9. Reitunterricht

Ein frohes neues Jahr!

Nachdenklich rekelte sie sich in der heißen Mittagssonne, die direkt über ihr zu stehen schien. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Hitze, selbst das Holz ihres Zauberstabes, der in ihrer Hand lag, war angenehm warm. Sie hatte ihn ausnahmsweise mitgenommen - eigentlich war es ihr verboten. Ihr Vater wollte nicht, dass sie sich zu sehr auf ihre magischen Kräfte verließ, außerdem war es streng geheim, dass die Pharaonenfamilie Zauberkräfte hatte.

Noch nicht einmal Alia hatte sie davon erzählen können. Sie wusste nicht, wie ihre Freundin darauf reagieren würde. Ob sie sie auslachen oder verachten würde! Ihre Zauberei hatte nichts mit ihrer Freundschaft zu tun und deswegen hielt sie es für schlauer, das Mädchen vorerst nicht einzuweihen.

Ramonnah hatte man schon vor langer Zeit eingeweiht, als sie kurz nach Virginies Geburt, zu ihrer Zofe gemacht wurde. Und da magische Kinder ihre Kräfte öfter mal nicht unter Kontrolle hatten, mussten die Zofen der Kinder eingeweiht werden, wobei sie auf den Pharao schwören mussten kein Wort zu sagen, ihr Leben lang. Natürlich hatte Ramonnah des Öfteren Probleme mit Virginie gehabt. Sie war dem Kind, was die Zauberei anging, schließlich nicht gewachsen, und konnte nichts gegen die Kräfte ausrichten. Es war ihre Aufgabe gewesen die Prinzessin zu erziehen, egal was passieren würde. Im Nachhinein hatte Ramonnah ihr anvertraut, dass sie froh war, dass Virginie ein Mädchen geworden ist. Denn sie hatte von den Zofen ihrer Brüder schon gehört, wie unbändig und wild kleine Buben waren.

Ein Lächeln schlich sich bei der Erinnerung auf ihr Gesicht. Sie hatte ihre Zofe umarmt und grinsend gemeint, dass sie manchmal gerne ein Junge wäre. Ramonnah war geschockt gewesen und hatte heftig den Kopf geschüttelt. „So was dürft Ihr nicht denken, Prinzessin. Ihr müsst die Schönheiten im Leben einer Frau sehen.", hatte sie gemeint. Woraufhin sie gesagt hatte: „Das Leben eines Jungen ist so viel einfacher, Jungen können machen, was sie wollen. Ich hingegen muss immer schön brav sein, lächeln und gut aussehen." Ihre Zofe hatte sie angelächelt, ihr die Hand auf die Schulter gelegt und gemeint: „Irgendwann werdet ihr verstehen, dass das Leben eine Frau reizvoller und schöner ist."

Sie würde ihren Zauberstab so gerne an diesem Abend mitnehmen, einfach nur um sicher zu gehen, dass nichts schief lief. Doch es war gefährlich. Zum einen war ihr Vater ein sehr mächtiger Zauberer, er spürte jedes Mal, wenn jemand in der Nähe zauberte. Wenn es im Palast geschah, war es nicht sonderlich außergewöhnlich, dann könnte es jeder sein. Die Königin gönnte sich gerne ein längeres, heißes Bad. Bill-Horus übte gerne zaubern in seinem Zimmer, denn als Thronfolger musste er mächtig werden. Doch außerhalb des Palastes, und sie würden draußen reiten, konnte er augenblicklich neben die Quelle der Magie, also sie, apparieren. Außerdem könnte Draco sie vielleicht erwischen und wie sollte sie ihm das erklären. ‚Nein, es ist unmöglich. Ich kann ihn nicht mitnehmen.', dachte sie traurig,

während sie ein Unsichtbarkeitsschild um sich errichtete, als jemand auf die Terrasse trat und schein bar nach ihr Ausschau hielt. Doch sie wollte jetzt keine Gesellschaft. Sie wollte in Ruhe nachdenken, wie schon den ganzen Vormittag. Sie konnte es kaum erwarten, dass die Sonne endlich im Nil verschwand, aber sie hatte ihre Position noch immer nicht verändert. Virginie unterdrückte einen Seufzer.

Ihr Streit mit Draco vom letzten Abend kam ihr wieder in den Kopf. „Wer würde mir denn schon glauben, dass ich mit einer hübschen Prinzessin, wie dir, nur befreundet bin, ohne jegliche Hintergedanken? Niemand würde uns das glauben, Virginie. Sie würden denken, dass ich nur deinen Körper will. Und wenn du ihnen widersprechen würdest, würden sie denken, dass ich dich in meiner Gewalt hätte und du nur sagst, was ich dir erlaube. Unsere Freundschaft wäre nur von kurzer Zeit und wir würden beide nichts dadurch gewinnen, eher alles verlieren.", hatte er gesagt und ihr tief in die Augen geblickt. ‚Wieso nur ist alles so schwer? Warum lebe ich in einem Reich, wo Prinzessin und Diener keine Freunde sein können, geschweige denn mehr. Er ist so nett… Ich glaube, er wäre wirklich gerne mit mir befreundet – und ich auch mit ihm. Er denkt, dass ich hübsch bin…' Ein glückliches Lächeln stahl sich bei dem Gedanke auf ihr Gesicht.

In dem braunen, alten Gewand schlich sie sich ohne Schwierigkeiten als Kouvo aus dem Palast. Aufgeregt wie sie war, rannte sie leichtfüßig zu der Arena, als hätte sie ihr erstes Date. Noch immer ein Lächeln thronte auf ihren Lippen.

Schon von weitem sah sie das braune Pferd auf dem Weg stehen und entdeckte auch die Umrisse der Gestalt daneben. Ihr Herz schlug noch ein bisschen schneller, als sie sein Lächeln bemerkte.

„Wirst du verfolgt, oder warum rennst du so?", fragte er und blickte sich schnell um. „Nein.", sagte sie atemlos und schüttelte den Kopf, „ich fühl mich nur immer so frei, wenn ich Kouvo bin. Dann kann ich ohne Wachen den Palast verlassen und fühle mich nicht mehr wie eine Gefangene.", gestand sie leise und streichelte vorsichtig den Hals des Tieres. Der Blonde musterte sie, er verstand genau, was sie meinte. ‚Sie muss sich wie in einem goldenen Käfig vorkommen, genau wie meine Schwester es mir immer beschrieben hat.' Schnell verschob er den Gedanken wieder.

„Komm hier her. Das Pferd muss dich kennen lernen, deinen Duft riechen.", sagte er mit fester Stimme. Irritiert sah sie ihn an. ‚Was hat er denn?' Als er sie jedoch anlächelte, verflüchtigten sich ihre Sorgen und sie hielt dem Pferd ihre Hand zum „Kennen Lernen" vor die großen Nasenlöcher. Der warme Atem des Tieres streifte ihre Haut – es kitzelte. „Sag Hallo zu Kouvo, Habibi (AN: Habibi Schatz, im Sinne von Liebling).", meinte er freundlich und klopfte dem Wallach freundschaftlich auf den Hals. Er leckte neugierig Virginies Hand, sodass sie überrascht die Augen aufriss. „Hey, ich bin nicht essbar.", meinte sie grinsend und fuhr ihm mit der Hand über die Blässe zwischen seinen Augen.

„Am besten reiten wir aus der Stadt raus, da können wir unbeobachtete üben.", schlug Draco vor. Sie nickte, bevor sie sich von ihm auf den Rücken des Pferdes helfen ließ. Anschließend saß auch er geschickt auf und trieb das Tier voran.

Kerzengerade saß sie alleine auf dem Pferd, während das gemächlich vor sich hin schritt; Draco ging mittlerweile nur noch nebenher. Virginie hatte ihre Finger verkrampft um die Zügel gelegt, sodass ihre Fingerknöchel weiß hervorstachen, sie war noch zu nervös und unsicher. „Gib ihm mehr Leine.", meinte Draco und zog ihr kräftig das Seil etwas aus den Händen. Als der Wallach jedoch schneller wurde, bekam sie leicht Panik. „Drück ihm deine Beine etwas fester in die Seiten, er muss spüren, dass du da bist.", sagte er und beschleunigte ebenfalls seinen Schritt. „Er wird mich doch spüren, ich bin schließlich nicht federleicht.", erwiderte sie wütend. „Habibi spürt dich trotzdem kaum, so zierlich wie du bist. Außerdem muss er merken, dass du das Sagen hast.", erklärte er ihr gelassen. Sie nickte nur und konzentrierte sich auf die Bewegungen des Pferdes.

„Willst du mal ein bisschen galoppieren?", wollte Draco nach einiger Zeit wissen. Es war ein komisches Gefühl auf ihn runter zu blicken. Sie konnte fast jeden Winkel seines Gesichtes sehen. Denn in der Wüste war es fast nie vollkommen dunkel, selbst dann nicht, wenn die Sonne schon lange untergegangen war. Der Mond und die Sterne erhellten die Landschaft, wie nirgendwo sonst. Man fühlte sich, als könnte man nach den Sternen greifen – sie wirkten so unglaublich nah. Sein Haar wirkte silbrig im Mondschein und verlieh ihm das Aussehen eines großen Feenmannes. Sie grinste bei dem Gedanken. „Wenn du hinter mir sitzt um eingreifen zu können.", warf sie ein. Er zog eine Augenbraue hoch, bevor er grinste. „Du kleiner Angsthase.", meinte er und schwang sich hinter sie auf den Rücken des Pferdes. „Angsthasen bleiben nachts Zuhause.", erwiderte sie leicht schmollend und verpasste ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen. „Hey, hey. Sei lieber nett zu mir, sonst spring ich vom Pferd und gebe ihm einen Hieb, sodass es wild los galoppiert.", drohte er, wobei sie sein Grinsen nicht sehen konnte. „Das würdest du ja doch nicht machen.", entgegnete sie selbstsicher. „Da wär ich mir an deiner Stelle nicht so sicher.", hauchte er ihr leise ins Ohr, sodass sein warmer Atem ihre Haut streifte. Sie erschauderte.

Aber bevor sie antworten konnte, hatte der Diener seine Fersen bereits in die Seite des Pferdes gedrückt und es angetrieben. Virginie schrie erschrocken auf, als der braune Wallach sich plötzlich schneller in Bewegung setzte. Ein ehrliches Lachen erklang hinter ihr und sie biss entschlossen die Zähne zusammen. ‚Ich werde es ihm schon zeigen.'

„Ich glaub, Habibi braucht ne Pause… und ich auch.", sagte Draco viel später und glitt erleichtert vom Pferd. „Hattest du etwa Angst?", wollte sie grinsend wissen, während sie insgeheim auch froh war absitzen zu können, aber nur weil ihr Po schmerzte. „Ich? Aber nein.", behauptete er stur und schüttelte zur Bestätigung den Kopf. Sie sah ihn skeptisch an und strich ihm eine blonde Strähne aus dem Gesicht, hinters Ohr. „Und warum ist dein Haar dann ganz nass?", wollte sie grinsend wissen. „Weil mir warm ist.", meinte er, aber seine unsichere Stimme verriet ihn. Diesmal lachte die Rothaarige. „Wie war das mit dem Angsthasen?", erinnerte sie ihn lachend, „ich glaube, wir sind quitt." Draco nickte grinsend. „Du reitest wie die Frau des Teufels.", gab er schließlich zu und suchte etwas Grünzeug aus seiner Tasche hervor, das Virginie dem erschöpften Pferd gab. „Ich hoffe, du beziehst das nicht auf meinen Charakter.", grinste sie und streichelte Habibi. „Manchmal.", grinste er, während er sich streckte und gähnte.

„Müde?", neckte sie ihn. „Ja, aber komm nicht auf die Idee, dass wir wieder zelten!", sagte er und sein Gesicht lag im Schatten, sodass sie seinen Ausdruck nicht sehen konnte. Röte stieg ihr ins Gesicht, als sie sich an ihre gemeinsame Nacht und den darauf folgenden Morgen im Zelt erinnerte. „Hab ich gar nicht vor.", meinte sie eine Spur zu patzig. „Gut, dann sollten wir zurück reiten, bevor du vermisst wirst.", meinte er und wollte ihr hoch helfen. Doch Virginie schlug seine Hand weg und kam mit einiger Mühe alleine auf den Rücken des Pferdes, da das Tier zu ihrem Glück nicht sonderlich groß war. Der Blonde sagte keinen Ton, wartete jedoch ruhig, bevor er schließlich hinter ihr aufsaß.

Sie drehten das Pferd Richtung Stadt und galoppierten ein Paar Meter, bis sie auf der Spitze einer Düne abrupt stehen blieben. Gelb-rotes Licht spiegelte sich in ihren weit aufgerissenen Augen und riesige, gefährliche Wärme strömte ihnen entgegen. Virginie erstarrte, während ihre Augen auf den erleuchteten Palast gerichtete waren. Draco legte einen Arm um sie, stieß dem Pferd seine Fersen in die Seiten und sie jagten, so schnell es durch eine Wüste eben ging, auf den in Flammen stehenden Palast zu. ‚Feuer.'

Fortsetzung folgt