Anmerkung von Tasha: Okay, jetzt ist "High Noon"! ;-)


Wie üblich öffnete Kagome die Tür, denn Genzo hörte sie kurz nach dem Klingeln eindeutig sagen:

„Guten Tag, Herr Wakabayashi, Frau Wakabayashi! Wir waren schon in Sorge um Sie."

Noch während sie sprach, hatten die drei Erwachsenen sich zum Wohnzimmer begeben, denn Herr Wakabayashi antwortete erst, als sie eintraten.

„Nun, auf den transkontinentalen Flugverkehr ist heutzutage ja auch kein Verlass mehr. Verspätungen soweit das Auge reicht, furchtbar!"

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit Frau Akiyama zu.

„Ah, ich nehme an, Sie haben mit meiner Frau telefoniert.", bemerkte er und reichte ihr grüßend die Hand. „Sie führen hier also die Anklage."

Gelassen lächelnd nahm Frau Akiyama die Grußhand entgegen.

„Ja, ich habe mit Ihrer Frau telefoniert und um dieses Gespräch gebeten, Herr Wakabayashi.", erklärte sie. „Ich führe jedoch gegen niemanden hier eine Anklage, sondern möchte lediglich in einem klärenden Gespräch vermitteln."

Gerade als Herr Wakabayashi zu einer Erwiderung ansetzen wollte, trat Kagome wieder ein.

„Darf es jetzt für jemanden etwas zu trinken sein?", fragte sie.

„Einen schwarzen Kaffee.", meldete Herr Wakabayashi ohne sich überhaupt nach der Haushälterin umzudrehen. „Diese Brühe im Flugzeug war einfach unerträglich."

„Für mich einen heißen Zitronentee.", kam es wesentlich milder von Frau Wakabayashi.

„Vielleicht ein Glas Wasser, wenn Sie da hätten.", bat nun auch Frau Akiyama und nickend verließ Kagome den Raum wieder.

„Nun, ich denke, Ihre ‚Funktion' hier können wir wohl besser im Sitzen erläutern.", ging Herr Wakabayashi schroff wieder zum Urthema über.

Frau Akiyama, Herr Mikami und Genzo nahmen wieder in den Sesseln Platz, in welchen sie zuvor gesessen hatten, während Herr und Frau Wakabayashi sich auf das Sofa setzten.

‚Du zeigst dich wieder von deiner besten Seite, Vater.', dachte Genzo und beobachtete die eindeutige, desinteressierte Haltung seines Vaters.

Kurz darauf brachte Kagome die Getränke und verschwand dann auch schon wieder, was bei der momentanen Stimmung vielleicht auch die beste Idee war.

„Also, wären Sie nun vielleicht so freundlich, mir den Sinn dieses Treffens zu erklären?", fragte Herr Wakabayashi, nachdem Frau Akiyama eine Weile das Geschehen beobachtet hatte.

„Der Sinn dieses Treffens, Herr Wakabayashi," antwortete Frau Akiyama, „besteht meines Wissens nach darin, dass Ihr Sohn seine Ausbildung auf allen Gebieten gern in Deutschland fortsetzen möchte."

„Wir haben da eine Entscheidung getroffen, da gibt es nichts zu diskutieren."

„Ihr Sohn scheint diese Entscheidung aber nicht akzeptieren zu wollen.", ging Frau Akiyama darauf ein. „Ich selbst wie auch einige Kollegen stellten vermutlich auf Grund dessen Aufmerksamkeitsdefizite bei Genzo fest. Deshalb denke ich, Sie sollten vielleicht noch einmal direkt darüber reden."

„Und Sie spielen hier vorbeeinflusstes Schiedsgericht, oder wie sehe ich das?"

Herr Wakabayashi schien jetzt leicht aufgebracht darüber, dass jemand seine Entscheidung nicht einfach hinnahm.

„Seien Sie versichert, ich bin nicht vorbeeinflusst.", antwortete Frau Akiyama ruhig. „Genzo kam zu mir, um meinen Rat als Vertrauenslehrerin zu suchen. Ich habe mit ihm, sowie mit Herrn Mikami gesprochen und jetzt möchte ich gern Ihre Meinung hören, um mir ein Gesamtbild zu machen. Und wenn ich zu dem Schluss kommen sollte, dass Ihre Lösung wirklich die beste für Ihren Sohn ist, versichere ich Ihnen, dass Sie meine volle Unterstützung haben."

Genzo sah Frau Akiyama verwirrt an. Was sollte das denn jetzt für ein Spiel werden?

„Gut."

Herr Wakabayashi lehnte sich zurück und gab seine aggressive Haltung auf.

„Sie sind also dagegen, dass Ihr Sohn mit Herrn Mikami nach Deutschland geht?"

„Ja, das sind wir.", antwortete nun Frau Wakabayashi. „Aber Sie müssen das verstehen. Genzo ist 13 Jahre alt, er kann sich doch noch überhaupt kein Bild machen, was solch ein Umzug für ihn bedeuten würde. Er sieht nur den Fußball und das böse Erwachen, dass nicht jede Umstellung so einfach ist wie beim Fußball, wollen wir ihm einfach ersparen. Wir können das schließlich beurteilen."

„Sie leben in London, ist das korrekt?", fragte Frau Akiyama.

„Das stimmt.", erklärte Frau Wakabayashi. „Vor 10 Jahren verlagerte mein Mann den Sitz unserer Firma aus marktwirtschaftlichen Gründen nach London und etwa 1½ Jahre später kam ich dann nach und seitdem leben wir beide den Großteil des Jahres in Europa."

„Warum sind Sie damals nicht zu dritt nach Europa gegangen? Genzo war da doch gerade mal 3 Jahre alt? Da hätte es sicher keine Schwierigkeiten gegeben."

„Nun, wissen Sie, wir haben noch einige Verwandte hier und bis vor 5 Jahre auch noch meine Mutter, die hier lebte. Sie wollte ihren Enkel gern in der Nähe haben und so blieb Genzo unter Aufsicht von Kagome und Herrn Mikami hier."

„Welche Schwierigkeiten sehen Sie denn bei einem Umzug von Genzo genau?", hakte Frau Akiyama nach. „Würden Sie mir das bitte sagen?"

„Das größte Problem sehen mein Mann und ich in der Sprache.", antwortete Frau Wakabayashi. „Wir beide haben den Standort in Europa deswegen auf London verlegt, da uns die englische Sprache geläufig ist. Gut, wir sprachen sie damals auch nicht so fließend wie Japanisch, aber wir konnten sie immerhin sprechen und auch verstehen. Genzo hat kein Deutsch gelernt und außerdem dürfte Ihnen ja bekannt sein, wie schwer es ist, die deutsche Sprache zu erlernen, und er wäre gezwungen, dies in einem sehr kurzen Zeitraum zu schaffen. Das ist einfach nicht möglich."

„Ist es doch!", mischte sich Genzo nun endgültig ein. „Ich habe mir Lehrbücher für Deutsch besorgt und in Großstädten wie Hamburg gibt es Schulen, die Lehrer haben, die gerade auf solche Fälle spezialisiert sind. Ich habe im Internet gelesen..."

„Unterbrich deine Mutter nicht, wenn sie sich mit deiner Lehrerin unterhält!", fuhr sein Vater ihm brutal ins Wort.

„Danke, Herr Wakabayashi.", bemerkte Frau Akiyama, wobei sie den ‚Hausherrn' jedoch spüren ließ, dass ihr diese Art Umgang mit Genzo mehr als missfiel.

„Außerdem," fuhr Frau Wakabayashi dann zögernd fort, „außerdem herrscht in Europa eine ganz andere Kultur. Es wird sehr viel Anpassung verlangt und wir haben Angst, dass Genzo, wenn er feststellt, dass das Ganze doch nicht so einfach ist, wie er sich das vorgestellt hat, möglicherweise depressiv wird."

Genzo holte schon wieder Luft, um einen Beschwerde-Einwand einzulegen, doch Frau Akiyama kam ihm zuvor.

„Würden Sie mir bitte die Lieblingsfarbe Ihres Sohnes nennen?"

„Bitte?"

Frau Wakabayashi sah die Lehrerin verwirrt an.

„Ihr Sohn, was ist seine Lieblingsfarbe?", wiederholte Frau Akiyama.

„Na, äh, so rot-orange, so wie sein Mannschaftstrikot...", gab Frau Wakabayashi zögerlich zur Antwort.

„In welchem Fach steht Ihr Sohn am besten?"

„In Sport natürlich."

„Und wie alt war Ihr Sohn, als er seine erste Kinderkrankheit hatte?"

„Mit 6 hatte er mal Röteln, er ist nicht sehr anfällig für sowas."

„Tja, Frau Wakabayashi, es tut mir leid Ihnen das sagen zu müssen, aber Sie haben nicht eine richtige Antwort gegeben.", bemerkte Frau Akiyama. „Als Lieblingsfarbe gab Ihr Sohn blau an, am besten steht er in Englisch, da er durch seinen verletzten Fuß bei einigen Sportnotentests nicht dabeisein konnte und seine erste von einem Arzt verzeichnete Kinderkrankheit hatte er mit 5 und das waren die Windpocken."

„Blau, Englisch, Windpocken, was soll der Quatsch?", fuhr Herr Wakabayashi auf. „Was wollen Sie meiner Frau hier eigentlich unterstellen?"

„Ich will gar nichts unterstellen," antwortete Frau Akiyama nun hart, „ich stelle nur fest, dass Sie Ihren Sohn vielleicht besser zu kennen glauben, als Sie es tatsächlich tun."

Auf Frau Wakabayashis entsetzten Blick fuhr die Lehrerin fort:

„Es hat auch keiner von Ihnen beiden Genzo begrüßt, obwohl ich doch annehmen kann, dass Sie sich lange nicht gesehen haben. Bis auf Ihr mehr als nur unerhörtes Zurechtweisen, Herr Wakabayashi, hat auch noch keiner von Ihnen mit ihm gesprochen."

„Wie können Sie..."

„Shiro, warte!"

Frau Wakabayashi hielt ihren Mann zurück. Genzo erstarrte. Er las eindeutig Trauer in ihrem Gesicht.

„Sie hat Recht, Shiro, und wir sollten endlich aufhören uns davor zu verschließen."

„Yuriko, ich bitte dich!"

„Nein. Sieh doch, wie weit es schon gekommen ist! Die Lieblingsfarbe, das beste Schulfach und die erste Kinderkrankheit, das sind Dinge, die ich als Mutter wissen müsste. Wir wissen doch kaum noch, was hier vorgeht. Die ganzen Jahre haben wir uns auf Herrn Mikami und Kagome verlassen und nun kriegen wir die Quittung: Die beiden kennen Genzo wahrscheinlich sehr viel besser als wir und trotzdem treffen wir noch immer ohne Rückfrage die Entscheidungen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir lernen, Herrn Mikami und Kagome in solchen Fällen um ihre Meinung zu fragen, da sie sich diese viel besser bilden können als wir."

Genzo sah eindeutig, wie sein Vater mit sich rang. Doch dann sah er schließlich zu Herrn Mikami.

„Was denken Sie, Herr Mikami?", fragte er. „Glauben Sie, dass Genzo in der Lage wäre, diese Umstellung gut zu überstehen?"

„Ich glaube schon, dass er das packen kann.", antwortete Herr Mikami sicher. „Er ist ein sehr cleverer Junge und in Sprachen, wie Frau Akiyama gesagt hat, sehr begabt. Es wird bestimmt für uns alle nicht einfach werden, aber bei Genzo habe ich da schon beinahe weniger Bedenken als bei mir selbst. Er wird Kontakt suchen und so Umgang und Sprache wesentlich besser lernen und außerdem kann er verflucht dickköpfig an einer Sache arbeiten, die er wirklich will."

„Also, Genzo," nickte darauf Herr Wakabayashi, „wenn du es wirklich willst, dann darfst du es mit Deutschland versuchen."

„Danke, Vater!"

Überglücklich sprang Genzo auf. Er spürte, wie ihm gleich mehrere Felsbrocken vom Herzen fielen.

„Außerdem ist es von London nach Deutschland gerade mit dem Flugzeug ja keine Entfernung.", bemerkte Frau Akiyama. „Vielleicht kann man so den Kontakt zueinander ja auch wieder intensivieren."

„Das wäre schön.", stimmte Frau Wakabayashi zu und nahm Genzo in den Arm.

Doch das merkte dieser kaum, er war einfach nur froh, dass seine Eltern ihm endlich erlaubt hatten bei Herrn Mikami zu bleiben.