Kapitel 17:
Mrs. Bennet, die sonst eher spät aufstand, war an diesem Morgen schon sehr früh wach. Sie war sehr aufgeregt wegen der bevorstehenden Hochzeit ihrer Tochter Elisabeth und da noch niemand sonst auf war und sie darauf hoffte, dass Elisabeth, die eine Frühaufsteher war, vielleicht auch schon wach war und sie mit dieser über die ehelichen Pflichten reden konnte, öffnete sie die Tür zu Lizzies Zimmer und wollte ihre Tochter wecken, doch in dem Bett lag niemand.
„Mr. Bennet", schrie Mrs. Bennet hysterisch, „unsere Lizzie ist entführt worden. Lizzie ist nicht in ihrem Bett. Sie ist einfach verschwunden. Wer hat es gewagt sie aus unserem Haus zu stehlen?" Mr. Bennet, der an die hysterischen Ausbrüche seiner Ehefrau gewöhnt war, nahm ihre Worte zunächst einmal nicht war und drehte sich im Bett herum, aber als seine Gattin nicht aufhörte zu kreischen und ihn zu rütteln, blieb ihm nichts anderes übrig als ihr zuzuhören.
„Was ist denn Mrs. Bennet, wieso weckst du mich um diese Zeit? Was ist denn nun schon wieder passiert?", fragte er gleichgültig.
„Lizzie ist weg", rief Mrs. Bennet entsetzt aus, „Ich weiß nicht, was wir Mr. Darcy erzählen sollen! Was wird er denken, wenn seine Braut einige Tage vor der Hochzeit verschwindet! Aber wahrscheinlich macht Lizzie das alles nur, um mich zu kränken. Sie hatte noch nie Mitleid für meine schwachen Nerven. Aber, wenn ihr wirklich etwas passiert ist, oh mein armes Kind! Ich weiß nicht, was ich tun soll? Oh, Mr. Bennet!"
Dieser blickte sie weiterhin eher unbeteiligt an und erklärte dann kühl: „Wir wissen beide, dass Lizzie gerne Morgenspaziergänge unternimmt. Sie wird sicher schon spazieren gegangen sein und zum Frühstück wieder hier sein."
„Aber Mr. Bennet", rief Mrs. Bennet aus, „es ist gerade einmal fünf. So früh steht noch nicht einmal Lizzie auf und ihr Bett war unberührt."
Mr. Bennets Gesicht verfinsterte sich und er hatte die schlimmsten Befürchtungen um seine Tochter, wenn diese auch von denen seiner Ehefrau etwas abwichen. Sie war doch nicht etwa, sie konnte nicht über Nacht Nach Netherfield zu Mr. Darcy gegangen sein, nein, das war hoffentlich nicht wahr. Schließlich war ein solches Verhalten nicht typisch für seine Tochter, aber wann hatte sie sich in der letzten Zeit schon einmal normal verhalten? Er wusste, er musste das Schlimmste befürchten! Schnell zog er sich an und erklärte seiner Ehefrau, er würde nach Netherfield gehen, um dort um Hilfe bei der Suche nach Lizzie zu bitten, obwohl er vermutete, dass er da schon seine Tochter ohne weiteres Suchen finden würde. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, Mr. Darcy solche Freiheiten vor der Hochzeit zu gestatten? Hatte sie vollständig den Verstand verloren?
Bevor seine Frau noch weiter darüber klagen würde, was sie machen würden, wenn sie ihre Tochter tot in einem Straßengraben finden würden, war er schon aufgebrochen. Das letzte, was er mitbekam, war die erschreckte Frage Marys, die durch Mrs. Bennets Hysterieanfall aufgewacht war, was denn eigentlich los sei. Aber er hatte keine Zeit noch Lust, das zu beantworten. Lizzie sollte Antworten geben, wenn sie wieder auf Longbourn war.
Auf Netherfield angekommen verlangte Mr. Bennet sofort seinen Schwiegersohn, seine Tochter und auch Mr. Darcy zu sehen. Ein Diener meinte leicht verängstigt, er würde die Herrschaften wecken. Darcy, der direkt über der Eingangshalle schlief und einen eher leichten Schlaf hatte, hörte sofort den Lärm und stand verwirrt auf, was soviel Aufregung so früh am Morgen verursachen konnte. Kaum hatte er sich sein Gesicht gewaschen, kam auch schon sein Kammerdiener und bemerkte, Mr. Bennet sei hier und sehr aufgebraucht. Eine schreckliche Vorahnung beschlich Darcy, wenn er auch noch nicht genau sagen konnte, was er genau befürchtete. Schnell zog er sich seine Hose und ein paar Schuhe über und eilte unrasiert und ohne Weste oder Jackett hinunter, um sich bei Mr. Bennet nach dem Grund seines überstürzten Besuches zu erkundigen.
„Was bringt sie so früh nach Netherfield, Mr. Bennet?", begrüßte er den Vater von seiner Verlobten.
„Das müssten Sie eigentlich am besten wissen, Mr. Darcy", erwiderte Mr. Bennet mit deutlicher Verärgerung, „Meine Frau hat heute morgen festgestellt, dass Elisabeth nicht in ihrem Bett liegt, und bin hierher gekommen um sie zu holen."
„Lizzie ist heute Nacht nicht mehr nach Hause gekommen? Sie liegt nicht wieder in ihrem Bett?", fragte Darcy geschockt, während er sich setzte, um die Nachricht zu verarbeiten. In seinem Kopf stellte er sich die schlimmsten Szenarien vor. Lizzie ermordet und voller Blut, ihre Schändung von irgendwelchen Besoffenen oder Zigeunern, ein Sturz von einem Felsen, alles Schreckliche, was einer Frau nachts alleine passieren konnte, stellte er sich vor. Seine Hände begannen zu zittern. „Oh, mein Gott", stieß er hervor. Tränen trieben ihm in die Augen, er wünschte, er hätte Lizzie nach Hause begleitet, er wünschte sogar, er hätte das getan, was er gestern noch für so falsch hielt, weil er nun befürchten musste, sie nie mehr in seinen Armen halten zu können. Wenn ihr wirklich etwas passiert war, hätte er dann wenigstens noch eine Erinnerung, die ihm seinen Schmerz erleichtern würde. Aber so hatte er nichts.
Er stützte sein Gesicht in seine Hände und verbarg so den Schmerz in seinen Augen und in seiner Seele vor Mr. Bennet.
Mr. Bennet, der einerseits verwundert war, dass er Lizzie nicht hier fand, und zunächst einen Moment brauchte, bis er verstand, was Mr. Darcy neben der Tatsache, dass Lizzie nicht auf Netherfield implizierten, meinte schließlich nach einer kurzen Pause erbost: „Sie war also hier? Damit habe ich also richtig gelegen. Sie haben sich schon vor der Hochzeit genommen, was Sie wollten. Naja, wenn ihr etwas zugestoßen ist, brauchen Sie meine Tochter nicht einmal zu heiraten." Die Verzweiflung über das Verschwinden seiner Tochter schürte seine Wut auf Mr. Darcy noch weiter. „Wie konnten Sie sie auch nur jemals nachts hierher kommen lassen, Mr. Darcy? Ich verstehe natürlich, was Sie begehrten, aber Lizzie hätte etwas passieren können. Ihr ist etwas passiert und das ist alles Ihre Schuld."
Mr. Darcy stand auf und versuchte seinen zukünftigen Schwiegervater zu beschwichtigen: „Ich wusste nicht, dass sie überhaupt kommen wollte, sonst hätte ich es ihr sicher verboten. Ich hätte Sie natürlich nicht alleine heimgehen lassen sollen, aber ich habe nicht nachgedacht und… wir können sie immer noch finden, Mr. Bennet. Lizzie ist niemand, dem so schnell etwas passiert… vielleicht macht sie nur noch einen kleinen Spaziergang."
„Ah, sie ist also eben erst von Ihnen weggegangen, oder wie?", wollte Mr. Bennet selbstgefällig wissen, „da ist zumindest Ihre Schuld bewiesen."
Doch Mr. Darcy schüttelte den Kopf, während ihm Tränen über die Wangen liefen. „Sie hat mich vor mindestens drei Stunden verlassen!"
Mr. Bennet blickte Darcy geschockt an, er wusste, was das bedeutete: Lizzie war wirklich etwas passiert.
Wütend und verzweifelt schrie er Mr. Darcy an: „Wie konnten Sie sie nur jemals nach Hause laufen lassen, Mr. Darcy! Wenn meiner Tochter irgendetwas passiert ist, dann gnade Ihnen Gott! Ich bringe Sie um, ich lasse Sie so leiden, wie meine Lizzie gelitten hat, Sie haben sie auf dem Gewissen, Sie ganz allein! Und Sie werden dafür bezahlen!"
Mit Tränen in den Augen schrie Mr. Darcy zurück: „Denken Sie, ich leid nicht genug allein bei dem Gedanken, dass der Frau, die ich liebe, wegen meiner Unbesonnenheit etwas zugestoßen ist. Wenn Lizzie tatsächlich etwas passiert ist, werde ich auch ohne Ihre Rache mein Leben lang nicht mehr glücklich. Mein schlechtes Gewissen würde mich umbringen. Denken Sie wirklich, ich könnte weiterleben wie bisher, wenn die einzigste Frau auf der Welt, die mir jemals etwas bedeutet hat, wegen mir gestorben ist? Denken Sie so schlecht von mir? Denken Sie, ich liebe Ihre Tochter nicht? Dass ich nicht fähig bin einen Menschen zu lieben?"
„Ja, genau das denke ich", entgegnete Mr. Bennet zornig.
Bevor Mr. Darcy darauf antworten konnte, betraten Mr. und Mrs. Bingley den Raum. „Was ist denn los?", wollte Mr. Bingley wissen, während er von einem der beiden Männer zum anderen blickte. Schnell wurden er und Jane darüber aufgeklärt, was los war. Auch Bingley und Jane warfen Darcy einen vorwurfsvollen Blick zu angesichts seiner Mitteilung, dass Lizzie ihn noch spät in der Nacht aufgesucht hatte, aber keiner der beiden wagte auch nur die Frage nach Lizzies Kommen zu stellen oder ihrem Vorwurf verbal Ausdruck zu verleihen. Es war ihnen beiden zu deutlich, wie Darcy selbst unter der Situation litt, und Bingley, der seinen Freund kannte, wusste, dass niemand Darcy mehr Vorwürfe machen konnte als dieser sich selbst schon machte. Wenn Miss Elisabeth wahrhaftig etwas zugestoßen war, würde Mr. Darcy sein Leben lang nicht mehr froh werden. Das wusste er.
Es wurde beschlossen, dass Mr. Darcy, Mr. Bennet und Mr. Bingley zusammen mit einigen der männlichen Bediensteten nach Elisabeth suchen würden, während Jane auf Netherfield bleiben sollte, falls Elisabeth dort auftauchen sollte.
Die Männer trennten sich, kaum hatten sie Netherfield verlassen, um an verschiedenen Orten nach Elisabeth zu suchen. Die Gefühle der verschiedenen Männer waren so unterschiedlich wie die Wege, auf denen sie nach der verschollenen jungen Dame suchten. Während Bingley an das Beste zu glauben entschlossen war und sich vor allem darum Gedanken darüber machte, wie seine geliebte Gattin die Nachricht aufnehmen würde, wenn ihrer lieben Schwester etwas passiert war, gab Mr. Bennet eher der Wut auf Mr. Darcy nach. Dieser Mann war schließlich an allem schuld, er hatte ihm seine Tochter weggenommen und nun war sie vielleicht auch körperlich versehrt wegen ihm. Das würde er Mr. Darcy niemals verzeihen, dieser Mann würde bezahlen für alles, was er ihm angetan hatte. Das schwor Mr. Bennet sich.
Und Darcy selbst? Seine Gedanken und Gefühle waren wohl die schmerzlichsten. Neben starken Schuldgefühlen und Vorwürfen, die er nicht einfach verbannen konnte, erlebte er den ganzen Schmerz, den der Verlust eines sehr lieben Menschen mit sich bringt. Er hatte doch schon mit seinen Eltern alles, was ihm im Leben etwas bedeutet hatte, verloren. Wenn er nun auch noch Elisabeth verlor und aufgrund seiner eigenen Gedankenlosigkeit wüsste er nicht, wie er noch weiterleben sollte. Verzweifelt rief er ihren Namen, aber nirgends war sie. Er ritt ziellos umher, doch er konnte sie nicht finden. Schließlich wurde die Angst um sie so stark, dass er von seinem Pferd abstieg, zu Boden fiel und laut zu Gott schrie: „Vater im Himmel, lass Lizzie nicht sterben! Lass ihr nichts passiert sein! Ich liebe sie, oh Gott, ich bin bereit sie aufzugeben, wenn das nötig ist, aber lass sie nicht für meine Fehler sterben! Bitte lass sie nicht sterben! Ich weiß nicht, was ich tue, wenn ihr etwas zustößt! Ich weiß, ich war kein guter Mensch, ich war arrogant und stolz, aber, oh Herr, sie hat mich Demut gelernt, sie hat mir meine Fehler aufgezeigt und dennoch wieder Freude in mein Leben gebracht, die ich lange nicht mehr gekannt habe. Ich kann ohne sie nicht leben, nimm sie mir nicht weg, oh Herr. Ich werde versuchen mein Leben nach deinem Willen zu leben, ich werde versuchen ein besserer, gottesfürchtiger Mensch zu sein, aber lass meiner Lizzie nichts passiert sein! Nimm sie mir nicht weg, wie du mir schon meine Eltern weggenommen hast! Ich habe mich nie deswegen beklagt, da es ein Schicksal war, was nun einmal passieren musste, aber nicht auch noch Lizzie. Das ertrage ich nicht! Verschone sie, oh bitte lass ihr nichts passiert sein! Ich flehe dich an, oh Gott, lass meine Lizzie am Leben!"
Mr. Darcy merkte nicht, wie ihm die Tränen in Strömen über das Gesicht liefen. Nicht einmal, dass er auf einer öffentlichen Straße kniete und schluchzte, machte ihm etwas aus. Das Einzige, was für ihn zählte, war, dass Lizzie verschont geblieben war, dass ihr nichts passiert war. Er wusste, wenn er ihre Leiche tatsächlich finden würde, er würde nach seinem Revolver greifen und sich das Hirn wegblasen. Nicht einmal die Trennung von ihr hatte einen solchen Schmerz in ihm hervorgerufen. Es war etwas ganz anders zu glauben, dass sie ihn nicht liebte, als zu wissen, dass sie tot war und dass alles seine Schuld war. Er schwor sich den morgigen Tag nicht mehr zu erblicken, sollte ihr etwas passiert sein. Er würde die Verantwortung für sein Verhalten übernehmen, obwohl er wusste, dass Selbstmord wenig mit Verantwortung zu tun hatte, sondern mehr mit Feigheit, aber er konnte einfach nicht ohne sie leben, nicht mit dieser Schuld, mit diesem Vorwurf, dass sie wegen ihm gestorben war. Er wusste, sollte dies ihr letzter Tag gewesen sein, würde es auch sein letzter Tag sein. Nicht einmal der Gedanke an Georgiana, die er damit vollkommen allein lassen würde, konnte ihn von diesem Entschluss abbringen.
Darcy wusste nicht, wie lange er untätig auf dem Boden gekniet hatte, aber irgendwann erinnerte er sich an etwas, an eine Begebenheit vor langer Zeit. Er dachte daran, wie er zum ersten Mal Lizzies Hand festgehalten und geküsst hatte, an diesen Tag nach seinem zweiten Heiratsantrag, als sie zum Oakham Mount gewandert waren. Was hatte sie damals noch gesagt? „Dieser Ort wird mir immer teuer sein, Mr. Darcy, ich habe ihn schon als Kind geliebt und verbinde viele schöne Erinnerungen damit, jetzt noch mehr als damals." Dann hatte sie ihn schüchtern, aber dennoch voller Zuneigung angeschaut. Er wusste noch genau, wie er ihre Hand ergriffen und geküsst hatte. Er wusste noch genau, wie sehr es ihn frustriert hatte, dass sie Handschuhe angehabt hatte, aber ihr Lächeln und ihr Erröten hätten dennoch nicht liebreizender sein können. Wieso dachte er genau jetzt daran? Er konnte es nicht sagen, aber vielleicht war sie dahin gegangen, vielleicht hatte sie diesen Ort aufgesucht in Erinnerung an diese Begebenheit im Anfang ihrer Beziehung. Er wusste nicht, ob er hoffen durfte, tat es aber nichtsdestotrotz. Entschlossen sprang er vom Boden auf, wischte sich den Schmutz ab und stieg auf sein Pferd. Bevor er seinem Pferd die Sporen gab, dankte er leise in Gedanken Gott. Vielleicht war das die Antwort vom Himmel, auf die er so verzweifelt gehofft hatte.
Kapitel 18:
Lizzie war tatsächlich nach ihrem nächtlichen Besuch auf Netherfield zum Oakham Mount gewandert. Sie hatte nachdenken wollen über alles, was zwischen ihnen vorgefallen war. Sie wollte nicht wütend auf Fitzwilliam sein, dass er sie einfach so fortgeschickt hatte, konnte aber auch nicht leugnen, dass es sie tief verletzt hatte. Wie konnte er sie einmal so nah zu sich ziehen und sie dann wieder von sich wegstoßen? Sie wusste, es war notwendig gewesen, um ihre Tugend zu schützen, doch in dieser Situation war ihr ihre Tugend herzlich wenig wert gewesen, sie hatte eine Antwort, eine Erklärung gebraucht, aber ihr diese zu geben, war Fitzwilliam nicht bereit gewesen. Eine Weile starrte sie in die Sterne und dachte daran, wie schnell Fitzwilliam und sie tatsächlich Mann und Frau sein würden. Dann würde er sich nicht mehr von ihr zurückziehen. Dann würde auch ihr Vater nicht mehr zwischen ihnen stehen.
Schließlich hatte Lizzie lange genug über ihre Begegnung mit Fitzwilliam und was sonst noch ihr Leben bestimmte nachgedacht und ging langsam den Weg zurück in Richtung Longbourn, doch, oh, nein, plötzlich wusste sie nicht mehr, wo sie genau hinmusste. Bei Tag kannte sie sich in der Gegend super aus, aber nun mitten in der Nacht war sie sich nicht mehr so sicher, in welche Richtung Longbourn noch mal lag. So irrte sie lange umher, bis letztlich der Morgen graute.
Darcy ritt jeden Weg zum Oakham Mount hoch und wieder herunter und schließlich sah er ein paarhundert Meter vor sich eine Person entgegenkommen. Er spornte sein Pferd an und hielt auf die Person zu. Es war eine Frau und, bevor er noch darum beten konnte, dass es Lizzie war, sah er, dass sie es tatsächlich war. Kaum war er bei ihr angekommen, sprang er vom Pferd herunter und schloss sie in seine Arme. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht", gestand er.
„Ich habe im Dunkeln den Weg nicht mehr zurückgefunden", erklärte Lizzie, aber bevor sie noch mehr sagen konnte, hatte ihr Verlobter seine Lippen schon auf die ihren gepresst. „Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr", brachte er während leidenschaftlichen Küssen hervor, „mach das nie mehr. Hörst du?"
Sie nickte leicht und Fitzwilliam erforschte mit seinen Lippen ihr Gesicht und ihre Hals. Lizzies leises Stöhnen war nur Ansporn für ihn. Jeden Zentimeter ihres Körpers wollte er spüren, er konnte sich nicht vorstellen, was er gemacht hätte, hätte er sie verloren. Er zog sie immer näher zu sich und ließ seine Lippen über ihren Ausschnitt wandern. Seine Hände lösten die Spangen in ihrem Haar, bis ihr langes Haar ganz heruntergelassen war und durch seine Hände floss. „William", stöhnte Lizzie leise. Er konnte spüren, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie, wenn auch in ihrer Stimme noch eine gewisse Zurückhaltung lag. Ermutigt durch ihre Zustimmung küsste er ihren Hals, ihre Schultern, ihr Dekollete, während er mit seinen Händen ihre kalten Arme rieb. „Oh, Lizzie, du weißt gar nicht, was für Angst ich um dich hatte", flüsterte er ihr mit rauer Stimme ins Ohr und er konnte spüren, wie sie bei der Berührung seines Atems auf ihrer Haut schauderte. Fitzwilliam vergaß nun völlig, wo sie waren und zog sie noch näher zu sich, so dass keine Distanz mehr zwischen ihren beiden Körpern lag. Sanft und dennoch entschlossen legte er eine Hand auf ihre Brüste und fühlte ihren schnellen Herzschlag. „Ich lass dich nicht mehr los, Lizzie", versprach er ihr, seine Stimme kaum unter Kontrolle haltend, bevor er erneut ihren Mund suchte und sie leidenschaftlich küsste, seine Hand weiterhin auf ihrer Brust. Er spürte, wie sein eigenes Herz immer schneller schlug, aber es war ihm mittlerweile alles egal. Jede Abmachung mit Mr. Bennet war vergessen. Alles, was zählte, war, dass Lizzie noch am Leben war und er sie in seinen Armen hielt.
Fitzwilliam hätte wohl keine Verantwortung für seine weiteren Handlungen übernehmen können, hätte ihm in diesem Moment nicht eine Stimme in die Gegenwart zurückgerufen: „Mr. Darcy, was machen Sie da mit meiner Tochter?" Die Wut in Mr. Bennets Stimme war unüberhörbar. Rasch nahm Mr. Darcy seine Hand von Lizzies Brust und drehte sich zu Mr. Bennet um, wobei er gerade noch so klug war, mit seinem Zylinder eine gewisse Ausbeulung seines Unterleibes zu bedecken. Doch Mr. Bennet hatte auch dies schon bemerkt und die Falte über seinen Augenbrauen wurde noch tiefer. Einen Augenblick blickte er nur erzürnt von seiner erröteten Tochter zu seinem zukünftigen Schwiegersohn. Eine Sekunde lang überwog fast die Freude, seine Tochter gesund und munter wieder zu sehen, über seine Wut auf Mr. Darcy, aber als er die roten Flecken auf Lizzies Hals und Dekollete bemerkte, war es mit solchen Gedanken vorbei. Erbost schlug er Mr. Darcy mit seinem Stock den Hut aus der Hand, wobei er darauf achtete, dass er mit dem Stock nicht nur den Hut traf. Darcy zog vor Schmerz Luft ein und krümmte sich zusammen.
„Was soll das, Papa?", fragte Lizzie ärgerlich.
„Schau dich einmal an, Elisabeth, dann weißt du für was das war!", entgegnete ein mindestens ebenso wütender Mr. Bennet.
„Bitte, Mr. Bennet", bat Mr. Darcy, der sich mittlerweile wieder gefangen hatte, "verzeihen Sie mir, Ich wollte Ihre Tochter nicht so behandeln, aber ich hatte solche Angst um sie und als ich sie dann sah, ist mein Temperament mit mir durchgegangen. Das müssen Sie doch verstehen!"
„Muss ich das?", erkundigte sich Mr. Bennet erbost, „Sie behandeln meine Tochter wie Ihre Mätresse, nein, mehr noch wie eine billige Hure und ich soll Ihnen glauben, dass Sie sie lieben, dass Sie meine Tochter respektieren, dass Ihnen nur eben mal gerade Ihr Temperament durchgegangen ist, halten Sie mich für dumm, Mr. Darcy?" Er trat drohend einen Schritt auf den besagten Mann zu.
„Nein", erwiderte Darcy beschwichtigend, „ich verstehe natürlich, was Sie von mir denken müssen, ich habe Ihre Tochter nicht so behandelt, wie man eine Lady behandeln sollte, aber bitte glauben Sie mir: Ich habe mir niemals, niemals etwas genommen, was mir noch nicht zusteht, Ihre Tochter ist noch völlig unangetastet."
„Das nennen Sie also unangetastet, Mr. Darcy?", wollte Mr. Bennet zynisch wissen, während er mit seinem Stock auf Elisabeth zeigte.
„Mr. Bennet, bitte", begann Mr. Darcy erneut, aber Mr. Bennet ignorierte ihn und sprach stattdessen seine Tochter an: „Kommst du jetzt bitte! Du kannst dich auf Netherfield zurechtmachen, bevor wir dich zu deiner Mutter und deiner Familie zurückbringen."
Lizzie folgte dem Befehl ihres Vaters wortlos und warf Fitzwilliam nur noch einen letzten entschuldigenden Blick zu.
„Und was heißt das jetzt für mich?", rief dieser Lizzie und ihrem Vater hinterher, „Wollen Sie mir jetzt verbieten, ihre Tochter zu heiraten oder mich duellieren?"
Mr. Bennet drehte sich noch einmal um: „Keins von beiden, Sie haben zuviel Schaden bei meiner Tochter angerichtet, als dass es jetzt noch möglich wäre sie vor einer Heirat mit Ihnen zu bewahren, aber denken Sie immer daran, Sie haben mir meine Tochter weggenommen, Sie haben meiner Lizzie ihre Unschuld und ihre Tugend geraubt und das wird Sie etwas kosten. Ich weiß noch nicht, wie ich Sie strafen kann, aber ich hoffe, es ist Strafe genug für Sie zu wissen, dass Sie meine Tochter auf immer von ihrer Familie getrennt haben. Ich hoffe, Sie werden es eines Tages bereuen Vater und Tochter auf diese Art voneinander getrennt zu haben." Mit diesen Worten drehte sich Mr. Bennet wieder um und führte seine Tochter von Mr. Darcy weg.
Darcy schlug wütend die Hände vors Gesicht. Seine Wut auf sich selbst überstieg sogar noch seine Wut auf Mr. Bennet, der nicht einmal bereit war, sich seine Erklärung anzuhören. Für diesen Mann stand fest, dass er Lizzie schon vor ihrer Hochzeit entjungfert hatte und dass er daher weder Anstand noch Respekt vor Lizzie und ihrem Vater besaß. Dieses Bild, das Mr. Bennet nun von ihm hatte, würde er nie wieder gut machen können. Jetzt würde Mr. Bennet Lizzie hundertprozentig mit ihrer Heirat verstoßen und er würde damit leben müssen, dass alles allein seine Schuld war. Das er es zu verantworten hatte, dass Lizzie und ihr Vater ab nun an Fremde füreinander sein würden.
Und Lizzie? Nach dem Verhalten, das er ihr gegenüber heute an den Tag gelegt hatte, würde auch sie ihn hassen. Bei dem, was er heute getan hatte, musste alle Liebe, die sie für ihn empfand sterben. Er hatte ihr zeigen wollen, wie sehr er sie liebte und respektierte, und stattdessen nur bewiesen, dass er keinen Anstand besaß und auch keinen Respekt vor ihr und ihrer Tugend hatte. Was wäre wohl passiert, wäre Lizzies Vater nicht dazugekommen? Die Antwort darauf wagte Darcy nicht einmal sich auszumalen. Er hatte heute einen schweren Fehler begangen und dieser Fehler würde sein ganzes Leben lang auf ihm lasten. Was er heute zwischen Lizzie und ihrem Vater kaputt gemacht hatte, konnte er nicht einfach so wieder reparieren, und genauso wenig konnte er es sich verzeihen.
Auf Netherfield machte sich Lizzie mit der Hilfe ihrer Schwester zurecht. Sogar die liebe Jane warf ihr vorwurfsvolle Blicke zu, sodass Lizzie sich schließlich mit folgenden Worten verteidigte: „Es ist nichts passiert, Jane! Er war einfach nur froh mich zu sehen, es war doch harmlos. Schließlich haben wir auf offener Straße gestanden, er hätte nie mehr versucht. Papa hat das völlig missverstanden."
Jane schaute sie ungläubig an und meinte: „Und was war mit heute Nacht? War das auch so harmlos?"
„Ja, Jane, " erwiderte Lizzie, „wir haben nur geredet."
„Wirklich nur geredet?", fragte Jane noch einmal nach.
„Okay, wir haben uns geküsst", platzte Lizzie hervor, „bist du nun zufrieden? Aber es ist nicht mehr passiert. Ja, wir haben uns in einer gewissen Gefahr befunden, er war so über mir gebeugt, dass mir ganz anders wurde, aber als ihm klar wurde, was los war, hat er mich weggeschickt und das ist die Wahrheit. Wir mögen eine Grenze überschritten haben, ja, aber wir heiraten auch in zwei Tagen, da kann man nicht erwarten, dass wir genau das tun, was man als schicklich von uns erwartet. Und Fitzwilliam wagt nicht einmal daran zu denken das zu tun, was Vater ihm vorwirft. Er mag zuviel von mir genommen haben, aber meine Unschuld hat er mir nicht geraubt. Und ich habe keine Lust weitere Diskussionen darüber zu führen."
Mit diesen Worten stand Lizzie auf und verließ ihre Schwester. Sie verstand nicht, wie jeder auf einmal nur noch das Schlimmste von ihrem Verlobten denken konnte. Jane und Bingley kannten ihn doch. Wieso waren sie so bereit dazu, das Schlechteste von ihm anzunehmen?
Zurück auf Longbourn musste Lizzie sich erneut neugierigen Fragen stellen, die diesmal aber zumindest anderer Natur waren, da sie sich mit ihrem Vater und den Bingleys geeinigt hatte, den Besuch in Darcys Schlafzimmer und alles, was darauf gefolgt war, nicht zu erwähnen. So erfuhren Mary, Kittie und Mrs. Bennet nur, dass Lizzie einen nächtlichen Spaziergang unternommen und sich dabei verlaufen hatte. Darüber regte sich Mrs. Bennet schon genug auf und die Gardiners, die am Mittag kamen, mussten sich ein ums andere Mal Mrs. Bennets Tiraden über ihre unvernünftigen Tochter anhören. Mr. Bennet schwieg bei diesen Tiraden zunächst, aber dann sagte er doch etwas: „Mrs. Bennet, Sie haben Recht, Elisabeth muss für ihr Verhalten bestraft werden. Deswegen habe ich mir überlegt, dass ich Sie nicht bei der Hochzeit an Mr. Darcy geben werde, sondern Onkel Gardiner das tun soll. Sie hat eine Strafe verdient und das ist eine öffentliche Strafe, die ihr zeigen wird, was ihr Verhalten bewirkt. Sie wird sich nicht noch mal so verhalten."
Mrs. Bennet fiel ebenso wie Lizzie bei diesen Worten aus allen Wolken. Dass Mr. Bennet Lizzie nicht zum Altar führte, würde ein schlechtes Bild auf Lizzies Hochzeit werfen, es würde aussehen, als befürworte Mr. Bennet die Hochzeit nicht und das würde zu bösen Gerüchten führen, vor allem nachdem Lizzie nach Derbyshire abgehauen war, argumentierte sie. Mr. Bennet nickte nur, meinte aber nur kühl, dass Lizzie wohl mit solchen Gerüchten leben müsse, solange sie nicht die Achtung vor ihren Eltern gelernt hätte und verließ das Zimmer.
Alle versuchten Mr. Bennet umzustimmen, auch die Gardiners, aber keinem wollte es gelingen. Lizzie selbst fühlte sich schrecklich elend. Sie hatte schon vorher gewusst, dass ihr Vater gegen ihre Hochzeit war, aber dass er es so offensichtlich vor allen Menschen zeigen würde, das tat ihr noch einmal mehr weh. Und dass er nicht einmal bereit war, sie zum Altar zu führen, zeigte ihr einmal mehr, dass er ihr seinen Segen für diese Hochzeit nicht geben würde. Er würde es nicht einmal nach außen hin so aussehen lassen, als gebe er ihr seinen Segen und das verletzte sie zutiefst. Aber was konnte sie tun? Nichts, sie konnte ihren Vater um Verzeihung bitten, aber er würde ihr nicht zuhören. Außer natürlich sie sagte die Worte, auf die er seit ihrer Verlobung mit Fitzwilliam wartete, dass sie diesen nicht liebte und nicht heiraten würde. Wenn sie diese Worte aussprechen würde, wusste sie, würde sie wieder einen Platz im Herzen ihres Vaters haben, aber sie konnte doch nicht lügen. Ihre Liebe zu Fitzwilliam und ihr Wunsch diesen zu heiraten konnte nicht verleugnet werden, so musste sie wohl mit der Ablehnung ihres Vaters leben. Sie wünschte bloß, nicht auch noch das Gerede der Leute ertragen zu müssen, doch das war ein eher unerfüllbarer Wunsch. Gut war nur, dass Pemberley so weit von Longbourn weg lag, aber für ihre Mutter und ihre Schwestern bedauerte sie es, dass es nun einmal mehr Gerüchte über die Bennet-Familie geben würde.
