Kapitel 12:
Lizzie hätte im Nachhinein nicht sagen können, wie lange sie noch wortlos an dem Tisch gesessen hatte. Sie weinte nicht einmal, sie saß nur wie gelähmt da und versuchte zu verstehen, was ihr Vater ihr gerade eben gesagt hatte. Schließlich stand sie auf und schleppte sich aus dem Gasthaus hinaus. Sie brauchte etwas frische Luft. Sie nahm auf dem Weg nach draußen nichts wahr außer der bleiernen Müdigkeit, die auf ihr lag. Selbst an ihrem Verlobten, der draußen auf sie gewartet hatte, wäre sie einfach so vorbeigegangen, hätte er sie nicht bei ihren Schultern gepackt. „Was ist los, Elisabeth? Was hat dein Vater gesagt?", wollte er beunruhigt wissen. Er wusste nicht, wieso seine Verlobte kalkweiß im Gesicht war, aber er war entschlossen, es herauszufinden. Lizzie blickte ihn verwirrt an. Sie hatte nicht damit gerechnet ihn hier zu treffen. „Fitzwilliam", flüsterte sie leise und berührte sein Gesicht leicht mit ihrer Hand.
„Lizzie, was ist los? Hat dein Vater seine Einwilligung verweigert?", erkundigte sich dieser erneut, diesmal eindringlicher. War es das, was sie belastete und wenn ja, wie konnte man Mr. Bennet umstimmen?
„Nein", erwiderte Lizzie nur und brach dann plötzlich in Tränen aus. Darcy zog sie in seine Arme und bat sie ihm mitzuteilen, was sie belastete. Als Lizzies Tränen etwas versiegt waren, berichtete sie ihm von ihrem Gespräch mit ihrem Vater: „Mein Vater hat mir nicht verboten, dich zu heiraten, aber er hat mich vor die Wahl gestellt. Er hat gesagt, wenn ich dich heirate, will er mich nie wieder sehen. Ich werde dann in Longbourn nicht mehr willkommen sein und, auch wenn meine Schwestern und meine Mutter den Kontakt zu mir halten dürfen, er will mich, sobald ich Elisabeth Darcy heiße, nichts mehr mit mir zu tun haben. Er verstößt mich sozusagen, wenn ich deine Ehefrau werde."
Fitzwilliam verzog grimmig das Gesicht. Dass Mr. Bennet so weit gehen würde, Lizzie, wenn sie ihn heiratete, zu verstoßen, hatte er nicht für möglich gehalten. Er spürte, wie sehr ein solcher Erpressungsversuch seine Verlobte verletzt hatte und Ärger stieg in ihm auf. Aber er war bereit seinen Zorn herunterzuschlucken und Lizzie ihre Trennung, die er jeden Augenblick erwartete, nicht noch schwerer zu machen. Bemüht beherrscht löste er sich langsam von Elisabeth. „Ich verstehe natürlich, Elisabeth", bemerkte er kühl und fügte dann noch hinzu: „Ich hätte dich sehr geliebt. Du hättest es bei mir gut gehabt."
Lizzie blickte überrascht zu ihm auf und erkannte schließlich hinter seiner unberührten Miene in seinen Augen die Angst sie zu verlieren. Sie streichelte leicht seine Wange. „Ich lasse mich nicht erpressen, Fitzwilliam, auch nicht von meinem Vater. Ich werde dich heiraten. Meine Entscheidung steht fest", teilte sie ihm bestimmt mit. Sie sah die Freude in Darcys Augen aufleuchten und hob ihren Kopf näher zu ihm empor. „Ich liebe dich, ich werde dich nicht verlassen."
Ihr Verlobter war beruhigt, dennoch hielt er es für wichtig Lizzie nicht gleich zu einer Entscheidung zu zwingen. Er wollte, dass sie ihre Entscheidung in Ruhe traf und sich nicht von ihm gedrängt fühlte. Er wusste, wenn sie diese Entscheidung gegen ihren Willen und nur ihm zuliebe traf, würde sie ihn irgendwann dafür hassen. „Lizzie, es macht mich glücklich, dass du unsere Verlobung trotz den Worten deines Vaters nicht lösen willst, aber ich bitte dich, darüber noch länger nachzudenken. Das ist eine Entscheidung, die dein ganzes Leben beeinflussen wird. Und wenn dein Vater bei seinem Entschluss bleibt, wirst du es eventuell bereuen mich geheiratet zu haben. Ich weiß, wie eng die Beziehung zu deinem Vater immer war, ich will nicht der Grund sein, dass ihr euch entfremdet", erklärte er ernst.
„Mein Vater und ich haben uns schon entfremdet", entgegnete Lizzie, „Er hätte mich nicht vor eine solche Entscheidung gestellt, wenn es nicht so wäre. Und selbst wenn ich dich nicht heirate, wird die Beziehung zu meinem Vater niemals so wie früher sein. Ich könnte ihm nie vergeben mich von dir getrennt zu haben und er könnte mir nicht vergeben, dass ich abgehauen bin, um dich zu sehen. Fitzwilliam, ich lass mich nicht durch meinen Vater von dir trennen. Das ist doch was er erreichen will mit diesem Erpressungsversuch. Die Frage ist nur, ob du mich immer noch heiraten willst nach allem, was mein Vater dir vorgeworfen hat."
„Natürlich will ich dich heiraten", erwiderte Darcy etwas ausweichend. Er wusste, wie schwer Lizzie die Trennung von ihrem Vater fallen würde, egal, was sie ihm jetzt erzählte. Er wünschte sich, sie würde diese Entscheidung nicht so leichtfertig treffen, selbst wenn diese zu seinen Gunsten ausfiel. Er wusste, was es bedeutete einen Vater zu verlieren und dass es keineswegs einfach war damit umzugehen, und er wollte ihr das gerne deutlich machen, bevor sie eine Entscheidung traf, die sie später bereuen würde. Aber ehe er noch etwas hinzufügen konnte, dass sie sich das alles nicht zu leicht vorstellen sollte, meinte Lizzie entschlossen: „Dann ist ja alles entschieden!" und küsste ihn. Sie wollte nach dem Gespräch mit ihrem Vater einfach nur vergessen, was vorgefallen war, und den Trost ihres Verlobten spüren.
Ihre Lippen auf seinem Mund vertrieben alle Ermahnungen, die er sich in seinem Kopf überlegt hatte. Alle Gedanken verschwanden aus seinem Gehirn außer dem Wunsch sie nicht mehr loszulassen. Er erwiderte ihren Kuss leidenschaftlich und zog sie eng an sich. Sie durfte nicht gehen, war alles, was er denken konnte.
„Elisabeth", rief Mr. Bennet verärgert aus. Lizzie und Mr. Darcy drehten sich überrascht herum. Direkt hinter ihnen stand Mr. Bennet und sah wenig begeistert aus. „Ich sehe, du hast deine Entscheidung schon getroffen, Elisabeth", bemerkte er sarkastisch. „Ja", entgegnete Lizzie aufmüpfig, „meine Entscheidung steht fest, Papa." „Gut", erwiderte dieser kühl, „aber ich würde dich dennoch bitten mitzukommen. Wir reisen sofort nach Longbourn ab. Mr. Darcy kann jedoch gerne nachkommen und dir den Hof machen." Mit einem letzten feindseligen Blick zu Mr. Darcy bestieg er die gerade bereitstehende Postkutsche und überließ es Lizzie ihm zu folgen oder nicht. Lizzie verabschiedete sich schnell von Mr. Darcy ohne es aber zu vergessen, ihn noch einmal daran zu erinnern, dass er ihr folgen sollte und dass sie seine Ankunft in Hertfordshire erwarten würde, und stieg dann hinter ihrem Vater in die Kutsche. Der Abschied von Mr. Darcy fiel ihr schon jetzt so schwer, dass ihr klar wurde, dass sie es nicht aushalten würde erneut für längere Zeit von ihm getrennt zu sein. Ihre Entscheidung stand fest. Da konnte ihr Vater nichts dran ändern.
Kaum waren sie losgefahren, schien Mr. Bennet aber auf das allbekannte Thema zurückkommen zu wollen. „Elisabeth, ich werde meine Entscheidung auch nicht ändern. Meine Worte waren völlig ernst gemeint und nicht nur eine bloße Drohung. Du bist nicht mehr meine Tochter, wenn du Mr. Darcy heiratest."
Lizzie brauste daraufhin auf: „Denkst du, ich will noch deine Tochter sein, wenn du meinen Ehemann ablehnst. Nein, Sir, meine Entscheidung steht fest. Ich lass mich nicht von dir erpressen. Ich liebe Fitzwilliam und wir werden heiraten."
„Das werden wir noch sehen", erwiderte Mr. Bennet grimmig. Danach herrschte feindseliges Schweigen zwischen den beiden. Lizzie war so wütend auf ihren Vater, dass sie gar nicht erst einen Versuch machen wollte sich mit ihm auszusöhnen oder ihn zur Vernunft zu bringen. Doch je länger ihre Reise dauerte, desto mehr wich ihr Ärger so etwas wie Trauer. Sie würde ihren Vater für immer verlieren, wenn sie den Mann, den sie liebte, tatsächlich heiratete. Aber Fitzwilliam aufzugeben, das konnte sie sich auch nicht vorstellen. Wieso war das alles nur so schwierig? Wieso konnte ihr Vater nicht einfach ihre Liebe zu Mr. Darcy akzeptieren? Sie verstand einfach nicht, wieso er jeden Schritt, den ihr Verlobter machte, gegen ihn auslegen musste. War sein Verhalten nur pure Eifersucht oder hielt er Mr. Darcy tatsächlich für den falschen Mann für sie und glaubte ernsthaft, er würde sie nur unglücklich machen? Sie wusste es einfach nicht. Ihr kam es so vor, als würde sie ihren eigenen Vater plötzlich nicht mehr kennen und das machte sie traurig und jagte ihr auch ein bisschen Angst ein. Schließlich hatte sie bisher geglaubt, ihren Vater zu kennen und nun schien es ihr so als wäre er ein völlig Fremder für sie. Das verletzte sie zutiefst.
Die ersten Tage wieder in Longbourn waren sehr hart für Lizzie: Ihr Vater behandelte sie weiterhin wie Luft und ihre Mutter machte ihr ständig Vorwürfe und hatte beständig neue hysterische Anfälle. Und dann war da bei Lizzie noch die unterschwellige Angst, dass Fitzwilliam nicht zu ihr zurückkommen würde, dass sie in dieser Situation auf sich selbst gestellt bliebe. Und während sie gegenüber ihrer Familie vollkommen ruhig blieb, konnte sie nicht verhindern, dass sie sich nachts in ihrem Bett hin und her warf und Probleme wälzte. Traf sie wirklich die richtige Entscheidung? Sollte sie für Mr. Darcy tatsächlich ihre gute Beziehung zu ihrem Vater opfern? Gab es nicht vielleicht noch einen anderen Weg? War es denn nicht vielleicht möglich ihren Vater und Mr. Darcy miteinander zu versöhnen? Wieso musste sie zwischen den Männern, die ihr am meisten bedeuteten, eine Entscheidung treffen? Und wieso hatte sie das Gefühl, dass sie unglücklich werden würde, egal welche Entscheidung sie traf?
Endlich nach vier Tagen tauchte Mr. Darcy in Longbourn auf, er hatte vorher einige wichtige Geschäfte in London erledigt und hatte dann die Bingleys besucht.
Er war zuerst zu Mr. Bennet in die Bibliothek gegangen, um noch einmal mit diesem zu reden. „Mr. Bennet", begann er, „ich verstehe natürlich, dass Sie nach den Ereignissen der letzten Woche gewisse Vorurteile mir gegenüber gefasst haben, und kann durchaus verstehen, warum Sie mir Ihre Tochter nicht zu Frau geben wollen, aber bitte geben Sie mir doch die Möglichkeit, Ihnen zu beweisen, dass ich Miss Bennets würdig bin. Ich liebe Ihre Tochter wirklich sehr, aber ich möchte nicht, dass sie sich deshalb von Ihnen entfremdet. Ich weiß, wie vertraut Ihre Beziehung zu Elisabeth immer gewesen ist. Bitte zerstören Sie das nicht, ich weiß, es würde Elisabeth schwer treffen, wenn Sie wegen mir auf immer brechen. Bitte lassen Sie das nicht geschehen! Ich könnte es nicht ertragen, sie so verletzt zu sehen.
Mr. Bennet blickte Mr. Darcy ernst an und erwiderte: „Wenn Sie sich so um das Wohl meiner Tochter sorgen, dann nehmen Sie doch einfach Ihren Antrag zurück und verschwinden Sie aus Elisabeths und meinem Leben. Aber das wollen Sie nun auch wieder nicht, oder? Sie sind sehr selbstsüchtig in Ihrer Liebe, wenn Sie sie nicht zu ihrem Glück freigeben wollen, Mr. Darcy!"
„Selbstsüchtig?", fragte Mr. Darcy empört, „Ihre Tochter und ich lieben uns, daran können Sie nichts ändern, Mr. Bennet. Glauben Sie tatsächlich Ihre Tochter würde glücklich, wenn ich Sie verließe? Denken Sie, sie würde mich einfach so mir nichts, dir nichts vergessen? Da irren Sie sich, Mr. Bennet. Sie würde unglücklich sein und es wäre alles Ihre Schuld!"
„Und mit Ihnen wird sie nicht unglücklich, Mr. Darcy?", entgegnete Mr. Bennet mit sarkastischem Unterton, „Denken Sie wirklich, Ihre Liebe würde Lizzie genügen, wenn Sie von ihrem Zuhause verbannt ist? Dann sind Sie ein weniger intelligenter Mann als ich dachte, Mr. Darcy."
Wütend begann Mr. Darcy das Zimmer zu durchschreiten. „Sie bleiben also bei Ihrer Entscheidung, Mr. Bennet. Schön, aber ich lasse mich von Ihnen nicht erpressen genauso wenig wie Elisabeth. Ich werde Ihre Tochter heiraten!" Mit diesen Worten verließ er die Bibliothek. „Tun Sie das nur!", rief ihm Mr. Bennet hinterher, „Sie werden sehen, Sie werden meine Tochter nur unglücklich machen!"
Nachdem das Gespräch mit Mr. Bennet nichts gebracht hatte, kehrte Mr. Darcy zurück in den Salon zu den anderen. Dort hörte er genervt Mrs. Bennets Tiraden über ihre ungezogene Tochter zu und wünschte sich weit weg. Er wollte mit Lizzie allein reden, wusste aber nicht, wie er eine Möglichkeit dazu bekommen konnte, doch da kam ihm glücklicherweise Mr. Bingley zur Hilfe, der alle zu einem Spaziergang anregte und bei diesem fielen Mr. Darcy und Lizzie schon bald weit hinter den anderen zurück. „Ich habe mit deinem Vater gesprochen", eröffnete Mr. Darcy die Unterhaltung. „Ich habe es vermutet, als ich dich in die Bibliothek gehen sah", erwiderte Lizzie ruhig. „Er war nicht umzustimmen, er wird seine Meinung nicht ändern, Elisabeth", fuhr er fort. „Das weiß ich Fitzwilliam", kommentierte Lizzie kurz angebunden seine Worte und setzte dann liebevoller hinzu: „Aber an meiner Entscheidung ändert das nichts." Darcy widersprach ihr sofort: „Bitte Lizzie, überdenke deine Entscheidung noch einmal. Du wirst sicher unglücklich sein, deinen Vater zu verlieren. Es scheint nicht so, als ließe er sich nachträglich noch einmal umstimmen. Er ist sehr entschieden in seiner Ablehnung mir gegenüber. Ich möchte nicht, dass du wegen mir unglücklich wirst und diese Entscheidung vielleicht dein Leben lang bereust."
Seine Verlobte blickte ihn durchdringend an und meinte dann nach einer kurzen Stille: „Wenn du nicht willst, dass ich unglücklich werde, dann verlasse mich nicht. Ich weiß, ich werde ohne meinen Vater niemals ganz glücklich sein, aber ein Leben ohne dich kann ich mir noch weniger vorstellen. Ich wünschte, ich müsste diese Entscheidung nicht treffen, aber ich muss sie nun mal treffen und ich entscheide mich für dich. Mein Vater ist meine Vergangenheit, meine Kindheit, es wird schwierig sein, sich davon zu lösen, aber du bist meine Zukunft und ohne Zukunft leben, das geht auch nicht. Bitte Fitzwilliam, stehe mir hier bei! Ich will einfach nur deine Unterstützung und Liebe hierbei, bitte mach du es mir nicht auch noch schwer."
Fitzwilliam Darcy sah Elisabeth besorgt an. Sie schien so sicher in ihrer Entscheidung und er hatte Angst, sie würde es später bereuen, aber er würde sie nicht weiter mit dieser Sache bedrängen. „Elisabeth, ich werde dir beistehen und wir werden auch heiraten, aber wenn du noch mehr Bedenkzeit brauchst oder wenn deine Entscheidung sich doch noch ändern sollte, werde ich das auch akzeptieren."
„Ich brauche nicht mehr Bedenkzeit", antwortete Lizzie ihm mit einem Lächeln, "und meine Entscheidung wird auch nie eine andere sein. Da brauchst du keine Angst zu haben." Mit diesen Worten zog sie sein Gesicht leicht zu sich hinunter und besiegelte ihr Versprechen und ihre Verlobung mit einem Kuss.
