Ich hoffe, ich kann hiermit die massige Wartezeit von vorher wieder gut machen. ;-)
Viel Spaß!
Tasha
Ziellos war Genzo durch die ganze Stadt gelaufen, bis er schließlich zu dem kleinen Hügel an der Eisenbahnstrecke gekommen war. Hier sank er ins Gras und ließ seinen Tränen freien Lauf.
Sicher hatte er Herrn Mikami übel beleidigt, indem er ihm Feigheit vorgeworfen hatte. Im Prinzip nahm er es ihm ja noch nicht mal übel, konnte verstehen, dass sein Trainer keinerlei Partei ergreifen wollte, indem er weder Genzo unterstützte, noch gut hieß, was die Wakabayashis taten.
‚Trotzdem,' dachte er, ‚was er gesagt hat, war nicht fair! Was hätte ich denn tun sollen?'
Wut und Verzweiflung machten sich in den Tränen Luft. Wut auf seine Eltern, Herrn Mikami, aber auch ein wenig auf sich selbst. Seine Eltern wollten ihn anscheinend nicht verstehen, obwohl sie ihn traurigerweise kaum kannten. Herr Mikami war eigentlich immer eine Vertrauensperson gewesen, doch dieser Ausbruch, dieses unerwartete Anschreien hatte Genzo völlig eingeschüchtert. Er wusste, dass er selbst der Situation nicht Herr werden konnte, das wusste er von Anfang an.
‚Aber was habe ich gemacht? Ich hätte von Anfang an mit Herrn Mikami reden sollen. Dann wäre er vielleicht nicht so ausgerastet. Aber nein, erst hintergehe ich ihn und dann laufe ich auch noch weg. Toll, Genzo Wakabayashi! Glanzleistung!'
Es begann zu regnen, doch Genzo störte das kaum. Er zog sich unter einen nahen Baum zurück, unter dem es zumindest eine Zeit lang noch trocken blieb. Er war, wenn er ehrlich war, ziemlich ratlos. Erst jetzt merkte er richtig, wie eingeschränkt sein Leben eigentlich war. Abgesehen von Herrn Mikami und vielleicht noch Kagome hatte er niemanden, mit dem er über solch private und vertrauliche Dinge reden konnte. Sicher hatte er die Jungs von der Mannschaft, aber von denen hatte er sich auch schon immer etwas distanziert.
‚Ich war immer der Glanztorhüter, der Rückhalt, auf den sich alle immer verlassen konnten und haben. Aber hat sich sonst mal jemand ehrlich um mich gekümmert? Nein. Als ich mir den Fuß verletzt hatte, waren die einzigen Sorgen, die die hatten, wie sie Shingo möglichst schnell in akzeptable Form kriegen. Ich kam beim Turnier an und was war Tsubasas erste Frage: Wie sieht's aus, kannst du morgen im Finale spielen? Keinen hat's je gekümmert, wie ich mich gefühlt habe.'
Doch dann musste er an ihre Meisterschaftsfeier und an ihre vielen doch sehr aufregenden und witzigen Trainingsnachmittage denken, an die unbeschwert lachenden Gesichter seiner Mannschaftskameraden.
‚Aber eigentlich können sie gar nichts dafür. Ich habe mich ja auch immer abgeschottet, war abgehoben und unnahbar, immer nur der große Kapitän. Wahrscheinlich war es Angst zuviel preiszugeben. Ich konnte noch nie Mitleid vertragen. Das hat mich schon bei Erwachsenen immer total aufgeregt, bei Gleichaltrigen wäre ich vermutlich ausgeflippt. Außerdem können die sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie es ist, ganz ohne Eltern aufzuwachsen. Gut, Taro hat auch keine Mutter mehr und Tsubasas Vater ist oft unterwegs, aber das ist was anderes. Jeder von ihnen hat zumindest einen Elternteil immer um sich herum. Den Unterschied sieht man ja schon dadurch, dass sie schon fast aus Reflex ‚Papa' oder ‚Mama' sagen, während ich mit meinen Eltern wie mit Lehrern oder fast schon Vorgesetzten rede. Nein, wahrscheinlich fehlt den anderen einfach der Blickwinkel für die Situation.'
Doch das brachte ihn auch nicht weiter. Mittlerweile war er auch unter dem Baum schon ziemlich nass geworden und mit etwas mulmigem Gefühl beschloss er nach Hause zu gehen.
Den Fußweg legte Genzo relativ langsam und wie vorher mit einigen Umwegen zurück. Er war sich nicht ganz sicher, auf welche Lage er zu Hause treffen würde.
Schließlich war es schon fast dunkel, als Genzo an der Villa ankam. Unsicher klingelte er dann. Er hatte in seinen Trainingsklamotten keinen Schlüssel und somit blieb ihm nichts anderes übrig. Keine Minute nachdem er die Klingel losgelassen hatte, riss Kagome die Tür auf.
„Genzo! Gott sei Dank!", rief sie und zog den perplexen Jungen erst einmal überschwenglich an sich. „Wo warst du bloß? Wir haben uns solche Sorgen gemacht!"
Doch bevor Genzo antworten konnte, sah Kagome ihn von oben bis unten an.
„Mein Gott, du bist ja klitschnass und völlig unterkühlt! Komm rein und zieh' dir erstmal trockene Klamotten an."
Damit schob sie Genzo rein und gleich weiter ins Bad. Sie bestand darauf, dass er heiß duschte, damit er sich nicht erkälten würde, und nahm seine nassen Sachen gleich an sich. Die Dusche tat wirklich gut und als Genzo in dem angewärmten Bademantel ins Wohnzimmer kam, hatte Kagome ihm schon etwas zu essen und einen heißen Zitronentee hingestellt.
„Danke, Kagome.", sagte Genzo, immer noch etwas verwirrt.
„Na, das ist ja wohl nichts!", gab Kagome zurück. „Viel wichtiger ist, dass du wieder wohlbehalten zu Hause bist."
Gerade wollte Genzo kleinlaut zu einer Erklärung ansetzen, als die Haustür zu hören war und ein paar Sekunden später Herr Mikami im Zimmer stand.
„Keine Spur, Kagome, ich war..."
Dann sah der völlig abgehetzte Herr Mikami ihn.
„Genzo! Da bist du ja! Was für ein Glück! Ich hatte schon Angst dir sei irgendwas passiert."
Unsicher sah Genzo seinen Trainer an, doch Herr Mikami war ernsthaft erleichtert und sank mit einem beruhigten Lächeln neben Genzo auf die Couch.
„Wo bist du denn gewesen?"
„Hier und da," druckste Genzo, „und schließlich dann oben am Hügel bei der Eisenbahnstrecke."
„Gut, da haben wir natürlich nicht gesucht.", gab Herr Mikami zu, doch zu Genzos Verwunderung klang keinerlei Vorwurf sondern immer noch tiefste Erleichterung in seiner Stimme mit.
„Als du nach einer Stunde immer noch nicht wieder da warst, haben wir bei deinen Fußballkameraden angerufen und nach dir gefragt.", erklärte Kagome, während sie auch Herrn Mikami eine Tasse Tee reichte. „Doch da wusste natürlich keiner, wo du steckst. Dann ist Herr Mikami nach zwei Stunden zur Polizei gefahren, um dich als vermisst zu melden."
„Aber dann kam der Standartspruch: Vor einer Zeit von 24 Stunden können wir nichts unternehmen."
Erst jetzt klang Herr Mikami verärgert.
„24 Stunden! Da hätte dir ja schon sonstwas passiert sein können! Dann habe ich alle möglichen Cafés und Plätze abgeklappert, wo ich dich vermutet hätte. Als du da auch nicht zu finden warst, bin ich nochmal die Mannschaft abgefahren, vielleicht hattest du dich ja inzwischen bei einem gemeldet. Aber die wussten alle nichts und als ich wirklich nicht mehr wusste, wo ich noch suchen sollte, bin ich zurückgefahren."
Beschämt sah Genzo vor sich auf den Tisch.
„Tut mir leid.", murmelte er. „Sind Sie mir jetzt sehr böse?"
„Böse?", fragte Herr Mikami. „Genzo, ich bin dir nicht böse. Ich bin tierisch froh, dass du wieder da bist. Wir haben uns wahnsinnige Sorgen um dich gemacht. Du hättest einen Unfall gehabt haben können, was weiß ich! Und dann wäre ich schuld gewesen."
„Aber nein!", erwiderte Genzo. „Ich habe Sie beleidigt. Ich habe Sie hintergangen und beleidigt und das tut mir leid. Ich wusste nur nicht mehr, was ich tun sollte. Gegen meine Eltern durften Sie sich nicht stellen und das verstehe ich auch. Aber ich habe gedacht, wenn ich mit Frau Akiyama spreche und sie etwas unternimmt, kann sich vielleicht doch noch alles wenden. Ob Deutschland, Ägypten oder Kananda ist mir doch völlig egal, ich möchte nur bei Ihnen bleiben!"
Wieder kamen Genzo die Tränen hoch, doch diesmal war er nicht allein. Herr Mikami legte ihm den Arm um und redete beruhigend auf ihn ein.
„Genzo, das ehrt mich sehr. Und du hast nichts falsch gemacht. Ich hätte nicht so feige sein und dich nicht anschreien dürfen. Glaube mir bitte eines: Auch ich will nicht ohne dich nach Deutschland und vielleicht war deine Lehrerin das beste Mittel unser beider Wunsch durchzusetzen. Ich jedenfalls werde bei diesem Gespräch deinen Eltern genau das sagen, was ich dir gerade gesagt habe."
„Wirklich?", fragte Genzo und sah seinen Trainer an.
„Wirklich.", antwortete Herr Mikami. „Wir werden einen Weg finden, das verspreche ich dir."
