Anmerkung von Tasha: Nun, wie ja schon erwähnt, habe ich mir die Frage gestellt, ob es realistisch ist, dass Eltern ihren knapp 13-jährigen Sohn einfach so in ein völlig fremdes Land ziehen lassen. Da ich das nicht glaube, habe ich mal meine Möglichkeit dazu aufgeschrieben.
Ich würde mich über eure Meinung freuen.
Der Kampf um einen Traum
Es war schon sehr spät, als Genzo endlich den Füller weglegte und sein Werk betrachtete. Lange hatte er darüber nachgegrübelt, wie er sich ausdrücken sollte. Sein Papierkorb quoll fast über vor zusammengeknüllten Zetteln, auf welchen er vorher Versuche angestellt hatte. Aber jetzt war er eigentlich mit dem Ergebnis zufrieden und las Korrektur.
Liebe Mutter, lieber Vater,
ich nehme zwar an, dass ihr es schon wisst, aber Herr Mikami hat mir heute mitgeteilt, dass er mich auf Grund eines Trainerkurses in Deutschland nur noch bis zum Jahresende trainieren kann. Für das Niveau des japanischen Fußballs ist dieser Kurs sehr wichtig, das weiß ich, aber 2 Jahre auf Herrn Mikami zu warten, ist mir einfach zu lange. Deshalb möchte ich euch bitten mir zu erlauben mit ihm nach Deutschland zu gehen. Ich weiß, dass es eine große Umstellung bedeuten wird, aber das nehme ich in Kauf. Deutschland würde auch mir viele Vorteile bieten. Der Fußball ist dort technisch wesentlich besser als hier in Japan und wenn ich in Deutschland leben würde, könnten wir uns auch vielleicht viel öfter sehen und das würde mich freuen.
Ich bitte euch darüber nachzudenken und ich hoffe, ihr seht welche Vorteile mir diese Entscheidung bringen würde.
Liebe Grüße,
euer Sohn Genzo
Nickend steckte er den Brief in den Umschlag und beschriftete ihn. Einem Außenstehenden mochte dieser Brief vielleicht abgehoben und unpersönlich vorkommen, aber für Genzo war dieser Umgang mit seinen Eltern normal geworden. Sie verbrachten die meiste Zeit in der Firma und somit in London und auf diese Entfernung hatte sich keine sonderlich enge Beziehung entwickelt. Aber Genzo sah das nicht so eng. Die Hauptsache war im Moment, dass seine Eltern ihm erlauben würden mit Herrn Mikami nach Deutschland zu gehen.
Am nächsten Tag warf er den Brief ein und hoffte, dass sich seine Eltern schnell melden würden. Die meisten Spieler seiner Mannschaft erholten sich noch von der Meisterschaft, sodass Genzo seine Zeit sowieso entweder mit Herrn Mikami beim Training oder bei der Physiotherapie verbrachte. Diese war ihm zwar irgendwie lästig, da er schon immer eine Abneigung gegen Ärzte und noch nie die Geduld dafür hatte, aber sein Fuß erholte sich zusehends besser und er zählte schon die Stunden, in denen er diese Behandlung nicht mehr nötig hatte.
Ungeduldig wie Genzo war, dachte er schon sein Brief sei unterwegs verloren gegangen, doch ein paar Tage später erhielt er schließlich doch Antwort von seinen Eltern. Gespannt lief er in sein Zimmer, warf sich aufs Bett und begann den Brief zu lesen.
Lieber Genzo,
ja, wir sind über die Pläne von Herrn Mikami bereits unterrichtet. Was dieser Kurs für den japanischen Fußball bedeutet, kannst du sicher besser beurteilen als wir, aber wir haben uns einstimmig dagegen entschieden, dass du mit Herrn Mikami nach Deutschland fährst.
Wir sind der Meinung, dass du noch nicht abschätzen kannst, was dieser Umzug für dich bedeuten würde. Neben der Tatsache, dass du eine völlig fremde Sprache sprechen und schreiben lernen müsstest, ist die Kultur, wie wir wohl zu Recht beurteilen können, hier völlig anders. Du stellst dir das wahrscheinlich alles leichter vor als es ist, aber glaube uns, es ist besser, wenn du zu Hause in Japan bleibst.
Mach dir um die 2 Jahre bitte keine Sorgen, wir werden schon jemanden finden, der in der Zwischenzeit dein Privattraining übernimmt.
Liebe Grüße auch von deinem Vater,
deine Mutter Yuriko
Fassungslos starrte Genzo auf den Brief. Er hatte damit gerechnet, dass seine Eltern etwas Zeit gebraucht hatten, um ihre Zweifel auszuräumen, aber was er hier las, schockierte ihn. Sie wollten es ihm tatsächlich verbieten!
'Das kann nicht sein!', sagte eine Stimme in Genzos Kopf.
Eilig lief er die Treppe hinunter und traf unten auch schon auf Herrn Mikami.
"Herr Mikami!"
"Was gibt es, Genzo?"
"Das hier sollten Sie lesen."
Damit drückte Genzo seinem Trainer den Brief in die Hand. Dieser las ihn sorgfältig und gab ihn Genzo dann zurück. Aus der Antwort der Wakabayashis ließ sich Genzos Bitte entnehmen.
"Ich denke, die Position deiner Eltern ist klar, oder?"
"Aber das können die doch nicht machen!", rief Genzo aufgebracht. "Die können mir doch nicht einfach diktieren, was ich zu tun und zu lassen habe!"
"Doch, das können sie. Sie sind schließlich deine Eltern und wenn sie es für richtig befinden, werden wir uns da wohl alle fügen müssen."
"Sind Sie etwa auch ihrer Meinung?"
"Genzo, ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich dazu nicht viel zu sagen habe. Deine Eltern haben entschieden, was das Beste für dich ist, und das müssen wir akzeptieren."
Genzo war fassungslos.
"Sie sind ihrer Meinung. Eigentlich wollt ihr mich doch sowieso nur alle loswerden!"
"Genzo!"
Doch das hatte dieser schon nicht mehr gehört. Nachdem er seine Wut raus geschrien hatte, war er sofort die Treppe hoch in sein Zimmer gerannt. Er schloss sich ein, warf sich auf sein Bett und weinte. Er wusste schon gar nicht mehr, wann er das letzte Mal geweint hatte, aber es musste lange her sein. Sicher waren bei oder nach Spielen schon mal Wuttränen geflossen, aber das konnte man mit dem hier nicht vergleichen.
Das ganze Weinen musste ihn so müde gemacht haben, dass er eingeschlafen war, denn als er zum Fenster hinaus blickte, war es bereits dunkel geworden. Während er sich noch die letzten Tränen abwischte, warf er einen Blick in den Spiegel. Seine Augen waren rot-geschwollen und im ganzen Gesicht war ihm anzusehen, wie bitterlich er geweint hatte. Vorsichtig schloss er seine Tür wieder auf und spähte auf den Flur. Es musste wirklich schon spät sein, denn weder von Herrn Mikami noch von der Haushälterin Kagome war etwas zu sehen. Genzo ging zielstrebig ins Bad und legte sich einen kalten Lappen aufs Gesicht. Langsam nahm die Rötung ab und er schlich sich runter in die Küche, denn sein Magen begann das Fehlen von Nahrung zu melden.
Gerade hatte er sich ein paar Brote gemacht und wollte wieder auf sein Zimmer verschwinden, als er auf ein Gespräch im angrenzenden Wohnzimmer aufmerksam wurde.
"Ach, Kagome, ich mache mir einfach Sorgen um Genzo."
Herr Mikami saß mit in die Hände gelegtem Kopf in einem Sessel.
"Sie hätten ihn sehen müssen. Er war durch den Brief seiner Eltern völlig aufgelöst."
"Ja, das habe ich gemerkt."
Kagome schüttelte traurig den Kopf, während sie weiter Wäsche zusammenlegte.
"Er ist auch den ganzen Tag nicht mehr aus seinem Zimmer gekommen. Glauben Sie mir, Herr Mikami, ich teile Ihre Sorge."
"Das schlimmste für mich ist, dass er anscheinend glaubt, ich würde ihn irgendwie abschieben wollen. Glauben Sie mir, Kagome, wenn es nur von mir abhinge, würde ich Genzo sofort mit nach Deutschland nehmen. Er ist ein intelligenter und ehrgeiziger Junge, ich bin davon überzeugt, dass er es dort packen würde, aber seine Eltern sind dagegen und gegen die habe ich keine Chance."
"Ich finde es eigentlich unmöglich, dass die beiden keine Rücksprache darüber mit Ihnen oder mir gehalten haben."
Nun stemmte Kagome die Hände in die Hüften.
"Denn ich denke mal, wir kennen Genzo wohl traurigerweise ein ganzes Stück besser als die beiden. Und ich glaube, dass wir das auch eher beurteilen können."
"Sie haben ja Recht, Kagome, aber sagen Sie das mal den beiden. Ich denke in der Beziehung sind sie manchmal einfach genauso stur, wie Genzo sein kann."
Kagome lachte.
"Ja, da haben Sie leider Recht."
Genzo trat wieder von der Tür weg und ging unbemerkt von den beiden Erwachsenen zurück in sein Zimmer. Irgendwie war er erleichtert. Herr Mikami wollte ihn mitnehmen! Es lag also nur an seinen Eltern. Er musste dringend einen Weg finden, das hinzubiegen.
