7. Erste Lügen
Mitten in der offenen Tür stand Ramonnah und starrte mit weit aufgerissenen Augen in den großen Raum. Ein schreckliches Bild bot sich ihr und sechs nicht minder aufgerissene Augen blickten sie leicht verängstigt und entsetzt an. Ihr Blick wandte sich von jenem blonden jungen Mann, ein Diener, der starr mitten im Raum stand und sie gefühllos anblickte, über die neue Dienerin und Gefährtin der Prinzessin, die nur in einem weißen Untergewand dicht neben ihrer Herrin stand und die scheinbar Virginie in Anwesenheit eines Mannes deren Nachthemd auszog. Und Virginie blickte sie für einen kurzen Moment verängstigt an, bevor sie die Fassung wieder erlangte, obwohl sie nur einen hauchdünnen Unterrock trug und ihr Nachthemd lediglich ihre Schultern und soeben noch ihre Brüste bedeckte.
„Ich habe dir nicht erlaubt schon rein zu kommen.", beschwerte sie sich und zupfte an ihrem Nachthemd rum, damit Draco nicht ihren nackten Bauch sehen könnte, falls er sich zu ihr umdrehte. Ramonnah öffnete den Mund, bekam jedoch keinen Ton raus. Sie schloss ihn erneut, bevor sie ihn wieder öffnete und wieder hörte man nichts. Schließlich drehte sie sich um und schloss kopfschüttelnd die Tür. „Das muss ein Traum sein,… das bilde ich mir sicher nur alles ein…", murmelte sie vor sich hin.
Doch als sie sich wieder den Jüngeren zuwandte, standen diese immer noch an ihren Plätzen. Dracos und Virginies Gesichter waren immer noch leicht dreckig, ihre Haare verstrubbelt und sie wirkten müde. „Bei Ra! Ihr habt doch nicht etwa…?", ihr Blick wandte schnell zwischen Draco und Virginie hin und her. Dann wurde sie ganz weiß im Gesicht, ihre Augen weiteten sich noch mehr und verdrehten sich plötzlich äußerst seltsam. „Ist alles in Ordnung?", fragte die Prinzessin leicht besorgt. Ehe sie sich versahen, schwankte ihre Zofe gefährlich, bevor sie bewusstlos zu Boden fiel.
„Verflucht!", fluchte Virginie, während sie an ihrem immer noch verdrehten Nachthemd rumfummelnd zu der Ohnmächtigen rannte. Unruhig ertaste sie ihren Puls. „Kommt her, schnell, wir müssen sie auf mein Bett legen.", kommandierte sie Draco und Alia herum. Gehorsam kamen diese zu ihr und halfen ihr die Frau herüber zu ihrem Himmelbett zu tragen.
„Wir müssen es so aussehen lassen, als wäre das alles niemals passiert. Wenn sie aufwacht, werde ich ihr erzählen, dass sie über… über das Kissen gestolpert, zu Boden gefallen und ohnmächtig geworden ist.", entschied sie nachdenklich. „Helft ihr mir?" Die beiden nickten stumm. Sie lächelte sie an. „Gut. Draco leg das Kissen hier dort auf den Boden." Sie warf ihm ein Kissen zu und wandte sich an ihre Dienerin, „hilf mir bitte dieses dämliche Nachthemd anzuziehen." Zusammen fummelten sie daran herum und schließlich schafften sie es unter Dracos leicht schmunzelnder Aufsicht. „Danke.", seufzte Virginie erleichtert. „Bitte.", grinste Alia.
„Aber du musst dir dein Gesicht noch waschen und die Haare kämmen. Kein Wunder, dass Ramonnah denkt ihr beiden hättet wer weiß was gemacht, so wie ihr ausseht." Draco und Virginie sahen sich an und die Röte schoss ihnen ins Gesicht. „Ich würde niemals…", protestierte der Blonde, während Virginie mittlerweile so rot wie eine Tomate zum Spiegel rannte und Alia sich lachend über die beiden lustig machte, während sie eine Schale mir Wasser holte.
Virginie begutachtete sich in ihrem großen Spiegel. Ihr Gesicht war noch brauner als sonst vom Sand, ihr Haar stand von dem Ritt nach allen Seiten ab und war äußerst unordentlich, ihre Augen waren klein und wirkten müde. Sie sah tatsächlich so aus, als hätte sie eine wilde Nacht hinter sich, allerdings nicht so, wie ihre Zofe gedacht hätte. ‚Wie kommt sie nur auf so eine Idee…', grübelte sie noch immer feuerrot.
Draco trug die Schale mit klarem Wasser zu dem Tisch vor ihr und stellte sie vorsichtig ab. „Hier, fang und mach dich nützlich.", sagte Alia grinsend und warf ihm ein Stück Stoff zu. Irritiert starrte er auf das braune Etwas in seinen Händen. Alai seufzte, während sie versuchte mit einem Kamm durch die kurzen, aber zerzausten Haare der Prinzessin zu kommen. „Wasch ihr Gesicht. Mach schon, wir wissen nicht, wann Ramonnah aufwacht.", erklärte sie die Augen verdrehend. Ungläubig starrte Draco sie an, bevor er nichts erwidernd den Lappen in das kalte Wasser tauchte. Anschließend nahm er ihr Gesicht geradezu schüchtern in eine Hand und wischte ihr vorsichtig mit der anderen den Schmutz weg.
Gebannt starrte sie ihm in seine unglaublich tiefen, silbernen Augen. Sie hätte nie gedacht, dass ein Mann mit so großen Händen so zärtlich sein konnte. Sie fühlte die Wärme seiner Hand und roch erneut diesen Duft von Wildnis, den sie im Zelt schon gerochen hatte. Kurz schloss sie die Augen und genoss seine Berührungen und dieses wohlige, fremde Gefühl in ihr.
„Aua.", motzte sie und schreckte aus ihren Träumen auf. „Tut mir leid, aber du hast Knoten in den Haaren.", entschuldigte sich Alia wehmütig. Da sie hinter ihr stand, hatte sie nicht mit bekommen, dass ihre Freundin vor sich hin geträumt hatte. Virginies Augen musterten Dracos Gesicht, das gar nicht mal allzu weit von ihrem entfernt war. Sein Gesicht wirkte leicht feminin mit den feinen Zügen, so ganz untypisch für einen Soldaten. Sein Kinn war recht schmal, seine Lippen dünn, sie machten auf Virginie jedoch den Eindruck, dass sie unendlich zart sein konnten, genau wie seine Hände, seine Nase war gerade, seine Wangenknochen guckten leicht markant hervor, seine hohe Stirn war ein Zeichen für Intelligenz, sein hellblondes, ebenfalls strubbliges Haar umrandete sein Gesicht und erst seine Augen. Diese Augen faszinierten sie am meisten an ihm. Meistens wirkten sie so unergründlich und geheimnisvoll. Doch sie hatte sie auch schon im Kampf strahlen sehen oder das kleine Funkeln, während er auf ihr gelegen hatte oder als er zuvor zugesehen hatte, wie Alia und sie an ihrem Nachthemd rumgefummelt hatten. Jetzt begegneten sie ihrem Blick. Hitze durchströmte sie plötzlich und sie fühlte sie wie elektrisiert. Doch sie hielt seinem Blick stand, sah ihn aus ihren dunklen Augen heraus an. Die Zeit schien stehen zu bleiben.
Doch nicht für lange Zeit, denn plötzlich hörten sie ein Geräusch vom Bett her.
„Sie wird wach.", schreckte Virginie zusammen und riss sich widerwillig von Dracos wunderschönen Augen los. „Schnell, du musst gehen." Sie nahm ihm den Lappen ab und schob ihn zum Eingang. „Nein, nicht da raus. Da wird ihn einer sehen.", warf Alia ein, lief hinter ihnen her und zog ihn zum Bediensteteneingang.
„Sind wir jetzt Freunde?", fragte Virginie, die noch lange nicht aufgegeben hatte. Draco sah ihr erneut in die Augen und sie glaubte irgendetwas in ihnen zu sehen, war es Schmerz? Sie konnte es nicht sagen, denn es war zu schnell wieder verschwunden. „Du siehst doch, was dabei raus kommt.", er deutete auf Ramonnah, die sich gerade bewegte. Schnell schubste Alia ihn raus und schloss die Geheimtür bevor sie Virginie ihre Haube zum Verbergen ihres Haares aufsetzte, sie zu dem Bett zog und die beiden sich jeweils zu einer Seite der Zofe setzten.
In dem Augenblick blinzelte diese und blickte die beiden Mädchen verwirrt aus ihren braunen Augen an. „Was ist passiert?", fragte sie irritiert und setzte sich langsam auf. „Du bist über das Kissen dort auf dem Boden gefallen und ohnmächtig geworden.", berichtete Virginie besorgt. „Ich und Alia haben dich auf mein Bett getragen." Ramonnah packte sie an den Kopf. „Wieso liegt da auch ein Kissen mitten im Weg!", meckerte sie, bevor sie hinzufügte, „ich hatte einen schrecklichen Traum. Du hättest die letzte Nacht mit einem Mann verbracht… gar nicht auszudenken, wenn das stimmen würde." Sie schüttelte entsetzt den Kopf. Alia und Virginie warfen sich kurz viel sagende Blicke zu, bevor die Dienerin frage: „Soll ich dir ein Glas Wasser holen?" „Nein, danke, Mädchen. Aber so alt, dass ich das nicht mehr schaffe, bin noch nicht.", brummte sie und stand auf,
„Sheik Mohammed erwartet dich zum Frühstück, Virginie." „Oh nein.", seufzte sie. „Doch und du wirst brav hingehen. Kannst du dafür sorgen, Alia?", sagte die Zofe. „Ja, kein Problem.", antwortete das Mädchen lächelnd. Ramonnah nickte und verließ die Gemächer.
„Sie hat es uns geglaubt.", freute sich Alia nachdem die Tür wieder geschlossen war. Virginie nickte betrübt. „Was ist los?", fragte ihre Freundin besorgt. „Ist irgendwas mit diesem Mann." „Draco? Nein.", sie schüttelte den Kopf, „Mohammed." „Sag nicht du bist verliebt?" „Bei Ra – nein! In diesen doofen Egoisten, der Frauen für sein Eigentum und Spielzeug hält – niemals. Ich würd am liebsten gar nicht hingehen. Bevor ich den heirate und eine seiner zig Frauen werde, hau ich ab." Alia sah sie mitleidig an.
„Was möchtest du tragen?", fragte sie und betrachtete die Kleider der Prinzessin. „Je hässlicher und zugeschnürter, desto besser.", murrte Virginie von ihrem Bett aus. Alia grinste verstehend und suchte.
Langsam bummelte Virginie schlecht gelaunt Richtung Esszimmer, wie immer begleitet von ihrer Leibgarde. ‚Wieso musste mein Vater gerade diesen Mohammed für mich aussuchen? Der ist das reinste Ekelpaket. Niemals könnte ich ihn lieben. Ich will nicht…!', dachte sie finster, ‚nie kann er das machen, was ich mir wünschen würde… hoffentlich ist wenigstens unter den anderen Prinzen und Fürsten, die zu meiner Feier kommen, einer, der mir gefällt. Schön wär's…'
Stumm schlenderte sie weiter, immer langsamer werdend, am liebsten würde sie gar nicht mehr beim Frühstück ankommen, aber ihr fiel nichts ein, unter welchem Grund sie nicht hingehen sollte. Und so fand sie sich mit ihrem Schicksal schwermütig ab.
Doch plötzlich hörte sie andere Schritte. Lustlos hob sie ihren Blick, um sich wenigstens kurz ablenken zu lassen. Verwundert riss sie die Augen auf. Ein blonder Mann wurde von zwei Soldaten abgeführt. „Stehen bleiben!", rief Virginie ohne nachzudenken und eilte in ihrem langen Kleid auf die drei Männer zu. Die Soldaten blickten sie fragend an. Als sie sie erkannten, verbeugten sie sich tief. Draco sah sie wie sooft gefühllos aus seinen silbernen Augen an. Doch sie schenkte ihm keinen Blick. ‚Warum führen sie ihn ab? Was hat er getan?', fragte sie sich entsetzt.
Fortsetzung folgt
