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Am nächsten Tag arbeiten sie ganz normal miteinander. Immer noch spricht keiner von ihnen das Thema an. Aber jede Sekunde muss er daran denken. Wie nah ihr Gesicht gewesen war, wie ihre Augen gefunkelt hatten, wie warm sie gewesen war, wie schön. Er dachte, er würde im nächsten Moment umfallen. Hatte sie es wirklich tun wollen? Ging es ihr genauso wie ihm? Oder war das wieder mal nur einer dieser Zufälle gewesen, wo er sich diese besondere Anziehung, auch ihrerseits, nur eingebildet hatte?

Nein. Er weiß, dass es nicht so ist. Dazu hatte sie ihren Kopf zu weit nach oben zu seinem erhoben. Dazu waren sich ihre Lippen zu nah gewesen, um es einen Zufall nennen zu können. Nur seine Nase hatte es verhindert. Blöde Nase. Blöder Marc.

Er war heute Morgen beim Arzt gewesen. Seine Nase ist ein ganz klein wenig angebrochen. Hatte er bereits vermutet. Als er daheim in den Spiegel gesehen hatte, war sie am Nasenrücken ziemlich angeschwollen und rot. Heute läuft er die ganze Zeit mit einem großen, weißen Pflaster darauf rum. Alle fragen ihn, was er denn angestellt habe. Eric konnte sich vorhin einen spöttischen Kommentar natürlich nicht verkneifen. „Ist dieses Pflaster neuerdings Mode, oder was hast du angestellt, damit du in eine Schlägerei geraten bist?"

Doch Ryan sagt, er sei nur unglücklich gefallen, auf seine Tischkante. Als Calleigh daneben steht, als er das sagt, grinst sie ihn an, vielsagend, aber dennoch peinlich berührt.

Am liebsten würde er es sofort nachholen, was sie beide gestern verpasst hatten. Am liebsten würde er sie einladen, auf ein Date. Am liebsten würde er sie...

„Ryan?"

„Ja?"

Es ist Calleigh. Er steht gerade alleine vor den vielen unzähligen Beweismaterialien, die sich vor ihm auf dem Tisch verteilen. Sie steht im Türrahmen und sieht ihn aufmerksam an. Bei ihrem Anblick fängt sein Herz sofort wieder an zu klopfen. Er kann es einfach nicht stoppen.

„Hast du einen Moment Zeit?"

„Klar.", sagt Ryan unsicher. Wird sie jetzt etwa was zu gestern sagen? Er ist gespannt, hat aber auch gleichzeitig Angst davor, was sie ihm gleich mitteilen wird.

Sie lächelt ihn an, wirft ihr Haar mit einem Schwung ihres Kopfes nach hinten über ihre Schulter. „Hast du heute Abend schon was vor?"

Für einen Moment erstarrt er. Stille. Er hört nur seinen eigenen Herzschlag. Soll das etwa...wird sie ihn...sollte sie tatsächlich?

Er räuspert sich, schließt für einen Moment die Augen, öffnet sie wieder und sieht in ihre klaren, grünen Augen, die ihn beobachten.

„Nein, eigentlich noch Nichts." Seine Stimme hört sich rau an.

Calleigh lacht und verschränkt die Arme vor der Brust. Sie ist gerade, in diesem Moment, so wunderschön, dass Ryan fast gestorben wäre.

„Gut. Wie wär's, wenn wir heute mal was machen würden? Zum Beispiel essen gehen?"

Ryan vergisst für einen Moment zu atmen. Meint sie das ernst? Anscheinend. Er kann sein Glück kaum fassen, sagt erst „Ja." Nachdem er es ausgesprochen hatte, hat er das Gefühl, er muss noch was sagen, sonst kommt es so rüber, als wolle er gar nicht wirklich.

„Sehr gerne!", sagt er deshalb und lächelt sie an. Sie erwidert es. „Okay. Schön. Soll ich dich abholen? Um viertel vor 8?" Als Antwort nickt er nur schnell, muss grinsen von einem Ohr zum anderen. Sein Herzklopfen ist ihm jetzt egal. Auch die Tatsache, dass er rot wird, wie eine Strauchtomate. Er fühlt sich so gut. Super, nein, großartig! Er kommt sich vor, wie der glücklichste Mann auf Erden.

Es ist wahr: Ryan Wolfe und Calleigh Duquesne haben ein Date.

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Ehrlich gesagt: Sie hatte schon erwartet, dass er zusagen würde. Sie hatte es ihm Gefühl, nachdem was alles schon passiert, beziehungsweise nicht passiert war. Trotzdem war es ein wunderschönes Gefühl, wirklich zu hören, wie er dieses Ja aussprach. Und als er dann auch noch dieses „Sehr gerne" hinzugefügt und lieb gelächelt hat, so dass sie wusste, dass er es wirklich so meinte, war es ganz um sie geschehen. Schnell ist sie aus dem Raum gegangen, dass er ihr lautes Herzklopfen nicht hört. Nachher hätte sie sogar noch gestottert.

Eigentlich hatte sie sich ja noch mal für seine Nase entschuldigen wollen. Auch, wenn sie weiß, dass sie nicht wirklich dran Schuld ist, trotzdem hat sie ein kleines, schlechtes Gewissen. Wenn sie mit ansehen muss, wie er sich jedes mal zwanghaft verkneift, sich an der Nase zu kratzen, da wo das weiße Pflaster quer über seinem Nasenrücken klebt. (Sie kann sich nicht helfen, irgendwie sieht das sooo goldig aus!) Wenn sie mitanhören muss, wie die anderen sich darüber lustig machen, vor allem Eric. Oder wie Horatio ihn mit diesem speziellen Ich-weiß-genau-dass-da-was-gewesen-ist-Blick ansieht. Sie muss sich jedes mal, wenn sie Ryan sieht, lachen. Nicht, dass sie ihn auslacht, oder so, aber er sieht einfach so verdammt süß und frustriert und lustig aus. Es ist eher ein Mitleidslachen.

Viertel vor 8. Dann ist es soweit! Die ganze Zeit, bei der Arbeit begleitet sie ein Kribbeln im Bauch. Ein schwerzudeutendes Kribbeln. Es ist nicht direkt so, dass ihr schlecht ist. Irgendwie schon. Aber gut schlecht. Wie, wenn man eine Klassenarbeit zurückbekommt und genau weiß, dass man fast alles richtig hat und bestimmt eine gute Note nach Hause bringen wird. Gespannt, aufgeregt, toll. Ja, ungefähr so.

Oh mein Gott. Was soll sie anziehen? Vielleicht wird sie so gehen, wie sie immer rumläuft. Klar, ein bisschen wird sie sich schon zurechtmachen, aber nicht arg. Sie will sich so anziehen, wie sie sich im Moment fühlt: Glücklich. Also muss es bequem sein. Keine unnötigen Accessoires, die nur stören. Keine Schuhe mit zu hohen Absätzen. Nicht zu viel Make-up, so dass man mindestens jede viertel Stunde aufs Klo rennen muss, um sich nachzuschminken. Kein Kleid, das zu eng sitzt, so dass man sich kaum bewegen kann. Nein, vielleicht wird sie sogar in Hosen gehen. In ihrer schwarzen, edlen, mit dem ebenso schwarzen Blazer. Genau. Das ist gut.

Irgendwie ist das doch unglaublich. Irgendwie so...seltsam, aber auf eine schöne Art, selbstverständlich. Ein richtiges, offizielles Date. Kein spontaner Spaziergang. Mit Ryan, nicht mit Marc, diesem...diesem Mistkerl, wie Ryan ihn so nett genannt hatte. Aber es stimmt ja schließlich auch.

Schluss. Marc muss vergessen werden. Heute geht sie mit Ryan aus. Der, der eigentlich bisher immer nur ein sehr guter Freund gewesen war. Vielleicht ist das, das Seltsame daran. Auf eine schöne Art und Weise, wie gesagt.

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Nervös steht er vor dem Spiegel, fährt sich durchs Haar, bis es ganz wuschelig ist. Aber es ist ihm egal. Er achtet nur auf seine Kleidung. Er hat sich nicht wirklich fein gemacht, mit Anzug, oder so. Die ganze Zeit hatte er hin und her überlegt, ob er nicht doch einen anziehen soll, aber irgendwie...er weiß auch nicht. Er hat so ein Gefühl, dass es nicht passend wäre. Er will ja nicht, dass sie gleich denkt, er würde ihr einen Heiratsantrag machen. Deshalb hat er jetzt einfach seinen schwarzen Pullunder angezogen, mit einem weißen Hemd darunter und eine blaugraue Jeans, die ein ganz klein wenig Schlag unten hat. Das reicht. Außerdem kommt ein Anzug sowieso lächerlich, wenn man ein weißes Pflaster quer über dem Nasenrücken hat. Er könnte dieses Ding verfluchen. Er sieht damit ziemlich bescheuert aus.

Hoffentlich macht sie sich nicht zu arg zurecht. Nachher kommt sie im Abendkleid und...Ach was! Sie wird nicht im Abendkleid kommen! Auf keinen Fall. Vielleicht für Marc, aber nicht für ihn. Hoffentlich.

Noch etwa fünfzehn Minuten und mit jeder weiteren, vergangenen Sekunde, scheint sein Herz schneller zu schlagen und seine Hände stärker zu zittern. Er kann nicht einfach still dasitzen und warten, das geht nicht. Es macht ihn nur noch nervöser. Deshalb geht er hin und her, bleibt kurz stehen, geht zum Fenster, schaut hinaus, vielleicht kommt sie ja etwas früher, geht dreimal um den Küchentisch herum, kommt schließlich neben der Kaffeemaschine wieder zum Stehen. Sollte er vielleicht noch einen...Nein, kein Koffein mehr heute! Jedenfalls nicht vor dem...Date.

Date. Ein richtiges Date. Mit Calleigh. Ein richtig offizielles Date.

Ein richtig offizielles Date mit Calleigh.

Schließlich klingelt es. Das ist sie. Er will zur Tür stürmen, sie aufreißen und ihr am liebsten in die Arme springen, aber er zwingt sich, ruhig und langsam hinüberzugehen, die Klinke geduldig runterzudrücken und die Türe mit einem sanften Stoß des Armes zu öffnen.

Sie sieht umwerfend aus. Kein Abendkleid. Dafür einen eleganten schwarzen Blazer und darunter ein weißes, verspieltes Spitzenoberteil. Ihre Haare trägt sie offen, sie fallen ihr locker über die Schultern und wieder sitzen sie perfekt. Für einen Moment ist er wie sprachlos, muss sich konzentrieren um die nächsten Worte zu sagen, ohne zu stottern.

„Du siehst toll aus." Sein Herz klopft, als wolle es zerspringen.

Sie lächelt, wobei sie den Kopf leicht zur Seite neigt. „Danke. Du auch." Bestimmt hat sie das nur aus Höflichkeit gesagt. Mit diesem Pflaster auf der Nase sieht er doch wie der letzte Volltrottel aus. Aber er darf es nicht einfach runter machen. So was blödes.

Kurz ist es still, jeder mustert den anderen, jeweils mit einem verlegenen Lächeln auf den Lippen. Dann zeigt Calleigh mit dem Daumen hinter sich auf den Hof, der bereits von der Abenddämmerung in goldenes Licht getaucht ist. Ihr Auto steht direkt neben Ryans.

„Gehen wir?"

Ryan räuspert sich um seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. „Okay. Wir fahren mit meinem Auto, oder?"

Sie grinst. „Okay."

Auch, wenn sie nach dem Date gefragt hatte, trotzdem hat er das Bedürfnis, dass er fährt. Dass er sie fragt, wohin sie gehen sollen. Dass er sie einladen wird. Er fände es komisch, wenn es andersrum wäre.

Sie gehen zu seinem Auto und er beschließt, dass sie diese Fahrt über nicht schweigen werden.

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Er sieht so verdammt süß aus. Am liebsten wäre sie ihm in die Arme gesprungen, als er so schüchtern und zugleich verlegen die Tür öffnete. Bestimmt wünscht er dieses Pflaster auf seiner Nase zum Teufel. Der Arme. Aber wenn er wüsste, wie süß er damit aussieht, würde er es wahrscheinlich immer tragen. Lustige Vorstellung.

Diesmal schweigen sie nicht die ganze Fahrt über. Es ist auch irgendwie anders. Die Stimmung ist anders, irgendwie lockerer. Sie ist erleichtert, dass er sich keinen schwarzen Anzug angezogen hat. Das wäre irgendwie...seltsam gewesen. So, als wolle er ihr gleich einen Heiratsantrag stellen. In seinem süßen Pullunder mit dem weißen, langärmligen Hemd darunter, ist er genau richtig.

„Wohin sollen wir eigentlich gehen?", fragt Ryan, während er das Auto lenkt und konzentriert auf die Straße schaut. Vor ihm fahren mindestens fünfzig Autos. Ziemlich viel los heute.

Sie zuckt die Schultern. „Wir können ja einfach mal in die Innenstadt und dann gucken."

Er sieht kurz zu ihr hinüber und lächelt. „Okay."

Wieder spürt sie die Schmetterlinge, die in ihrem Bauch kribbeln und ihre Hände dazu zwingen wollen, sich auszustrecken und Ryan mit den Fingerspitzen durch die Haare zu fahren. Durch die schönen, dunklen Haare. Sie sind ganz wuschelig. Richtig- sie kann es nur immer wieder sagen- süß. Süß und niedlich und goldig und schnuffig und knuffig...

Etwas später parkt Ryan etwas außerhalb des Zentrums der Stadt, auf einem öffentlichen Parkplatz, wo man nichts zahlen muss. Das ist einer der Gründe, warum er nicht in das innere Treiben will, erklärt er ihr. „Außerdem findet man wahrscheinlich kaum einen freien Parkplatz. Heute ist hier so viel los. Laufen wir einfach ein Stück. Oder hast du was dagegen?" Sie schüttelt den Kopf. Immer noch trägt sie ein Lächeln auf den Lippen. Wahrscheinlich wird sie es für den Rest des Abends nicht mehr losbekommen.

Was hatte sie vor Kurzem noch gesagt? Calleigh und Ryan, das klingt so unreal? Haha.

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Eigentlich gibt es noch einen weiteren Grund, warum er eher außerhalb geparkt hatte. Ryan mag es, einfach nur zu gehen, irgendwo hin und sich zu unterhalten. Vor allem mit einer Person, die er sehr mag.

Er zwingt sich, sie nicht die ganze Zeit anzustarren. Das ist echt schwer. Sie sieht einfach so...unglaublich toll aus! Wie sie so neben ihm herläuft, die Hände neben sich nach unten hängend, im Takt ihrer Schritte mitschwingend. Wieder berühren sich ihre Hände nur fast. So nah. Er spürt so was wie Hitzewallungen in sich aufsteigen, die sein Gesicht heiß werden lassen und sein Herz fast rasen lässt. Zum Glück ist es schon ein bisschen dunkel, die ersten Straßenlaternen gehen an, so kann sie nicht sehen, dass er rot wird.

Langsam, je näher sie dem Zentrum von Miami Beach kommen, wird es voller auf den Straßen, auf denen sie nun gehen, immer weiter den vielen Lichtern der Großstadt entgegen. Ihnen kommen Menschen entgegen, Männer und Frauen und Kinder. Manche alleine, manche als Paar, oder mit Kinderwagen. Es wird lauter. Stimmengewirr, Verkehr, sogar gedämpfte Musik von weiter entfernt ist zu hören. Sie kommen an den ersten Restaurants und Bars vorbei.

Calleigh späht immer nur kurz durch die Tür, verzeiht dann das Gesicht und sagt: „Ziemlich voll." Oder: „Voll, laut und stickig." Oder: „Puh, ziemlich teuer."

Sie laufen immer weiter und weiter, aber keiner hat das Gefühl, die Füße wollen nicht mehr. Ihre Hände berühren sich kurz, aber diesmal zucken sie nicht zurück. Nicht Ryan und auch nicht Calleigh. Sie sehen sich nur kurz an, lächeln und gehen weiter.

Wenn Ryan so drüber nachdenkt, hat er gar nicht so wirkliche Lust darauf, sich jetzt in ein Restaurant oder in eine Bar zu setzen. Mal davon abgesehen, dass alles an diesem Tag besonders überfüllt ist. Er könnte ewig so weiter machen. Einfach laufen. Laufen, bis der Weg aufhört, bis es nicht mehr weiter geht. Einfach mal sehen, wohin sie ihre Füße tragen.

„Weißt du was?", fragt Calleigh.

„Nein, aber gleich bestimmt."

Sie grinst. Eigentlich grinst sie ja die ganze Zeit, aber diesmal kommt ein leises, amüsiertes Glucksen hinzu. „Ich könnte ewig so weiter gehen."

Er muss auch grinsen. Er kann gar nicht anders. Ist das jetzt Gedankenübertragung?

„Okay.", sagt er, sieht sie an und neigt den Kopf etwas zur Seite.

Also gehen sie. Weiter und immer weiter. Durch die Straßen, an hohen Hochhäusern vorbei, in dessen Fenstern sich alle Lichter spiegeln. Durch Straßen, wo sich viele Leute tummeln, an Autos vorbei, die im Stau stehen, mit den sich aufregenden Fahrern darin, weil es für sie nicht weiter geht. Aber Calleigh und Ryan wandern einfach durch die Lücken, in Schlangenlinien, immer darauf bedacht, den anderen nicht zu lange aus den Augen zu verlieren.

Sie erreichen langsam den Rand. Also, den Rand der Stadt. Das heißt, sie müssten bald am Strand sein, wo bestimmt auch allerlei Partys und Veranstaltungen im Gange sein werden. Ryan kann schon denGeschmack des salzigen Meerwassers, das durch den lauen Wind getragen wird,auf der Zunge schmecken. Eine angenehme, sanfte Brise Meerwind weht ihm durch das Haar, macht es bestimmt noch wuscheliger, als es ohnehin schon ist. Aber bei Calleigh sieht es toll aus, wie der Wind mit ihrem Haar zu spielen scheint. Es fortragen will, weil es so leicht ist. Wirklich, wie aus der Werbung sieht es aus, nur, dass es nicht Computermanipuliert ist, sondern echt.

Etwa zwei Minuten später gehen sie auf einem schmalen Kiesweg, der von Büschen und Gestrüppumrahmt ist. Sie hören schon das beruhigende Rauschen des Meeres, leise Musik und gedämpfte Stimmen und irgendwann mündet der Kiesweg in einen Bepflasterten, direkt am Meer entlang, das sich weit und schwarz, wie ein riesiger Schatten vor ihnen auszubreiten scheint. Der bepflasterte Weg führt etwa einen Meter höher als der Sand am Strand entlang und wird von schwachen, niedrigen Laternen beleuchtet. Sie erkennen Silhouetten von anderen Menschen, die entweder romantisch Arm in Arm oder Hand in Hand langsam nebeneinander hergehen, oder eng beieinander auf einer Bank sitzen und verträumt auf das Meer hinausschauen.

Irgendwie...Sind das hier nur Paare. Ryan kann keinen einzigen Single erkennen. Unauffällig schielt er zu Calleigh rüber. Ob sie es auch bemerkt hat?

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Unauffällig schielt Calleigh zu Ryan. Bestimmt hat er es auch bemerkt, dass hier wirklich nur Paare sind.

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Als sich ihre Blicke treffen, schaut er zu Boden, auf seine Schuhe. Auf seine edlen Converse Chucks, die Schwarzen, mit den dünnen, weißen Streifen. Sein eigenes Herzklopfen übertönt das Meeresrauschen, die gedämpften Stimmen um sie herum und die Musik. Sie hat es also auch bemerkt. Und jetzt?

„Gehen wir weiter?", murmelt er, fast zu leise, aber sie hat trotzdem gehört, was er gesagt hat. Vielleicht auch nur deswegen, weil sie gerade die selbe Frage stellen wollte.

„Ja."

Sie gehen weiter. An den ganzen Paaren vorbei, diesmal wieder schweigend. Aber es ist kein unangenehmes, peinliches Schweigen. Ryan hat irgendwie das Gefühl, dass er ein Teil dieser ganz besonderen Stimmung zerstören würde, wenn er jetzt etwas sagte.

Sie ist ihm wieder so nah. Schulter an Schulter. Ihre Hände berühren sich fast bei jedem Schritt und bei jedem Mal spürt er dieses Prickeln überall, am ganzen Körper. Und plötzlich hält er ihre Hand in seiner. Es ist, als wäre sie da reingewandert. Plötzlich ist sie da. Sie fühlt sich kühl an, glatt, weich, eben. Er hält sie fest, sieht kurz zur Seite und bemerkt, dass Calleigh das Selbe tut. Ihre Blicke treffen sich, wieder müssen beide Lächeln. Sie sieht so schön aus...in diesem Licht, in dieser Umgebung...Ach was, sieh sieht immer schön aus.

Ein kleiner Ruck geht durch seinen Arm, weil sie stehen geblieben ist. Aber seine Hand hält sie immer noch fest, sie zieht an ihr, so dass er sich gänzlich zu ihr umdreht. Er sieht sie fragend an. Was hat sie vor? Wird sie jetzt...jetzt macht sie doch nicht...sie...

Sein Herz klopft ihm bis zum Hals, macht ihn unfähig irgendetwas zu sagen. Wird sie jetzt etwa...? Hier...? Jetzt...?

Sie grinst. Sie grinst wie ein kleines Mädchen, dass ihrem Bruder gerade ein rohes Ei in den Schuh gelegt hat und ganz genau weiß, dass er in den nächsten Stunden reintreten wird. Sie zieht ihn näher zu sich, an der einen Hand, hebt ihren Kopf ein bisschen. Er müsste jetzt einfach nur die Arme ausstrecken, dann würde er sie richtig innig umarmen können, so nah ist sie. Beinahe so nah, wie im Türrahmen. Als es fast passiert wäre.

Er spürt ihre Wärme und wie er es jetzt ab liebsten tun würde und...er nimmt auch ihre andere Hand, sieht ihr tief in die Augen, so als wolle er in ihnen die Antwort finden. Die Antwort, ob er es jetzt, hier machen soll. Ob sie es auch will.

Sie nickt langsam, hebt das Kinn, er lehnt sich ein bisschen nach unten. Gleich...jetzt...Sein Herz rast, ihm wird schwindelig, als wäre er ein bisschen beschwipst. Nur noch zwei Zentimeter, einen Finger breit und sie würden sich...

„Moment.", flüstert sie.

Er erstarrt„Was?"

„Deine Nase..." Sie grinst wieder, dann neigt sie den Kopf zur Seite um seine verletzte Nase nicht zu berühren.

Es ist, als hätte er sich den Kopf an einem harten Gegenstand angestoßen, nur dass es nicht ganz so wehtut, nur etwa so kribbelt, wie wenn man sich dem Musikknochen am Ellenbogen anstößt. Sein Blut sprudelt wie Champagner, als sich ihre Lippen langsam und zögernd schließlich berühren...

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Mit Ryan ist es ganz anders. Seine Lippen sind warm und weich und schmecken süß, nach...sie weiß auch nicht genau. Ein bisschen nach Honig. Er küsst zärtlich, zurückhaltend, langsam. Es ist einfach der Wahnsinn! Sie fühlt sich, als würde sie von einer großen, schäumenden Woge emporgehoben, überspult, aufgewirbelt, wieder hochgehoben und schließlich, als der Kuss vorbei ist, mit einem sanften Schubs wieder zurück an den Strand gespült.

Als er sie danach mit seinen tiefen, braunen Augen verlegen anlächelt, immer noch nur etwa fünf Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt, könnte sie glatt wegschmelzen. Direkt in seine Arme, sich von seinen Händen, die ihre immer noch halten, auffangen lassen. Sie kann sein Herz schneller schlagen hören. Sie kann wieder in seinen Augen sehen, was dieser Kuss in ihm bewegt hat. Nämlich genau das gleiche, was er in ihr bewegt hat: Alles. Irgendwie ist alles in Bewegung. Sie weiß nicht mehr wirklich, wo unten und oben ist. Wo ist links, wo ist rechts?

Immer noch spürt sie seine Lippen auf ihren und am liebsten hätte sie ihn wieder geküsst. Noch mal und noch mal!

Stattdessen lässt sie seine linke Hand los, hält die andere aber immer noch fest und geht nach vorne. Er folgt ihr. Muss er ja auch. Aber es ist nicht so, dass sie ihn mitzieht, er folgt ihr von selbst.

Im selben Moment, als ihr auffällt, dass sie wieder die ganze Zeit vor sich hin lächelt, von einem Ohr bis zum anderen, bemerkt sie, dass sie nun auch eins dieser Paare am Strand sind. Das Frischeste, oder Neuste wenn man es so nennen will.

Es fühlt sich so toll an. Ryan an ihrer Seite, ihre Hand haltend, mindestens ebenso glücklich wie sie. Wie konnte sie am Anfang nur so blind sein? Sie hätte das hier schon viel früher haben können! Dieses leichte, schwebende, beflügelnde Gefühl. Wirklich, es fühlt sich an, als würde sie auf rosanen Plüschwolken gehen.

„Ich habe mal einen Song geschrieben, ist schon lange her...", fängt Ryan plötzlich zu sprechen an. Mit seiner etwas rauen, ruhigen Stimme. Während er spricht, schaut er hinauf in den Himmel. „Ich weiß nicht mehr, wie er heißt. Ich kenne nur noch eine einzige Zeile daraus, weil mir die so gut gefallen hat. Wenn ich jetzt in den Himmel sehe, muss ich an diese Zeile denken."

Calleigh hebt auch den Kopf. Unzählige Sterne verstreuen sich über die schwarze Fläche, wie feines Glitzerpulver. Als hätte jemand darüber so ein volles Döschen davon umgekippt. Atemberaubend.

„Wie lautet die Zeile?"

Ryan räuspert sich leise, dann singt er.

"Our first kiss I know... will be... Sometime, Someday… When the stars are bright, that will be the day…"

Für einen Moment ist es wieder still. Calleigh muss wieder lächeln. Er hat eine tolle Stimme, wirklich. Und diese Textzeile...die ist so...so passend.

„Scheint so, als wärst du ein Hellseher.", lacht sie und knufft ihn in den Bauch. Auch er muss lachen. Dann sieht er sie wieder mit seinen großen Augen an, bleibt stehen, sie auch. Fragend sieht sie ihn an. Was macht er jetzt? Egal was, sie wird es auch machen. Selbst, wenn er jetzt auf das schwarze, kühle Wasser zurasen würde und reinspränge- Sie würde mitgehen.

„Calleigh...", flüstert er und seine Stimme hört sich noch ein bisschen rauer an, als sonst. Er drückt ihre Hand, seine Finger verschlingen sich mit ihren.

„Ich liebe dich."

Diese Worte...sie sind wie...Goldregen. Nein, viel mehr als das! Sie sind die tollsten Worte der Welt. Wie alle tollen Wörter, die es gibt, in diese drei zusammengefasst.

Sie muss ihn küssen. Sie nimmt seinen Kopf zwischen ihre Hände und zieht ihn zu sich her, küsst seine Lippen. Diesmal stürmischer, wie beim ersten Mal, aber er küsst sie zurück. Tief und leidenschaftlich. Ihre Zungen finden sich, spielen miteinander, streicheln sich, jede Bewegung ist perfekt. Als hätten sich ihre Lippen abgesprochen, führen sie jede Bewegung so aus, dass es immer passt. Seine Arme umschlingen ihren Körper, ziehen sie näher ansich heran. Wieder überspült sie diese Woge des puren Glückes.

Ihre Lippen lösen sich langsam, aber sie stehen immer noch Stirn an Stirn da. Ihre Hand an der Seite seines Halses, die Finger streichen über seine glatte, weiche Wange. So glatt, wie die Haut eines Babys.

„Ich dich auch, Ryan.", flüstert sie. „Ich liebe dich auch."

Dann lachen sie beide. Leise, aber glücklich.

Ende

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Hm. Kitschig schönes Ende