Teil 4: Caradoc Dearborn
Caradoc Dearborn. Hatte längere, hellbraune Haare, die ihm ins Gesicht hingen, wenn er sie nicht zusammen band. Viele hatten ihm ja schon den Vorschlag unterbreitet, dass er sich die Haare ja einfach kürzen lassen könnte. Doch jeder, der ihm diesen Vorschlag machte, wurde mit einem Todesblick bestraft.
Seine hellblauen Augen wirkten so unwirklich, wie die Tatsache, dass er einer der besten Auroren war. Sein Auftreten, ließ ihn manchmal kränklich wirken, doch wer sich mit ihm angelegt hatte, würde ihn nie mehr nach dem Äußeren beurteilen. Er war ein Auror mit Herz und Seele und würde sich diese Motivation bei seiner Arbeit nicht nehmen lassen.
Sein Gesicht war ein wenig zerfurcht, durch die ganzen Duelle die er schon bestritten hatte war es kein Wunder. Es wäre nämlich ein wenig merkwürdig, wenn jemand wie er, überhaupt keine Narben hätte.
Immer wenn man ihn suchte, fand man ihn an seinem Schreibtisch über irgendwelche Akten gebeugt. Er blieb auch bis spät in die Nacht und ging erst, wenn er das Wichtigste erledigt hat. „Keine halben Sachen", hörte man von ihm oft. Wenn er etwas machte, dann auch richtig.
Es war Freitag und Caradoc saß schon seit über zwölf Stunden im Büro. Niemand wagte es mir ihn anzusprechen, denn auf jede Frage die man ihm stellte, antwortete er ein wenig aggressiv. Wer ihm auch nur einen freien Tag vorschlug, bekam, wie sonst auch, einen Todesblick und ließ ihn dann wieder über seinen Akten brüten.
Caradoc bearbeitete gerade den Fall von Edgar Bones. Es war für ihn ziemlich widersprüchlich. Vor nicht allzu langer Zeit, hatte sich Edgar darüber beschwert, dass er seine Kinder kaum kannte und wenn er sie mal sehen konnte, dann passierte so etwas. Solche Dinge passierten eigentlich immer, wenn man sich auf etwas freute und überhaupt nicht damit rechnete.
Jeder in dieser Zentrale wusste, worauf er sich einließ, wenn er diese Mauern betrat. Viele, die einen Beruf in der AMS ausübten, konnten nicht einmal Rente gehen, weil es in einem Krieg eben nicht möglich war. Sie wurden auf bestialische Weise ermordet, alle.
Plötzlich erinnerte sich Caradoc an ein Ereignis, als er gerade seine Aurorenausbildung hinter sich gebracht hatte. Er wollte seine Eltern besuchen, doch als er vor ihrem Haus ankam, prangte über diesem das dunkle Mal. Völlig schockiert, weil es noch nicht so bekannt war, apparierte er sofort ins Ministerium. Völlig außer Atem erreichte er die AMS und informierte sofort seinen ehemaligen Mentor. Die gesamten Auroren, die schon länger dabei waren, waren sofort auf den Beinen und apparierten zu Caradocs ehemaligem zu Hause.
Seine jetzigen Kollegen hatten ihn nicht einmal ins Haus gelassen, weil sie der Meinung waren, dass er nicht dazu in der Lage sein, diesem Anblick stand zu halten. In ihm keimte die Wut, aber er zeigte sie nicht nach außen, denn man hatte ihn in den drei Jahren, in denen er jetzt in der Zentrale tätig war, eingetrichtert, nie seine Gefühle nach außen zu zeigen. Er tat es nicht, doch er hätte seine Eltern gerne noch einmal gesehen. Was er von seinen Kollegen gehört hatte, konnte man seine Eltern nicht mehr genau erkennen.
In den folgenden, Tagen und Wochen hatte er sich die schlimmsten Szenarien ausgemalt, wie seine Eltern ums Leben gekommen waren. Was die Todesser ihnen angetan hatten. Was sie wollten? Seine Eltern hatten sich nicht auffällig verhalten und dennoch mussten sie ihr Leben lassen. Sie hatten etwas gewusst, was die Todesser wissen wollten, deshalb wurden sie auch gefoltert. Anders konnte es sich Caradoc nicht erklären.
Manchmal machte er sich Vorwürfe, weil er eine Stunde zu spät bei ihnen gewesen ist. Was wäre gewesen, wenn er diese Stunde früher gekommen wäre? Dann hätte er seinen Eltern noch helfen können, sie würden noch Leben. Beinahe jeder Auror hatte ihm gesagt, dass es nicht seine Schuld war. Er hatte es schließlich nicht ahnen können, dass seine Eltern Opfer von diesen Todessern werden.
Er schüttelte seinen Kopf und wandte sich wieder seinen Akten zu. Diese Erinnerung gehörte zu den schlimmsten, die er je hatte und es würde wohl die schlimmste bleiben.
Es war gerade Schichtwechsel. Ein Teil der Auroren verabschiedete sich gerade und ein neuer Teil betrat das Großraumbüro.
Die Hektik, die am späten Nachmittag noch geherrscht hatte, hatte sich zum Glück ein wenig gelegt. Doch die Spannung, dass jeden Moment etwas passieren konnte, war groß und jeder in diesen Wänden rechnete damit, dass augenblicklich eine Meldung kommen würde, dass Todesser angriffen. Die Dementoren sich auf Reisen begaben uns ich in Muggelgegenden herumtrieben.
„Hey Caradoc", hörte er Dorcas. „Immer noch da?"
Er nickte nur, sagte aber nichts.
„Hab ich dir etwas getan?"
„Nein, wieso?"
„Weil du sonst viel gesprächiger bist?"
„Ich habe heute keine Lust zu reden", antwortete er kurz angebunden. „Außerdem habe ich keine Zeit, ich muss diese Akten noch durcharbeiten und wenn ich fertig bin, dann werde ich auch gehen, aber vorher habe ich überhaupt keine Zeit dazu."
„Du musst immer Akten fertig bearbeiten, soweit ich mich entsinnen kann, in den letzten Jahren jeden Tag. Gibt es bei dir überhaupt noch einen Tag, an dem du nicht mindestens zwölf Stunden arbeitest?"
„Kaum, aber wir sind schon zu wenig Auroren, als dass wir es uns leisten könnten unsere Aufmerksamkeit zu verlieren. Die Todesser wollen das und haben es speziell auf uns abgesehen, falls du das vergessen haben solltest."
Dorcas atmete tief durch. „Das nicht, aber irgendwann musst du auch einmal schlafen."
„Um wach zu bleiben und um ausgeschlafen zu wirken, gibt es auch einen Trank."
„Ich weiß, dass du unter Drogen stehst."
Caradoc rollte mit den Augen und blickte von seinen Stapel auf, in zwei dunkelblaue Augen. „Wieso bist du dann immer so gut gelaunt?"
„Das liegt eben in meiner Natur, Caradoc", sage sie neckend. „Ach komm, trink mal eine Tasse Kaffee mit mir und dann geht das mit diesen Akten wieder besser vor sich."
Kaffee klang jetzt wirklich nicht schlecht, fand er. „In Ordnung", sagte er.
Dorcas warf ihm einen verwirrten Blick zu. „Was ist denn mit dir?"
„Ich trinke einen Kaffee? Mit dir?"
„Es kommt eben nur sehr selten vor, dass du deine Arbeiten unterbrichst, um irgendetwas anders zu machen", meinte sie.
„Je schneller wir uns den Kaffee holen, desto schneller bin ich wieder bei meinen Akten, desto schneller werde ich mit meiner Arbeit fertig und dann kann ich nach Hause mich hinlegen und für ein paar Stunden schlafen, bevor der Tag wieder von vorne beginnt."
Dorcas konnte über Caradocs Einstellung manchmal wirklich nur den Kopf schütteln. Aber er war so, ist so und würde immer so sein, daran konnte niemand etwas ändern. Schlimm war auch die Vorstellung, wenn Caradoc plötzlich seinen geregelten Tagesablauf, den er übrigens seit fünf Jahren genau verfolgte, veränderte, waren alle verwirrt und starrten ihn an, als würde vor ihnen nicht Caradoc Dearborn stehen, sondern jemand, der seinen Körper angenommen hatte und sie nun ausspionierte.
Schwarzer Kaffee war genau das richtige, um sich wieder ein wenig aufzuwärmen. In Ruhe tranken sie beide ihren Kaffee aus.
„Ich setz mich dann wieder an meine Akten", meinte Caradoc und ließ seine Tasse verschwinden.
„Viel Spaß noch", meinte Dorcas und ging in Richtung Archiv, um sich Akten zu holen und die gleichen Vorgehensmethoden bei Todessermorden anzusehen, um vielleicht einen Todesser so enttarnen zu können.
Caradoc ließ seinen Blick durch das Büro schweifen. Jeder seiner Kollegen saß an seinem Schreibtisch und bearbeitete irgendetwas. Es war merkwürdig still, denn gewöhnlich war hier immer die Hölle los und man konnte sich nicht einmal mehr selber denken hören.
Als er sich dann wieder auf seinen Sessel fallen ließ, rieb er sich seine Augen. Er war ja müde, doch er wollte das heute noch fertig machen, sonst würde das bis morgen liegen bleiben und er wollte diese Dinge morgen nicht machen, es gab sicher wieder neue Dinge, die bearbeitet werden mussten.
Es dauerte gerade mal noch eine Stunde, dann war er mit allem fertig und er beschloss jetzt sich nach Hause zu begeben und dann endlich ein wenig zu schlafen. Vielleicht fand er jetzt einmal ein wenig Schlaf und wachte nicht immer wieder auf.
Schlaftränke wollte er nicht, es war nicht seins. Schlafen musste er so können. Die meiste Zeit funktionierte es ja, aber häufig wachte er eben mitten in der Nacht auf und er wusste nicht einmal, wieso er wach war.
Seine Gedanken schweiften wieder zu Einsätzen von ihm ab. Die ganze Zerstörung die er gesehen hatte, hatte ihn abgehärtet, ihm gezeigt, dass jedes einzelne Gefühl ein Leben kosten konnte, weil die Todesser spürten, wo man einen Menschen verletzten konnte. Deshalb hatte er sich auch von seiner Freundin getrennt, weil er sie nicht gefährden wollte. Es viel ihm schwer, mit ihr Schluss zu machen, aber er redete sich ein, dass es das Beste für sie wahr. Er wollte nicht, dass ihr irgendetwas passierte, sonst würde er sich selbst wieder die Schuld geben, weil er nicht besser aufgepasst hatte. Weil es seine verdammte Schuld gewesen wäre, wenn wieder ein Mensch, der ihm nahe gestanden hatte, gestorben wäre.
Immer wieder überkamen ihn solche Gedanken, bis er sich entschloss, dass er einfach einen kleinen Spaziergang machen sollte. Es war zwar nicht gerade klug, mitten in der Nacht alleine umher zu gehen, wenn Todesser einen umbringen wollten, doch das war die einzige Möglichkeit, um ein wenig von seinen Gedanken und Erinnerungen los zu kommen.
Caradoc wohnte in einer kleinen Muggelgegend. Hier war es ruhig und einfach nur angenehm. Die Nachbarn ließen ihn in Ruhe, wenn sie ihn sahen, wenn sie ihm ansahen, dass er nicht reden wollte. Andere wiederum behandelten ihn wie einen von sich, was für Caradoc einfach nur ein gutes Gefühl war. Er hier ein ganz gewöhnlicher Muggel und nicht einer der besten Auroren des Ministeriums, der sein Leben seinem Beruf verschrieben hatte.
Alle hielten ihn für den netten Nachbarn von neben an, doch wenn sie wussten, was Caradoc wirklich machte, würden sie ihn nicht für den halten, für den sie ihn hielten. Ihrer Meinung nach, war er jemand, der nicht einmal einer Fliege etwas zu leide tun konnte, wie sie sich in dieser Sache doch täuschten. Aber ihm konnte es nur recht sein, wenn sie in ihm komplett etwas anderes sahen, als eigentlich da war.
Die Luft, die ihm ins Gesicht peitschte, war für diese Zeit ein wenig zu kühl, so zog er seine Jacke ein wenig näher, seinen Zauberstab immer griffbereit, sollte er angegriffen werden. Sein Kopf wandte sich gen Himmel, wo er die Sterne und den Mond klar erkennen konnte. So klar war es schon lange nicht mehr gewesen, immer bewölkt und immer ein schlechtes Wetter, was manchmal auch seine Stimmung widergespiegelt hatte.
Er ging auf den nahe gelegenen Park zu, wo er sonst auch immer hinging, wenn er sich über Gedanken machte. Doch bevor er in die Straße einbiegen konnte, die zu dem Park führte, sah er Lichtblitze. Blitze konnten es nicht sein, es war keine Wolke zu sehen.
Dann hörte er auch noch ein Schreien, wie, wenn jemand gefoltert wurde. Sein Instinkt sagte ihm, dass dort etwas vor sich ging, was ganz und gar nicht dieser Gegend entsprach. Seinen Zauberstab hatte er so schnell gezogen, dass man dachte, er hätte ihn die ganze Zeit in der Hand gehalten und nur darauf gewartet ihn einsetzen zu können.
Er versuchte seine Kollegen zu informieren, doch es meldete sich niemand. Er versuchte es mehrmals. War denn niemand da? Caradoc hätte sich ärgern können, aber er konnte die Menschen dort doch nicht leiden lassen. Er musste eingreifen.
„Stupor!", schrie er und zwei Todesser riss es von den Beinen. Ein weiterer wandte sich schockiert zu ihm um und ließ durch diese schnelle Reaktion die Muggeln, die in der Luft schwebten, auf den Boden fallen.
Caradoc konnte erkennen, dass es die Kinder von seinen Nachbarn waren, die ihn völlig verwirrt und ängstlich ansahen. Er deutete ihnen an, dass sie sofort verschwinden sollten.
„Caradoc Dearborn", sagte der Todesser. „Was machst du hier?"
Caradoc antwortete nicht, sondern war schon wieder dabei einen erneuten Fluch abzufeuern. Ein entflammtes Duell begann und Caradoc tat sein Bestes, doch plötzlich traf ihn ein Fluch, der ihn durch irgendein Portal beförderte.
Plötzlich spürte er wieder festen Boden unter seinen Füßen. Er blickte sich um und konnte erkennen, dass er sich auf einer großen Ebene befand. Es war nicht einmal ein Wald zu sehen, sonst nur Gras, welches vom Mond ein wenig beleuchtet wurde.
Seinen Zauberstab hatte er krampfhaft mit seiner Hand umklammert.
Plötzlich durchzuckte ihn ein Schmerz in seiner Bauchgegend. Er griff mit einer Hand nach unten und konnte sehen, dass dort eine kleine Wunde war, aus der Blut floss. Nichts weltbewegendes, aber er konnte nicht apparieren, er hatte es versucht. Hier war eine Blockade und er wusste nicht, wie hier wegkommen sollte. Die Wunde wollte er auch heilen, doch sie ließ sich nicht heilen. Was war das für ein Zauber, den der Todesser angewandt hatte?
Caradoc wurde schwarz vor Augen und plötzlich ließen seine Beine nach und er sackte zusammen.
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Sie wussten, dass sie ihn nie mehr finden würden. Sie suchten schon zu lange. Die Todesser hatten ihnen zwar Informationen gegeben, sie hatten sie fangen können. Aber sie konnten mit diesen Informationen nicht viel anfangen. Vielleicht hätte die Möglichkeit noch bestanden, dass sie ihn gefunden hätte, die Todesser meinten, sie hätten ihn nicht gefangen nehmen können. Er hätte sich ihn Luft aufgelöst. Aber als sie ihn nach ein paar Wochen Suche nicht fanden, ließ ihr Hoffnung nach, ihn je wieder zu finden. Vielleicht lebte er noch, vielleicht war er auch schon tot? Sie wussten es nicht und sie würden es wohl nie erfahren!
War er einfach nur verschwunden? Hatte er sich einfach nur versteckt, weil er Angst hatte? Nein, so war Caradoc nicht. Er war ein Kämpfer und hatte immer alles Möglich getan, was in seiner Macht stand. Wurde er von den Todessern umgebracht? Wenn ja, wo war die Leiche?
Alle Fragen, die sie sich stellten, konnten nie beantwortet werden. Keine Antwort – nie eine Leiche! Nur ein Grab zum Zeichen, dass man ihn nie vergessen würde. Eine Erinnerung an einen großartigen Auroren, der sein Leben seinem Beruf geopfert hatte. Nur Geburtstag, kein Todesdatum! Nur ein Spruch, der immer an in erinnern sollte.
