14. Kinderspiele
„Was heißt, du denkst nicht, dass sie uns was zum Essen schicken?", fragte er leicht aufbrausend. „Weil mein Vater weiß, dass ich einen Zauberstab habe. Ich muss uns wohl was zum Essen zaubern…", ihre Stimme klang wenig begeistert. „Hört sich doch toll an. Kannst du auch alles zum Essen zaubern, was ich gerne essen würde?", wollte er wissen und seine Augen glitzerten voller Vorfreude. „Theoretisch ja. Aber freu dich nicht zu früh, du hast noch nie magisches Essen gegessen….", und der Klang ihrer Stimme zerstörte seine Vorfreude. „Was stimmt denn mit magischem Essen nicht?", harkte er nach und ahnte Schlimmes. „Es schmeckt einfach anders. Ich kann das nicht beschreiben. Du wirst es ja notgedrungen bald selber probieren dürfen.", meinte sie achselzuckend.
„Wenn du zaubern kannst, dann müsstest du uns doch eigentlich auch hier raus zaubern können!", überlegte er laut und sah sie fragend an. Sie verdrehte die Augen. „Meinst du nicht, dass ich es schon lange getan hätte, wenn ich es könnte!", erwiderte sie genervt. „Kannst du denn sonst apparieren?", wollte er interessiert wissen. „Woher weißt du, dass Zauberer apparieren können?", verlangte sie überrascht zu wissen. Er guckte kurz aus dem Fenster, den Blick irgendwie nach Innen gekehrt, bevor er sie wieder richtig ansah. „Ich kannte mal einen Zauberer in England, der apparieren konnte.", erklärte er kurz und tonlos. „Du bist in England geboren worden, oder?", fragte sie vorsichtig nach. Er nickte, ging jedoch nicht weiter darauf ein, weswegen sie nicht weiter nachfragte. „Aber um deine Frage zu beantworten, ich kann apparieren.", beendete sie das Thema, „doch mein Vater hat einen Apparierschutz über diesen Raum gelegt."
Sie schmiss sich auf ihr Bett und starrte in die Luft. „Früher hast du mich immer durch das ganze Zimmer gejagt, weißt du noch?", fragte sie einige Zeit später in Erinnerungen schwelgend. „Ja und ich habe dich immer gefangen.", meinte er grinsend. „In deinen Träumen.", erwiderte sie ebenfalls grinsend und blickte ihn herausfordernd an, „du warst viel zu langsam." Er zog eine Augenbraue fragend hoch. „Das hättest du wohl gerne, was?", lachte er. „Beweis mir doch das Gegenteil?", forderte sie ihn auf. „Wir sind keine kleinen Kinder mehr.", meinte er abweisend. „Nein, damals warst du noch nicht so langweilig!", meinte Virginie enttäuscht und sank wieder zurück.
Ohne Vorwarnung rannte er jedoch plötzlich lautlos auf sie zu und sprang vom Boden ab. Im letzten Moment rollte sie sich blitzschnell zur Seite, sodass er wie damals der Länge nach auf das Bett flog, sie allerdings nicht erwischte. Die Prinzessin sprang schnell hoch und rannte los. Ohne sich um zu drehen lief sie in den nächsten Raum und stand hinter ihrer Wanne. Kurz darauf eilte Draco in den Raum und erblickte sie. Er ging langsam auf die Wanne zu und tastete sich an beiden Seiten vor, Virginie wich immer in entgegen gesetzter Richtung aus. Schließlich sprang Draco überraschend in die leere Wanne und griff nach ihr. Sie schrie auf, konnte jedoch gerade noch seiner Hand entkommen, indem sie nach hinten sprang.
Dann lief sie schnell wieder los zurück in den anderen Raum, bevor Draco aus der Wanne gestiegen war. Sie spürte, wie ihre Sandalen auf den Boden klatschten und ihr Hut gewaltig auf ihrem Kopf wackelte. Sie hörte aber auch Dracos Füße hinter sich und drehte ihren Kopf leicht, nur um zu sehen, dass er ihr dich auf den Fersen war. Aber wo sollte sie hin? Ihre Gemächer bestanden aus den zwei Räumen und in ihrem Schlafgemach gab es nicht sonderlich viele Stellen, die einem Schutz boten, genauer gesagt keine. Die Schritte hinter ihr kamen immer näher und noch bevor sie sich richtig Gedanken machen konnte, wo sie hinlaufen sollte, wurde sie mit Schwung von den Beinen gerissen.
Anschließend fand sie sich auf ihrem Bett liegend wieder, Draco halb auf ihr liegend. „Hab dich.", grinste er sie an und das Silber seiner Augen wirkte wie flüssig. Die hineinfallenden Sonnenstrahlen funkelten in ihnen wie kleine Sterne, sodass es ihr unmöglich war irgendwo anders hin zu sehen. Draco schien es ähnlich zu gehen, denn er lag reglos da und erwiderte ihren Blick. Plötzlich erschien ihr alles so klar, all ihre Fragen gelöst. Sein Blick hatte etwas in ihr geregt, das sie schon seit geraumer Zeit gespürt hatte. Sie hatte ihren Traumprinz endlich gefunden und seine Lippen waren nur wenige Zentimeter von ihren entfernt. Ihr Herz hämmerte wild gegen ihre Rippen und ihre Haut kribbelte dort, wo er sie berührte.
Es erinnerte sie an den Morgen im Zelt, und doch war es anders. Auch damals hatte er Regungen in ihrem Körper verursacht und sie hatte sich auf seltsame Weise zu ihm hingezogen gefühlt, doch jetzt war die Atmosphäre zwischen ihnen weniger angespannt und gefährlich. Sie genoss seine Wärme und hätte am liebsten die Zeit angehalten. Doch das hätte sie auch per Zauber nicht gekonnt.
Zu ihrem Entsetzen rollte Draco sich dann von ihr runter und setzte sich an die Bettkante, ihr den Rücken zugewandt. „Es tut mir leid.", murmelte er.
Sie fühlte sich, als würde sie langsam gefrieren. Die Kälte floss wie eine lebendige Säure über ihre Füße hinweg und krabbelte ihr ekelig die Beine hoch. Ihre Zehen verkrampften sich und ihre Muskeln spannten sich an. Die Kälte übernahm die Macht über sie und kroch immer höher. Schon bald war sie über ihren Bauchnabel hinweg und bannte sich schnell den Weg zu ihrem Herzen. Sie legte ihre Hände reflexartig schützend über es, doch die Kälte ließ ihre Hände vereisen und sich nicht den Weg versperren. Schließlich fühlte sie sich wie ein einziger Eiszapfen, ihr war eiskalt und sie war nicht im Stande sich zu bewegen. Was hatte dieser Mann nur mit ihr gemacht?
Sie hatte ihre Augen auf ihn gerichtet und musterte ihn. Abgesehen von dem hellblonden Haar war nichts mehr von dem kleinen Jungen von damals übrig geblieben. Als sie ihn kennen gelernt hatte, war er schmächtig und blass; jetzt hatte er breite Schulter, war muskulös und von der ägyptischen Sonne braun gebrannt. Sie entdeckte einen schmalen, weißen Strich über seinem Schulterblatt – eine Narbe. Wo er die wohl her haben mochte? Sie konnte ihre Augen einfach nicht von ihm lassen. Seine Haare waren wunderschön. Nicht nur, weil sie außer Draco und seinen Eltern noch nie jemanden mit einer solchen Haarfarbe gesehen hatte, sondern auch weil sie im Sonnenlicht strahlten und sich so schön von seiner braunen Haut abhoben. Er war schon alleine durch sein Aussehen einzigartig. Ihre Augen wanderten seinen Nacken runter, über die zarte Haut.
Draco spürte ihre Blicke auf seiner Haut und seine Härchen stellten sich leicht auf. Sein Herz hämmerte noch immer wie wild und es ließ sich auch partout nicht beruhigen. Er hatte die Augen geschlossen und sein Gesicht in seinen Händen verborgen, sodass er leicht vornüber gebeugt saß, weil seine Ellebögen auf seinen Oberschenkeln abgestützt waren. Sein ganzer Körper war angespannt wie ein Flitzebogen. Was hatte er da nur gemacht? Worauf hatte er sich nur mit diesem Spiel eingelassen? Und es gab noch nicht mal eine Fluchtmöglichkeit für ihn, er war wer weiß wie lange noch mit ihr hier gefangen.
Virginie
sah ihn an, sie wartete darauf, dass er endlich etwas sagte. Sie
selbst brachte kein Wort raus, sie konnte die Lippen zwar öffnen,
doch das war's auch schon. Sie fand keine Worte, denn sie wusste
noch nicht mal, was sie sagen sollte. Sie war noch nie in ihrem Leben
in einer solchen Situation gewesen, außerdem spielten ihre
Gefühle verrückt. Die Kälte war zwar von ihr gewichen,
doch sie hatte eine enorme Hitze hinterlassen. So fühlte die
Prinzessin sich, als würde sie gleich verbrennen. Sie glühte
am ganzen Körper und ihr Herz war nicht mehr eingefroren,
sondern es stand lichterloh in Flammen. Und nur er konnte ihren
Körper löschen, doch er saß wie versteinert da und
regte sich nicht. Ihr Atem ging noch immer schnell und sie spürte
ihren Puls deutlich durch ihre Gliedmaßen pochen. ‚Oh mein
Gott, er war kurz davor mich zu küssen … Draco? Sag doch was,
bitte…'
Tränen stiegen ihr in die Augen und sie war froh,
dass er weg sah. Sie versuchte die Tränen weg zu blinzeln, er
sollte nicht sehen, was er in ihr bewirkt hatte. Andererseits
wünschte sie sich nichts sehnlicher als ihm zu sagen, dass sie
mehr als nur Freundschaft für ihn empfand. Sie war sich selber
nicht sicher, was sie wollte.
Es war als würden ihre Gefühle in ihrem Inneren einen Kampf ausfechten, mal übernahm die Wut die Oberhand – sodass sie Draco am liebsten für seinen Rückzug eine geknallt hätte -, dann kam die Sehnsucht nach ihm durch – und sie musste sich wirklich zusammenreißen still liegen zu bleiben und ihn nicht zu berühren –, am Schluss siegte jedoch die Verzweifelung. Denn in dem Zimmer herrschte eine Stille, die mit jeder Sekunde unerträglicher wurde. Doch ihr Stolz verbot es ihr ihn anzusprechen, er musste schon was sagen, was tun, Hauptsache er saß nicht da, wie er es gerade tat. Seine Haltung brachte sie noch in den Wahnsinn. Denn sie wusste nicht, ob er es bereute, oder sie nur benutzt hatte oder ob er sich genau so sehr nach ihr sehnte, wie sie sich nach ihm. Diese Ungewissheit plagte sie so sehr, dass sie ihre Augen von ihm nahm und ihre Gemächer musterte.
Sie musste irgendwas machen, sonst würde sie verrückt werden. Sie musste versuchen an etwas anderes zu denken. Leichter gesagt, als getan, wenn die Person der Begierde direkt neben einem saß. Doch schnell wanderte ihr Blick zum Fenster. Die Sonne hatte den höchsten Punkt am Himmel längst hinter sich gelassen und war so langsam wieder auf dem Weg zum Nil, in dem sie am Abend versinken würde. Virginie unterdrückte einen Seufzer. Es war noch nicht mal der halbe Tag vorbei und die Atmosphäre im Zimmer war alles andere als gut. Sie war eher kompliziert. Und wenn sie nur daran dachte, dass sie noch mehrere Tage hier eingeschlossen mit Draco verbringen sollte, lief es ihr eiskalt den Rücken runter. Wie sollte sie das überstehen?
Als ihre Gedanken gerade wieder zu Draco überwandern wollten, klopfte es an der Bedienstetentür. „Virginie, bist du da?", erklang eine weibliche Stimme.
Fortsetzung folgt
