„Ich
verstehe das nicht!" Aufgewühlt fuhr sich Face durchs Haar.
Sie saßen im Nebenzimmer. Er, Hannibal, Maggie und B.A.
B.A. saß in einem Rollstuhl und sah Face schweigend an.
2
Tage waren vergangen. Noch etwas mitgenommen sah er aus, aber das
Fieber war verschwunden und die Infektion überstanden.
Doch
Murdock lag hier auf der Intensivstation und sein Zustand hatte sich
sehr verschlechtert. Auf alle Medikamente von Maggie hatte er einfach
nicht angesprochen.
Das Fieber war auf 40 Grad gestiegen und er
schien in einem ewigen Schlaf zu sein.
„Ich muss gestehen, es
ist für mich auch rätselhaft", erwiderte Maggie in einem
entschuldigendem Ton.
Hannibal legte seinen Arm um sie.
„Es
ist nicht deine Schuld, Maggie."
„Ja, aber es macht mich
wahnsinnig, dass ich nicht weiß, was mit ihm los ist. Alle
Organe funktionieren einwandfrei. Das Einzigste, was ist, ist das
Fieber! Und das müsste längst weg sein. Verflucht,
eigentlich müsste er jetzt hier vor uns stehen und Scheiß
reden!"
Maggie und B.A. seufzten im selben Moment.
B.A.
fühlte sich elend und hilflos.
Hannibals Worte schnitten in
die nachdenkliche Atmosphäre.
„Also hört zu: Ich
finde, du solltest dich wieder hinlegen und weiter ausruhen, B.A. und
nach den paar Stunden Schlaf, bist du auch schon wieder seit 2 Tagen
wach, Face."
„Das ist scheißegal!", schrie Face
lauter als er es wollte. Er atmete tief durch.
„Bitte,
Hannibal", versuchte er es ruhiger, „Ich möchte...ich kann
nicht. Ich meine, es sollte jemand bei ihm sein. Und B.A. muss sich
noch etwas ausruhen und..."
Es kam selten vor, dass der
Lieutenant um Worte verlegen war. B.A. kam ihm zu Hilfe.
„Faceman
hat recht. Jemand muss bei dem Spinner bleiben." B.A. versuchte
ganz ausdruckslos zu klingen, was ihm nicht ganz gelang. Alle hörten,
wie sehr er sich um Murdock sorgte, aber jeder tat, als merke
er es nicht.
Der Colonel sah dem jungen Mann fest in die
Augen. Face wich dem Blick nicht aus und sah entschlossen zurück.
Schließlich nickte Hannibal.
„Danke", flüsterte
Face. Eigentlich sollte es kein Flüstern werden, aber irgendwie
hatte ein schwerer Stein in seine Brust ihm die Stimme geraubt.
Die Mauer wurde wieder durchsichtiger. Doch das Stimmenwirrwarr
war verschwunden. Nur eine war geblieben und es fiel ihm leichter,
sich auf eine einzelne zu konzentrieren.
„Bitte geh nicht,
Murdock. Die Welt ist viel zu grau ohne einen Spinner, wie dich."
Face. Die Stimme war Face.
'Face. Ich
bin doch hier. Ich bin hier. Ich gehe nicht weg. Face! Hörst du
mich!'
Es war, als würde ein übermächtiger Sturm
seine Stimme einfach auslöschen.
Auf einmal fühlte
er etwas. Er spürte etwas an seinem Körper..! Was war es..?
Wo war es...?
'Streng dich an Murdock!' Seine Hand... Es war
eine Berührung an seiner Hand... Es war ein Streicheln.. Face
streichelte seine Hand! Die „Kopf"-schmerzen schienen seinen
„Schädel" zu sprengen, aber Murdock war entschlossen, es
festzuhalten.
'Reiß die Mauer ein. Bitte, Face. Befreie
mich.' Murdocks tonlose Stimme klang verzweifelt. Er konnte nicht
hindurchkommen.
'Face...'Die Anstrengungen wurden
übermenschlich.
„Bitte verlass uns nicht, Murdock."
'Das will ich nicht, Face! Oh Bitte, Face.' Seine Seele
weinte.
Leergebrannt fiel er zurück in den schwarzen
Brunnen.
Face hatte nicht gemerkt, wie die Stunden verflogen waren.
Bewegungslos hatte er an Murdocks Bett verharrt, und dessen
regungslose Hand gestreichelt.
Als Hannibal das Zimmer betrat,
sah er kurz auf, doch senkte sofort wieder den Kopf.
Zwar war
Hannibal in den letzten Tagen wieder ganz normal mit ihm umgegangen,
sogar etwa freundlicher, als sonst, aber die seltsamen Gefühle
der Ablehnung hatten Face nicht mehr losgelassen. Er wusste selbst
nicht wieso. War sein Verhalten kindisch? Übertrieben?
Das
Schweigen zwischen ihnen wurde unerträglich.
Das Piepen des
EKG kam Face auf einmal extrem laut vor.
Der junge Mann hielt es
nicht mehr aus. Er sprang von seinem Stuhl auf und ging zum Fenster.
Der Himmel war grau und trüb. Das Grün der Wiesen
wirkte kraftlos.
Hannibal stand stumm im Raum.
Er wusste
genau, was in Face vor sich ging. Welch' große Angst der
Lieutenant hatte, seinen Freund, einen Teil seiner Familie, zu
verlieren.
In der Scheune vor 3 Tagen hatte er ihn verletzt, dass
wusste er.
Aber er wusste nicht, wie er sich dem jungem Mann
gegenüber hätte verhalten sollte.
Und obwohl es schon
so lange zurücklag und alles vergessen schien, der Ausdruck in
Face's Augen war noch immer da, wenn er ihn ansah.
Er war
gekommen, um mit Face allein reden zu können, um sich bei ihm zu
entschuldigen, doch jetzt fielen ihm keine Worte ein.
Diese ganze
Vaterrolle liegt mir eben nicht, dachte Hannibal verbittert.
Aber
auf der anderen Seite, wollte er auch keinen seiner 3 Jungs jemals
wieder hergeben.
Doch Murdock lag hier so still und fern vor ihm
und obwohl Face am Fenster, im selben Raum mit ihm stand, spürte
er, wie auch er ihm zu entgleiten drohte. Diese doppelte Ungewissheit
ließ Hannibal die Fäuste ballen.
Face am Fenster
presste die Stirn gegen das kalte Glas.
Endlich konnte Hannibal
seine Zunge zwingen, zu sprechen.
„Face?"
Der junge
Lieutenant reagierte nicht.
Hannibal suchte nach den richtigen
Worten. Was würde ein Vater jetzt sagen?
„Willst du dich
nicht wieder mit her setzen? Zum Reden?"
Der blonde Mann
schüttelte schweigend den Kopf, ohne ihn von der Scheibe zu
heben.
Der Colonel zögerte, dann trat er an Facemans rechte
Seite, der daraufhin sofort seine Stirn vom Glas löste und den
Kopf nach links drehte.
Hannibal hatte die winzige Träne
dennoch gesehen.
Jetzt mach es, flüsterte eine Stimme in
seinem Kopf.
Hannibal legte Face seinen Arm um die Schulter und
zog ihn sacht zu sich.
Face' Körper blieb weiter
angespannt und er schwieg.
Hannibal gab sich einen Stoß.
„Es tut mir leid, hörst du?", flüsterte er und
meinte es sehr ernst. Kein sarkastischer Unterton, kein spöttisches
Lächeln. Einfache Worte seines Herzens.
Face wollte einmal
tief durchatmen, um seine tosenden Gefühle unter Kontrolle zu
bringen, aber es wurde ein Schluchzer und von da an war es ihm
unmöglich seine Tränen noch länger still
zurückzudrängen.
„Es ist okay, Junge." Hannibal
drückte Face' Kopf vorsichtig gegen seine Schulter und Face
ließ zu, dass Hannibal ihn umarmte.
Das tut gut, dachte der
junge Mann, das tut so verdammt gut.
Er konnte nicht mehr
aufhören zu schluchzen.
Egal wie oft er gehört hatte,
dass starke Männer nicht weinen sollen, er konnte nicht mehr.
Dann war er eben schwach! Es tat einfach gut, den ganzen Schmerz und
Frust einmal frei lassen zu können.
„Wieso liegt er dort,
Hannibal? Wieso gerade er? Verdammt, wieso nicht ich!"
Hannibal
hatte Probleme die erstickte Stimme an seiner Schulter zu verstehen.
„Face, was redest du? Willst du denn,
das du an seiner Stelle in diesem Bett liegst?"
„Ja! Wenn er
dafür gesund wäre!" Face verschluckte sich an seiner Wut
und den Tränen.
Hannibal streichelte ihm beruhigend über
den Rücken.
„Willst du wirklich, dass er hier steht? Das
er vor Angst um dich weint und am Warten verzweifelt? Willst du das
wirklich, Face?"
Hannibal spürte, wie Face den Kopf
schüttelte.
„Nein, natürlich nicht. Ach verdammt,
Hannibal, er soll doch einfach nur aufwachen!
Ich will doch nur,
dass er irgendetwas völlig Bescheuertes sagt, einen Witz reißt,
oder, oder mich ärgert!"
"Ich weiß, Face. Ich
weiß. Ich würde jetzt eigentlich sagen wollen, leg' dich
hin und ruh' dich etwas aus. Aber ich weiß, dass du es eh
nicht tun wirst. Also sag ich: bleib hier. Halt seine Hand. Sag ihm,
das du bei ihm bist. Sag ihm, dass du mit ihm kämpfst."
Hannibal löste seine Umarmung und legte Face die Hände
auf beide Schultern.
„Ich werde euch dazu allein lassen, willst
du das?"
Face nickte.
„Ja bitte. Übrigens, es tut
mir leid, dass ich so sauer auf dich war. Das war kindisch."
Der
ältere Mann schüttelte den Kopf.
„Nein, war es nicht,
Face. Es war berechtigt. Schau mich an Junge!"
Face ob seinen
Kopf und sah Hannibal an.
„Du musst entschlossen sein, wenn du
Murdock zurückholen willst! Weine, wenn du es musst, aber gib
nicht auf! Murdock würde es auch nicht."
Face nickte und
lächelte aus verquollenen Augen.
'Face. Wein' doch nicht. Wein' bitte nicht..!' Murdock
wollte die Mauer einschlagen. Verfluchte Mauer!
'Lass mich
raus! Ich will zu Face!' Nichts.
Er spürte eine warme
Träne auf die Hand fallen, die er zwar noch nicht bewegen
konnte, aber in der er wieder Gefühl hatte.
Am Liebsten
wollte er mit Face weinen, doch er hatte ja keine Augen, mit denen er
hätte weinen können!
Das Nichts kam schneller, als das
letzte Mal. Viel schneller.
Es zog an ihm, doch dieses Mal anders
und Murdock wusste, es würde ihn nicht wieder gehen lassen.
Etwas sagte ihm, dass es ihn dieses Mal für die Ewigkeit
haben wollte.
Kämpfe! Kämpfe!
'Face, bitte hilf
mir! Ich brauche deine Kraft!'
Eine Berührung. Aber dieses
Mal an einer andern Stelle seines Körpers. Eine neue Stelle
erwachte aus der Gefühllosigkeit. Sein Kopf!
Er spürte
eine Berührung auf seinem Kopf! Es war anders als das
Streicheln. Es war...es war ein Kuss
gewesen. Face hatte ihm auf die Stirn geküsst..
Hektik.
Wieder.
'Nein!' Im Tumult der Stimmen verlor er die von Face.
„Wir verlieren ihn! Weg vom Bett, Face! Okay. Und Strom!"
Die Stimme war die von Maggie. Sie klang aufgeregt. Verlieren?
Wen? Ihn?
'Aber ich bin doch hier. Ich kann euch nur nicht
erreichen!'
Ein Schlag.
Versuchten sie ihn gerade
wiederzubeleben? War sein Herz etwa stehen geblieben! In Murdock
kroch Panik auf. Erst jetzt „merkte" er, dass er seine Hand nicht
mehr spüren konnte. Sie war wieder gegangen, zurück in die
Benommenheit seines Körpers.
Doch der Kuss! Der Kuss brannte
noch auf seiner Stirn.
„Scheiße Murdock! Komm
gefälligst zurück!" B.A.'s Stimme.
'Ich
versuch es doch B.A. Ich versuch es doch!'
Obwohl seine tonlose
Stimme schrie, überfiel ihm wieder entsetzliche Müdigkeit.
'Nein! Ich werde nicht zurück gehen!'
Ein
weiterer Schlag. Murdock spürte etwas Seltsames. Fast wie das
gleichmäßige Streicheln vorhin, aber doch anders.
Die
Stimmen wurden klarer, näher.
„Es schlägt
wieder!"
Ja, er spürte das rhythmische Schlagen..!
Raus..! Raus aus dem Loch..! Piloten gehören in den
Himmel..!
„Da! Seine Augen! Hannibal, Face! Er, er wacht
auf!" B.A.'s Stimme überschlug sich fast und sie war ihm
ganz nah!
Seine Augen schmerzten. Irgendetwas änderte sich.
Er brauchte einige Sekunden um zu realisieren, dass er sah. Er sah
verschwommen seine Freunde!
Frei! Er war frei!
„Muchachos",
hauchte er leise. Seine Stimme war zurück. Sein Körper war
zurück.
Er lächelte, wobei sein Gesicht schmerzte, aber
dieser Schmerz war so nichtig.
Müde und völlig
erschöpft schlief er wieder ein. Doch den Bruchteil einer
Sekunde hatte er Hannibal, B.A. und Face lächeln sehen.
Und
dieses Mal würde er ohne Alptraum schlafen, dass spürte er.
Er würde wieder aufwachen. In seinem Körper, bei seinen
Freunden.
Hat schon jemand was von „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert" gesagt?
Nein?
Na, dann geht's natürlich auch weiter! Aber etwas Gefühl und Trauer muss(te) sein – bei mir...
