Ron wusste nicht genau, wann er das Gefühl bekommen hatte, dass etwas nicht stimmte. Er war sich nicht sicher, was ihn genau gestört hatte, doch irgendetwas hatte ihn gestört. Das Problem an seiner Gabe war, dass er nur merkte, wenn etwas falsch sein könnte und nicht, wenn etwas bereits falsch war. Dafür war Hermine da.
Als hätte sie gemerkt, dass er von ihr sprach, klopfte es an seiner Tür und ihre Stimme rief nach ihm.
„Herein.", rief Ron sofort zurück.
Hermine sah ein wenig zerzaust aus. Sie war ab und zu mal so – wenn sie unglücklich mit Büchern eingeschlafen war oder wenn es irgendetwas gab, worum sie sich sorgte. Es war ihm im letzten Sommer besonders aufgefallen.
Diesmal musste es das Letztere sein. Ron konnte ihre Anspannung beinahe selbst spüren und so versuchte er, mit etwas Unverfänglichen anzufangen.
„Normalerweise spiele ich mit Harry ja Schach aber gestern hat er mich sitzen lassen. Ist bestimmt bei Luna eingepennt."
So viel zu unverfänglich. Hermine quetschte ihre eine Hand mit der anderen und erwiderte zaghaft, „Das war wohl meine Schuld. Ich… habe ihn weggeschickt."
Es war ein kleines bisschen zu früh für so etwas und Ron musste sich hinstellen um klar denken zu können.
„Was meinst du mit weggeschickt? Einkaufen oder was?", fragte er nun ein wenig bissig, weil er bereits eine Ahnung hatte, was vor sich ging und es gefiel ihm kein bisschen. Er versuchte, sie erst ausreden zu lassen.
„Ich hatte… ich hatte eine Vision. Ein kleines Mädchen wurde gefangen genommen. Er… Ich habe ihn gefragt es zu befreien. Er ist vorletzte Nacht verschwunden und sollte eigentlich… Also er hatte auf jeden Fall angedeutet, dass ich jemanden bescheid geben sollte… Ich bin unsicher, was jetzt geschieht und wo er ist. Ich weiß nicht ob er verletzt ist. Ich kann nicht sehen was mit ihm ist.", quoll es aus Hermine hervor.
Ron rieb sich die Stirn. Er war wütend. Er hatte einen großen Kloß im Hals und er konnte ihn einfach nicht runterschlucken. Er musste handeln. Er musste irgendwie handeln. Er wollte Hermine auch nicht alleine lassen. Vielleicht konnte sie Harry ja doch finden.
Luna! Er konnte Luna suchen!
„Hermine du bleibst in deinem Zimmer. Ich werde Luna zu dir schicken. Vielleicht kann sie dir irgendwie dabei helfen, mehr zu erfahren. Ich werde mich darum kümmern, dass Leute Bescheid wissen. Wo ist er genau?"
„Französisch Guinea in Südamerika. Warte… Bist du sauer?", rief Hermine, als er bereits halb aus der Tür war.
„Ja das bin ich. Aber wir reden später.", zischte er zurück.
Ron eilte den Gang hinunter zu Lunas Zimmer. Ron war sich sehr wohl bewusst, dass auch er nicht gerade der Netteste zu dem Mädchen gewesen war, aber nun war sie ja Harrys Freundin und er musste sich wohl daran gewöhnen.
„Hey.", grüßte er verhalten, als er den Raum betrat. Die Tür stand weit offen und Luna saß auf dem Bett, scheinbar in ein Buch vertieft. Das war das erste Mal, dass er sie etwas lesen sah, was nicht der Klitterer war. Allerdings gab es in dem Gebäudekomplex keine Druckerpresse und ihr Vater war vermutlich auch anders beschäftigt.
„Hi Ronald.", erwiderte Luna gutmütig. Sie stand auf und sah ihn fragend an. Immer ein Sonnenschein, dachte Ron reumütig. Sie hatte ihm wirklich nie etwas getan. Etwas gemein war er dennoch gewesen, vor allem als Kind. Aber Kinder sind nun mal Arschlöcher, daran konnte man wohl nichts drehen.
„Hey Luna, ich muss dir etwas unangenehmes sagen.", sprach Ron ohne Umwege. Normalerweise hätte er zumindest erst gefragt, wie es ihr ging, doch in diesem Fall war das leider keine Option. Es war dringend.
„Was ist?", fragte sie und richtete sich prompt auf. Sie war bereits angespannt und Ron konnte es ihr nicht verübeln. Es war nicht angenehm auf der Flucht.
„Harry ist auf den… Wunsch… von Hermine auf die Suche nach einem kleinen Mädchen gegangen und ist in ein Nest gesprungen. Allerdings ist er noch nicht da und wir haben die 48 Stundenmarke erreicht, zu der er auf jeden Fall hätte wiederkommen sollen. Ich dachte, er wäre in der Zentrale. Es ist nicht unüblich, dass er mal eine Zeit lang weg ist."
Ihr Blick veränderte sich irgendwie. Ron machte einen kleinen Kampf von Besorgnis und Wut aus.
„Gibt es Details? Weißt du, wo genau er ist? Wie groß ist das Nest?", hakte Luna augenblicklich nach.
Ron kratzte sich am Kopf, „Er ist in Südamerika aber was die genaueren Details angeht bin ich überfragt. Ich bin garnicht sicher, ob ihre Gabe so genau ist. Wir dachten, du kannst vielleicht helfen."
Luna nickte ruppig. Irgendwie passte ihre Ausstrahlung nicht zu ihr, „Ich werde mich mit ihr unterhalten. Sie weiß vermutlich mehr, als ihr klar ist. Geh du zu Dumbledore oder Thomas. Nichts in diesen Gebäuden geschieht, ohne dass sie davon Kenntnis haben."
Sie verschwand schnell aus ihrem eigenen Zimmer und Ron blieb etwas peinlich berührt zurück. Auch er verschwand schnell aus dem Raum und schloss die Tür.
Er musste in das andere Gebäude apparieren, da sie gerade nicht nach unten durften. Es war eine Gebietswarnung ausgesprochen worden. Das bedeutete, dass sie alle erhöhte Sicherheitsvorkehrungen zu treffen hatten. Ron war sich sicher, dass Dumbledore an dem Schutz seines Anwesens arbeitete, doch das war wohl keine allzu leichte Aufgabe. Bis dahin mussten sie immernoch in diesen Gebäuden hausen.
Der Einzige, der die Situation um einen solchen Gebäudekomplex gut im Griff zu haben schien, war Delacour. Dumbledore jedoch hütete sich wohl davor, den Mann um Hilfe zu fragen. Es war zu gefährlich.
Er traf Tonks auf halbem Weg. Er wusste gar nicht wieso, aber irgendwie erschrak er sich, als er sie sah. Als hätte er sie noch nie gesehen.
„Hey Tonks.", grüßte Ron sie. Er hatte Tonks gemocht. Er hatte natürlich nicht so viel Zeit mit der Frau verbracht, aber sie war immer sehr nett gewesen und hatte Jason geholfen, sie auszubilden. Dadurch hatte er auch etwas mehr Kontakt zu ihr gehabt. Das sorgte allerdings auch dafür, dass er sich nun etwas betreten fühlte.
„Hallo Ron.", antwortete sie neutral. Er konnte ihr Gesicht nicht lesen. Was ihn aber verwunderte war ihr Aussehen. Es war nichts Bestimmtes, doch sie schien viel weniger herauszustechen. Er hatte immer den Eindruck gewonnen, dass ihr Gesicht sie aus einer Gruppe Menschen herausstehen ließ. Etwas… spielerisch und immer mit dem Schalk in den Augen. Nun jedoch erinnerte sie ihn eher an Jason im Einsatz – betont neutral, beinahe gewöhnlich. Es würde einem schwerfallen, sich an ihr Aussehen zu erinnern. Bei Jason war das natürlich berufsbedingt.
„Du suchst doch jemanden.", stellte Tonks fest.
Ron strich sich unsicher durch die Haare, „Ich suche nach… Thomas oder Dumbledore."
Er hatte irgendwie eine Reaktion erwartet, doch es kam keine. Tonks sah ihn nur unverändert an und er konnte ihr Gesicht wirklich nicht lesen.
„Ich habe sie bisher noch nicht gesehen. Ich denke aber, dass sie wahrscheinlich zusammen in der Zentrale sein werden. Ich kann dir nicht helfen.", antwortete sie knapp.
Sie war im Begriff, an ihm vorbei zu laufen, da richtete er nochmal das Wort an sie, „Wir freuen uns alle, dass du wieder da bist, Tonks."
Sie hielt für einen Moment an und erwiderte betrübt, „Welches ich meinst du, Ron?"
Ron seufzte, als sie sich entfernte. Er war nicht der Geschickteste, aber er gab sein Bestes und er fand, dass er es relativ gut gemacht hatte. Er konnte ja auch nicht in die Leute hineinsehen. Sollte er jeden Moment für jeden Satz seine Gabe befragen? Das war ja total unpraktisch.
Er suchte einen Kamin auf, doch er hielt inne. Er war sich gar nicht sicher, wie man in die Zentrale kam. Harry und die anderen Unsäglichen hatten seltsame Stichwörter, die sie immer hineinriefen. Aber er doch nicht. Es musste doch auch anderen Besuchern so gehen.
„Zentrale der Unsäglichen, Straßburg?", fragte er den Kamin, als er Pulver hineinwarf. Deutlich war er zumindest – anders als Harry, der seinen Mund voll Ruß gehabt hatte.
Er wurde weggezogen. Die Farben schossen an ihm vorbei und er wusste noch nicht so recht, was er tun sollte wenn er ankam.
Er landete schnell, aber auf den Füßen, in einer weißen Halle. Dass die Strecke so kurz war, hätte er sich eigentlich denken können. Er kam von Frankreich und landete in Strasburg. Erstaunlich aber war die Tatsache, dass das Flohnetzwerk zur und von der Zentrale überhaupt noch funktionierte. Doch die Unsäglichen hatten für viel schwierigere Probleme Lösungen gefunden.
Die Eingangshalle war wie er sie in Erinnerung hatte, doch zum ersten Mal war er alleine hier. Vielleicht hätte er direkt hineinflohen können – wenn Dumbledores Theorie stimmte. Allerdings müsste er dazu auch noch die Kennwörter wissen, und die kannte er schlichtweg nicht. Außerdem war es wohl seltsam, wenn jemand Harry Potters Kennwort verwendete und dann ein Rotschopf aus dem Kamin stieg.
Am Eingang stand eine Wache, die Ron nicht kannte. Er kannte natürlich im Allgemeinen nicht so viele Leute hier, allerdings war es doch eine gewisse Ungewohntheit.
„Name?", sprach der Mann ihn an, als er sich näherte.
„Ron Weasley.", sagte er. Nach einigen Momenten des Zögerns fügte er, „Ronald Weasley" hinzu.
Die Mundwinkel der Wache zuckten bei seiner Korrektur ein wenig nach oben, „Anliegen des Besuches und Kontaktpartner?"
Das war echt schwieriger, als er dachte, „Ich bin für den Orden des Phönix hier. Ich möchte zu Thomas wegen Harry."
Nochmals zuckten die Mundwinkel des Mannes. Ron hätte sie vielleicht beim vollen Namen nennen können, aber was sollte er tun? Harry Potter ging ja noch, aber er wollte in der Eingangshalle nicht Thomas Grindelwald rumschreien.
Er spürte eine Welle der Magie über sich gleiten, als der Unsägliche seinen Zauberstab zog. Es kitzelte auf der Haut und dauerte einen Moment, bevor die Wache zufrieden nickte, „Sie dürfen passieren."
Ron lief an dem Mann und der Pforte vorbei in den Gang hinein, welcher sich dahinter erstreckte. Es war noch immer weiß und es kamen kaum Farben dazu. Als er einige Schritte getan hatte, fiel ihm ein, dass er noch nie in der Ermittlerabteilung gewesen war. Schlimmer noch: Man konnte dort wohl gar nicht zu Fuß hin. Obwohl es ihm widerstrebte, einen dieser Räume zu verwenden, hatte er wohl keine Wahl.
Als er das nächste Mal auf den weißen Boden sah bemerkte er, wie langsam eine kleine blaue Linie erschien. Er machte einen Schritt zurück und direkt darunter hob sich langsam ein Text hervor. Die Zentrale wies ihm den Weg zu den Fahrstühlen. Wohl damit nicht immer irgendwelche Besucher in der Gegend herumstanden.
Er folgte der Linie und musste dabei ein wenig seltsam aussehen. Doch es begegnete ihm keiner und damit fühlte er sich ein wenig weniger peinlich.
Als er den Raum bereits sah, zögerte er. Lang genug, sodass ihn ein Mitarbeiter gesehen hatte und auf ihn zu schritt. Er dachte erst, dass man ihn wegschicken würde, doch der Mann zeigte nur auf den Raum und fragte, „Wollen Sie auch zur Verwaltung?"
Ron verneinte und der Mann schnitt ihn und ging vor ihm in den Raum. Wenigstens hatte er vorher gefragt, aber wahrscheinlich wollte er sich nur die Peinlichkeit ersparen, erst jemanden zu schneiden und dann doch zusammen im selben Gebäudeteil zu landen.
Nach dem Mann trat Ron in den Raum hinein und ein wenig unsicher rief er, „Ermittlungsabteilung?"
Das klang schon wieder viel zu sehr nach einer Frage. Das Gefühl der zwanghaften Apparation kam sehr schnell und etwas desorientiert schien es für Ron als hätte er sich absolut nicht bewegt. Der Raum war weiß und die Wand außerhalb des Raumes war ebenfalls weiß. Doch diesmal war er nicht in der Mitte, sondern am Ende eines Korridors.
Ron fand das gar nicht mal so schlecht, immerhin konnte er so nur in eine Richtung. Er lief den Gang ab und langsam kehre tatsächlich ein wenig Farbe in die Gänge ein. An den Wänden war eine Holztäfelung zu erkennen und ein paar Türen gingen nach links und nach rechts ab.
Thomas Büro war eines der Ersten. Das war wahrscheinlich nur, damit Thomas schneller als die Anderen bei den Aufzügen sein konnte. Obwohl dieser sicherlich auch durch die Schutzzauber hindurch springen konnte.
Er klopfte an die Tür, doch wartete gar nicht erst auf eine Bestätigung. Er hatte auf dem Weg hierher schon genug Zeit verschwendet.
Der Raum war nicht nur ein wenig größer als Ron es gedacht hatte, sondern beherbergte auch mehr Menschen, die ihn nun alle ansahen. Ron lächelte in die Runde. Er war froh, dass er die anderen zumindest kannte. Sein Bruder Bill blickte ihn überrascht an und Jason drehte sich neugierig zu ihm um.
„Ich hoffe, dass ich nicht störe.", grüßte Ron, wartete aber nicht auf eine Antwort, „Aber Harry ist verschwunden. Schon wieder, wohl gemerkt."
Thomas wandte sich zu ihm um. Er stand neben seinem Schreibtisch, den er Dumbledore zum Sitzen überlassen hatte. Und das, obwohl Dumbledore immer recht sprunghaft und jugendlich war. Dumbledore gegenüber saßen auch noch zwei ehemalige Hogwartslehrer. Seine alte Hauslehrerin McGonagall und Remus, denn er mittlerweile eher als Freund sah.
Thomas nickte sehr langsam und fasste Ron ins Auge, „Diese Angewohnheit hat er in der Tat. Wissen Sie Details?"
„Hermine… Sie hat ihre Gabe benutzt und ein Nest gesehen. Harry ist dorthin gesprungen um ein kleines Mädchen zu retten.", erwiderte Ron knapp und neutral. Thomas lehnte sich langsam gegen die Wand.
Remus wirkte ein wenig verlegen und McGonagall, die neben ihm saß hatte Ron überhaupt lange nicht mehr gesehen. Bill sah ihn verwirrt, aber unterstützend an.
„Er ist aber nun schon sehr lange weg. Luna meinte, ich solle euch fragen.", fuhr Ron fort.
Der Schulleiter wirkte besonders still und gefasst.
„Ich hatte die Hoffnung, dass sich dieser Zwist von alleine klärt und bin positiv überrascht, dass dem so ist. Wir haben Granger vorgestern Abend beim Zusammenpacken von Proviant entdeckt. Albus und ich dachten uns bereits, dass es sich um eine irgendwie geartete Rettungsmission handeln musste. Es passt ins Bild, dass es sich um eher verstörende Visionen handelt. Harry ist beinahe unmittelbar gesprungen und hat den Weg über den Norden genommen. Die ganze Situation ist einer schlechten Planung entsprungen und es nicht glücklich gelaufen. Allerdings mag man es Granger nachsehen, in dem Moment nicht den kühlsten Kopf bewahrt zu haben. Sie sind nach wie vor ein Teenager und somit nicht so erfahren in der Handhabe solcher Situationen.", führte Thomas aus und Ron wollte sich im ersten Moment nicht rühren.
„Woher wissen Sie das alles? Wissen Sie auch wo Harry jetzt ist?", fragte Ron nun tonlos. Es war sehr still im Raum geworden.
„Er hat das Nest wieder verlassen. Er ist verletzt, aber hat sich an die AAW gewandt.", antwortete Thomas ruhig.
McGonagall wandte sich schlagartig Thomas zu, „Verletzt? Wie können sie sich sicher sein, dass er noch lebt?"
„Ich beobachte ihn.", erwiderte Thomas neutral und schockierte damit ein wenig den Raum, doch niemanden mehr als Dumbledore. Es war nicht gut zu sehen – der Schulleiter hatte normalerweise sehr gute Kontrolle über seine Mimik, doch in dem Moment zeigte sich Schock oder Überraschung in dem Gesicht des Mannes. Ron konnte es nicht genau einordnen.
Thomas schien es auch bemerkt zu haben.
„Was dachtest du?", sagte Thomas ungehalten zu Dumbledore, der nun plötzlich die Aufmerksamkeit des Raumes hatte.
„Dachtest du, ich würde Harry einfach so ohne jeglichen Schutz dorthin gehen lassen? Ohne, dass er Überwachung hat? Nach Südamerika?", fuhr Thomas barsch fort. Der Schulleiter, obwohl er peinlich berührt war, ließ sich schnell nichts mehr anmerken, sondern sah nur neutral Thomas an. Dass er neutral wirkte, und nicht großväterlich wie sonst, zeigte bereits, dass sie ihn alle überrascht hatten.
Remus stand auf und entschuldigte sich, bevor er ein wenig eilend den Raum verließ. Seine Neugier hielt sich wohl in Grenzen. Die Anderen jedoch rührten sich nicht vom Fleck. Einschließlich Jason, der nun grinsend zwischen Thomas und Dumbledore hin und her sah.
„Ich möchte nicht bestreiten, dass ich gegen deine Auffassung von Richtig gehandelt habe, Albus, aber da du es mir nichts explizit befohlen hast, hielt ich es durchaus für in meiner Kompetenz, in der Hinsicht gegen dich zu handeln."
Dumbledore jedoch blieb schlichtweg stumm und sah den Mann an. Für einen Moment schien es so, als wollten sie gegenseitig ihre Gedanken lesen. Thomas Gesicht wirkte vollkommen klar, doch mit dem Fortschreiten der Sekunden wirkte der Mann zunehmend verwirrt.
Dumbledore richtete sich schlussendlich auf und verließ den Raum. Niemand sprach ihn an oder hielt ihn auf. Ron wusste nicht so recht, was geschehen war, doch es hatte große Tragkraft.
„Ist er wütend?", fragte Jason nun.
Thomas schüttelte den Kopf, „Es hatte am Ende überhaupt keine Konsequenz, da ich ja nicht eingegriffen habe. Also ist er wohl nicht wütend, ich habe ihn nur… überrascht. Ich weiß aber nicht wieso das so signifikant ist."
„Wieso habt ihr Harry einfach gehen lassen?", fragte Jason nun. Ron wusste genau, dass sein bunthaariger Mentor ein wenig skeptischer gegenüber allen war. Deutlich skeptischer als die Anderen zu sein schienen – doch seine Zusammenarbeit mit Thomas beeinflusste das wohl nicht. Jedenfalls laut Aussage von Jason.
„Ich wusste, dass Albus Wert darauf legt, Harry diese Aufgabe allein bewältigen zu lassen und ich hielt mich für fähig, die Situation relativ kontrolliert zu halten.", erwiderte Thomas monoton.
„Kontrolliert?", sprach eine Stimme von hinten. Ron wandte sich schnell um. Es trat Hermine dicht gefolgt von Luna ein. Letztere hatte mit einem Tonfall nachgefragt, der kein bisschen seiner gewohnten Verträumtheit hatte.
„Was heißt kontrolliert?", fuhr sie fort. Ihre Stimme klang auf einmal seltsam kalt. Ron schluckte spontan seine Wut runter. Luna war anscheinend besser darin, ihren Gefühlen freie Bahn zu lassen. Und das wollte was heißen – immerhin war doch er normalerweise der mit dem hochroten Kopf.
„Wie schnell hätten Sie hinspringen können? Vor einen Todesfluch? Das wären sie ihm nämlich schuldig, wenn sie ihn in eine solche Gefahr gehen lassen!", zischte Luna.
„Miss Lovegood. Zwei Dinge.", erwiderte Thomas zunächst ruhig, „Zum einen hat sich Harry Potter – Unsäglicher Harry Potter – immer noch aus freien Stücken dazu entschieden, eine irrsinnige Aufgabe von Granger anzunehmen. Er weiß es eigentlich besser. Zum anderen hat Harry nicht auf einmal die Fähigkeit verloren, Flüchen auszuweichen, weil er autonom agiert. Er kämpft noch genauso gut wie vorher und seine Fähigkeiten sind dieselben. Ich schütze ihn vor Situationen aus denen er nicht alleine herauskommen kann. Wenn ich sie nicht vorhersehen kann, wäre ich ihm dort keine Hilfe und keine Unterstützung der Zentrale könnte ihn retten. Sie müssen zwischen der Gefahr des Kampfes und der Gefahr der Situation unterscheiden. Das zusätzliche Risiko war durchaus kalkuliert."
Thomas reagierte emotional in dieser Sekunde. Sein letzter Satz kam aus ein wenig zusammengepressten Lippen hervor. Normalerweise redete er nicht so. Die Anschuldigung musste ihn wohl wütend gemacht haben.
Ron hatte realisiert, was Dumbledore eben aufgefallen war. Wieso er stillschweigend aus dem Raum gegangen war. Wieso es ihn überrascht hatte. Ron realisierte, wie wichtig Harry Thomas geworden war. Thomas war aber auch verdammt gut darin, so etwas nicht zu zeigen. Die Kälte, die der Mann abstrahlte, war legendär über die Grenzen Europas hinaus.
„Ich schlage vor, dass Sie drei sich erst einmal unterhalten. Bitte, nehmen Sie doch mein Büro dazu. Wir entschuldigen uns.", sagte Thomas darauf wieder vollkommen monoton und es sprangen augenblicklich alle auf.
Als Jason an ihm vorbei den Raum verließ, flüsterte er ihm noch „Immer erst durchatmen" zu, ehe er die Tür hinter sich schloss.
Er war allein mit Hermine und Luna in Thomas Büro. Es war seltsam, doch die ganze Situation war überhaupt sehr seltsam. Ron versuchte durchzuatmen. Er wollte Hermine verstehen können, das wollte er wirklich.
Ron wandte sich Hermine zu, „Ich nehme an ihr habt irgendeine Erklärung zusammengebastelt?"
Luna antwortete statt Hermine, „Hör sie erstmal an, Ron."
Luna war noch immer so ernst.
Hermine setzte sich auf einen der Stühle und Ron ließ sich ihr gegenüber in den Stuhl fallen. Luna wirkte erst zögerlich, doch dann setzte sie sich hin. Sie war unruhig.
Natürlich war sie das.
„Ron du musst verstehen was ich gesehen habe. Ich…"
Er wollte sie nicht jetzt schon unterbrechen aber sie ließ ihm keine Wahl. „Und wieso ist das wichtig, was du gesehen hast? Der Witz an den Gaben war doch, dass ich das nicht sehen brauche und trotzdem weiß, dass Selbstmordmissionen dämlich sind!"
„LASS MICH DOCH KURZ AUSREDEN!", schrie ihn Hermine frustriert an. Ron wurde still und starrte sie an. Innerlich brodelte er. Er wusste, dass sie nur irgendetwas sagen würde, was überhaupt nichts zur Sache trug.
„Du kannst es dir gar nicht vorstellen! Hast du schon wieder vergessen wie schlimm das für uns alle war zu sehen, wie jung die Schatten sein können? Wie jung unsere Gegner waren? Wie würdest du dich fühlen, wenn du so jemanden siehst, der zu einem solchen Leben verurteilt wird, wenn du nichts unternimmst!"
„Okay, ja, aber du hast doch nichts unternommen! Du hast Harry geschickt! Niemandem Bescheid gesagt! Niemanden zu Rate gezogen! Und das obwohl du anscheinend sehr verstört und traumatisiert aufgewacht bist! Obwohl du wissen müsstest, dass du dich da reingesteigert hast!"
„Jetzt stell mich hier nicht als die Schwache da!", zischte ihn Hermine an, „Harry sollte es schnell und gezielt machen! Er hat doch viel mehr Training als wir! Das Risiko ist für ihn kleiner als es für uns wäre!"
„Seit wann bist dafür verantwortlich?", rief Ron aufgebracht, „Wieso glaubst du auf einmal du kannst solche Entscheidungen allein treffen?"
„Aber es geht doch nicht um Entscheidung! Es sollte überhaupt keine Frage sein was zu tun ist! Es gibt da kein Richtig oder Falsch!"
Ron war aufgesprungen, „HÖRST DU DICH ÜBERHAUPT SELBST? Es gibt kein Richtig oder Falsch? Ist das deine Entschuldigung, weil du das Falsche getan hast? Das klingt wie etwas was Voldemort sagen würde! ODER NOCH BESSER – Grindelwald, dessen Beispiel du ja nacheiferst!"
„ICH HABE JEMANDEN GERETTET! DARAN IST NICHTS VERWERFLICH!", schrie Hermine zurück.
„ABER ICH BIN DOCH AUS EINEM GRUND DA! AUS DIESEM GRUND!", schoss Ron genauso laut zurück.
„Ich habe Schallzauber gesprochen.", unterbrach Luna ruhig.
Hermine atmete durch und Ron tat es ihr gleich.
Sie war die Erste, die wieder das Wort ergriff, „Erzähl mir nicht, dass du anders entschieden hättest – jetzt wo du weißt was ich gesehen habe! Du kannst unmöglich wissen was ich weiß und trotzdem denken, dass es falsch wäre!"
„Aber es geht doch gar nicht darum ob etwas Richtig oder Falsch ist! Die Welt ist nicht nur hell oder dunkel! Es gibt richtig und falsch, gut und schlecht, geplant und spontan, strategisch und DUMM! Es geht um..", ihm fiel das Wort nicht ein, „kleine Unterschiede!"
Hermine blickte kalt zurück, „Ich bin aber nicht dumm, Ronald! Ich bin doch aus einem Grund so!"
„Ich glaube du genießt das etwas zu sehr!", zischte Ron sie an, „Es geht hier überhaupt nicht darum, dass du dich verlierst! Nicht die Gabe macht dich böse, sondern die Gelegenheit!"
„ERKLÄR MIR NOCHMAL INWIEFERN DAS LEBEN EINES KINDES ZU RETTEN BÖSE IST!"
„Du kannst jemanden so Wertvolles wie Harry nicht einfach auf Selbstmordmissionen schicken! Tut mir leid aber in dem Fall ist das schlichtweg böse! Chaotisch! Ich weiß gar nicht was du bezwecken wolltest! Die Schatten machen das doch die ganze Zeit! Überall werden Kinder entführt! Ja ganz toll, du hast EINES gerettet! Harry hätte schon das ganze Nest zerstören müssen damit es einen Unterschied macht!"
Hermine sank zurück in den Stuhl und Ron sah aus der Entfernung, wie ihre Augen begannen zu tränen.
„Du hättest sie sehen sollen, Ron…", wimmerte sie und Ron lief es wie Eis den Rachen herunter. Er überbrückte die Distanz zu ihr und schloss sie in seine Arme. Sie schluchzte ein paar Mal in seine Schulter hinein bevor sie wieder normal atmete.
„Es ist natürlich normal, dass die ganze Sache für euch eine Umstellung ist. Ihr müsst alle in eure Rollen hineinwachsen.", flüsterte Luna von der Seite, „Aber ihr seid schon so weit gekommen. Harry kann sich ein wenig gegen die Lenkung der anderen Seite wehren. Ronald, du kannst zwischen richtig, falsch, und dem Willen der anderen Seite unterscheiden. Hermine kann sogar deutlich besser mit ihrer Gabe umgehen als wir gedacht haben. Dazu verbindet euch ein starkes Band. Gebt nicht auf, wenn ihr vom Leben geprüft werdet. Ihr ward bisher so standhaft und erfolgreich."
X
X
X
Harry war über die AAW zurückgekehrt. Er hatte denen einiges an Erklärungen abzuliefern, besonders, da niemand ihm befohlen hatte, in dieses Nest zu gehen. Den Horcrux hatte er jedoch immer noch bei sich und er war eigentlich ziemlich zufrieden mit sich. Es war nicht umsonst gewesen.
Er war nicht blöd – natürlich brachte es nichts, ein einzelnes Mädchen zu retten. Ein Horcrux jedoch war ein echter Fortschritt. Wer weiß wie viele Seelen sie dadurch befreien konnten.
Von der AAW aus konnte er durch das Flohnetzwerk direkt in die Ermittlungsabteilung springen. Die AAW hatte ihn verbunden aber es stellte sich heraus, dass die Wunde magischer Natur war und sie wollten ihn erst nicht durchs Flohnetzwerk schicken und riskieren, dass die Wunde wieder aufplatzte. Er war trotzdem gegangen und natürlich war sie wieder aufgeplatzt.
Er hielt sich den Bauch als er in der Zentrale in Straßburg ankam. Er landete im Aufenthaltsraum und als gäbe es keine größeren Zufälle saßen Thomas, Jason und Emilia dort. Direkt daneben saß sogar Remus und Harry fand die Ansicht sehr ungewöhnlich.
Remus sprang auf als er ihn sah und auch Thomas und Emilia wandten sich schnell um. Letztere schritt schnell auf ihn zu. „Alles okay? Ist dein Bauch verletzt?"
„Holzsplitter.", bekam Harry heraus. Flohpulver war noch unangenehmer, wenn man verletzt war.
„Die Wunde ist ja offen.", murmelte Emilia, „Ich schließe sie dir für den Moment."
„Ich muss mit Thomas sprechen.", murmelte Harry zurück und Emilia grinste ihn an.
„Dann mach aber schnell er hat sich schon Sorgen gemacht.", erwiderte sie fröhlich.
An Emilia vorbei schritt Harry langsam zu Thomas, welcher auch aufgestanden war.
„Bevor du mich anmeckerst habe ich ein Geschenk für dich.", sprach Harry sachte und zog den Horcrux aus seinem Umhang, „Den habe ich dir mitgebracht."
Thomas hob die Augenbrauen, „Granger hat also tatsächlich nach Horcruxen gesucht?", fragte er, als er das Artefakt in die Hand nahm und es begutachtete, „Wir waren uns nicht sonderlich sicher, wie viel Kontrolle sie tatsächlich über ihre Gabe hat. Dann war die ganze Aktion ja nicht umsonst."
„Immer schön, gewertschätzt zu werden.", entgegnete Harry trocken, „Ich glaube aber, dass ich es eigentlich relativ gut gemacht habe."
„Sicher hast du das.", erwiderte Thomas ruhig, „Wenn du mir folgen würdest wäre ich dir zu Dank verbunden."
Harry nickte und für einen Moment ließ er Thomas vorgehen. Er sah zu Emilia, welche allerdings nur mit den Schultern zuckte.
Thomas schritt den Gang hinunter, allerdings nicht zu seinem Büro, sondern nach rechts dorthin wo die Mehrzweckräume waren. Ein wenig verwirrt folgte ihm Harry. Thomas stieß die Tür auf, in die der Gang mündete und bat ihn herein. Es war eine Art Verhörraum, allerdings keiner der normalen Sorte.
„Ich bin sicher, dass du schon mal hier drin warst.", sagte Thomas, „Ich möchte nicht, dass uns jemand überhört."
Dann erkannte er den Raum – Bridger hatte ihn mit Ron auch in einen solchen Raum geführt, damit sie nicht überhört wurden. Doch da ging eine große Gefahr von den anwesenden Todessern aus und Harry wusste nicht, wieso dieses Level an Vertraulichkeit nun wichtig war.
„Ich nehme an, dass du auch das Kind gerettet hast?", fing Thomas nun beinahe beiläufig an. Harry erkannte, dass er ihn verhörte und er wusste nicht so recht, wie er damit umgehen sollte.
„Das habe ich… Ich habe es bei seinen Eltern abgesetzt, weil die Schatten mir noch auf den Fersen waren."
Thomas nickte, Harry noch immer fest im Blick haltend. „Setz dich doch.", bot er dann an und Harry sackte auf einem der Stühle zusammen. Es herrschte ein seltsames Licht in dem Raum, da es keine Quelle zu haben schien.
„Für das nächste Mal solltest du dir vielleicht überlegen, dass es mehr Gefahren für das Kind gibt als die Gefangennahme. Die Schatten könnten sich im nächsten Schritt einfach dazu entscheiden, dass sie die ganze Familie töten.", erwiderte Thomas kühl.
Das hatte Harry nicht bedacht, aber er war so in Eile gewesen, dass er kaum klar gedacht hatte. Außerdem hatte er den Horcrux dabei gehabt.
Normalerweise hielt die Stimme sich bei Unterhaltungen mit seinen Freunden und Kollegen heraus, doch in diesem Fall schien etwas wichtig zu sein. Oder sie wollte die Unterhaltung abkürzen.
Dumbledore wollte, dass du alleine und unbeobachtet auf diese Reise gehst. Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass sich Thomas einfach gegen ihn stellt. Thomas hat dich beobachtet. Der Rabe war in der Tat fehl am Platz., flüsterte die Stimme in seinen Kopf.
Harry schreckte auf und sah Thomas an, welcher noch immer vor ihm stand.
„Ich habe den Horcrux mitgenommen, da konnte ich nicht zu lange an einem Ort bleiben.", erklärte sich Harry.
„Das war auch gut so, das möchte ich gar nicht bestreiten. Kommen wir nun dazu, wie du die Schatten ausgeschaltet hast, die dir gefolgt sind.", fuhr Thomas fort.
„Schatten und einen Todesser.", verbesserte ihn Harry, obwohl Thomas das genau wissen musste.
„Der Todesser wird es wohl gewesen sein, der dich verwundet hat.", vermutete Thomas dann.
„Thomas.", unterbrach Harry ihn, „Ich habe den Raben gesehen."
Thomas hielt kurz inne, allerdings schien Harry ihn kaum aus der Fassung gebracht zu haben.
„Erinnerst du dich noch, wie du die Schatten schlussendlich ausgeschaltet hast?", fragte er dann vorsichtig.
Harry nickte. Natürlich wusste er es noch. Doch er verstand es nicht genug, um es in Worte zu fassen. Natürlich hatte er eine vage Ahnung, doch irgendwie passte nichts aufeinander. Bisher wusste auch überhaupt nur Luna davon. August hatte es natürlich auch gewusst, aber Harrys Bemühungen hatten sich als nutzlos erwiesen und er war dennoch gestorben.
„Ich… bin gar nicht richtig sicher was geschehen ist. Es war ja relativ plötzlich. Ich meine sie alle verbrannt zu haben.", gestand Harry, „Aber ich verstehe nicht wie. Ich meine, ich hatte das…"
„Du kennst das bereits?", hakte Thomas nach.
„Ich habe…", setzte Harry an doch musste erst überlegen. Es war zu aller erst natürlich bei seiner Verabredung mit Luna aufgetreten aber irgendwie hatte er eine gewisse Hemmschwelle, mit Thomas darüber zu reden.
Er tat es am Ende trotzdem.
„Ich bin mit Luna ausgegangen und als ich ihre Hand berührt habe, bin ich vollkommen warm geworden. Als August sich verausgabt hatte, hat mir die Stimme gesagt, sie hätte die Wärme in mir geweckt und ich habe Augusts Tod wohl… verzögert. Luna hat mir dann gesagt, dass die Wärme eigentlich aus mir heraus kommt. Und dann… naja dann sind wir hier angekommen. Ich weiß nicht, was das alles bedeutet.", floss es aus Harry heraus.
Thomas betrachtete ihn neutral und es war gar nicht so peinlich mit ihm darüber zu reden, wie Harry gedacht hatte.
„Und Lovegood hat keine weiteren Tipps auf Lager? Ich muss gestehen, dass ich mir um der Natur dieser Magie unsicher bin. Du hast aber die Kontrolle darüber, oder so scheint es zumindest.", führte Thomas aus, „Was ich aber ohne Zweifel sagen kann ist, dass es keine Schattenmagie ist. Den Verdacht hattest du allerdings selbst bereits."
Harry nickte. „Aber es ist ja eigentlich nicht möglich. Ich bin ja ein Squib! Hätte ich normale Magie in mir würde ich sicher explodieren oder so!"
Thomas lächelte mit zusammengepressten Lippen und setzte sich ihm gegenüber, „Ich glaube nicht, dass wir uns darum Sorgen machen müssen. Aber wenn du gleich mit Lovegood redest, wäre es gut das anzusprechen."
„Luna ist hier?", fragte er. Das hatte er nicht erwartet. Wieso sollte sie hier sein? Dann fiel es ihm wieder ein. Er war einfach verschwunden und hatte auch noch etwas lebensgefährliches getan. Natürlich war sie hier.
Thomas nickte, nicht weniger amüsiert als vorher, „Sie hat ein paar ernste Worte an mich gerichtet. Weasley und Granger sind gerade dabei, sich auszusprechen, und sie ist dabei. Wenn du zu ihr möchtest, dann wirst du wohl eine ähnliche Konfrontation mit ihm durchmachen müssen. Ich muss an der Stelle aber sowohl betonen, dass du es hättest besser wissen müssen, als auch, dass er genau für diese Art von Entscheidungen seine Gabe erhalten hat. Wieso hast du nicht Granger angehalten, mit ihm zu reden?"
Harry blickte zu Boden, „Ich bin mir nicht sicher, ich… Es ging alles so schnell und um ehrlich zu sein habe ich gar nicht darüber nachgedacht. Bisher war es oft so, dass…"
„Dass du alleine vorgegangen bist? Das mag durchaus sein, aber dennoch ist es eine Erwägung, ihn zuerst zu Rate zu ziehen. Immerhin ist bei der Situation noch etwas Sinnvolles herum gekommen . Wir haben jetzt den Horcrux."
„Dankeschön, mehr wollte ich nicht hören. Aber du hast recht, ich sollte wohl mit ihnen reden. Auch wenn ich nicht weiß, was es jetzt noch zu bereden gibt."
„Du schaffst das schon. Es würde mich aber natürlich zusätzlich freuen, wenn du etwas für mich tun könntest.", sagte Thomas plötzlich ernst.
Harry sah verunsichert zu seinem Mentor auf. Es schien ihm wirklich unangenehm zu sein und er wusste nicht so ganz, was er davon halten sollte.
„Ich bin mir sehr sicher, dass Emilia sich um Nurmengard herumtreibt. Sie stellt meines Erachtens nach irgendwelche… Messungen an. Sie sagt dazu aber nichts und ich kann ihr auch keine… offiziellen Übertretungen ihrer Kompetenzen nachweisen. Nicht, dass ich ihr das Dienstverhältnis aufdrücken würde, aber es wäre wünschenswert, wenn sie es unterließe. Es ist zu gefährlich."
„Das klingt… wie ein Streit unter euch, den ihr selbst austragen solltet.", erwiderte Harry belustigt, „Wollte sie deswegen mit nach Nurmengard kommen? Sie wirkte aufrichtig bei dem Wunsch, dich zu verstehen."
„Das war sie denke ich auch. Gewissermaßen ist das nun ihr… kleines Privatprojekt."
„Ich werde mal sehen, was ich tun kann. Ich sage dir dann Bescheid, wenn ich etwas herausfinde.", versicherte Harry ihm und verließ den Raum.
Um die Ecke biegend sah er, dass Emilia schon längst verschwunden war. Remus unterhielt sich mit Jason. Bisher hatten seine Freunde das Büro von Thomas wohl nicht verlassen.
Als Harry in den Raum trat, sah er, wie Ron und Hermine sich ruhig unterhielten. Luna bemerkte ihn als Erstes. Sie lächelte und sprach ihn an, „Es ist schön dich am Stück zu sehen.". Auch Ron und Hermine drehten sich schließlich zu ihm und Ron sprang auf.
Normalerweise hätte er erwartet, dass es Hermine sein würde, die ihn sofort besorgt musterte, doch diesmal war es Ron. Sein bester Freund kam auf ihn zu und musterte ihn von oben bis unten. Sein Blick blieb an der Wunde heften.
„Schlimm getroffen worden?", fragte er sachlich.
Harry schüttelte den Kopf, „Ein Todesser hat mich etwas mit einem Holzsplitter überrascht."
Ron grinste, „Also hat einer der einfachen Tricks, die gegen Schatten wirken, auch gegen dich geklappt?"
„Leider ja.", erwiderte Harry ebenfalls grinsend.
„Wir haben aber noch einiges zu bereden, Harry. Thomas war ja so freundlich, uns sein Büro dafür zu Verfügung zu stellen. Jetzt wo du hier bist ist das auch nicht mehr so seltsam."
„Setzen wir uns?", fragte Harry dann.
„Aber es sind nur drei Stühle da.", gab Hermine zu bedenken. Sie sahen sie beide ein wenig verwirrt an und Luna musste schmunzeln.
Ron zog seinen Zauberstab und machte eine beinahe beiläufige Bewegung damit. Es passte genau zu Ron, einen Zauber nur zu trainieren, damit er lässig wirkte, während er ihn durchführte.
Ein Stuhl erschien und Ron setzte sich darauf. Harry saß nun neben Luna, welche ihn nochmal anlächelte. Es war ein sehr warmes Lächeln und Harry war das beinahe nicht gewohnt. Thomas lächelte sehr selten und wenn er es tat, dann eher belustigt als freundlich. Emilia lächelte sehr freundlich, aber von jemanden wie Luna war es eine ganz andere Größenordnung.
„Harry, wieso bist du freiwillig nach Südamerika gegangen? Aus einem Impuls von Hermine heraus? Hat die zweite Stimme in dir nicht dazwischen gefunkt? Es kommt mir so vor, als hätte sie das sollen.", fragte Ron gerade heraus.
Harry schüttelte den Kopf, „Abgesehen von der… Eskapade mit Voldemorts Ritual, bei dem ich absolut keine Kontrolle hatte, überlässt mir die Stimme immer die Entscheidungsgewalt. Ich habe zumindest das Gefühl. Ich bin kein Hammer, den man schwingen kann. Ich mache etwas, wenn es für mich machbar klingt. Das klang… es klang schwierig, aber nicht unmöglich."
„Schwierig? Alleine in einem Nest voller Schattenmagier? Nur schwierig?", hakte Ron skeptisch nach.
Harry sah zu Boden, „Ich gebe zu, dass ich nicht so viel darüber nachgedacht habe. Hermine weiß sonst normalerweise, was wir tun sollten."
Ron seufzte, „Aber das ist ja genau der Punkt. Hermine weiß viel, aber es geht ja in der Situation nicht um Wissen. Wissen ist etwas vollkommen anderes. Eine der Limitationen ihrer Gabe ist ja gerade, dass wenn sie weiß, was vor sich geht, dass sie dann nicht weiß, ob es am Ende gut wird. Dafür bin ich da und du weißt das genau. Wieso hast du nicht erst mit mir reden wollen? Es tut ein wenig weh."
Harry fuchtelte ein wenig mit den Händen herum, „Ron wir müssen das jetzt nicht ewig durchkauen. Hermine war bisher immer der Mensch, an den man sich wendet, und du sag mal nein zu ihr, wenn sie aufgelöst und entschlossen vor dir steht… Unsere Dynamik muss sich halt ändern, das gebe ich zu. Und dass es in der Situation echt blöd von mir war. Aber das hat mir Thomas auch schon gesagt!"
Ron seufzte erneut, „Ich versteh ja was du meinst. Ich hatte auch nicht erwartet…"
„Auf einmal Dumbledore sein zu müssen?", fragte Harry belustigt, „Soll ich dir Socken schenken?"
Ron grinste, „Ist das nicht eher Dobby?"
„Außerdem ist Harry sowieso ein wenig seltsam zugeteilt worden.", warf Hermine ein, „Der, über den man am meisten spricht erhielt die Gabe dessen, über den man am wenigsten spricht!"
„Mal ehrlich, wusstest du, dass Dumbledore einen Bruder hat?", fragte Ron nun und Harry verneinte.
„Aber es ist auch ganz anders als bei den Anderen. Dumbledore war wohl viel stärker von seinem Gespür geleitet, Grindelwald lief viel schneller in die Gefahr, sich zu verlieren. Zumindest war es wohl schwierig, ihn wieder aus der Vision hinaus zu bekommen, und Aberforth…", Harry pausierte. Er wusste nicht, wie er es beschreiben sollte, „Aberforth war viel mehr das Werkzeug als der Handwerker."
„Luna hat das auch genau so gesagt.", warf Hermine ein und Luna nickte nur ruhig.
Sie unterhielten sich noch ein wenig. Sie tauschten sich nochmals über ihre Kräfte aus. Es war schwierig für sie alle. Sie mussten sich umstellen und keiner von ihnen verstand wirklich, was hier vor sich ging. In manchen Momenten schoss Harry die Prophezeiung durch den Kopf und den strikten Zeitplan, den sie vorgab. Er hatte sie nicht gehört, als sie gesprochen wurde, doch nun hatte er sie im Kopf als wäre er dabei gewesen.
Es war nicht leicht. Aber zusammen konnten sie es schaffen. Allen voran brauchten sie wohl Luna – die als Einzige zu verstehen schien, was vor sich ging. Vielleicht nahm sie es auch nur nicht so schwer, nicht zu verstehen. Harry war sich nicht sicher.
Ron verließ am Ende zuerst den Raum. Sie hatten sich gestritten, so viel wusste Harry, aber es sorgte natürlich nicht wirklich dafür, dass das Gefühl in dem Rotschopf verging. Harry wusste, dass ihre Aktion Ron auf eine ganz besondere Art verletzte – sie traf ihn genau in seine Unsicherheiten. Er wusste aber auch, dass Ron sich davon ein wenig zu distanzieren versuchte. Tatsächlich war Ron der Sachliste von ihnen gewesen.
Hermine entschuldigte sich kurz danach, als sie bemerkte, dass sie nun alleine mit Harry und Luna war. Im Gegensatz zu Luna war ihr eine solche Situation unangenehm und sie floh beinahe aus dem Zimmer.
Eigentlich war es auch nett. Er war nicht oft alleine mit Luna, allerdings war er natürlich nicht wirklich alleine – in Thomas Büro war man nie alleine. Wahrscheinlich kroch dort irgendetwas herum was ihm berichten konnte, was vor sich ging.
„Es ist schön, dass du am Stück zurückgekommen bist.", sagte Luna nochmal. Harry lächelte sie an. Er konnte ihr nicht verdenken, sich Sorgen gemacht zu haben. Allerdings fand er es tatsächlich ein wenig ungewöhnlich. Sie war sonst nicht der Typ, der sich Sorgen machte.
„Du hast mich bisher nur nicht so erlebt. Natürlich mache ich mir auch Sorgen. Ich bin doch ein Mensch.", erwiderte Luna als hätte sie gehört was er gedacht hatte.
„Es ist ja am Ende alles gut gegangen.", bot er an und sie stand auf. Sie überbrückte die Distanz zu ihm schnell und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen bevor sie ihn in ihre Arme schloss.
Es war schön von ihr gehalten zu werden. Er bemerkte, dass seine Wunde sich tatsächlich ziemlich gut verhielt. Vermutlich konnte Emilia ein wenig besser dagegen wirken als die normalmagischen Zauberer der AAW.
„Wir sollten vielleicht aus dem Büro herausgehen. Ich kann dir Straßburg zeigen! Das bringt uns auf andere Gedanken."
„Andere Gedanken als was?", stichelte Luna belustigt und Harry wurde doch tatsächlich rot. Bei ihrer Ausstrahlung traute man ihr solche Sticheleien überhaupt nicht zu!
Harry schüttelte belustigt den Kopf und zog sie sanft aus dem Büro hinaus.
Hinter ihnen klickte es und Harry spürte, wie sich das Büro von selbst verschloss. Dass Thomas das überhaupt durfte war erstaunlich. Jason schloss sein Büro normalerweise sowieso nicht ab, damit die Interne Ermittlung da rein konnte.
„Was sehen wir uns zuerst an? Die grünen Wiesen?", fragte Luna belustigt und Harry lächelte verlegen.
„Nein, nein, keine grünen Wiesen hier. Außerdem weiß ich nicht, unter welchem Teil von Straßburg wir überhaupt sind.", Harry hielt einen Moment inne. Er wollte seine nächsten Worte mit Bedacht wählen.
„Hast du etwas auf dem Herzen?", fragte Luna zaghaft und drückte seine Hand. In dem Moment fiel ihm sehr sehr viel ein. Nicht nur die fremdartige Kraft, die aus ihm herausgebrochen war und die Schatten verbrannt hatte. Nicht nur die Tatsache, dass er nicht genau wusste, was die andere Seite von Luna wollte und er das wirklich gerne erfahren würde. Viel mehr als das und Harry wusste nicht genau, wieso es ihm in diesem Moment alles einfiel.
„Womit soll ich nur anfangen?", fragte Harry unsicher und Luna lächelte und drückte seine Hand.
„Am Anfang wäre gut."
„Was genau ist deine Aufgabe eigentlich? Ich weiß, dass du gesagt hast, dass irgendwie wir drei deine Aufgabe sind, aber… Wann hast du sie erfüllt? Und was passiert dann?", hakte Harry nochmal nach. Wenn man schon vorne anfing, konnte man auch ganz vorne anfangen.
Luna seufzte. Sie waren am Fahrstuhl angekommen und Harry geleitete sie hinein.
„Eingang Straßburg.", sprach Harry und sie wurden weggesogen.
Sie tauchten oberirdisch wieder auf und Harry verließ mit Luna das Gebäude.
Sie ging nah neben ihm und er legte seinen Arm um ihre Taille.
„Ich weiß es nicht genau, Harry, das habe ich dir schon gesagt. Ich weiß nur, dass ich irgendwie sicherstellen soll, dass ihr eure Aufgabe erfüllen könnt. Ich bin aber natürlich kein Kämpfer also kann es damit nichts zu tun haben. Ich habe…"
„Wir sind aber nicht zusammen, weil das eine Aufgabe der anderen Seite ist, oder?", fragte Harry aus Scherz.
Luna hob nur die Augenbrauen, „Du fragst mich das?"
„Hey das ist unfair. Du bist wundervoll und ich bin sehr froh mit dir zusammen zu sein.", widersprach Harry.
„Du Charmeur.",
„Wann ich meine Aufgabe erfüllt habe… Ich weiß es nicht. Ich bin auch nicht sicher, was dann geschieht. Streng genommen lebe ich nun schon so lange mit der Bürde der anderen Seite, dass ich nicht weiß, wie man ohne lebt."
Ein beunruhigender Gedanke stieg in Harry auf, „Kannst du dich gegen die andere Seite stellen? Und was tun sie dann?"
Luna wandte sich zu ihm und sah ihn direkt an. „Kann ich. Ich weiß nicht, was dann geschieht, aber bisher ist alles okay. Wollen wir hoffen, dass es so bleibt."
Sie klang so sicher.
„Du hast dich schon mal gegen sie gestellt?", fragte Harry verdutzt.
„Wir sind doch zusammen, oder?", entgegnete Luna flüsternd.
Sie wandte sich wieder um, „Also, lädst du mich ein oder was?"
X
„Ist es bereit?", sprach der dunkle Lord in die Dunkelheit. Es war die Heimat seiner Soldaten, ihre natürliche Umgebung. Licht hatte keinen Platz in dieser Welt und auch Lord Voldemort konnte den Wert der Dunkelheit schätzen. Der Tod war so viel präsenter, wenn man ihn nicht sah. Das Wissen, dass er einen vollständig umschloss, machte ihn so viel potenter.
„Wir haben es getestet. Wir benötigen einen sehr starken Sog für diese Art von Bannsiegel. Wir werden es rechtzeitig schaffen.", sprach die Gestalt.
„Gibt es Probleme?", fragte der dunkle Lord darauf.
„Nichts worum wir uns nicht kümmern können. Ab und an taucht eine abtrünnige Kaltmagierin auf. Die Späher haben sie identifiziert.", antwortete der Schatten.
Das war ein interessanter Punkt. Der Schatten erwartete geduldig die Reaktion des Lords.
„Wir werden sie beobachten. Was sie herausfindet, werden wir ebenfalls herausfinden. Dokumentiert alles. Wir können sie immer noch töten, wenn wir haben, wonach wir suchen. Es ist nun das wichtigste Projekt."
Es war beinahe greifbar. Lord Voldemort spürte das Zittern der Magie in seiner Umgebung und bald würde er die Konzepte von Möglich und Unmöglich ad absurdum führen. Er würde die Realität formen, wie es ihm beliebte und er würde der mächtigste Magier der Welt werden.
„Was ist, wenn sie Schwierigkeiten macht? Es könnte sein, dass sie aus Versehen irgendwelche Fallzauber aktiviert."
„Haltet ihr das für wahrscheinlich?", fragte der dunkle Lord. Er konnte sich in dem Punkt seiner Neugier nicht erwehren. Was dachten die Schatten über ihresgleichen? Ein Bewusstsein erreichte man immer, indem man die Bürde der Empfindung in Kauf nahm. Voldemort hatte sich jahrelang gegen diese Tatsache gewehrt – doch nun konnte er akzeptieren, dass es auch Schattenseiten der fleischlichen Existenz gab.
„Nein. Aber die Eventualität besteht."
„Dann müsst ihr sie vorher eliminieren. Ich nehme an, dass ihr sie beschatten könnt.", forderte der dunkle Lord.
„Natürlich.", erwiderte der Schatten sofort.
„Wie ist die Situation in den Muggelstädten?", fragte Voldemort nun.
Eine junge Frau weiter hinten regte sich und ging nach vorne zu Lord Voldemort. Sie blickte ihn neutral und kalt an.
„Die Muggel zeigen keine Gegenwehr mehr. Ein halbes Jahr unter eurer Herrschaft hat sie weich werden lassen. Es gibt kaum noch Proteste. Es gab Versuche, Menschen zu schleusen, verbotene Bücher zu lesen, verbotenen Handel zu treiben. Alles binnen 24 Stunden unterbunden. Wir haben insgesamt 34000 Muggel getötet, davon 5000 aufgrund von Verstößen gegen die Ordnung."
„Die Leichen?", fragte Voldemort nun.
„Restlos verbrannt. Die Essenz wurde nach eurem Wunsch gebannt.", sprach der Schatten.
„Wunderbar. Ich möchte unterrichtet werden, wenn ihr weitere Fortschritte macht. Und wenn ihr die Abtrünnige tötet, stellt sie doch bitte schön aus. Wir wollen ja nicht, dass der Bluthund vergisst, wen er vor sich hat."
