Luthien
Unschlüssig stand ich vor Robert's Tür. Was sollte ich bloß sagen? Etwas wie: Hi! Tut mir leid, dass ich wieder abgehauen bin, aber kann ich heute bei dir schlafen...?
Na ja, dachte ich, erst mal frag ich, wie es ihm geht und dann sehen wir ja, wie es läuft...
Ich klopfte und es dauerte nicht lange, bis er öffnete. Etwas überrascht sah er mich an.
„Kann ich reinkommen?"
„Bitte."
Er drehte sich um und als er zu seiner Couch ging, bemerkte ich, dass er leicht humpelte.
„Mit ihnen hätte ich jetzt nicht mehr gerechnet, Dr. Parker...", meinte er dann kühl und ich wurde nervös.
Er siezte mich wieder. Wahrscheinlich war er immer noch sauer auf mich, weil ich mitten in der Nacht abgehauen war und lieber so tat, als wäre nichts zwischen uns gewesen...
Verlegen sah ich ihn an.
„Ähm ja, ich ... ich wollte eigentlich nur sehen, wie es dir geht... Ich hab mir Sorgen um dich gemacht", gab ich kleinlaut zu.
Oh, dachte Robert. Sie duzt mich ja auf einmal wieder. Aber er hatte keine Lust darauf am nächsten Tag wieder Katz und Maus mit Luthien zu spielen.
„Sie haben sich Sorgen um mich gemacht?" Meinte er stattdessen nur.
„Ja, allerdings. Aber dir ist das ja scheinbar egal", erwiderte ich ärgerlich.
„Nein. Es ist mir nicht egal. Aber ich bin mir nicht sicher, warum sie wirklich hier sind. Vielleicht wollen sie ja Morgen wieder Katz und Maus mit mir spielen... lieber wieder so tun, als wenn ich ihnen egal bin und als wenn nie etwas zwischen uns passiert wäre... oder sie verschwinden am besten wieder einfach mitten in der Nacht... Ich habe keine Lust mehr auf solche Spielchen, Dr. Parker."
Als er es ausgesprochen hatte, bereute Robert es auch schon wieder, dass er so direkt gewesen war. Luthien sah ziemlich geknickt aus und er hatte sie eigentlich nicht verletzen wollen...
Sprachlos sah ich ihn an. Er war wirklich sauer auf mich und ich hatte es wohl auch verdient.
„Okay, ich... ich geh dann mal lieber... es würde sowieso nicht funktionieren..."
Ich sah Robert nicht mehr an und machte mich auf den Weg zur Tür.
Robert
Robert wollte nicht, dass Luthien ging. Natürlich war er sauer auf sie wegen ihrer Spielchen, aber auf der anderen Seite ahnte er, dass er gerade dabei war sich in sie zu verlieben.
Außerdem hatte sie ihr Leben riskiert um ihn in der Küche zu retten. Er konnte sie nicht einfach so gehen lassen.
Luthien
„Warte", hörte ich Robert's Stimme. Er stand auf und humpelte auf mich zu.
„Ich wäre ein ziemlicher Idiot, wenn ich dich jetzt einfach so gehen lassen würde. Kannst du mir vielleicht versprechen, dass du nicht wieder einfach abhaust und mir aus dem Weg gehst?"
„Natürlich", meinte ich schmunzelnd.
„Und außerdem will ich jetzt wissen, was du für ein Problem hast, wenn wir zusammen sind."
Ich seufzte. Wie konnte ich ihm das nur erklären?
„Ich habe kein Problem damit, dass wir zusammen sein könnten. Nur gibt es da ein kleines Problem. John hasst es, wenn seine Angestellten Affären haben. Normalerweise schmeißt er solche Leute sofort raus. Was glaubst du, warum Mel und Donald geheim halten, dass sie zusammen sind?"
Robert sah mich überrascht an.
„Die beiden sind ein Paar?"
„Was? Du wusstest das nicht? Ups, dann hab ich nichts gesagt..."
Er nahm meine Hand.
„Vergiss John und alle anderen. Die Frage ist: Würden wir das Risiko eingehen wollen? ... Ich kann dir meine Antwort sagen: Sie lautet ja. Ich würde das Risiko eingehen, John zu verärgern, weil ich mir niemals verzeihen könnte, wenn ich die Chance mit dir zusammen zu sein, nicht ergreifen würde."
Ich konnte nicht anders, als Robert um den Hals zu fallen und ihn zu umarmen. Allerdings sog er scharf die Luft ein. Ich hatte seine Verletzungen ganz vergessen.
„Tut mir leid." Erschrocken ließ ich ihn los, aber er zog mich wieder an sich.
„Halb so schlimm, aber ich hoffe, das bedeutet jetzt, du würdest das Risiko ebenfalls eingehen, weil du mich sehr gern hast und..."
„Natürlich heißt es das. Des wegen bin ich ja auch hergekommen. Ich wollte doch sehen, wie es dir geht..."
„Na ja, es ging schon besser. Ich hab überall kleine Blutergüsse und Schnittwunden. Aber jetzt wo du hier bist und ich sicher sein kann, dass du nicht wieder einfach abhaust, geht's mir schon viel besser."
Wir küssten uns zärtlich, als mir noch etwas einfiel.
„Ach ja, da ist noch was, weswegen ich hergekommen bin. Also meine Wohnung... na ja, der Raptor hat da alles verwüstet und jetzt weiß ich ehrlich gesagt nicht, wo ich heute Nacht schlafen soll..."
Robert grinste breit.
„Ach so. Also ich denke, die Couch sollte für dich ausreichen, oder?"
Ich tat empört und er lenkte ein.
„Oder soll ich dich in mein Bett einladen?"
„Allerdings, denn ich glaube, du schuldest mir noch was…"
„Du hast Recht. Du hast mir in der Küche das Leben gerettet und dafür habe ich dir noch gar nicht gedankt. Aber das tue ich hiermit."
Um meine Zustimmung auszudrücken küsste ich ihn und dann verschwanden wir in sein Schlafzimmer.
Zufrieden schmiegte ich mich an ihn und er nahm mich in den Arm.
Endlich im Bett kuschelte ich mich vorsichtig an ihn, denn als er sich ausgezogen hatte, konnte ich erst mal sehen, dass er wirklich fast überall Blessuren von der Raptorattacke hatte. Außerdem bedeckte ein großes Pflaster seine tiefere Wunde an der rechten Schulter.
Schon lange hatte ich mich nicht mehr so geborgen gefühlt und obwohl ich immer wieder an den Raptor denken musste, schlief ich schnell ein.
Robert
Als Robert mitten in der Nacht wach wurde, nutzte er die Gelegenheit um Luthien zu betrachten.
Sie sieht so friedlich aus, dachte er und seufzte, als ihm bewusst wurde, dass er sie mehr als nur gern hatte.
Zärtlich strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.
Er wollte mit ihr zusammen sein, obwohl ihm klar war, dass sie oft verschiedener Meinungen waren.
Dann dachte er über seine Vergangenheit nach. Er war froh darüber hier einen neuen Anfang gemacht zu haben und jetzt lag auch noch Luthien neben ihm… Trotzdem wusste er, dass er ihr früher oder später alles erzählen sollte, bevor es jemand anders tat…
Luthien
Am nächsten Morgen wurde ich unsanft von Roberts Wecker aus dem Schlaf gerissen. Müde streckte ich mich und wollte mich noch mal umdrehen, als Robert sich von hinten an mich kuschelte.
„Hey, Schlafmütze, aufstehen…" Flüsterte er mir ins Ohr.
Ich gab einen grummelnden Laut von mir und drehte mich zu ihm.
„Bist du schon wach?"
„Allerdings… und leider müssen wir aufstehen."
Er gab mir einen Kuss und stand dann auf. Etwas später folgte ich ihm.
Nach einer ausgiebigen Dusche, gesellte ich mich zu Robert ins Wohnzimmer.
„Okay", meinte ich, „ du kannst ja zuerst rausgehen und ich schleich mich dann später raus. Als erstes brauch ich ne neue Wohnung. Ich glaub, die gegenüber ist noch frei, oder?"
Robert grinste.
„Ja, ist sie. Aber willst du nicht gleich hier bleiben?"
„Robert, du weißt doch, dass wir nicht…"
„Ja, ja. Das war ja nur ein Scherz. Ich will auch keinen Ärger… wenn du gegenüber wohnst, ist das aber auch nicht schlecht."
Jetzt musste ich aber auch grinsen.
„Heißt das, du kommst mich dann mal öfter besuchen?"
Robert nahm mich in den Arm.
„Oh ja. Jede Nacht, wenn du möchtest…"
„Hm, das hört sich sehr verlockend an…"
„Na ja, ich muss los", meinte er dann und ich nickte.
„Ich will noch mit Dr. Harding herausfinden, wie der Raptor hier über den Zaun gekommen ist."
„Viel Glück dabei", antwortete ich und fuhr dann fort:
„Ich hoffe, ich kann noch ein paar Sachen aus meiner alten Wohnung retten. Wenigstens hat das Vieh nicht meine Schränke zerwühlt."
„Zum Beispiel deine Unterwäsche?" Lachte Robert auf dem Weg zur Tür.
„Witzig", meinte ich nur, lachte dann aber auch.
Etwas später sprach ich kurz im Kontrollraum mit Ray über meinen Umzug. Er war natürlich einverstanden und daher fing ich sofort an, Sachen aus meiner alten Wohnung in die neue zu schleppen.
Gegen Mittag traf ich Donald auf dem Flur.
„Hey, wo ist Mel? Ich könnte hier etwas Hilfe gebrauchen…"
Ich sah ihn lachend an.
„Sie will im Moment die Wohnung nicht verlassen. Hat noch zu viel Angst. Ihnen scheint das, was passiert ist ja kaum etwas auszumachen."
„Och", meinte ich, „ da irren sie sich. Aber es hilft ja nichts. Wir haben hier schließlich noch eine Menge Arbeit vor uns… Ist irgendwas, sie sehen so angespannt aus?"
Donald wirkte ziemlich gestresst.
„Ach, wir haben nur den ganzen Morgen überlegt, wie wir John die Sache mit dem Raptor beichten. Dr. Harding macht sich schon Vorwürfe, weil er zu dem Zeitpunkt für das Tier verantwortlich war. Na ja, irgendwas fällt uns schon ein. Ich werd jetzt mal nach Mel sehen", meinte er dann und schon war er in ihrem Zimmer verschwunden.
Nachmittags hatte ich dann erst mal genug von meinem Umzug und ging zum Kontrollraum. Dort sah ich Robert und Dr. Harding zusammenstehen. Ich schloss mich ihnen an und hörte, dass sie nun wussten, wie der Raptor über den Elektrozaun zum Wohnkomplex gelangt war.
„Die Spuren sind eindeutig", sagte Robert gerade, „ der Baum stand zu nah dran und das Tier hat ihn genutzt, um über den Zaun zu gelangen."
Dr. Harding seufzte.
„Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass alle Bäume, die zu nah an Zäunen gepflanzt wurden, umgesetzt werden…"
Robert nickte. Das war ne Menge Arbeit, die da auf sie zukam.
Donald tauchte plötzlich auch im Kontrollraum auf und gesellte sich zu uns.
Er hörte ebenfalls den Überlegungen zu.
„Wir müssen dann erst mal die Arbeiter dafür einsetzen, die Zäune zu kontrollieren und die Bäume umzupflanzen", fuhr Robert fort, als Ray ihm aus der anderen Ecke des Kontrollraums etwas zurief.
„Hey Robert! Telefon für sie!"
„Sagen sie, dass ich gerade beschäftigt bin."
Ray sagte etwas in Hörer und wandte sich dann noch mal an Robert.
„Nun, sie besteht darauf mit ihnen zu sprechen. Sie sagt, sie sei ihre Frau…"
„Oh man", meinte Robert nur und machte sich auf den Weg zum Telefon.
Frau? Ich verstand gar nichts mehr und hatte das Gefühl, dass jemand mir den Boden unter den Füßen weg riss.
Ungläubig starrte ich Robert hinterher und er warf mir nur einen kurzen Blick zu.
Dann bemerkte ich, dass Donald mich merkwürdig ansah. Mir wurde das alles zu viel und ich flüchtete praktisch aus dem Raum.
Draußen auf dem Parkplatz atmete ich erst mal tief durch.
Robert war verheiratet… und er hatte es mir nicht erzählt… Wie konnte er mir das nur antun?
Ich war entsetzt, geschockt und gleichzeitig unheimlich wütend.
Robert
„Liz", sprach Robert etwas leiser ins Telefon, „wieso rufst du mich hier an? Und woher hast du diese Nummer? Ich dachte wir hätten alles, was die Scheidung betrifft, geklärt."
Er hörte, was seine zukünftige Ex-Frau ihm mitzuteilen hatte und wurde ärgerlich.
„Das haben wir doch schon mit den Anwälten besprochen. Du musst doch nur noch diese verdammten Papiere unterschreiben und dann…"
Die Frau am anderen Ende unterbrach ihn.
„Ich hab schließlich auch schon unterschrieben, also wo liegt das Problem?"
„Was? Du willst mehr Geld? Was soll das Liz? Selbst dein Anwalt hat zugegeben, dass du diese Ansprüche nicht stellen kannst."
„Ach so… Du hast jetzt also einen neuen Anwalt. Schön. Aber das interessiert mich nicht. Ich will nur, dass du diese Papiere unterschreibst und mich dann in Ruhe lässt."
Wieder kam eine Antwort.
„Nein. Ich kann nicht mal eben nach San Diego kommen und mit unseren Anwälten deine neuen Forderungen besprechen."
„Laß Liam da raus!"
„Na gut, dann schick mir die neuen Papiere zu und ich werde sie so schnell wie möglich mit meinem Anwalt besprechen. Du weißt, dass sich dadurch nur wieder alles verzögert, aber dass ist ja wahrscheinlich auch deine Absicht, nicht wahr?"
Die Frau erwiderte noch etwas und dann beendete Robert das Gespräch.
„Ja, ja. Wünsch ich dir auch."
Verärgert drehte er sich wieder zu den anderen, die ihn merkwürdig ansahen. Aber ihm fiel nur auf, dass Luthien nicht mehr da war.
Verdammt, fluchte er innerlich. Wieso hatte Liz ihn gerade jetzt anrufen müssen? Es lief alles so gut und er hatte gehofft, dass sie endlich in die Scheidung einwilligen würde. Aber jetzt hatte Liz es wieder geschafft alles zu ruinieren. Robert war klar, dass er so schnell wie möglich Luthien alles erklären musste und deshalb machte er sich sofort auf den Weg.
Luthien
Wütend zog ich einen Koffer über den Flur in Richtung meiner neuen Wohnung und ich verfluchte mich jetzt schon dafür, dass sie Roberts Apartment gegenüber lag, als er mir entgegen kam. Wahrscheinlich war er auf der Suche nach mir.
„Luthien", fing er an und sah irgendwie verzweifelt aus.
„Bitte, ich kann dir alles erklären."
„Ach ja?" Gab ich schnippisch zurück.
„Ich wüsste nicht, was du mir da noch erklären musst. Das war ja eindeutig."
Er nahm mir meinen Koffer aus der Hand und zog mich in seine Wohnung, damit wir ungestört reden konnten.
Obwohl… für mich gab es da nicht viel zu reden. Ich war einfach stinksauer.
„Okay", fing er dann an und wirkte sehr nervös dabei, „ ich weiß, was du jetzt denkst, aber es ist nicht so… glaub mir bitte…"
„Du willst wissen, was ich denke? Ich sag dir, was ich denke", fuhr ich ihn an, „ du bist verheiratet… und das macht mich zu deiner Geliebten, oder? Was denkst du dir dabei? Du willst deine Frau betrügen? Dann aber bitte nicht mit mir!"
Robert blieb ruhig.
„Ja, ich bin verheiratet. Noch. Ich versuche schon seit zwei Jahren mich scheiden zu lassen und ich hoffe, dass meine Frau endlich die Papiere unterschreibt und mich dann in Ruhe lässt…"
Er meinte es wohl ehrlich und langsam regte ich mich ab. Sauer war ich aber trotzdem noch.
„Also gut. Du lebst also nicht mehr mit deiner Frau zusammen… aber trotzdem bist du noch verheiratet. Daran ändert sich nichts. Wieso hast du dieses klitzekleine Detail mir gegenüber nicht erwähnt?"
„Ich dachte, du würdest das nicht verstehen und sauer auf mich sein…"
„Das bin ich jetzt ja wohl auch. Ehrlich gesagt, hätte ich es lieber von dir erfahren. Ich meine, gibt's da sonst noch was?" Ich lachte auf. „Hast du vielleicht noch Kinder, oder so? Oder…"
„Einen Sohn", gab Robert zu und sah dabei traurig aus.
„Was?" Entfuhr es mir. Langsam wurde es mir zu bunt.
„Ja, er lebt bei seiner Mutter."
„Und wann wolltest du mir das erzählen?" Jetzt brodelte es wieder in mir.
„Ich weiß nicht", wich er mir aus, „ ich war mir nicht sicher, ob ich dir das sagen sollte und ob ich dir so weit vertrauen konnte, dir von meiner Familie zu erzählen…"
Das war genug für mich. Er brachte das Fass zum Überlaufen.
„Du warst dir nicht sicher? Du weißt nicht, ob du mir genug vertraust, um mir von deiner Familie zu erzählen?" Wütend starrte ich ihn an.
„Versteh das bitte nicht falsch…"
„Oh, da gibt's wohl kaum etwas falsch zu verstehen! Du vertraust mir nicht. Das sagt ja wohl alles!"
Ich wollte nur noch hier raus, aber auf dem Weg zu Tür musste ich noch etwas loswerden.
„Komisch nur… als du mit mir geschlafen hast, war es dir wohl egal, ob du mir traust oder nicht, was! Wie konntest du mir das antun?"
Danach stürmte ich zur Tür hinaus und lief den Gang entlang. Ich musste hier raus.
„Luthien, warte!" Rief er mir noch hinterher, aber ich ignorierte ihn.
Robert ging zurück in seine Wohnung, setzte sich auf die Couch und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Er atmete tief durch, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen
Draußen auf dem Parkplatz traf ich plötzlich auf Mel, die sich wohl doch endlich aus ihrem Zimmer getraut hatte.
„Was ist denn mit dir los?" Fragte sie mich.
Ich sah wohl wirklich sehr aufgebracht aus.
„Hast du Lust mit mir in den Park zu fahren? Du wolltest doch Dinos sehen und ich brauch dringend jemand zum Reden…"
Sie nickte nur und folgte mir zu einem der Geländewagen, die für das Personal bestimmt waren. Der Schlüssel lag wie immer auf der Sonnenblende und rasant fuhr ich den Wagen vom Parkplatz. Ich nahm den Weg, der auch für die Landcruiser Tour bestimmt war, wie man an der Schiene in der Mitte des Weges erkennen konnte. An der äußeren Umzäunung ließen uns die Wachtposten durch ein Tor und wir befanden uns im Jurassic Park.
Zu beiden Seiten der Straße begrenzten Zäune die verschiedenen Gehege und die Straße lag meist etwas erhöht, so dass man über sie hinwegsehen konnte. Nach etwa einer viertel Stunde stoppte ich den Wagen auf einer Anhöhe. Nur rechts von uns befand sich ein hoher Zaun und wir konnten in eines der Gehege blicken.
Ich sah aus dem Beifahrerfenster und musste einen Augenblick das dicht bewachsene Gelände absuchen, bis ich fand, was ich Mel zeigen wollte.
Mel blickte Stumm aus dem Fenster, aber schien nicht zu bemerken, dass wir am Tyrannosauriergehege waren.
„Da", meinte ich und deutete nach draußen, „ an dem kleinen See. Unser T-Rex. Den wolltest du doch so gerne sehen. Sie trinkt wohl gerade… Toll, nicht? Fantastisch…!"
Irgendwie klangen meine letzten Worte sehr sarkastisch, weil ich immer noch an meinen Streit mit Robert dachte.
Wütend stieg ich aus und knallte die Tür zu. Auf dem Boden lag ein Ast, den ich zornig wegtrat.
Mel wusste gar nicht, was sie tun sollte. Auf der einen Seite hätte sie gern weiter den T-Rex beobachtet, aber auf der anderen Seite brauchte Luthien jetzt ihre Hilfe.
Etwas unschlüssig stieg sie aus, blieb aber an der Tür stehen.
„Sag mal, darfst du hier überhaupt aussteigen? Kann das Tier uns nicht sehen? Was, wenn es herkommt?"
Ich drehte mich zu Mel um.
„Das ist in Ordnung. Das Personal darf auf den Wegen auch mal aussteigen, um die Tiere anzusehen… außer vielleicht bei den Dilophosauriern, aber das ist ne andere Geschichte. Wenn wir hier so rumlaufen, kann der Rex uns sehen, aber das interessiert sie meistens nicht. Sie kommt selten mal in die Nähe der Zäune. Sie ehrlich gesagt wohl etwas scheu und bleibt lieber für sich. Siehst du den Hochstand da die Straße runter? Der wurde gebaut, damit das Sicherheitspersonal das gesamte Gehege überblicken kann. Wenn du magst, können wir da auch mal rauf. Ist sehr interessant… vor allem, wenn sie auf der Jagd ist…"
Mel wirkte nun beruhigt, gab sich mit meiner Erklärung nicht zufrieden.
„Also ich denke, Robert wäre trotzdem nicht davon begeistert, dass du hier so rumläufst…"
„Oh man, erwähne bloß nicht diesen Namen!" Fuhr ich sie an.
„Der kann mir gestohlen bleiben…"
„Okay, schieß los", meinte sie nur und ich legte los.
„Mel, wusstest du, dass er verheiratet ist? Das muss ja wohl in der Personalakte gestanden haben, oder? Wieso hast du mir das nicht erzählt? Vor allem als du wusstest, dass zwischen uns was läuft…"
Oh, dachte Mel. Daher weht also der Wind. Sie hat es rausgefunden…
„Also weißt du, ich wollte es dir erst sagen, aber dann hab ich mehr rausgefunden und darüber nachgedacht. Wenn ich dir das erzählt hätte, hättest du weitergefragt und dann hätte ich dir die ganze Geschichte erzählen müssen… aber ich war der Meinung, dass Robert es wenn, dir lieber selbst erklären sollte. Ich meine, es ist ja schon etwas sehr persönliches. Du würdest ja wahrscheinlich auch nicht wollen, dass jeder weiß, dass du im Knast gesessen hast… auch wenn du unschuldig warst… und das dein Sohn deswegen nichts mehr mit dir zu tun haben will…"
„Moment mal", irritiert sah ich Mel an, „ hast du gerade gesagt, dass Robert im Knast gesessen hat?"
Ich musste mich wohl verhört haben.
Mel fühlte sich plötzlich sehr unwohl in ihrer Haut.
„Du meinst, er hat dir also nicht die ganze Geschichte erzählt?"
„Scheinbar nicht!"
„Und was hat er dir erzählt?"
„Dass er eine Frau hat, von der er sich gerade scheiden lässt und einen Sohn, der bei dieser Frau lebt…"
„Oh shit", fluchte Mel jetzt, „ wieso hab ich nicht meinen Mund gehalten…?"
Ich kam mir vor wie im falschen Film. Das wurde ja immer merkwürdiger und ich wurde immer wütender.
„Siehst du! Da hast du es! Er vertraut mir nicht. Er erzählt mir gar nichts über sich, aber hat kein Problem damit mit mir ins Bett zu gehen…"
Eine ganze Weile fluchte ich und schimpfte vor mich hin. Mel stand da und sah mich nur an, bis es unvermutet anfing stark zu regnen. Sie wollte wieder einsteigen und zurückfahren.
„Luthien, du bist schon total durchnässt. Steig ein, wir fahren zurück!"
„Erzählst du mir dann alles?"
„Ja. Obwohl ich es nicht für richtig halte, aber ich erzähl dir alles und jetzt steig endlich ein. Du holst dir noch den Tod."
Triefend stieg ich ins Auto und auf der Rückfahrt erzählte Mel mir alles, was sie über Robert rausgefunden hatte.
Als ich den Wagen vor dem Wohnkomplex parkte, wusste ich nicht mehr, was ich denken sollte.
Ich war traurig und müde, enttäuscht und wütend zugleich.
Mel und ich waren sehr schweigsam.
Wir wollten uns umziehen und dann gemeinsam zu Abend essen, also verschwand sie in ihr Zimmer.
Als ich vor meiner Wohnungstür stand, bemerkte ich jemand hinter mir.
„Luthien, können wir reden?" hörte ich Roberts Stimme und ich drehte mich mit einem Ruck um.
„Was? Worüber denn?" Brach es aus mir raus.
„Willst du mir vielleicht doch noch etwas sagen? Zum Beispiel dass du im Gefängnis gesessen hast?"
Robert sah mich entsetzt an.
Woher weiß sie davon, fragte er sich. Das war ja nicht einmal in seiner Personalakte erwähnt. John hatte sich sehr darum bemüht, ihm einen Neuanfang zu ermöglichen, nachdem rausgekommen war, dass er unschuldig war.
„Was? Woher weißt du das? Das sind vertrauliche Informationen, die nicht mal in meiner Personalakte zu finden sind…"
„Ach so. Und deswegen hältst du es auch nicht für nötig, mir so etwas mitzuteilen… aber ja, ich hatte ja ganz vergessen: Du vertraust mir ja nicht!"
Wütend starrte ich ihn an.
„Luthien, ich weiß nicht, wer dir das erzählt hat, aber ich kann es dir erklären…", beharrte er, aber ich wollte es gar nicht hören.
„Ach ja? Na dann kannst mir ja vielleicht auch gleich erklären, warum dein Sohn nichts mehr mit dir zu tun haben will, warum er dich verachtet! Trinkst du deswegen jeden Abend deinen Whisky? Um nicht über deine Vergangenheit nachdenken zu müssen und um zu vergessen, warum dein Sohn dich hasst?"
Als ich es ausgesprochen hatte, tat es mir schon wieder leid, weil ich bemerkte, wie es Robert verändert hatte. Die ganze Zeit war er relativ ruhig gewesen, aber jetzt sah er verdammt wütend aus.
Robert
Robert kämpfte mit sich selbst. Am liebsten hätte er ausgeholt und Luthien eine Ohrfeige verpasst. Wie konnte sie so etwas zu ihm sagen? Aber er riss sich zusammen.
Luthien
„Sprich nie wieder über meinen Sohn. Du hast keine Ahnung", herrschte er mich an und ich erschrak, als ich erkannte, wie ernst er es meinte.
Es machte mir Angst Robert so aufgebracht zu sehen. Also entschloss ich mich dazu den Rückzug anzutreten.
„Ja, ich hab keine Ahnung", meinte ich traurig zu ihm, „ weil du mich nicht in dein Leben lassen willst…"
Und damit verschwand ich in mein Zimmer.
Robert
Robert blieb verstört auf dem Flur stehen. Ihre letzten Worte hatten seinen ganzen Ärger verschwinden lassen.
Was kann ich jetzt noch tun, fragte er sich. Eine Antwort bekam er nicht.
Dann dachte er über etwas nach.
Wie hatte Luthien das alles über ihn rausfinden können?
Ihm fiel nur eine Antwort ein: Mel.
Er konnte sich nicht vorstellen, dass Donald etwas damit zu tun hatte, aber Mel und Luthien waren gut befreundet.
Außerdem hatte Mel Zugang zu den Personalakten und er wusste, dass Anwälte Meister darin waren rumzuschnüffeln und in der Vergangenheit und dem Dreck anderer Leute zu wühlen.
Er fragte sich nur, warum Mel in seiner Vergangenheit gewühlt hat oder wahrscheinlicher hat wühlen lassen. Aber er war zuversichtlich, dass dieses Puzzlestück sich auch noch finden lassen würde.
Wie auf Kommando kam Mel plötzlich aus ihrer Wohnung.
Robert fragte sich, ob sie wohl den lautstarken Streit auf dem Gang zwischen Luthien und ihm gehört hatte, entschied aber dass es egal war. Er hatte einiges, was er Mel fragen wollte.
Zielstrebig ging er auf sie zu.
„Mel, kann ich sie mal kurz sprechen?" Fragte er und musste sich zusammenreißen, um sie nicht gleich anzufahren.
Mel schien wohl etwas zu ahnen, denn sie sah nicht sehr begeistert aus.
Oh weia, schoss es ihr durch den Kopf. Er ahnt etwas…
Dennoch nickte sie ihm zu.
„Haben sie Nachforschungen über meine Vergangenheit angestellt und Luthien davon erzählt?"
