Disclaimer: Alles = JK Rowling. Nix = mein.

A/N: Ich habe mir überlegt, das was Draco laut Harry in Unschuld sagt, hier einzubauen, aber ich habe es dann doch gelassen - dass ist nicht notwendig, man kann auch ohne den genauen Zusammenhang nachvollziehen, dass diese Worte in den Zeitrahmen dieses Kapitel fallen. Oder zumindest glaube ich das.

Für den Fall, dass euch der Gebrauch von "er" und den anderen dazugehörigen Pronomen teilweise ambig erscheint... ratet mal :) Genau, das ist Absicht gewesen, pure Absicht von meiner einer *g*

Ansonsten hoffe ich, dass euch gefällt, was ich jetzt wieder fabriziert habe, ausnahmsweise muss ich mal sagen, dass ich den ersten Teil wirklich... *Trommelwirbel* mag. Ist das nicht mal was? *lol* Wobei, hoffentlich ist es jetzt nicht so, dass man selber zufrieden ist, die Leser aber unzufrieden... *grübel* Na ja, zum Ausgleich bin ich mit dem Schlussteil mal wieder gar nicht glücklich *lol*

Außerdem, nee nee, das hab ich nicht vergessen, vielen vielen Dank für eure Reviews *wuschelt alle* Ich bin ehrlich gesagt doch immer wieder erstaunt, dass offensichtlich ankommt, was ich schreibe. Und - euch kann ich's ja sagen, ganz im Vertrauen sozusagen - nachdem ich dieses Kapitel geschrieben hatte, musste ich feststellen, dass ich "meinen" Draco liebe... bzw., dass ich es liebe, ihn zu schreiben... vor allem zusammen mit Harry.

Warnung: Für Beru und alle, alle H/D Fans!
(Damit dürfte alles gesagt sein *grins*)

Widmung... der 1. Teil geht an Natascha, weil den habe ich geschrieben nachdem ich angefangen habe, "Das Herz der Dunkelheit" zu lesen (und ich liebe diese Story!).

Und jetzt Schluss mit der Palaverei... ich hoffe sehr, dass das Warten sich einigermaßen gelohnt hat. Enjoy!

Glut

Die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt,
ihre Gluten sind Feuergluten, gewaltige Flammen.
(AT, Hohelied Salomos 8,6)

Anfang März 1998

Das Essen in der Großen Halle verlief schweigend, niemand unterhielt sich, und eigentlich hätte er die Stille genießen können. Aber als sein Blick auf einen ganz bestimmten leeren Platz fiel, begann das Tierchen Zorn, das seit langem in seinem Inneren schlummerte, sich zu regen. Was glaubte er eigentlich, was er da abzog? Dachte er tatsächlich, er konnte sich alles herausnehmen? Irgendwann musste Schluss sein, irgendwann war genug. Irgendwann war jetzt.

Seine Faust knallte auf den Tisch, der Schlag hallte dumpf in der Halle wider. Die anderen, sogar einige der Professoren, wie er mit Befriedigung bemerkte, waren nervös genug, um zusammenzuzucken.

"Colin." Er richtete seinen Blick auf den Jungen, der ihm schräg gegenüber saß. Seine Stimme war so sanft, dass sie beinahe gefährlich klang. "Tust du mir einen Gefallen?"

"Si..si...sicher." stotterte der Gryffindor, offensichtlich überrascht, und starrte ihn an, "Was... was denn?"

"Geh nach oben und hol ihn. Sag ihm, dass wir warten. Sag ihm, dass es Zeit wird."

Er musste nicht näher darauf eingehen, wen Colin holen sollte, das war für jeden der Anwesenden offensichtlich. Er hatte beinahe das Gefühl, als hielte jeder den Atem an. Er lächelte, amüsiert von der Reaktion, die seine Worte hervorriefen. Es war immer wieder gut zu sehen, dass man sie überraschen konnte. Oder doch zumindest die meisten - denn ein kurzer, prüfender Blick sagte ihm, dass die Personen, die er am liebsten von sich beeindruckt sehen wollte, nicht beeindruckt waren. Hermione. Dumbledore. Snape. McGonagall. Zu schade, aber man konnte nicht alles haben.

Colin stand wortlos auf und verließ die Halle.

Ungerührt begann er, weiterzuessen, und er wusste ohne sich umzusehen, dass zwar viele, aber nicht alle seinem Beispiel folgten. Noch immer starrten sie ihn an, er spürte ihre Blicke auf sich ruhen, und wenn er sich nicht seinen ganzen Zorn für ihn aufbewahren hätte wollen, dann hätte er ihnen nur allzu gern eine Kostprobe davon gegeben. Dann hätte er das Tierchen Zorn auf sie losgelassen. Nur um die Furcht auf ihren Gesichtern zu sehen, die Furcht vor ihm. Nur um ihnen erneut zu demonstrieren, welche Macht er über sie besaß. Nicht, weil die Macht von ihm ausging, nein, weil sie ihm so bereitwillig Macht über sich gaben. Nicht alle von ihnen, sicherlich nicht. Aber genügend. Genügend, um seinen Stolz zufrieden zu stellen. Genügend, um ihrer aller Sicherheit in Frage zu stellen.

Es dauerte nicht lange, bis Colin zurückkam. Alleine zurückkam. Erneut herrschte Totenstille.

Unter den gesenkten Lidern hervor konnte er sehen, wie nervös Creevey war, seine Hände öffneten und schlossen sich immer wieder, und er konnte auch sehen, wie jung und verletzlich ihn diese Nervosität machte. Er blickte nicht auf, fragte nur: "Und?"

"Er... ist nicht mitgekommen."

"Das hätte ich von selbst nie bemerkt, wenn du mich nicht darauf hingewiesen hättest." Er hob den Kopf und lächelte spöttisch. Er hatte nicht wirklich erwartet, dass es dem Jungen gelingen würde, ihn herzubringen. Aber es war Vorraussetzung dafür gewesen, dass er selbst handeln konnte. Handeln durfte. Handeln musste. "Was hat er gesagt?"

"Das... ich weiß nicht so recht, ob..." Colin blickte sich unwohl um, es schien ihm nicht recht zu sein, hier offen vor allen preiszugeben, dass sein Idol in Selbstmitleid versank. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Dumbledore leicht nickte. Colin musste es ebenfalls gesehen haben, denn er sprach weiter, dank seines Stimmbruchs in mehreren Tonlagen: "Er sagte, dass er nicht kann. Und dass du... und dass du gar nicht erst... versuchen sollst, es zu verstehen... weil... weil..."

"Weil ich es nicht könnte, weil niemand das kann." vollendete er kalt. Das Tierchen Zorn war erwacht, und es würde sich jetzt nicht mehr beruhigen lassen. Jetzt wollte es frei gelassen werden, wollte jagen und seine Zähne in sein Opfer schlagen, seine Beute reißen und sich an ihrem Blut laben. Er stand auf. "Wir werden sehen, wer was nicht kann."

"Draco..." Hermione streckte die Hand nach ihm aus, als er an ihr vorbeiging, aber er ignorierte sie. Die Tür zur Großen Halle fiel hinter ihm ins Schloss, und fast im selben Moment erhob sich dahinter ein Stimmengewirr einem Schwarm Bienen gleich. Sie waren so vorhersehbar.

Er ging schnell, das Tierchen Zorn trieb ihn an, es konnte nicht länger warten, und er wollte es nicht länger warten lassen. Er hatte bereits viel zu lange gewartet, viel zu lange zugesehen, wie Harry Potter die Menschen verletzte, die hinter ihm standen, koste es was es wolle. Er konnte sich selbst nicht verstehen, weshalb ihn das so aufbrachte - aber es machte ihn rasend, zu sehen, von welcher Ignoranz und welchem Egoismus Harry sich leiten ließ.

Vor dem Portrait der Dicken Dame blieb er stehen.

"Passwort?" flötete sie, als ob sie ihn nicht erkannt hätte, als ob sie nicht wüsste, wer er war. Er heftete seinen Blick eisern auf sie und versuchte gar nicht erst, den Triumph darüber, dass er das Passwort zum wohlgehüteten Gryffindorgemeinschaftsraum kannte, aus seiner Stimme herauszuhalten: "Sic volo, sic iubeo."

Das Portraitloch schwang auf, und er trat hindurch, in den Gemeinschaftsraum hinein. Er war leer, und einen Moment lang erlaubte Draco es sich, die roten Samtsessel und die übrige Einrichtung als ausgesprochen widerlich einzustufen. Wie konnte man sich hier wohlfühlen? Aber er verweilte nicht lange, das Tierchen Zorn ließ es nicht zu, und zielstrebig stieg er die Treppe in den Gryffindorturm hinauf. Ganz oben war es, das Zimmer von Harry Potter, das wusste er, und als er ankam, stieß er die Türe auf ohne Anzuklopfen.

Der Junge der lebt saß auf der Fensterbank im steinernen Rahmen, und er drehte nicht den Kopf um zu sehen, wer so unsanft in seinen privaten Bereich eindrang. Er ließ mit keiner Bewegung erkenne, ob er überhaupt bemerkte, dass Draco gekommen war. Das Tierchen Zorn schlug an.

"Potter, ich will mit dir reden."

Das Schweigen schien ihm ewig zu dauern, aber schließlich antwortete Harry ohne sich zu rühren: "Vielleicht willst du das. Aber vielleicht will ich nicht mit dir reden."

"Vielleicht werde ich dich dazu zwingen." Draco schlug die Türe hinter sich zu und durchquerte mit wenigen Schritten den Raum, "Und wenn du mich nicht augenblicklich ansiehst, während ich mit dir spreche, dann stoße ich dich aus dem Fenster."

Entnervend langsam wandte Harry dem Slytherin das Gesicht zu. "Ja." sagte er tonlos und mit einem humorlosen Lächeln, "Das würde ich dir sogar zutrauen."

Es kostete Draco seine ganze Selbstbeherrschung, dass Tierchen Zorn noch nicht loszulassen. "Es wird Zeit, dass du dein selbstgewähltes Exil beendest und zu den Lebenden zurückkehrst."

Harry blickte ihn lange an, dann wandte er den Kopf wieder um, starrte wieder stur aus dem Fenster hinaus. "Ich wusste, du würdest es nicht verstehen."

"Nein." erwiderte Draco lauernd, "Ich verstehe es nicht. Gut, dein bester Freund wurde ermordet. Du leidest darunter. Aber du bist nicht der Einzige, der unter diesem Verlust leidet!" Es war eine Falle, und er wusste genau, dass der andere in sie hineintappen würde. Bereitwillig.

"Aber ich bin der Einzige, der dafür verantwortlich ist."

Die Falle war zugeschnappt. Wie er erwartet hatte. Er lächelte herablassend: "Ich dachte immer, Weasley wäre der erbärmliche Teil eures Trios, aber anscheinend habe ich mich geirrt. Du machst es dir verdammt einfach, Potter."

Mit einem Grollen, das mehr tierisch als menschlich klang, rutschte Harry vom Fensterbrett hinunter und stürzte sich auf Draco. Diese Reaktion kam scheinbar unerwartet, und der Gryffindor bewegte sich schnell. Aber nicht schnell genug um den Slytherin zu überrumpeln. Nur wenige Sekunden rangen sie stumm miteinander, dann stieß er Harry von sich, mit aller Kraft. Er stolperte, schaffte es gerade noch, das Gleichgewicht zu halten, bevor er fiel. Fast im selben Moment hatte Draco seinen Zauberstab in der Hand. Das Tierchen Zorn war frei.

"Rühr dich nicht, Potter." Der Stab zitterte nicht in seiner Hand, und auch wenn seine Stimme ruhig klang, seine unkontrollierte Wut war spürbar, fast als ließe sie die Luft flimmern. "Wenn du auch nur mit einer Wimper zuckst, werde ich dich ohne Zögern töten."

Harry schwieg, aber er konnte sehen, wie sich zum ersten Mal seit langem eine Regung in den grünen Augen zeigte. Wachsende Wut. Gut, das Tierchen Zorn wollte seinesgleichen jagen. Er ging auf den anderen zu, verkleinerte die Distanz zwischen ihnen, so sehr, dass die Spitze des Zauberstabes beinahe Harrys Brust berührte. Beinahe.

"Du bist ein Schwächling, Harry Potter, ein jämmerlicher Feigling. Wenn du dich jetzt sehen könntest..." Er lachte, sein Lachen klang sogar in seinen eigenen Ohren falsch, "Wenn deine Mutter dich jetzt sehen könnte, Potter, sie würde sich für dich schämen."

"Malfoy..." zischte Harry leise, "Ich werde das nur einmal sagen - wage es niemals wieder, von meiner Mutter zu sprechen."

Draco spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten, er sah den Hass - konnten grüne Augen glühen? Aber er war noch nicht fertig. Noch nicht. Das Tierchen Zorn war noch nicht am Ziel. Er senkte seine Stimme zu einem verächtlichen Wispern: "Wir wissen doch beide, dass es die Wahrheit ist. Lily Potter ist umsonst gestorben, sie hat sich abschlachten lassen um ihren Sohn zu retten, weil sie glaubte, er könnte wie sein Vater werden, ein echter Gryffindor. Umsonst gestorben, wie Weasley. Er ist für einen Mythos gestorben, er ist gestorben, weil er an dich glaubte, Potter... Was sind sie doch dumm, die Menschen, die dich lieben, sie haben nicht erkannt, was du für ein erbärmlicher Bastard bist. Ein feiger Bastard, der sich bei der erstbesten Gelegenheit hinter dem Deckmantel der Trauer in Selbstmitleid verkriecht."

Während er redete, hatte Harry die Augen geschlossen, aber er riss sie wieder auf, kaum dass Draco zu Ende gesprochen hatte. Der Schrei, der sich jetzt aus der Kehle des Gryffindors befreite, war wirklich nicht mehr menschlich zu nennen. Das Tierchen Zorn erkannte seinesgleichen.

Der Zauberstab wurde ihm aus der Hand geschlagen. Er landete irgendwo, auf alle Fälle zu weit weg um ihn noch einmal erreichen zu können, selbst wenn er es gewollt hätte. Dann traf ihn eine Faust am Kinn. Jetzt hielt er nichts mehr zurück, sie hielten beide nichts mehr zurück. Sie ließen ihrem Zorn freien Lauf, schlugen einander, genossen es, dem anderen Schmerz zuzufügen, genossen den den Schmerz, den der anderem zufügte. Erst später, sehr viel später ließen sie von einander ab.

Ihre Blicke trafen sich, und Draco wusste, es genügte noch immer nicht. Er hasste es, zu verlieren - aber manchmal lag der Sieg in der Niederlage. "Weißt du, Potter..." brachte er mühsam hervor, "Es ist wirklich besser, dass sie gestorben ist, allemal besser, als dich so sehen zu müssen."

Er musste die Schnelligkeit, mit der Harry plötzlich seinen Zauberstab in der Hand hielt, wider Willen bewundern. Aber viel Zeit blieb ihm nicht dazu.

"CRUCIO!"

Es war nicht das erste Mal, dass er unter diesem Zauber stand, und vielleicht hätte Draco es geschafft, den Cruciatus abzuwehren. Vielleicht wäre es ihm gelungen, wenn er es versucht hätte. Aber er versuchte es nicht. Er schrie auf, er krümmte sich vor Schmerzen zusammen, er fiel zu Boden und wand sich. Aber er wehrte sich nicht dagegen.

Wie viel Zeit vergangen war, als er seine Sinne wieder fand, konnte er nicht sagen. Er lag noch immer auf dem Boden, und er hatte das Gefühl, dass sein Körper nie wieder ihm selbst gehören würde. Vorsichtig richtete er sich auf, und er schämte sich nicht dafür, dabei zu stöhnen.

"Warum hast du das getan?"

Er antwortete nicht sofort, kroch erst zur Wand hinüber und mühte sich ab, bis er mehr oder weniger aufrecht an ihr angelehnt saß. Verschwommen konnte er in der Mitte des Raumes Harry sitzen sehen. Draco hob eine Hand und wischte sich das Blut ab, das aus seinem Mundwinkel rann.

"Weil du es gebraucht hast."


***

"Ich glaube... ich verliere..."

"Was verlierst du?"

"Mich... und das was mich zusammenhält."

"Hast du es denn nötig, zusammengehalten zu werden?"

"So fühlt es sich jedenfalls an."

***

Ich stehe vor dem Spiegel, sehe so aus wie immer und erkenne mich einfach nicht wieder. Ich durchschaue meine eigene Maske, und ich frage mich, ob das wirklich noch ich bin, die Person dort im Spiegel. Sehe ich mich noch mit meinen eigenen Augen? Oder habe ich bereits begonnen, mich durch die seinen zu betrachten? Was ist aus mir geworden, wie bin ich an diesem Punkt angelangt, an dem ich mir selbst fremd bin? Sogar die Zweifel, die ich jetzt habe, gehören nicht zu mir. Ein Malfoy zweifelt nicht an sich selbst, ein Malfoy hat keinen Grund, an sich selbst zu zweifeln.

Nicht, dass dieser Grundsatz der einzige wäre, den ich verraten habe. Ich habe alles verraten, was in meinem Leben einmal von Bedeutung war, was man mir beigebracht hat und was ich gelernt habe, zu respektieren. Noch schlimmer, ich habe meine Familie betrogen, ich habe die Ehre verleugnet, die mir im Blut liegt, ich habe das Ansehen meines Vaters beschmutzt. Ich habe den Kreis hintergangen und meine Freunde im Stich gelassen. Ich habe sie alle verraten.

Aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste daran...

Ich habe mir immer eingeredet, es läge in meinem persönlichen Interesse, ich würde Gewinn daraus ziehen, und sicherlich entspricht das zum Teil der Wahrheit. Nur ist das nicht alles, und vermutlich wäre es in diesem Fall einfacher, mit der Lüge zu leben, mit der Lüge, dass ich es für mich getan habe, zu meinem eigenen Vorteil. Aber es noch ist genügend Stolz übrig, um der Lüge nicht die Oberhand zu überlassen, genügend Stolz um mir selber die Wahrheit einzugestehen. Meine Entscheidung hatte viel damit zu tun, dass ich nicht wollte, dass sie mir eines Tages aus der Hand genommen wird, denn dann hätte ich nicht mehr selber bestimmen können, wer ich bin oder sein werde. Und das werde ich auch der Lüge nicht gestatten.

Ich habe einen Fehler gemacht, einen einzigen, alles entscheidenden Fehler. Ich habe ihn unterschätzt. Er hat mich fasziniert, ich wollte wissen, was sich hinter der Maske des Jungen der lebt verbirgt. Ich glaubte, ihn durchschaut zu haben als das was er ist, und ich glaubet, zu wissen, dass er nicht ist, was die anderen in ihm sehen. Ich dachte, bereits zu kennen, was ich finden würde, wenn ich ihm die Maske abrisse – und ich wollte Bestätigung für meine Überzeugung. Ich habe ihn unterschätzt. Was ich fand entsprach nicht meinen Erwartungen, war mehr und weniger und jämmerlich und vollkommen zur selben Zeit.

An diesem Punkt hätte ich gehen müssen, ich hätte zurückkehren müssen auf meinen Platz, in mein Leben, das Leben, das mir bestimmt war. Ich tat es nicht, und dann war es zu spät, viel zu spät. Ich war nicht mehr der, der zurückkehren hätte können. Ich bin nicht mehr derjenige, der sein altes Leben aufnehmen könnte, und ich hasse mich selbst dafür. Ich weiß nicht, wie ich mich so aus den Augen verlieren konnte, wie ich mich so gehen lassen konnte. Ich bin wütend, auf ihn, auf mich. Vor allem auf mich.

Ich will nicht glauben, dass ich am Ende doch alles wegen ihm aufs Spiel gesetzt habe. Die Vorstellung macht mir Angst – und auch dafür hasse ich mich. Ich habe mich noch niemals von Ängsten leiten lassen. Angst ist nur ein Gefühl, keine Tatsache, und Tatsachen sind alles was zählt. Tatsachen sind kalkulierbar, sie arbeiten für einen, nicht gegen einen. Überlässt man seinen Gefühlen die Oberhand, schwächt man sich selbst, macht sich verletzlich. Und wer schwach ist, der verliert allzu leicht die Kontrolle, und wer die Kontrolle verliert, der verliert seine Überlegenheit.

Am Ende kann nur entkommen, wer den anderen überlegen ist.

***

"Du läufst davon."

"Ich laufe nicht davon."

"Doch, das tust du. Du fliehst vor der Wirklichkeit."

"Nichts und niemand ist wirklich."

"Ich bin wirklich. Du hast mich wirklich gemacht."

***

Mitte April 1998

"Nox."

Das kleine Flämmchen flackerte noch einmal auf, wurde schwächer und erstarb dann ohne auch nur den Hauch eines Lichtschimmers zurückzulassen. Es war vollkommen dunkel im Zimmer, man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Aber das war auch nicht notwendig, sie wussten, dass der andere da war, und sie fanden sich mit der Selbstverständlichkeit alter Vertrauter, die sie nicht waren und vielleicht niemals sein würden.

Nur einen Moment herrschte ein unangenehmes Gefühl zwischen, nur einen Moment lang fühlten sie sich von unsicherer Distanz getrennt und es schien unmöglich, diese Distanz jemals zu überwinden, als wären sie sich gegenseitig abstoßende Pole eines Magneten, die niemals zusammenkommen konnten. Aber dann streckten sie gleichzeitig die Hand aus, suchten gleichzeitig die Nähe des anderen wie zwei Kinder, die sich alleine im Dunkeln fürchteten, und die Unbeholfenheit der Situation verflog.

Harry erwartete immer, dass Draco ihn abweisen und von sich stoßen würde, und wie jedes Mal, wenn sich diese Befürchtung als unbegründet erwies, war die Erleichterung, die ihn ergriff, nicht in Worte zu fassen. Jedes Mal fühlte es sich an, als hätte jemand ein Zentnergewicht von seinen Schultern genommen, und jedes Mal wurde ihm klar, wie groß seine Angst war, Draco zu verlieren, obwohl er genau wusste, dass er nichts verlieren konnte, das er nicht besaß. Es war einfach, zu sagen, dass er Dracos Gefühle nicht einschätzen konnte, aber die Wahrheit war, seine eigenen Gefühle verstand er noch viel weniger.

Wie immer schob er die Gedanken beiseite, suchte Vergessen in der Nähe des anderen, Ruhe von der Welt und dem Krieg und von sich selbst. Er war müde, und er wusste, dass er den Schlaf brauchen würde, für den nächsten Tag, die nächste Woche. "Du wirst nicht fortgehen?" Murmelte er schlaftrunken gegen die Schulter von Draco und unterdrückte ein Gähnen. Was ihn veranlasste, die Frage zu stellen, konnte er nicht sagen, sie war einfach da. Er fühlte, wie Draco eine Bewegung machte, die wohl ein Kopfschütteln war: "Ich werde nicht fortgehen." Und nach einer Pause, "Nicht jetzt."

Harry setzte sich abrupt auf, löste sich aus der Umarmung. Die Müdigkeit war verflogen, er war wach und alarmiert. Was meinte Draco damit? Seine Gedanken rasten mit einem Mal, so dass er ihnen nicht mehr folgen konnte und ein ungutes Gefühl überfiel ihn. Misstrauen regte sich in ihm, und argwöhnisch wollte er wissen: "Was soll das heißen?"

"Dass ich nicht die Absicht habe, vor morgen Früh aufzustehen." Antwortete Draco leichthin, zu leichthin. Das war nicht die Antwort, die Harry haben wollte, und das wusste Draco mit Sicherheit. Es ging um etwas ganz anderes, und er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was es war, nicht jetzt, nicht hier. Später würde genug Zeit sein für Mutmaßungen und bohrende Fragen, die er Draco so lange stellen würde, bis der ihm die Antworten geben würde, die Harry brauchte, um zufrieden und beruhigt zu sein. Oder bis Draco sich weigern würde, weiter mit ihm zu sprechen und ihn aus kühler Berechnung ignorieren würde.

Also erwiderte Harry nichts, sondern ließ sich von dem Slytherin wieder zurück auf die Kissen ziehen. Er schloss ihn in die Arme, genoss es, wie Draco sein Gesicht in ungewohntem Schutzbedürfnis an der Kurve seines Halses barg. Er konnte verdrängen, konnte sich selber einreden, dass alles in Ordnung war, dass es nur seine Überempfindlichkeit war, die seinem Verstand einen Streich spielte und alles in Wirklichkeit so harmlos war, wie Draco es formuliert hatte. Sacht fuhr er über den nackten Oberarm des anderen, spürte ihn unter der Berührung schaudern. Eine ungeahnte Unruhe stieg in ihm auf, das Gefühl, etwas Entscheidendes verpasst zu haben, und damit auch die Chance, etwas Entscheidendes zu erreichen. "Du zitterst ja - frierst du?"

"Es ist kälter geworden, seit ich einen Teil meines Stolzes eingebüßt habe." Die Bitterkeit, die in Dracos Worten lag, sorgte dafür, dass seine Kehle rau wurde. Unwillkürlich zog er ihn noch enger an sich, hielt ihn noch fester. "Draco, es..." begann er und Draco fiel ihm ins Wort: "Nein. Sag es nicht. Sag nicht, dass es dir leid tut – ich will es nicht hören."

"Aber..." versuchte er es noch einmal, und dieses Mal klang Draco noch nachdrücklicher, ungeduldig: "Potter, lass es einfach, kapiert? Ich brauche keine Entschuldigungen, schon gar nicht von dir."

Die plötzliche Schärfe ließ ihn schlucken. Es war, als wollte Draco ihn daran erinnern, dass sich zwischen ihnen nichts geändert hatte, auch wenn sie beide wussten, dass das eine Lüge war. Es machte ihn wütend, er wollte und konnte nicht akzeptieren, dass Draco noch immer die Farce ihrer Rivalität aufrechterhalten zu wollen schien. Ja, es machte ihn wütend, aber noch mehr verletzte es ihn, und er fragte sich, ob genau das die Absicht war, die hinter Dracos Worten lag. Erneut wuchs in ihm die Angst, dass er sich geirrt hatte, dass er ihn falsch eingeschätzt hatte. Wieder einmal.

Er widersprach nicht mehr, akzeptierte den Schnitt stillschweigend, weil er wusste, dass es keine Alternative gab, aber er zog sich gekränkt zurück, rückte von Draco ab, und dieser machte keinen Versuch, sich Harry wieder zu nähern. Sie schwiegen eine lange Zeit, versuchten, sich gegenseitig zu beweisen, dass sie sich noch immer ignorieren konnten, dass sie trotz allem nicht aufeinander angewiesen waren, es nicht sein wollten.

Regungslos lagen sie so nebeneinander im Dunkeln, ohne sich zu berühren, aber einander doch so nah, dass Harry glaubte, den anderen körperlich fühlen zu können. Er wusste nicht mit Sicherheit, ob Draco wach war, sein Atem ging so gleichmäßig, dass er versucht war, ihn tief schlafend zu glauben. Aber seine Intuition sagte ihm, dass der Slytherin genauso wenig Schlaf fand, wie er selbst. Oder ihn genauso wenig suchte.

"Malfoy." Flüsterte er schließlich, als er es nicht mehr aushielt – leise, als wollte er den anderen nicht wecken, obwohl er doch hoffte, dass es nicht nötig sein würde, "Schläfst du?"

Er hörte sein Lachen, leise nur, und er war überrascht. Es klang ungewohnt, es war nicht das Lachen, das er kannte und es schien nicht zu Draco zu passen - es klang so jungenhaft, so unbehelligt. Unschuldig.

"Warum überrascht es mich nicht, dass du die dümmste aller in einer solchen Situation möglichen Fragen stellst?"

"Vielleicht weil du mich kennst..." Er antwortete ohne zu überlegen, automatisch, und er wünschte sich, dass der andere noch einmal dieses fremde Lachen lachen würde, nur um sicher gehen zu können, dass er sich den Klang nicht eingebildet hatte. Aber er wurde enttäuscht. Draco lachte nicht. Stattdessen verriet leise raschelnder Stoff, dass er sich bewegte. "Tue ich das - dich kennen?"

Jetzt war er es, der zu lachen begann, aber er verstummte, als sich ein Finger auf seine Lippen legte. "Lach nicht, Harry Potter. Es war mein Ernst. Glaubst du wirklich, dass ich dich kenne?"

Intuitiv rollte er sich zur Seite, und bereute die abrupte Bewegung augenblicklich - Draco zog seine Hand zurück, als ob er sich verbrannt hätte. "Wenn du mich nicht kennst, dann kennt mich keiner." Ein verächtliches Schnauben war die Antwort, und er fühlte sich merkwürdig zurückgestoßen, zum zweiten Mal in dieser Nacht. Irritiert runzelte er die Stirn: "Was denn?"

Draco sagte nichts. Obwohl er ihm jetzt zugewandt war, konnte er doch kaum mehr als die vagen Umrisse des Slytherins erahnen, ein Schatten im Schatten. "Was? Was soll das? Spuck's aus!" Sein aggressiver Tonfall erstaunte ihn selbst, ebenso wie die Heftigkeit seiner Reaktion – oder der Sturm an Gefühlen, der plötzlich in ihm ausbrach.

Warum musste Malfoy ihn immer provozieren, was sollte das – wem wollte er damit etwas beweisen, Harry oder sich selber? Er war es leid, so leid. Am liebsten wäre er gegangen, einfach so, ohne noch etwas zu sagen. Aber er wusste, dass er das nicht fertig gebracht hätte., niemals. Es war nicht sein Stil. "Verdammt Malfoy! Rede endlich!" Es war keine Bitte, es war ein Befehl.

Aber Draco sagte noch immer nichts. Frustriert ließ Harry sich zurückfallen. Seine Hände gruben sich in das Leintuch und er schloss die Augen. Die Schwärze um ihn herum konnte er auch so nicht aussperren. Das Bedürfnis, aufzustehen und zu gehen wuchs. Die Stille zwischen ihnen erdrückte ihn, er wusste nicht warum, sie nahm ihm die Luft zum atmen, aber er wusste auch nicht, was er dagegen tun sollte. Er verstand nicht, was passierte, hier mit ihnen, er wusste nicht, was mit ihm passiert war, was in ihm passiert war, wie es dazu kommen konnte und was jetzt aus ihnen werden würde. Er war sich nicht sicher, ob er es herausfinden wollte.

Erneut konnte er hören, dass Draco sich rührte, und für den Bruchteil einer Sekunde stieg Panik in ihm auf, die irrwitzige Gewissheit, dass es Draco sein würde, der jetzt aufstehen und fortgehen würde. Er würde gehen und ihn alleine lassen. Noch ehe das Gefühl wirklich zum Gedanken werden konnte, berührte eine Hand seine Wange. Strich langsam über seine Lippen, seine Nase, seine Brauen. Tastend. Suchend. Sein Herzschlag setzte aus, nur um sich dann auf beängstigende Weise zu beschleunigen.

"Du bist mehr Dunkel als Gesicht..." murmelte Draco nahezu lautlos, so leise, dass Harry sich beinahe sicher war, sich die Worte nur eingebildet zu haben. Aber die Lippen auf seiner Haut bildete er sich nicht ein, die Glut, von der er noch immer kaum glauben mochte, dass sie ebenso zu Draco gehörte wie die Kälte, die er ausstrahlte.

Er lockerte seinen krampfhaften Griff, löste seine Hände vom Leintuch, hob sie nur um dann inne zu halten. Er zögerte, hätte so viele Dinge zu sagen gehabt, so viele Fragen, die ihm auf dem Herzen brannten. Sie erschienen ihm mit einem Mal alle so unbedeutend, so nichtssagend und die Worte nicht annähernd angemessen für das, was in ihm vorging.

Und seine Hände fanden Draco, er hielt ihn fest, hielt sich an ihm fest, fühlte wie er festgehalten wurde. Es spielte keine Rolle mehr, auf welche Fragen er Antworten suchte, vielleicht würde er sie nicht finden, vielleicht würde er es niemals finden, aber hier, hier war Ruhe. Bei Draco war Ruhe, und das war alles, was er im Augenblick brauchte.

"Ich kenne dich nicht." In Dracos Stimme lag etwas, das er nicht zuordnen konnte, etwas das ihm nicht gefiel, ebenso wenig wie das, was er sagte. "Über dir ist das Licht gestorben, Harry, ich kann dich nicht erkennen."

***

"Du hast dich gegen mich entschieden?!"

"Ich muss gehen. Ich habe keine Wahl."

"Das sehe ich anders."

"Es gibt viele Dinge, die du nicht weißt."

"Zum Beispiel?"

"Ohne Verrat würde man Treue nicht bemerken."

***

Vorankündigung, demnächst eventuell bald und exklusiv hier - sechstes & letztes Kapitel Brandzeichen: Asche.