen und dann war ihr Ruf, käme ihre Lüge heraus, erst recht ruiniert. Wo hatte sie Mr. Darcy hier nur mit hineingezogen?
Flüsternd, dafür aber umso erboster erwiderte sie: „Und das ist die perfekte Möglichkeit für dich mich in dein Bett zu locken. Vielleicht ist das ja alles, was du wolltest. Und da unsere Verlobung nicht offiziell ist, bist zu nichts verpflichtet, nicht? Schlau eingefädelt, Mr. Darcy! Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen, Sie haben mich in eine Falle gelockt! Und ich dachte, Sie meinten es ernst, ich glaubte an deine Liebe, aber das war wohl auch nur ein mieser Trick…" Lizzie wandte sich von Darcy ab, Tränen schimmerten in ihren Augen. Hatte er sie etwa nur getäuscht? War das alles, was er von ihr gewollt hatte?
Darcy war erstmal sprachlos vor Schock angesichts der Worte seiner Verlobten, dann jedoch wurde ihm deutlich, dass er ihre Befürchtungen zerstreuen musste, wenn er wollte, dass sie wieder Vertrauen zu ihm hatte, deswegen lief er Lizzie, die sich von ihm entfernt hatte, hinterher. Kurz hinter ihr sprach er sie an: „Elisabeth." Keine Reaktion, sie blieb nicht einmal stehen. Erneut adressierte er sie: „Lizzie." Er sah, wie sie angesichts dieser vertrauten Anrede zusammenschreckte und stehen blieb. Er machte einen Schritt auf sie zu. „Ich liebe dich, Lizzie, und es ist nicht so, dass es keine verlockende Aussicht wäre mit dir das Bett zu teilen, aber denkst du wirklich, ich hatte das vor? Ich werde bei den Bediensteten im Stall schlafen oder es mir in der Kutsche bequem machen. Ich wollte nur, dass du ein warmes und bequemes Bett hast. Das war der einzige Grund, wieso ich dieses Zimmer gemietet habe."
Lizzie drehte sich überrascht um. War das wahr? Es musste wahr sein, der leicht verletzte und immer noch geschockte Gesichtsausdruck ihres Verlobten wies darauf hin. „Es tut mir leid", flüsterte sie, die Augen auf den Boden gerichtet. Darcy machte eine abwehrende Geste und doch sah Lizzie, dass ihn ihre Anschuldigungen tief verletzt hatten. Schweigend ließ sie sich von ihm zurück in das Gasthaus führen. Drinnen angekommen fragte Darcy sie: „Möchtest du dich zuerst frisch machen oder gleich etwas essen?" „Ich möchte erst etwas essen", erwiderte Lizzie. Sie wollte ihren Fehler wiedergutmachen und glaubte dies wäre bei einem Gespräch während des Essens vielleicht möglich. Doch dazu sollte es nicht kommen, weder zu dem Essen noch zu einem solchen Gespräch. Denn kaum hatten sie sich hingesetzt, hörten sie den Wirt, der ganz in ihrer Nähe stand, sagen: „Wir haben kein Zimmer mehr, Sir. Das letzte Zimmer wurde gerade eben von diesem jungen Ehepaar gemietet." Lizzie hob bei diesen Worten die Augen, um zu sehen, wer der Gast war, der nun kein Zimmer mehr bekommen würde. Als sie den Mann anblickte, hätte sie fast vor Schreck aufgeschrieen. Es war ihr Vater!
Mr. Darcy war Lizzies erschreckter Blick nicht entgangen. Er schaute hoch, wer oder was sie so eingeschüchtert hatte, und bemerkte Mr. Bennet, der ihn mit einem unheilverheißenden Blick anstarrte. Er stand auf, um Mr. Bennet zu begrüßen und wollte auch Lizzie hochhelfen, aber da hatte ihn Mr. Bennet schon erreicht.
„Mr. Darcy, ich hätte es mir denken können! Sie können wohl einfach nicht die Hände von meiner Tochter lassen, was? Sagen Sie mir nur eins: Sind Sie wirklich mit meiner Tochter verheiratet oder nicht?"
„Papa, Mr. Darcy und ich sind nicht verheiratet", gab Lizzie ohne weitere Umstände zu. Ihre Stimme bebte dabei und war kaum mehr als ein Flüstern. Sie wollte noch mehr hinzufügen, aber Mr. Bennet hatte schon auf ihre Worte reagiert. „Ist das so, Mr. Darcy", fuhr er ihren Verlobten an, „dann verlange ich Genugtuung für die so offensichtliche Schändung der Ehre meiner Tochter!" Lizzie erblasste. „Nein, Vater, bitte nicht!", rief sie aus, doch weder ihr Vater noch Mr. Darcy beachteten sie.
Darcy war aufgestanden und antwortete mit eisiger Entschlossenheit: „Ich bin nur zu bereit Ihnen Genugtuung zu geben, doch ich bin auch ohne solche Drohungen bereit Ihre Tochter zu heiraten und nicht nur weil es meine Pflicht wäre. Ich liebe Ihre Tochter und sie liebt mich, also Mr. Bennet, verlangen Sie immer noch nach Genugtuung?"
„Ich wäre dumm, wenn ich es tun würde, Mr. Darcy", entgegnete Mr. Bennet mit unterdrücktem Zorn, „Sie nehmen mir jeden Grund mich mit Ihnen zu duellieren, aber ich würde es dennoch verdammt gerne tun. Doch ich bin klug genug Ihr Angebot anzunehmen, würden Sie mir nun gestatten kurz alleine mit meiner Tochter zu sprechen?" „Natürlich", war die ebenso unterkühlte Antwort Darcys, bevor er sich ohne einen weiteren Blick auf Lizzie oder ihren Vater entfernte.
Lizzie, obwohl sie die Unterhaltung der beiden aufmerksam verfolgt hatte, wusste nicht genau, was sie denken sollte. Was bedeutete dies alles?
Sie war noch völlig abwesend mit ihren Gedanken, als ihr Vater anfing zu sprechen: „Hast du den Verstand verloren, Lizzie? Ich hatte dich für klüger als deine Schwester gehalten und nun das! Du rennst von zu Hause weg wegen diesem Mann und nimmst dir sogar ein Zimmer mit ihm zusammen. Erklär mir das bitte, Lizzie! Denn ich kann es einfach nicht verstehen."
„Papa", begann Lizzie, „Du verstehst das vollkommen falsch. Mr. Darcy hat dieses Zimmer für mich allein gemietet und er hat mich nur als seine Ehefrau ausgegeben, um böse Gerüchte zu verhindern. Seine Absichten sind edel, Papa. Er würde niemals etwas tun, was meinem guten Ruf schaden würde."
Ihr Vater schaute sie ungläubig an. „Und das glaubst du?", erkundigte er sich skeptisch, „Lizzie, in welcher Welt lebst du? Mr. Darcys Absichten sind ganz offenkundig und keineswegs edel. Wie kannst du nur auf solche Lügen hereinfallen? Ich hätte dich für vernünftiger gehalten." „Papa, es sind keine Lügen", widersprach Lizzie, „Mr. Darcy meint es ernst mit mir. Ich weiß das! Ich liebe ihn, Papa. Wieso verstehst du das nicht?"
„Vielleicht weil du ihn, seit du ihn das erste Mal getroffen hast, aus tiefster Seele hasst", konterte Mr. Bennet. „Aber Papa, ich war damals dumm, verblendet, beleidigt. Er ist so ein guter Mann, der beste, den ich jemals getroffen habe. Oh, Papa, ich liebe ihn so sehr! Ich habe ihn wahrlich nicht immer geliebt, aber ich liebe ihn nun von ganzem Herzen. Bitte versteh das doch!"
„Ich verstehe schon", entgegnete Mr. Bennet, „er hat dir den Kopf verdreht und fühlst etwas für ihn, was du für Liebe hältst, aber bitte Lizzie, überdenke deine Entscheidung noch einmal. Er ist arrogant, ein absoluter Snob, herablassend und unhöflich. Willst du wirklich mit ihm dein ganzes Leben verbringen? Lizzie, ich werde dich nicht zwingen ihn zu heiraten wegen diesem Fehler. Niemand weiß davon und es muss auch niemand erfahren. Natürlich wird es Gerüchte geben, aber willst du nur wegen dem, was die Leute sagen, dein ganzes Leben wegschmeißen?"
„Wieso wegschmeißen?", erwiderte Lizzie, „Ich kann mir keine bessere Art mein Leben zu verbringen vorstellen als an seiner Seite. Selbst wenn diese ganze Sache nicht passiert wäre, wenn ich nicht von zu Hause weglaufen wäre, würde ich ihn heiraten wollen. Ich kann mir nicht mehr vorstellen ohne ihn zu leben. Ich bin nur froh, dass er mich immer noch heiraten möchte." „Oh, Lizzie", schrie ihr Vater auf, „wie blind bist du? Es ist nicht so, dass du diejenige bist, die sich schämen muss. Er sollte sich schämen für sein Verhalten. Er hat dich als seine Gattin ausgegeben, wollte dich in sein Bett locken und du sprichst davon, dass du ihn nicht verdient hast! Ja, du hast ihn wirklich nicht verdient, du bist nämlich viel zu gut für ihn. Gibt es denn nichts, was dich davon abbringen kann Mr. Darcy zu heiraten? Lizzie, denk wenigstens noch einmal darüber nach!"
„Nein, Papa, es gibt nichts, was mich davon abbringen könnte Mr. Darcy zu heiraten", antwortete Lizzie bestimmt. „Dann zwingst du mich zu der äußersten Maßnahme!", hielt Mr. Bennet ihr entgegen. „Willst du mir etwa verbieten ihn zu heiraten?", begehrte Lizzie auf, die diese Unterhaltung langsam nervte.
„Nein", erklärte Mr. Bennet, „unter diesen Umständen wäre es äußerst dumm von mir, dies zu tun. Und nachher würdest du erneut weglaufen, wenn ich es täte. Nein, ich werde dir nicht verbieten, Mr. Darcy zu heiraten, aber du sollst wissen, dass du in meinem Haus nicht mehr willkommen bist, wenn du diesen Mann heiratest. Natürlich wirst du noch bis zur Hochzeit auf Longbourn leben, doch danach will ich dich dort nie wieder sehen. Es fiel mir schon schwer genug, Lydia mit diesem Schuft Wickham zu sehen. Nicht einmal sie hat einen solchen Mann verdient, aber dich mit diesem nichtswürdigen Darcy zu sehen, könnte ich nicht ertragen. Denn ich weiß, Lizzie, dass er dir das Herz brechen wird! Er wird dir nur Kummer und Leid bringen und ich könnte es nicht ertragen dich unglücklich zu sehen. Deine Schwestern und deine Mutter dürfen dich gerne besuchen, aber ich will dich nie wieder sehen, sobald du deinen Namen in Darcy geändert hast. Ich hoffe, du hast mich verstanden, Elisabeth. Also überdenke deine Entscheidung gut!" Mit diesen Worten stand er auf und verließ seine völlig verstörte Tochter, die vor Bestürzung nicht ein einziges Wort mehr herausbrachte.
