Prolog

Dunkle Gewitterwolken zogen über den nächtlichen Himmel und umhüllten den Wald mit tiefster Dunkelheit. In der Ferne hörte man dumpfes Donnergrollen und hier und da durchzuckten scharf gegabelte Blitze die Nacht. Für Sekunden waren die Umrisse der riesigen Tannen zu sehen, die sich ächzend und stöhnend im immer stärker aufkommenden Sturmwind bogen. Mensch und Tier hatten sich vor dem aufziehenden Unwetter längst in ihren Häusern und Höhlen in Sicherheit gebracht, nur einige Krähen saßen drohend glotzend in den Baumwipfeln und ließen von Zeit zu Zeit ihr unheimliches Krächzen hören. Plötzlich knackte es im Unterholz und die Krähen erhoben sich flügelschlagend von ihren Beobachtungsposten. Laut klagend flogen sie davon und ihr schwarzes Gefieder wurde sogleich von der dunklen Nacht verschluckt. Wieder knackten Äste und das scharrende Geräusch von eilenden Schritten auf blätterbedecktem Waldboden war zu hören.

»Wo ist er?«, wehte der nun schwächer gewordenen Sturmwind den Klang einer Frauenstimme durch den Wald.

»Ich kann ihn nicht mehr sehen! Wir müssen und beeilen…«, antwortete die Stimme eines gehetzt wirkenden Mannes.

Erneut schoss ein Blitz durch die Wolkendecke und beleuchtete zwei Gestalten in dunklen Umhängen, die durch das Unterholz eilten. Der Wind frischte abermals auf, die Tannen bogen sich erneut und die dunklen Gewitterwolken wurden auseinander getrieben, sodass der hell leuchtende Vollmond auftauchen konnte und den Wald in sein gleißendes Licht tauchte. Im selben Moment erklang ein schauriges Heulen. Der Wind wehte den lang gezogenen Jaulton in jede dunkle Ecke des Waldes, wo sich die Tiere noch tiefer in ihre Höhlen und Unterschlüpfe verkrochen. Auch die beiden umhangbekleideten Gestalten hörten das unmenschliche Geräusch und verharrten entsetzt in ihrer Bewegung, bevor sie sich panische Blicke zuwarfen und in die Richtung weitereilten, aus der das Geräusch gekommen war. Der Vollmond beleuchtete nun ihren Weg und sie kamen schneller durch das dichte Gestrüpp. Äste und Zweige schlugen ihnen ins Gesicht, Dornen rissen an ihren Umhängen, aber ungeachtet dessen trieben sich beide immer weiter zur Eile an.

Wieder schoben sich dunkle Wolken vor den hellen Mond und die Nacht wurde erneut stockfinster. Die Frauenstimme schrie erschreckt auf, Strauchelgeräusche waren zu hören. Sekunden später wurde der Mond wieder sichtbar und zeigte den beiden Gestalten, dass sie vor einer Lichtung standen. Hinter einem Gebüsch zusammengekauert, hatten sich die Augen der Frau schreckensvoll geweitet. Sie klammerte sich an den Arm ihres Mannes, der seinerseits mit angstvollem Blick auf die Lichtung starrte.

»Wir sind zu spät«, murmelte er. Erneut war ein unmenschliches Heulen zu hören, diesmal jedoch noch lauter und unangenehmer als zuvor.

»Nein, tu es nicht, bitte…«, flüsterte die Frauenstimme in panischer Angst.

Zum dritten Mal erklang das Heulen und der Schatten einer grauenerregenden Kreatur, die Schnauze zum Himmel erhoben, zeichnete sich vor der runden Lichtquelle der Nacht ab. Plötzlich bäumte sich der Schatten auf und die Kreatur selbst war im Mondlicht zu erkennen. Spitze Zähne blitzten auf und schossen auf etwas Kleines, zappelndes auf dem Boden zu, das bisher im Dunkel der Nacht verborgen gewesen war. Ein gequälter Schrei war zu hören, dann ein Knurren und das Geräusch von aneinander schlagenden Zähnen.

»Zu spät«, stammelte die Stimme des Mannes erstickt. Gleich darauf hörte man erneut das entsetzliche Heulen, diesmal wurde es allerdings durch eine zweite, wenn auch leisere Stimme verstärkt.

Der einsetzende Regen vermischte sich mit den Tränen des Mannes, der seine Frau, die zitternd und schluchzend auf dem Waldboden zusammengebrochen war, fest umklammert hielt.

Die beiden Werwölfe auf der Lichtung heulten erneut…