Kapitel 7 – There's not even breathing room between pleasure and pain

Es war der erste sonnige Tag seit Wochen und das erste Hogsmeadewochenende im neuen Jahr. In der letzten Woche, der ersten Woche nach den Weihnachtsferien, hatte Amy sich richtig ins Zeug gelegt, was die Schule betraf. Im Unterricht passt sie auf, machte regelmäßig ihre Hausaufgaben und war schwer darum bemüht, das Verpasste wieder aufzuholen. Doch an diesem Nachmittag gönnte sie sich erst einmal ein wenig Freizeit.

Rücken an Rücken saß sie mit Jamie auf einer dicken Decke im Schnee in der Nähe der Heulenden Hütte und ließ sich die Wintersonne ins Gesicht scheinen. Sie hatte ihm gerade alles erzählt. Ihre ganze Geschichte und das Gespräch mit Dumbledore vor ein paar Wochen. Nur seine letzten Worte hatte sie ausgelassen, denn obwohl sie noch immer ihre Bedeutung nicht verstand, war sie sich sicher, dass sie etwas mit Jamie zu tun hatten. Nur was, dass musste sie noch herausfinden. Jamie hatte ihr schweigend zugehört und auch jetzt sagte er noch immer kein Wort, sondern streckte seine Nase der Sonne entgegen.

„Das Lernen hilft mir, weißt du?" ,erzählte Amy deshalb weiter, „Es lenkt mich von den ganzen Gedanken ab. Ich bin beschäftigt und muss mir meine Zeit nicht mit depressiv sein vertreiben. Es ist zwar anstrengend, aber es hilft..." Amy wusste nicht, was es war, dass sie dazu brachte bei ihm so viel zu reden. Alles was sie wusste, war, dass sie ihn nun seit gut einer Stunde zu textete und er ihr immer noch aufmerksam zuhörte. „Ja, ich versteh das schon" ,erwiderte Jamie, es war das Erste, was er seit dem ‚Hallo' sagte, „Das klingt gut. Besser beschäftigst du dich mit lernen, als mit irgendetwas Anderem. Ist erstens sinnvoller und zweitens nützlicher. Immerhin hast du immer Sommer Abschlussprüfungen."

Amy stöhnte: „Erinnere mich bloß nicht daran. Ich muss noch so viel aufholen und 5 Monate können so schnell vergehen, wenn man was zu tun hat. Zeit ist schon was seltsames... Kannst du's nicht gebrauchen, vergeht sie zäh und langsam und wenn du gerne etwas mehr Zeit hättest, vergeht sie wie ihm Flug." Jamie nickte gedankenverloren. „Ja, ich weiß... Ich kenn das Gefühl nur zu gut. Besonders wenn man die Zeit mit einem geliebten Menschen verbringt, ist alles schon wieder viel zu schnell um. Jetzt ist auch schon wieder fast 4 Uhr... Wann musst du wieder zurück oder wann willst du wieder zurück?"

Der versteckte Hinweis, den Jamie eingebaut hatte, blieb Amy verborgen und so meinte sie nur, dass sie so gegen 6 Uhr wieder zurück sollte. Immerhin wurde es dann schon langsam dunkel und außerdem hatte sie noch so viel zu tun. Jamie seufzte, nickte jedoch verständnisvoll. Noch zwei Stunden also. „Denkst du noch oft an ihn?" ,fragte er dann plötzlich unvermittelt und Amy schrak zusammen. Mit so einer Frage hatte sie nicht gerechnet, aber sie wusste, dass sie ihn nicht anlügen konnte. „Naja, tagsüber geht es" ,antworte sie wahrheitsgemäß, „Die Arbeit verdrängt die Gedanken ein wenig... aber abends und nachts? Manchmal halte ich es fast nicht aus, so sehr vermisse ich ihn... Ich..." Der Satz blieb einen Moment unvollendet in der Luft schweben, bis Amy hart geschluckt hatte und weitersprechen konnte: „Ich frage mich so oft, was passiert wäre wenn... Es gibt so viele Leute, die behaupten, wir wären für einander bestimmt gewesen, aber ich kann ihnen einfach nicht glauben. Ich glaube nicht, dass er mich geliebt hat, nicht auf diese Weise."

Jamie merkte, wie schwer es ihr noch immer fiel über Cedric zu reden. Es war schon so lange her und sie liebte ihn noch immer. Und noch immer war sie der festen Überzeugung, dass er sie nicht geliebt hatte. Er wusste nicht, was er tun sollte. Sollte er ihre Zweifel ein für allemal wegwischen oder sie ihr lassen? Würde sie die Wahrheit überhaupt verkraften? Das Drama, dass sie sich selbst eingebrockt hatten? Es war so bescheuert. Da waren zwei Menschen, die sich so sehr liebten wie Romeo und Julia oder noch mehr und keiner von ihnen hatte sich je getraut etwas zu sagen. Er verkraftete es ja selbst kaum.

Doch sein Mund war schneller als sein Verstand, der ihm gerade hatte sagen wollen, dass er es nicht tun sollte: „Doch das hat er. Mehr noch, als du dir vorstellen kannst, mehr als er sich selbst hat vorstellen können. Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, aber ich halte deine Selbstzweifel nicht mehr aus. Vielleicht ist es falsch es dir zu sagen, ich weiß es nicht. Aber er ist genauso falsch, es dir nicht zu sagen. In so einer Situation gibt es wohl kein Richtig und kein Falsch. Cedric hat dich geliebt, als beste Freundin und als das Mädchen, das ihn hätte glücklich machen können. Das Mädchen, das seine Freundin hätte werden sollen, hätte schon längst sein sollen." Amy hatte sich umgedreht, während er sprach und starrte ihn fassungslos an, den Mund weit geöffnet. Was sagte er da?

„Nein..." ,flüsterte sie, „Woher willst du das wissen? Alle glauben, es besser zu wissen, aber Ced hatte sich entschieden. Für Cho, nicht für mich. Ich muss mich damit abfinden und habe es auch, warum können es die Anderen nicht auch begreifen? Ich war für ihn nur seine beste Freundin. Das Mädchen, das immer für ihn da war und mit dem er lachen konnte. Aber nicht das Mädchen, mit dem er seine Liebe teilen konnte. Versteh doch, ich würde dir ja gerne glauben, aber ist nicht wahr. Er hat..."

Jamie unterbrach sie, langsam lauter werdend: „Amy, hör auf! Red dir doch nichts ein. Warum machst du das? Glaubst du vielleicht, das macht dich glücklich? Denk doch mal drüber nach... lebst du denn lieber mit dem Gedanken, dass er dich nicht geliebt hat? Klar ist die Wahrheit im ersten Moment härter, aber ist es nicht auch irgendwo schön zu wissen, dass er dich doch geliebt hat? Ich weiß, dass er das hat. Er hat ein Jahr lang Wochenende für Wochenende sein Herz bei mir ausgeschüttete. Und er hat fast nie über Cho gesprochen und wenn, dann hat er sie runtergeputzt. Von dir dagegen hat er in den höchsten Tönen gesprochen. Hast du schon mal den Spruch gehört ‚Betrunkene und kleine Kinder sagen immer die Wahrheit'? Nun, Cedric war ziemlich gut dabei."

Amy zitterte am ganzen Körper und als sie antwortete, bebte auch ihre Stimme: „Du weißt nicht wie das ist. Der Gedanke, dass er mich doch geliebt haben könnte, ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Begreifst du das denn nicht? Wenn er mich geliebt hätte und ich ihn geliebt habe, aber keiner von uns was gesagt hat... das wäre furchtbar! So vieles was wir verpasst haben, so vieles was ich gerne mit ihm geteilt hätte. Was ich mit ihm hätte teilen können, wenn nur einer von uns den Mund aufgemacht hätte... So viele Monate, die wir verschwendet haben nur aus Angst unsere Freundschaft zu zerstören. Nicht einmal konnte ich ihn küssen und du weißt nicht, wie rasend mich der Gedanke macht, dass ich ihn hundert Mal hätte küssen können, wenn ich nur den Mut gehabt hätte, es ihm zu sagen. Verstehst du jetzt, warum ich mir all diese Dinge... einrede."

Jamie schaute sie geschockt und mitfühlend an. Sie war während ihrer Worte aufgesprungen und wand sich nun zum Gehen um. Er ließ sie, er wusste nichts zu sagen, um sie aufzuhalten. Also hatte sie es doch die ganze Zeit gewusst, es aber nicht wahrhaben wollen. Aber er hatte endgültig dafür gesorgt, dass sie es begriffen hatte und ihr damit ihre Illusion genommen, mit der sie vielleicht hätte besser leben können. Wie blöde war er eigentlich? Er stand ebenfalls auf, ließ mit einem Wisch seines Zauberstabs die Decke verschwinden und lief ihr hinterher. Er musste das unbedingt gut machen. Nur wie?

Obwohl sie zitterte und ihr Körper sich immer wieder unter den Tränen schüttelte, kam Amy recht gut vorwärts. Natürlich hatte Jamie Recht und sie hatte es die ganze Zeit gewusst. Aber sie hatte es nicht wissen wollen, um sich genau vor diesen Gefühlen zu bewahren, die nun in ihr kämpften. Sie fühlte sich wieder einmal hin und her gerissen zwischen Freude und Schmerz. Es freute sie natürlich, wie Jamie gesagt hatte, dass Cedric sie geliebt hatte, aber dieser Freude stand der so viel größere Schmerz gegenüber. Schmerz, über das, was sie hätte haben können, wenn sie nur nicht so blind gewesen wäre.

„Amy" ,es war Jamie der ihren Namen rief und Amy hielt sofort inne, um auf ihn zu warten. Sie hätte nicht davon laufen sollen, er hatte es doch nur gut gemeint. Einen Moment später kam er luftholenden neben ihr zum Stehen und musterte sie mit seinen silbernen Augen. „Es... es tut mir Leid" ,murmelte er dann, „Ich hätte nicht... es tut mir so Leid. Ich hätte wissen müssen, dass du so reagierst." „Ist schon in Ordnung" ,erwiderte Amy, „Es wurde Zeit, dass mir mal jemand die Augen öffnet... ich bin froh, dass du es warst." Ein leichtes Lächeln huschte über beide ihrer Lippen und sie verfielen erneut in Schweigen.

Es war wie ein stummes Abkommen zwischen ihnen beiden, dass er sie zurück zum Schloss bringen würde und so machten sie sich auf den Weg. Noch immer ein wenig zitternd, griff Amy nach Jamies Hand und verschlang ihre ausgekühlten Finger mit seinen. Jamie durchzuckte ein Blitz als ihre dünnen Finger seine Hände berührten und ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Doch es verschwand sofort wieder, als er begriff, was das bedeutete. Ihr hatte er grade noch erklärt, wie blind sie eigentlich war und selbst checkte er überhaupt nichts. Er hatte nie an die Liebe auf den ersten Blick geglaubt, aber dieses Mädchen hatte ihm gerade das genaue Gegenteil bewiesen.

Er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt. Nur was sollte er jetzt damit anfangen? Warum musste er sich in ein Mädchen verlieben, dass nach Monaten noch immer ihrer großen Liebe nachhing? Wie sollte er Cedric das Wasser reichen? Er sah nicht so gut aus wie er, er war nicht so klug wie er, er war nicht so beliebt wie er und er war nicht so ein guter Mensch wie er. Aber was das wichtigste war, Cedric hatte ihr Herz und würde es auch behalten, zumindest für eine lange Zeit. Dann musste er eben warten und das würde er, er konnte gar nicht anders.

Amy, sich völlig im Unklaren darüber, was sie mit dieser einfachen Geste anrichtete, war einfach nur froh in Jamie einen solchen Freund zu haben, der sich nicht scheute ihr auch mal die Meinung zu sagen, obwohl es ihr schlecht ging. Er wohl doch irgendwie wie Cedric. Außerdem kam sie nicht umher sich einzugestehen, dass er, obwohl ein völlig andere Typ als Cedric, doch mindestens genauso gut aussah wie er. Aber diesmal würde sie es bei der Freundschaft belassen, noch so ein Drama würde sie nun wirklich nicht vertragen. Und noch war sie sich auch sicher, dass sie dieses Versprechen an sich selbst und ihren Gefühlhaushalt einhalten können würde. Doch was wusste sie schon?

„Amy, da bist du ja..." ,es waren Luca und Ciara, die auf sie zu gerannt kamen und nach ihr riefen. Von Lenny war keine Spur, sie war wahrscheinlich noch mit Dave unterwegs. Lennys Beziehung zu Dave war die einzige, die gehalten hatte, Luca und Ciara waren wieder solo. Reflexartig lösten sich Amys Finger von Jamies, der leise in sich hineinseufzte. „Wo warst du denn so lange?" ,fragte Ciara, als sie vor den beiden zu stehen kam, Luca dicht hinter ihr. Keiner von Beiden schien Jamie zunächst wahrzunehmen.

Also stellte Amy vor: „Jamie, das sind Luca und Ciara, zwei meiner Freundinnen. Ciara, Luca, das hier ist Jamie. Ich hab ihn vor zwei Monaten in Hogsmeade kennen gelernt. Er..." „Nicht so wichtig" ,rief Luca, „Du musst mitkommen, irgendwas stimmt mit Lenny nicht. Ich glaub sie hatte Streit mit Dave. Tut mir Leid... Jake!" Damit wurde Amy auch schon mitgezogen, ohne dass sie sich von Jamie hatte großartig verabschieden können. In sich hinein fluchend folgte sie den anderen in die Eingangshalle, während Jamie einsam am Tor zurück blieb.

„Tschüss Amy" ,murmelte er, bevor er sich umdrehte und ging. Seltsame Freundinnen waren das, aber er konnte sich vorstellen, dass Amy genauso verrückt sein konnte, wenn es ihr besser ging. Er wusste so wenig über dieses Mädchen und doch so viel. Er kannte ihre Vergangenheit und ihre Gefühle gegenüber Cedric, aber er wusste nichts über ihren Alltag, ihre Familie, ihre Freunde. Es gab so viele Dinge, die er gerne von ihr wissen würde. Aber er traute sich nicht zu fragen aus Angst, dass sie ihn das Selbe fragen würde. Er hatte nie mit jemandem über seine Vergangenheit gesprochen, aber wenn dann mit ihr.

„Sag mal Amy" ,fragte Ciara, während sie die Freundin in den Gemeinschaftsraum der Huffelpuffs zog, „Woher kennst du DEN denn?" Amy schaute ihre Freundin, die das Gesicht verzogen hatte, mit hochgezogener Augenbraue an. Was hatte sie denn, mochte sie Jamie nicht? Luca schien es ähnlich zu gehen. „Wir haben... er arbeitete im... das war" ,stotterte Amy, die nun wieder völlig verwirrt war. „Im Eberkopf" ,vollendete Luca ihren Satz, „Warum gibst du dich mit ihm ab?" Nun blieben die Beiden stehen und hielten auch Amy an. „Was soll denn das?" ,fragte diese verstört, „Wollten wir nicht...? Moment Mal, Lenny geht es wunderbar, stimmt's? Was ist denn los mit euch? Was habt ihr gegen Jamie?"

„Nichts, nichts..." ,meinte Ciara, „Wir glauben nur nicht, dass er der richtige Umgang für dich ist. Schau ihn dir doch mal an. Wie alt ist er? 19, 20? Und arbeitete im Eberkopf? Also bitte... wahrscheinlich hat er es nicht zu mehr gebracht. Und sieh dir seine Klamotten an... und seine Haare sehen auch so aus, als könnte er sich keinen Kamm leisten." „Cedrics Haare waren genauso verstrubbelt" ,knurrte Amy dazwischen, doch sie wurde nicht beachtet. „Außerdem erzählen man sich nun... Geschichten über ihn" ,fuhr Luca fort, „Die verschiedensten Gerüchte gehen rum... eines schlimmer als das andere."

Amy schnaubte: „Und ihr glaubt natürlich alles, was man so sagt? Ich dachte ihr bildet euch eine eigene Meinung über die Leute... und zwar nachdem ihr sie kennen gelernt habt. Aber ich hab mich wohl getäuscht... Tut mir Leid, aber ich kenne Jamie und er ist wirklich ein Schatz. Ich werd mich bestimmt nicht von euch davon abhalten lassen, mich weiterhin mit ihm zutreffen. Er hilft mir mehr mit der Situation umzugehen, als ihr es überhaupt könnt." Sie machte auf dem Absatz Kehrt und rannte die Treppen zu den Räumen der Schülersprecher nach oben. Was war denn in die Beiden gefahren? So kannte sie sie überhaupt nicht.

Dampfend vor Wut ließ Amy sich auf dem Sofa fallen und warf der Decke mordlustige Blicke zu. Hatte sie gerade tatsächlich mit zwei ihrer besten Freundinnen gesprochen, hatte sie wirklich so oberflächliche Freunde? Überhaupt, was sollten das für Geschichten sein, die man sich über Jamie erzählte? Er war doch wirklich nett. Bloß weil er im Eberkopf arbeitete, musste das doch nichts böses heißen. Vielleicht hatte er auf die Schnelle einfach nichts Besseres gekriegt oder... Sie wusste ja auch nicht. Aber war es nicht egal, wo er arbeitete? Sollten seine Charaktereigenschaften nicht eigentlich viel wichtiger sein?

Zumindest waren sie das für Amy und bei Jamie konnte sie sich nun wirklich nicht über einen schlechten Charakter beschweren. Er war immer nett und freundlich zu ihr, fluchte nicht, schlug nicht um sich, sagte seine Meinung immer offen und ehrlich, ohne andere damit zu verletzten, hatte manchmal sogar recht witzige Anwandlungen, war ein guter Zuhörer, trotzdem auch sehr sprachgewandt und hilfsbereit. Außerdem schien er der Einzige zu sein, der es schaffte Gefühle, welcher Art auch immer, aus ihr hervorzulocken und das schätzte sie.

Und selbst wenn sie oberflächlich bleiben würde, hätte sie nur wenig auszusetzten, wenn überhaupt. Jamie war groß und schlank und Amy war sich sicher, dass sich unter dem dicken Winterpulli ein paar Muskeln verbargen. Die nachtschwarzen Haare, die sich leicht lockten und immer so aussahen, als wäre er gerade erst aufgestanden, luden regelrecht dazu ein, darin herum zuwuscheln und mit den Fingern hindurch zufahren. Seine Gesichtszüge waren markant, aber doch auf ihre eigene Art und Weise weich und schön, sie passten einfach zu ihm. Seine Lippen waren eher schmal, wobei die Unterlippe aber voller war als die obere und Amy liebte die Fältchen, die sich darum bildeten, wenn er sich doch mal zu einem Lächeln hinreißen ließ. Aber am meisten hatten es ihr seine Augen angetan, diese silbernen, wundervollen Augen.

Amy schüttelte den Kopf, in der Hoffnung die Gedanken damit ebenfalls abzuschütteln. Was dachte sie da nur? Jamie war nur ein Freund, nur ein guter Freund, warum also beschäftigte sie sich so sehr mit seinem Aussehen? Bloß wegen eines dämlichen Kommentars ihrer Freundinnen? War das wirklich der Grund oder nur eine Ausrede? Nein, das war sicherlich der Grund, denn eigentlich wollte sie ja gar nicht über ihn nachdenken. Das war nur die Schuld von Luca und Ciara, dass sie jetzt die silbernen Augen nicht mehr aus ihrem Kopf bekam. Und die ganze Mal davor, wer war da Schuld? Amy wusste es nicht.

Nur mühsam konnte Amy die Gedanken aus ihrem Kopf zwängen, aber dafür drängten sich ihr andere auf. Jamie hatte ihrem Verstand endlich klar gemacht, was ihr Herz schon lange wusste: Cedric hatte sie geliebt. Aber was sollte sie jetzt damit anfangen? Jetzt wo es zu spät für diese Erkenntnis war, jetzt wo Cedric tot war. Es machte alles nur noch schwerer. Der Gedanke plagte sie, dass sie all das, was sie haben wollte auch hätte haben können, wenn sie nur etwas gesagt hätte, wenn sie nur einmal nicht so feige gewesen wäre. Oder wenn er nicht so feige gewesen wäre. Beide hatten sie geglaubt ihre Freundschaft zu retten und hatten sich bei dem Versuch ihre Gefühle zu unterdrücken selbst zerstört.

Amy könnte sich schlagen alleine bei dem bloßen Gedanken daran, wie blöd sie gewesen war, wie blind. Alle anderen hatten es sofort bemerkt, aber ihr war es einfach nicht aufgefallen. Sie hatte ihre Gefühle tief in sich eingeschlossen und Cedric hatte das Selbe getan, sie hatten sich selbst um ihr Glück gebracht. Warum? Nur aus Angst um die Freundschaft, aus Angst, dass der andere die Gefühle nicht erwiderte? Sie war sich nicht sicher.

Andererseits, da hatte Jamie Recht, machte sie der Gedanken, dass Cedric ihre Liebe erwidert hatte, doch irgendwo glücklich. Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass die große Liebe auch etwas für einem empfunden hatte. Doch dieses Glück schmolz sofort wieder dahin, wenn sie daran dachte, was sie hätte haben können. Und mit dieser Hin- und Hergerissenheit schlief sie schließlich ein.

Zwei Tage zogen ins Land, in denen Amy sich wieder zurück gezogen hatte und kein Wort mit Luca und Ciara gewechselt hatte. Doch schließlich kamen die Beiden auf Amy zu, um sich zu entschuldigen. „Amy, hör mal zu" ,meinte Ciara und zog sie mit in eine ruhige Ecke, „Es tut uns Leid." „Was?" ,hakte Amy nach und musterte ungeduldig ihr Schuhe. „Dass wir..." ,fuhr Luca an Ciaras Stelle fort, „Nun, dass wir dich enttäuscht haben und uns so von den Worten anderer beeinflussen haben lassen. Vielleicht ist Jamie ja wirklich ganz in Ordnung... vielleicht solltest du ihn uns einfach mal vorstellen."

Amy schwieg einen Moment, bevor sie ein wenig erleichtert seufzte: „Ja, ich denke, dass sollte ich wirklich. Er ist wirklich nett, ihr werdet ihn mögen... Uhm, gehen wir essen?" „Du isst wieder?" ,fragte Ciara mit hochgezogener Augenbraue. Amy nickte und runzelte ein wenig die Stirn: „Ja... ja, warum?" „Naja... du warst Monate lang nicht beim Essen und dann fragst du plötzlich ganz unbeschwert, ob wir zum Mittagessen gehen?" „Mhh... ich muss langsam wieder anfangen" ,nuschelte Amy verlegen, „Sonst bin ich bald nur noch ein Strich..." Damit war das Thema beendet und die drei Freundinnen gingen Arm in Arm in den Speisesaal, wo die Vierte schon auf sie wartete.

Am Nachmittag saß Amy im Verwandlungsunterricht und wartete gebannt auf die Rückgabe der Tests. Sie hatte lange für diesen Test gelernt und hoffte, dass sich das wenigstens etwas ausgezahlt hatte. Erst am Ende der Stunde, kurz vorm Klingeln, nahm McGonagall einen Stapel Pergament aus ihrer Tasche. „Allgemein ist der Test, obwohl angekündigt, eher enttäuschend ausgefallen" ,stellte sie fest, „Aber es gibt auch ein paar positive Ausreißer." Amy zog den Kopf ein und vergrub sich tief in ihrem Stuhl. Sie wollte nicht, dass ihr Test enttäuschend ausgefallen war. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben.

McGonagall gab Test für Test aus und ließ es sich nicht nehmen hier und da einen bissigen Kommentar abzugeben. Die Guten bekamen nur ein freundliches Nicken, eventuell ein Lächeln. Es klingelte und die Vergabe der restlichen Test ging im Rascheln von Pergamenten und Schultaschen unter. Das Klassenzimmer war schon fast leer, als Amy ihren Test zurückbekam. „Miss Even" ,meinte McGonagall und ließ ihren Blick noch einmal über Amys Test huschen, „Sehr schön. Das ist man von ihnen gewohnt und das möchte ich bitte in Zukunft wieder öfters von ihnen sehen, in Ordnung!"

Amy nickte, unfähig etwas zu sagen und nahm ihren Test entgegen. Dann ging sie mit Lenny, Ciara und Luca nach draußen, wo sie einen Blick auf das Pergament warf. „Oh mein Gott" ,quietschte sie dann, „Oh mein Gott." Ihre drei Freundinnen schauten sie mit gerunzelter Stirn und gleichzeitig belustigter Miene an. „Was denn?" ,fragte Lenny, „Was hast du?" „Oh mein Gott" ,rief Amy nur erneut und reichte der Freundin das Pergament. Lenny strich es glatt und begann zu strahlen. „Das ist ja super" ,begann sie nun ebenfalls zu quietschen und umarmte Amy. Luca und Ciara stöhnten: „Würde uns vielleicht jemand mal mitteilen, was los ist?" Lenny hielt das Pergament nach oben. Dort stand es rot auf braungelb. Amy hatte ein glattes O+ für den Test bekommen. Aus Lennys Umarmung wurde ein Massenknuddeln, bevor die vier Freundinnen beschlossen den Rest des Tages mit einem Tee und Keksen im Gemeinschafsraum der Huffelpuffs zu verbringen. Es war das erste Mal seit langem, dass sie einen Nachmittag mal wieder alle zusammen verbrachten und Amy freute sich unheimlich darüber. Und der Mädelsnachmittag zog sich bis weit in den Abend hinein. Amy erzählte den Anderen alles über Jamie und die berichteten im Gegenzug, was sie alles an Klatsch & Tratsch auf Hogwarts verpasst hatte, während der letzten Monate.