Kapitel 13
Harry sass am Küchentisch. Die roten Zahlen am Backofen zeigten 20:48 Uhr. Sie war nun schon seit zwei Stunden weg. Nachdem sie begriffen hatte, was Harry gesagt hatte, war sie schnurstracks aus der Wohnung verschwunden und Harry sass seit dem hier rum und tat absolut gar nichts. Wo war sie? Allmählich machte er sich Sorgen...
"Hören
Sie, Miss... Wir schliessen jeden Augenblick!", der freundliche
Kellner war zu ihr an den Tisch getreten, räumte ihre leere
Kaffeetasse ab und forderte sie mit einem lächelnden
Gesichtsausdruck auf, das Cafe zu verlassen. Jetzt, als Hermine sich
in dem gedämpften Raum umsah, bemerkte sie wirklich, dass sie
die einzige war. "Wie spät ist es denn?"
"Halb
zehn!"
Hermine nickte geistesabwesend. Ob sie es wollte oder
nicht: irgendwann musste sie damit konfrontiert werden. Irgendwann
musste sie mit Harry darüber sprechen. Tausende von Fragen hatte
sie sich während den letzten Stunden selbst gestellt, aber nur
wenige Antworten darauf gefunden und jetzt, als sie das Cafe verliess
und den Nachhauseweg einschlug wünschte sie sich, dass diese
Fragen nie beantwortet werden müssten, dass Harry ihr nichts
gesagt hätte... Einfach, dass alles so weiter gehen konnte, wie
bisher- ohne Hindernisse, die ihre Liebe in den Schatten der Zweifel
legten.
Die
Wohnung lag in absoluter Dunkelheit, als Hermine so leise wie nur
möglich eintrat, und die Tür hinter sich zuschloss.
Vielleicht schläft er schon, dachte sie, warf ihre Tasche bei
Seite und ging in die Küche, wo sie aber mit einem leichten
Schrecken feststellte, dass er noch nicht schlief. Oder jedenfalls
nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte- denn Harry sass immer
noch am Küchentisch, den Kopf auf der Tischplatte und das
Gesicht bedeckt durch seine Arme. Sein Atmen schien ihr leiser als
sonst. Das schwarze Haar stand in alle Himmelsrichtungen und als
Hermine einen Stuhl zu sich zog und sich dann draufsetzte, schreckte
er hoch, rieb sich verschlafen die Augen und blickte sein Gegenüber
stumm an.
"Ich war einbisschen an der frischen Luft...",
sagte Hermine fast geräuschlos und versuchte in der Dunkelheit
seinen Blick zu deuten.
"Ich habe mir Sorgen gemacht... Wieso
bist du so einfach abgehauen?"
Hermine sagte nichts. Ihre zarten
Finger fuhren über das Muster der Tischdecke.
Harry
schluckte. "Hermine, bitte hör zu... Es tut mir so leid, dass
ich dir so lange nichts davon gesagt habe... Es- Ich brachte es
einfach nicht übers Herz!"
"Wann? Als wir schon zusammen
waren?" Hermines Augen verengten sich zu einem Schlitz.
"NEIN!",
Harry versuchte sie zu beruhigen. "Nein, ich schwöre es,
Hermine! Es gab nur ein einziges Mal- und dann... Nun ja."
Hermine
sah ihn an. Seine Augen glänzten- offenbar stand er den Tränen
nah. "Es tut mir alles so schrecklich Leid... Glaub mir bitte, ich
hätte einen anderen Weg gewählt, wenn sich mir die
Möglichkeit gestellt hätte. Alles, was ich je wollte, war,
dich zur glücklichsten Frau dieser Welt zu machen. Ich wollte
für dich da sein, deine Tränen abwischen, dir Halt
schenken, wenn du fällst... Ich wollte der Vater deiner
Kinder werden!"
"Ich weiss, Harry..."
"Du verstehst
nicht...", Harry vergrub sein Gesicht in seinen Händen und
schnaubte. "Ich fürchte, vieles davon werde ich dir nicht mehr
bieten können. Es wird nie so sein, wie wir es uns immer
vorgestellt haben!"
"Vielleicht brauche ich das alles gar
nicht- vielleicht reicht es mir, solange ich ihn deiner Nähe
bin..."
Draco
Malfoy trat mit nassem Haar aus der Dusche, wickelte sich ein
Handtuch um die Hüften und blickte in sein Spiegelgesicht. Das
blonde Haar lag wild durcheinander in alle Richtungen, seine
stahlblauen fast grauen Augen blickten wie immer einbisschen
spöttisch durch die Gegend und seine makellose Haut war nicht
wie sonst immer bleich- sondern trug eine gesunde Bräune. Auch
wenn er immer wieder versuchte, Ginny aus seinen Gedanken zu
verbannen, so war sie doch das einzige, was ihm im Kopf herumspukte.
Ihr Auftreten war gewiss immer gewöhnungsbedürftig, aber so
wie gestern hatte er sie noch nie erlebt. Sie war hinter ihm her- das
lag fest- doch aus welchem Grund? Etwas, das ihn noch mehr grübeln
liess, war die Tatsache, dass er von seinem Vater erfahren hatte,
dass die Weasley dieses Jahr in Hogwarts aussetzen würde. Sie
wollte es verschieben, bloss warum? Hatte dies alles eine vernünftige
Erklärung oder war wirklich was faul an diesem Mädchen. In
Momenten wie diesen, bereute der 18jährige die "Affäre"
oder wie auch immer man das nennen wollte, mit der Rothaarigen. Nicht
mal eine Woche nachdem sie von Potter im Stich gelassen wurde, hatte
Malfoy sie um den Finger gewickelt. Es war so eine bescheuerte Wette
mit ein paar Jungs von Slytherin gewesen. "Ginny Weasley? Vergiss
es Draco... Die Tussi hängt noch voll an Potter. Erfolgschancen
gleich Null!", sagte ein Sechstklässler und musterte Draco
spöttisch.
"Du traust mir ganz schön wenig zu. Ich
habe schon härtere Nüsse geknackt als diese. Und ihre
Trennung mit Potter macht das Ganze ja noch einfacher... Ich muss ihr
bloss einibisschen Honig um den Mund schmieren und so weiter und so
fort!"
"Klingt ganz nach einer Wette!"
"Wenn du Bock
auf Verlieren hast, bitteschön!"
"10 Tage hast du Zeit,
die Kleine in die Kiste zu bringen. Keinen Tag länger!"
Tatsächlich
hatte der blonde Charmeur nur vier Tage gebraucht, bis Ginny
angebissen hatte. Er erinnerte sich lächelnd an die paar Male,
als sie miteinander geschlafen hatten. Eins muss man ihr lassen, sie
hatte schon was drauf auch wenn es ihm mit der Zeit zu langweilig mit
ihr wurde. Meistens war sie danach in Tränen ausgebrochen und
zog sich schnell zurück, dies aber war ihm so ziemlich egal. Er
hatte seinen Spass mit ihr und das genügte ihm fürs Erste.
Der grosse Tag rückte immer schneller voran. Weihnachten war schneller gekommen als sie alle gewünscht hätten und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Ginnys Wehen einsetzten. Harry wurde während dieser Zeit auch immer nervöser- von Hermine nicht zu sprechen. Die beiden hatten versucht, so gut wie nur möglich mit ihrer Beziehung weiter zumachen. Doch sie mussten es sich wohl oder übel eingestehen: es waren längst nicht mehr die sorglosen, glücklichen Zeiten... Immer öfter gab es Streitigkeiten und immer seltener schliefen die beiden im selben Bett. Es stieg ihnen so manches über den Kopf und auch wenn sie sich geschworen hatten, stark zu bleiben, so zwang sie immer öfters das Schicksal in die Knie zu gehen.
