Hannibal
hatte das untere Ende der Hose völlig abgetrennt und versuchte
jetzt B.A. einen provisorischen Verband daraus zu machen, um die
Blutung unter Kontrolle zu bringen.
Face kam gerade aus der
hinteren Ecke des Schuppens, wo er sich umgezogen hatte, nachdem
Hannibal ihm die Tasche mit seinem Anzug gegeben hatte.
Als Face
neben sie trat, kam er sich etwas dumm vor, wie er so schweigend auf
B.A. nieder starrte.
Aus diesem Grund fragte er: „Kann ich dir
helfen, Hannibal?"
„Du willst dir doch sicher nicht deinen
Anzug ruinieren", kam die kurze Antwort.
Face öffnete den
Mund, doch dann schüttelte er den Kopf.
„Wie du meinst",
antworte er ebenso bissig, wie der Colonel und setzte sich an die
braune Holzwand.
Er sah Hannibal zu, wie er sich um B.A. kümmerte
und ein befremdliches Gefühl kroch langsam in seiner Brust
aufwärts und schnürte ihm immer mehr den Hals zu.
Face
versuchte es zu definieren und die Worte „Schmerz und Eifersucht"
explodierten in seinem Schädel.
Dabei kannte er diese Art
von Humor an Hannibal nur zu gut. Und wenn der Kommandant ihn sonst
neckte, hatte ihm das doch nie wirklich etwas ausgemacht. Aber
aus einem unerfindlichem Grund hatten ihm Hannibals Worte gerade
verdammt weh getan. Was war das? Und war er tatsächlich
eifersüchtig auf B.A.! B.A. war immerhin verletzt!
„Komm
schon Face, dass ist lächerlich!", flüsterte er leise zu
sich selbst.
„Wenn es dir keine allzu großen Umstände
macht, kannst du mir mal helfen, B.A. an die Wand zu bringen, anstand
dir die nächste Anmache auszudenken?" Der Unterton in
Hannibals Stimme schnitt Face wieder ins Herz.
Sein Gesicht war
versteinert, als er aufstand.
Aber Hannibal schien nichts von
Alledem gemerkt zu haben, oder zumindest sagte er nichts dazu.
Als
sie zu Dritt an der Wand saßen, versuchte Face den Grund für
diese plötzlichen Gefühle zu finden, aber in seinem Kopf
herrschte völlige Leere, als wären all seine Gedanken
völlig von seinen Gefühlen blockiert.
Er fand weder
einen Grund für sie, noch konnte er sie abschütteln.
Sie
standen einfach da, vor ihm im Raum und schienen ihn herabschätzend
auszulachen.
Und ein weiteres Gefühl brach über ihm
zusammen: Angst.
Angst, dass er nichts gegen das Gefühl der
Ablehnung, das er auf einmal für Hannibal empfand, tun konnte.
Er sah den weißhaarigen Mann neben sich an, doch hielt es
nur einige Sekunden aus. Er schloss die Augen und schüttelte dem
Kopf.
Auf einmal fühlte er sich schrecklich allein neben den
Menschen, die er liebte.
Als Dr. Sullivan den Van erreichte, waren bereits 3 Stunden vergangen
und die Morgendämmerung
zeichnete sich am Himmel ab. Sie öffnete
die Tür und fand einen bewusstlosen Murdock an der Wand lehnen.
Die festgebundene Kompresse war völlig durchgeblutet. Sein
blasses Gesicht und der kalte Schweiß, den ihre Finger spürten,
als sie seinen Puls überprüfte, beunruhigten sie sehr.Als
Erstes versuchte sie Murdock zu wecken und es gelang ihr auch, dass
er seinen Kopf hob, aber dass er völlig bei Bewusstsein war,
bezweifelte sie. Halbwach sah er sie verwirrt an.
„Ich bin es,
Murdock. Maggie Sullivan. Wie füllst du dich?"
„Oh, die
Moleküle machen ein wirklich spannendes Wettrennen vor meinen
Augen."
„Schwindel?"
Murdock nickte lächelnd,
senkte erneut den Kopf und schien wieder wegzudriften.
„Murdock!" Die Frau schlug ihm mit halber Kraft ins Gesicht.
„Lass das", kam murmelnd die Antwort.
Maggie seufzte.
„Leg dich auf den Boden. Warte, ich helfe dir."
„Langsam!",
stieß Murdock durch zusammengebissene Zähne hervor, als
sie ihn auf den Boden legte.
Die Ärztin breitete ihre
Utensilien neben seinem Kopf aus.
„Vorsicht! Das Cap ist
heilig", scherzte Murdock, als sie es ihm vom Kopf zog.
Nachdem
sie sich die Wunde genauer betrachtet hatte, seufzte die Doktorin
resigniert.
„Was?"
„Es tut mir leid, aber das bekomm
ich hier auf die Schnelle nicht hin. Wir müssten in ein
Krankenhaus und dort..."
„Nein!", unterbrach sie Murdock so
heftig, dass sie ihn erschrocken ansah.
„Tut mir leid", fuhr
er leiser fort, „aber ich kann in kein Krankenhaus. Ich bin mir
sicher, diese Kerle warten genau darauf und ich kann meine Einheit
nicht hängen lassen."
Die Schuldgefühle zermarterten
ihn wieder.
„Kannst du mir nicht irgendwas geben, womit ich
wenigstens soweit wieder hochkomm', dass ich mit Billy joggen gehen
kann?"
Maggie lachte kurz auf.
„Also ich kann dir etwas
gegen das Fieber, den Schwindel und die Ohnmacht geben, aber das wird
nur eine zeitlang helfen. Gegen die Infektion an sich kann es nichts
ausrichten. Es hemmt nur zeitweise die Symptome und solang die
Blutung nicht vollständig..."
„Okay, okay, Doktor. Ich
kauf das Sofa für den Preis", sagte Murdock mit geschlossenen
Augen.
Sie injizierte ihm zwei Spritzen und legte ihm einen
fachgerechten Verband an. Dann wartete sie schweigend, dass Murdock
seine Augen öffnete.
Nach einigen Minuten schlug er sie
tatsächlich auf und angelte sich sein Basecup, als er sich etwas
schwerfällig aufsetze.
„Wie lang?"
„5 Stunden, 6
maximal."
Murdock nickte.
„Ich hoffe, bis dahin sind
Billy und ich mit unsrer Joggingtour fertig."
Dann wurde er
wieder ernst.
„Du solltest jetzt gehen."
„Oh nein, ich
will dich so auf keinen Fall allein lassen. Wenn die Zeit um ist,
werden alle Symptome doppelt so stark sein."
„Das ist nett,
aber ich will hier keinen mit reinziehen, dich am wenigsten. Hannibal
schlägt mir sonst den Kopf ab und das willst du doch nicht?"
Murdock lächelte, als er ihr schon wieder ein Lachen
entlockt hatte.
„Okay, Murdock, wie du meinst. Aber bitte pass
auf. Es ist jetzt kurz vor 5 Uhr morgens. Was immer du vor hast, es
muss bis 11 Uhr mittags über die Bühne sein."
„Danke
Maggie, doch jetzt fahr bitte los."
Murdock erzwang sich ein
Lächeln, aber Maggie erkannte in seinen Augen, wie schlecht es
ihm ging. Er fühlte sich für die Lage der andern
schuldig.
„Du kannst nichts dafür, Murdock", sagte sie,
als sie die Tür aufzog.
Mit einein letzen sorgenvollen Blick
auf den Van fuhr Maggie wieder auf die Straße.
Murdock saß noch eine Weile an der Wand des Van und dachte
nach.
„Es ist meine Schuld. Ich bin ein Versager. Hannibal, gib
mir einen Tipp! Was soll ich tun?", flüsterte er leise. Obwohl
das Ohnmachtgefühl und der Schwindel weg waren, fühlte er
sich alles andere als gut.
Er öffnete Face' und Hannibals
„Tricktruhe" und sah sich den Inhalt an.
Er fand eine Menge
verschiedener Klamotten für alle möglichen Betrugsmanöver.
Er lächelte als ihm einige der krummen Dinger einfielen, die
er mit den Jungs schon gedreht hatte. Schließlich zog er eine
dunkelgrüne Armeeuniform aus der Kiste.
„Hey Billy, was
ist, wollen wir eine Runde Decker spielen?"
Doch nach einigen
Sekunden schüttelte er frustriert den Kopf und warf den Anzug
zurück in die Truhe.
„Wo soll ich hier einen ordentlichen
Wagen herbekommen? Und ein verletzter Colonel ohne Wagen und Soldat?
Sicher kann ich mir eine astreine Geschichte einfallen lassen, aber
ohne einen zweiten Mann, wäre alle Aufmerksamkeit auf mich
gelenkt und Adrian würde mich sofort wiedererkennen.
Hm...schöner Mist, Billy. Ich brauch meine Einheit."
Murdock
schluckte den Kloß runter, der plötzlich in seinem Hals
war.
„Außer..."Murdock sah den kleinen Block neben dem
Telefon liegen. Hannibal hatte die Nummer der Sanders dort
aufgeschrieben...
...Sofort hatte er die Frau am Apparat.
„Verzeih'n Sie die frühe Störung, aber...tja, also
wissen Sie, bei uns ist zur Zeit der Wurm drin."
Doch sie ließ
ihn gar nicht weiter ausreden und sprach so schnell und hektischen,
dass Murdock Schwierigkeiten hatte, ihr zu folgen.
„Mr.
Murdock! Hören Sie! Es tut mir leid, aber diese Burschen waren
hier und sie sagten...sie drohten mich und meinen Mann zu töten,
wenn Sie nicht bis 10 Uhr auf dem Gut von Mr. Abster erscheinen und
sich ausliefern. Es tut mir so schrecklich leid!"
Die Stimme
der Frau klang verzweifelt.
„Damit wäre mein Deckerplan eh
im Arsch", dachte Murdock laut nach.
„Bitte?"
In dem
Moment hatte Murdock einen umwerfenden Einfall.
„Hätten
Sie vielleicht Lust mir zu helfen?"
„Ja natürlich, aber
was kann ich schon machen?"
Murdocks grinste.
„Oh, Sie
werden meine hübsche Pennerfrau!", und mit einem noch breitern
Grinsen sah Murdock in die Kiste.
Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl, als er den Wagen auf dem
Hof ihrer Klienten parkte. Es hatte weniger etwas mit seiner
Verletzung zu tun, auch nicht mit dem Vorhaben, denn der Plan war
gut. Er würde sich mit Mrs. Sanders zusammen als Pennerpärchen
ausgeben. Und während sie die Wachen ablenken würde, könnte
er die Tür zu den Jungs knacken. Eine kleine Rauchbombe und sie
wären raus.
Nein, der Plan hatte eine gute Erfolgschance.
Aber irgendwas sagte ihm, dass in dem Haus gerade etwas
Befremdliches vor sich ging.
Murdock versuchte es zu ignorieren,
als er klopfte.
Die Frau öffnete ihm mit einem glasigem
Blick und machte ihm wortlos den Weg ins Innere frei. Murdock dachte,
es wäre die Angst, die sie so stumm machte und ging ohne
weiteres Nachdenken ins Wohnzimmer.
Doch in dem Moment, wo er die
Schwelle überschritten hatte, spürte er einen verdammt
harten Schlag ausgerechnet auf seinen verletzten Oberarm. Mit einem
lauten, schmerzerfülltem Aufschrei, der Mrs. Sanders
zusammenzucken ließ, ging Murdock zu Boden.
Murdock
schüttelte stöhnend den Kopf und wollte sich zurück
auf die Beine ziehen, als ein Tritt in den Magen ihn wieder zurück
warf. Murdock erkannte einen der 6 Wachmänner Adrians wieder.
„Uah. Nicht schon wieder", stöhnte er leise.
„Die
Freude ist ganz meinerseits", lachte George und trat ein
weiteres Mal zu.
Murdock versuchte sich wegzurollen, aber das
Einzige was er dabei erreichte, war, dass der Kerl ihn statt am
rechten Arm auch noch am Verletzen traf und Murdock ein weitere
Schrei entfuhr.
„So genug. Der Boss erwartet dich sehnsüchtig
Kleiner, lebend, leider."
Er nickte seinen beiden Kumpels zu,
die Murdock auf die Beine zogen.
Sein Arm pochte heiß, aber
er versuchte es nicht zu beachten.
„Du bist ja wahnsinnig sauer
auf mich. Was kann ich dafür, dass mein IQ deinen in die Tasche
packt?" Murdock grinste herausfordernd.
„Du!"
Ein
Schlag in dem Magen lies Murdock im Griff der zwei andern Männer
nach vorn kippen, aber er unterdrückte den Schrei.
„Gott,
es tut mir so leid."
Murdock sah zu Mrs. Sanders auf, die in
Tränen aufgelöst, flehend zu ihm blickte.
„Als Sie
anriefen...ich musste...es tut mir leid! Sie hielten mir das ganze
Gespräch über eine Waffe an den Kopf! Es tut mir
leid...ich wollte das nicht! Bitte, Sie müssen mir glauben. Es
tut mir so leid." In Schluchzern erstarb ihre Stimme. Murdock
brachte ein schmerzerfülltes Lächeln hervor.
„Ich
verstehe das. Machen Sie sich mal keine Sorgen."
„Du solltest
dir allerdings Sorgen machen, Kleiner." Mit einem Grinsen klopfte
ihm George natürlich auf die verletze Schulter. Murdock biss die
Zähne zusammen.
Er lächelte Mrs. Sanders aufmunternd
zu, als sie an ihr vorbei gingen, obwohl Murdock gar nicht
aufmunternd zu Mute war.
Als sie aus dem Haus gingen, wobei die
zwei Mitläufer Murdock eher trugen, als das er selbst lief, ging
ihm nur ein Gedanke durch den Kopf: Er hatte seine Freunde im Stich
gelassen.
tbc
