Teil 3: Edgar Bones

Edgar stand gerade über seinen Schreibtisch gebeugt und sortierte Akten, als jemand zu ihm trat. Er wandte sich um und konnte seiner Schwester in die Augen sehen. Ihr Auftreten war sicher, aber ihre Augen strahlten eine Ruhe aus, die sie in einem Kampf nie zeigte. Sie selbst war der Meinung, dass der Gegner, egal wie dumm er auch sein mochte, merken würde, wenn sie sich plötzlich nicht mehr konzentrierte.

„Du bereitest dich auf deinen Urlaub vor?", fragte Amelia neckend.

Edgar seufzte. „Zwei Tage sind nicht viel, aber besser als gar nichts. Ich habe meine Kinder schon lange nicht mehr gesehen und ich freue mich wirklich, mal wieder etwas ausschlafen zu können. Nicht nur nach Hause kommen, schnell noch was essen, duschen und ab ins Bett, dann ein paar Stunden schlafen, aufstehen, duschen, anziehen, frühstücken und wieder ins Büro."

„Ich weiß, dass die Zeiten schwer geworden sind und dass jeder Auror benötigt wird. Wir haben nicht mehr viele Auroren und viele finden es eben zu gefährlich, um in Zeiten wie diesen überhaupt einen Beruf in der AMS anzustreben. Sie wissen, dass sie damit ihr Leben herschenken und viele wollen das nicht. Die, die hier bereits gearbeitet haben, bevor der Krieg anfing, fingen erst später an zu realisieren, dass sie ihr Leben dem Ministerium verschrieben haben, doch sie tun es gerne, weil sie damit helfen können. Sie machen genau das, was sie wollen und die Rekruten die wir in den letzten Jahren bekommen haben, haben sich gut geschlagen und gewusst, was auf sie zukommt, wenn sie hier arbeiten und hier wirklich tätig sind. Sie hören auf den Rat, den man ihnen gibt, tun das was man von ihnen verlangt, denn sie wissen, wenn sie sich nur einen einzigen Fehler erlauben, könnte das ihr letzter gewesen sein."

Edgar schmunzelte. So war seine Schwester. Sie hatte immer die passenden Worte parat und hielt immer eine kleine Predigt. Es war schon ungewöhnlich, wenn sie einmal nichts sagte und schwieg oder nicht viele Worte über ihre Lippen kamen, denn dann konnte man sich sicher sein, dass etwas nicht stimmte. Bei Einsätzen oder Ausbildung und Training, sagte sich nicht viel, doch wenn sie sich einfach nur unterhielt, dann konnte sie schon in Geschichten verfallen. Es war so normal, wie die purpurne Aurorenuniform, die jeder hier trug.

Amelia war ein paar Jahre älter als ihr Bruder und sie fühlte sich nie wie die große Schwester, die auf den kleinen Bruder aufpassen musste. Vielleicht war es in den ersten Hogwartsjahren so gewesen, aber als sie merkte, dass Edgar ganz gut alleine zu Recht kam, hielt sie sich raus, soweit es ihr eben möglich war.

„Ich weiß Amelia, dass brauchst du mir nicht zu sagen", fügte Edgar hinzu. „Ich bin selbst schon lange in dieser Abteilung tätig und du weißt, dass ich all das, was du gerade gesagt hast, bereits verinnerlicht habe."

Sie verschreckte die Arme vor der Brust und presste die Lippen aufeinander. „Machst du dich gerade über mich lustig?", fragte sie lauernd.

„Nein, ich doch nicht … so etwas würde ich doch nie tun", antwortete er sarkastisch.

„Geh nach Hause und grüße die Kinder und Maria", sagte sie, ehe sie sich wieder von seiner Bürozelle weg wand.

„Werd ich machen", sagte er und schlichtete die Akten noch fertig. Schließlich machte er noch eine Notiz über seine Akten, einen kleinen Überblick eben, damit seine Kollegen keine Probleme hatten, diese Dinge zu lesen. Es war deswegen auch so ordentlich, weil es auch durchaus passieren konnte, dass sie ihn zu Hause kontaktierten, wenn sie etwas nicht wussten. Deshalb ging er selbst auch zu Gideon Prewett und erklärte ihm genau, was er zu tun hatte.

Gideon Prewett gehörte zu jenen in der AMS, die richtige Spaßvögel waren und denen man auf den ersten Blick nicht ansehen würde, dass sie gefährlich waren. Im Gegenteil, sie wirkten durch ihr Auftreten und ihr Verhalten auf viele harmlos, was die Meisten dann nicht mehr dachten, wenn sie sich mit den Prewett-Brüdern angelegt hatten.

„Vor allem die Sache mit Dolohow solltet ihr noch einmal bearbeiten. Ich bin mir sicher, dass er ein Todesser ist, alleine das Verhalten von einem Todesser, lässt auf ihn schließen, aber seid vorsichtig, wenn ihr solche Vermutungen äußert."

Gideon rollte mit seinen Augen, als er die Akten übernahm und auf seinen Schreibtisch legte. „Das weiß ich, Edgar. Du bist deiner Schwester in diesem Punkt ziemlich ähnlich und das brauchst du nicht zu bestreiten."

Gideon grinste ihn an und Edgar konnte nur resigniert seufzten, denn er wusste, dass Gideon durchaus Recht hatte. Es lag wohl in der Familie, dass man Dinge mehrfach wiederholte, auch wenn man sicher wusste, dass diese Person es bereits verinnerlicht hatte. Es war eben einer der vielen Charakterzüge der Familie Bones.

„Dann lass ich dich und die Anderen einfach machen", tat Edgar ab. „Ich will jetzt nicht länger aufgehalten werden und wehe einer von euch wagt es mich während der zwei Tage zu stören, es sei denn, es ist wirklich was extrem wichtiges, ja?"

„Geht klar", meinte Gideon. „Viel Spaß zu Hause."

„Danke."

Mit diesem Wort verließ Edgar die Aurorenzentrale und ging ins Atrium, um mit dem Flohpulver nach Hause zu flohen. Gemütlich und die Ruhe in Personen, ging er gemütlich hinauf. Hin und wieder wurde er immer wieder von Bekannten und auch Verwandten angesprochen, mit denen er noch kurz redete, aber als er dann auf seine Uhr blickte, merkte er, dass er eigentlich seit einer Stunde zu Hause sein sollte. Die restlichen Personen, die ihn noch ansprachen, wies er, so Leid es ihm auch tat, zurück, denn er musste sich beeilen, seine Frau wartet mit Sicherheit bereits mit dem Essen.

„Ich bin zu Hau …", begann er, doch sofort stand seine Frau vor ihm und funkelte ihn an.

„Ich warte schon seit einer Stunde auf dich. Wo warst du?", fragte sie.

„Ich wurde noch aufgehalten", meinte er.

„Papa", hörte er und ein dreijähriger Junge rannte herein.

„Hallo Sportsfreund", meinte Edgar und nahm seinen Sohn auf den Arm.

Edgar genoss die zwei Tage bei seiner Familie zu sein. Seine ältere Tochter, hatte heuer mit Hogwarts angefangen und sie fehlte ihm. Um mit ihr reden zu können, hatte er ihr vor ein paar Tagen einen Zwei-Weg-Spiegel gekauft und sie heute kontaktiert. Voller Freude hatte sie ihm erzählt, wie es in Hogwarts war. Edgar freute sich sehr, dass es ihr gefiel und er war schon gespannt darauf, wenn sie zu den Osterferien wieder nach Hause kommen würde.

Als sie zu Weihnachten wieder zu Hause war, hatte sie alles auf einmal erzählen wollen und hatte sich dann verhaspelt. Es wirkte beinahe so, als wäre Hogwarts für Clara eine zweite Heimat. Edgar konnte es nur zu gut verstehen, denn für ihn selbst, war es ein zweites zu Hause in den sieben Jahren geworden. Und je länger man dort war, gewöhnte man sich an die Umgebung und wenn man das Schloss dann für immer verließ, dann schwang ein bisschen Trauer mit, aber die schönen Erinnerungen, die man gemacht hatte, blieben.

Die Zeit verging schnell. Sie hatten beinahe übersehen, dass die Osterferien vor der Türe standen. Edgar hatte wieder Doppelschichten machen müssen und war total fertig, so dass er, wenn er zu Hause war, versuchte so viel zu Erholung zu tanken, wie es ihm möglich war. So war es auch an dem Tag, an dem Clara wieder nach Hause kommen sollte.

Edgar war morgens um zehn Uhr nach Hause gekommen und wirkte komplett niedergeschlagen, was man ihm auch ein wenig ansehen konnte. Er ließ sich einfach nur ins Bett fallen und schlief sofort ein.

Eigentlich wäre er ja mit auf den Bahnsteig gegangen, doch Maria meinte, dass er sonst auf dem Weg dorthin einschlafen würde und es nicht vorteilhaft war. Vor allem zu Zeiten wie diesen, hatte Edgar ein schlechtes Gefühl, wenn er seine Frau alleine weg ließ. Nicht, dass er ihr nicht vertraute oder ihr nicht zutrauen würde, dass sie selbst auf sich aufpassen konnte, aber gegen die meisten Todesser hatte sie keine Chance, konnte sie nicht haben. Viele Auroren hatten mit einer gewissen Anzahl von ihnen Probleme.

Edgar wachte plötzlich auf. Seine Augen hatte er auf die Decke gerichtet. Ein ungutes Gefühl hatte ihn gepackt. Er wusste nicht, was es war, doch er wusste, dass etwas nicht stimmte. Nur konnte er nicht sagen was es war. Mehrere Minuten lag er so da, als plötzlich eine Eule vor seinem Fenster schwebte und den Schnabel gegen die Scheibe schlug.

Er nahm ihr den Brief ab und begann zu lesen. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Seine Hände begannen zu zittern und der Brief fiel ihm aus den Händen und schwebte zu Boden.

Nein, es durfte einfach nicht sein, dachte er. Es konnte einfach nicht sein.

Seine Gedanken rasten. Er dachte über die verschiedensten Möglichkeiten nach und als er die Treppe ins Wohnzimmer hinunter eilte und via Flohpulver das Ministerium kontaktieren wollte, wurden die Flammen nicht grün. Irgendjemand hatte ihn vom Flohnetzwerk getrennt. Seine Alarmglocken begannen bereits zu läuten.

Langsam wandte er sich um und blickte zur Tür, die in die Küche führte. Er hörte Geräusche und wusste sofort wer es war. Er holte seinen Zauberstab aus der Tasche und war auf alles vorbereitet.

Wieso habe ich eigentlich einen Apparierschutz über dieses Haus gelegt, fragte er sich. Ich hätte jetzt am besten apparieren können, aber sie hätten dann wohl auch eine Apparierblockade gemacht.

Edgar ging langsam in die Küche, doch was er dort sah, überraschte ihn nicht. Zwei Todesser blickten ihm entgegen und hielten eine Kette in der Hand. Er erstarrte. Diese Kette gehörte seiner Tochter.

„Wo sind sie?", fragte Edgar.

„Wer ist wo?"

„Meine Frau und meine Kinder."

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Die Nachricht, dass ihr Bruder mit seiner Familie spurlos verschwunden war erhielt sie von Alastor. Die Hoffnung, dass sie noch lebend von den Todessern befreien konnten, schwand von Tag zu Tag.

Eine Woche war seit ihrem Verschwinden vergangen und Alastor betrat Amelias Büro. Alleine der Blick, den Moody ihr zuwarf, sagte alles darüber aus, was er ihr sagen wollte. Sie hatte zwar mit dem Schlimmsten gerechnet, doch als sie es erfuhr, nahm es sie doch ziemlich mit. Genauso, wie es immer war, wenn ihr jemand nahe kam.

„Amelia?", fragte Alastor Moody und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie wandte sich von ihm ab und versuchte ihre Gefühle mit aller Gewalt zurück zu halten. „Es tut mir leid!"

Diese Worte waren nicht gelogen oder geheuchelt, sondern sie drückten wahres Mitgefühl aus.

„Lässt du mich bitte alleine?", fragte sie Alastor mit einer, ihr unüblichen, leisen Stimme.

Er nickte. „Falls du mich brauchen solltest, du weißt wo du mich finden kannst." Er wandte sich von ihr ab und wandte sich im Türrahmen noch einmal zu ihr um. „Edgar war ein großartiger Mann. Er hat viel geleistet und für seine Meinung und seine Familie gekämpft. Mach dich selbst nicht so fertig. Du hast dein Bestes getan, aber auch du kannst Fehler machen und Edgar, soviel ich weiß, hätte nicht gewollt, dass du dich so sehr kränkst."

„Ich hätte ihm aber helfen können", beharrte Amelia. „Ich hätte es können."

„Ich würde auch verstehen, wenn du nach Hause gehen willst …", schlug er vor, doch wurde von Amelia unterbrochen: „Es herrscht noch immer Krieg und es ist verdammt noch mal mein Beruf anderen Menschen zu helfen … etwas, was ich bei meinem Bruder nicht geschafft habe."

Moody sah ihr noch einen kurzen Moment in die Augen und schloss dann leise die Tür. Hinter ihm eine traurige Amelia Bones, die gerade ihren Bruder und seine Familie verloren hatte.

Sie lehnte sich an die Wand und war noch einen Moment in ihre Gedanken versunken, ehe sie einen Entschluss fasste: sie würde so lange nicht ruhen, ehe sie die Mörder ihres Bruders hinter den Gittern Askabans wusste. Dieser Entschluss, dieses Vorhaben, die Erinnerungen an ihren Bruder, hielten sie bis zu letzt aufrecht. Nach außen hin war sie die starke, selbstbewusste Frau, die sie immer war.