Mel

Bevor noch weiter böses Blut fließen konnte kam John herein und drückte Don ein paar Akten in die Hand.

„Ich möchte, dass Sie das für mich durchsehen. Wenn Sie Ihr okay geben steht der Eröffnung nichts mehr im Wege."

Bevor Don jedoch den Kontrollraum verließ konnte er sich einen Kommentar nicht verkneifen.

„Wenn bis dahin nicht noch mehr Dinosaurier unserem sogenannten Tieraufseher zum Opfer fallen." Dann verließ er breit grinsend den Raum.

Robert wollte schon wieder auffahren, doch John kam ihm zuvor.

„Wie hat er das denn gemeint?"

„Ich mach das schon", flüsterte Luthien Robert zu. „Tja, die Sache ist die", meinte sie dann lauter. „Wir haben einen Allosaurus verloren. Er wurde auf seinem kleinen Ausflug heute nacht zu schwer verletzt. Dr. Harding musste ihn einschläfern."

„Langsam glaube ich, ihr wollt mich ruinieren. Erst ein Raptor, dann der Rex und jetzt ein Allosaurus. Habt ihr was gegen die Fleischfresser? Was soll ich den Leuten denn zeigen?"

„Wegen den Raptoren wollte ich sowieso noch mal mit dir sprechen", meinte Luthien.

„Also wenn Sie mich fragen, ich finde die Pflanzenfresser viel sympathischer", ließ ich verlauten.

„Sie fragt aber niemand", herrschte John mich an. „Ich will den Park so schnell wie es geht eröffnen, bevor wir noch mehr Tiere verlieren."

Meiner Meinung nach war der Park zwar noch längst nicht besuchertauglich, aber ich hielt diesmal meine Klappe, sonst würde John mich doch noch von der Insel schmeißen.

„John", versuchte es Luthien noch mal. „Wegen der Raptoren..."

„Ja, lass uns in mein Büro gehen."

Die beiden verschwanden durch die Tür, gerade als Dr. Harding herein kam.

„Ah, schön Sie beide hier zu sehen. Robert, ich möchte mir den verletzten Triceratops ansehen, wenn Sie mich bitte begleiten würden? Jetzt sind ja zum Glück wieder alle da, wo sie sein sollen."

„Aber sicher doch."

„Und Sie wollen bestimmt auch mit, oder?" wandte er sich an mich.

„Natürlich, immerhin hat er mir das Leben gerettet."

„Der Triceratops hat Ihnen wirklich das Leben gerettet?" wollte Harding wissen, als wir unterwegs waren.

„Ja, aber ich kann Ihnen auch nicht erklären wieso."

„Hm, das klingt interessant. Können Sie mir das mal genauer erzählen?"

„Na ja, der Allosaurus stand vor mir und überlegte gerade, wie er mich am besten verspeisen könnte. Tops brach hinter mir aus dem Gebüsch. Als er auf mich zulief, dachte ich erst er würde mich einfach über den Haufen laufen, aber er wich mir aus und stellte sich so vor mich, dass er die Aufmerksamkeit des Allosaurus auf sich ziehen konnte. Dann kam es zum Kampf und Tops hat den Allo in die Flucht geschlagen."

„Und weiter? Was hat der Triceratops dann gemacht?" Harding war ganz aufgeregt.

„Nichts. Er hat nichts gemacht. Ich dachte erst, er würde auch gehen, aber er blieb. Hat angefangen zu fressen und mich dabei angesehen. Dann hab ich mich hingesetzt und auf euch gewartet. Tops hat mich noch beruhigend angeschnaubt und er hat mich mit seinem Maul an der Wange berührt."

„Er hat sie berührt? Von ganz alleine?" fragte Harding ungläubig.

„Ja, ganz so, als wollte er mir sagen, dass ich keine Angst zu haben brauche und er auf mich aufpassen würde. Erst als er euch gehört hat ist er gegangen."

„Erstaunlich. Würd mich interessieren, warum er das getan hat."

Eine halbe Stunde später standen wir wieder im Pflanzefressergehege.

„Da vorne ist er", rief ich aufgeregt.

„Gut." Robert schulterte sein Gewehr und wollte sich schon auf den Weg machen, doch ich hielt ihn zurück.

„Warten Sie."

Verwirrt sah er erst mich und dann Dr. Harding an. Harding zuckte nur mit den Schultern, deutete aber ein Nicken an.

Gar nicht weiter auf die beiden achtend rupfte ich ein großes Büschel Gras aus und näherte mich langsam dem Triceratops.

Ich hoffte, er würde mich immer noch kennen und mich nicht auf seine Hörner nehmen. Was für einen Schaden die anrichten konnten hatte ich ja mit eigenen Augen gesehen.

„Tops", rief ich leise. Vielleicht erkannte er ja meine Stimme.

Der Triceratops hob seinen wuchtigen Kopf und sah mich mit seinen dunklen Augen an. Ich sah, wie er die Luft einsog und dann langsam auf mich zukam.

Robert

„Was soll der Unsinn?" fluchte Robert als er sah, wie sich Mel dem Triceratops näherte. „Sie wird sich gleich auf seinen Hörnern wiederfinden." Er wollte das Gewehr schon in Anschlag nehmen, doch Harding fiel ihm in den Arm.

„Warten Sie. Ich glaube nicht, dass er sie angreifen wird. Sehen Sie doch!"

Mel

Der Triceratops stand nun so dicht vor mir, dass ich nur noch die hand ausstrecken musste, um ihn zu berühren. Zaghaft hielt ich ihm das Büschel Gras hin und er nahm es mir vorsichtig aus der hand und begann genüsslich zu kauen.

Da er sich nicht bewegte traute ich mich neben ihn zu treten, um nach seinen Wunden zu sehen. Dazu musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen.

„Hm, ich bin zwar kein Arzt, aber ich glaube, du kommst noch mal um die Betäubungsspritze herum."

Robert

„Was macht sie jetzt?" Robert war immer noch der Meinung, dass Mel im Moment nicht mehr ganz bei sich war. Anscheinend hatte sie ihr unfreiwilliges Abenteuer noch nicht ganz verdaut und sie verwechselte den Triceratops mit einem Schoßhündchen.

„Tja, ich schätz, sie hat soeben eine Art Beziehung zu dem Triceratops aufgebaut", meinte Harding und beobachtete die Szene fasziniert.

„Wollten Sie sich nicht seine Wunden ansehen? Oder wollen Sie jetzt eine Verhaltensstudie machen?" Robert wurde langsam ungeduldig. So lange hatte er sich noch nie innerhalb eines Geheges aufgehalten.

„Ja gleich. Um die Wunden zu untersuchen muss ich näher ran."

„Das sollte kein Problem sein", sagte Robert und hob wieder sein Gewehr.

„Nein, Mr. Muldoon, bitte. Wissen Sie was wir hier miterleben dürfen? Noch nie hat sich ein Dinosaurier einem Menschen freiwillig genähert. Das ist ein kleines Wunder."

„Ihr Wunder ist mir im Moment total egal", fuhr Robert auf. „Ich bin für Ihre Sicherheit verantwortlich und wir sollten langsam zusehen, dass wir hier wieder rauskommen. Und zwar lebend!" Er hatte unbeabsichtigt lauter gesprochen.

„Jetzt seien Sie still." In Hardings Stimme schwang eine Schärfe mit, die man von dem so sanftmütigen Mann nicht erwartete. „Sie machen ihn ganz nervös und bringen Mel dadurch in Gefahr." Und das wäre ein gefundenes Fressen für Gennaro, fügte er in Gedanken hinzu. Auch Harding war die angespannte Stimmung zwischen Muldoon und Gennaro nicht entgangen.

Innerlich fluchte Robert, musste Harding aber widerwillig zustimmen.

„Ich werde mir jetzt die Wunden ansehen und Sie schießen nur auf mein Zeichen hin."

„Sie wollen doch nicht etwa auch noch dahin gehen?" Robert schnappte nach Luft. Wozu war er überhaupt hier? Bestimmt nicht um sich diese Spielchen anzusehen. Auch wenn der Triceratops im Moment friedlich zu sein schien, war er dennoch ein gefährliches Tier.

„Doch genau das werde ich tun", sagte Harding bestimmt und ging langsam auf Mel und den Triceratops zu.

Mel

Tops schnaubte nervös.

„Was hast du?" Ich drehte mich um und sah, wie Dr. Harding auf uns zukam.

„Ganz ruhig. Das ist der Onkel Doktor, der will dir nichts tun. Der will dich nur gesund machen", redete ich beruhigend auf den Dino ein.

Hoffentlich rennt er uns jetzt nicht über den Haufen, betete ich.

Als Harding heran war, wich Tops einen Schritt zurück und schnaubte wieder nervös.

„Reden Sie weiter", forderte Harding mich auf.

Etwas mulmig war mir schon, als ich wieder einen Schritt auf Tops zumachte, denn er war jetzt sichtlich nervös.

„Tops, komm her. Dir passiert nichts." Ich rechnete nicht wirklich damit, aber Tops beruhigte sich und ließ mich seine Nase streicheln.

Auch Harding trat näher und diesmal wich Tops nicht zurück. Schnell untersuchte Harding die Wunden.

„Sie fangen schon an zu heilen, da brauche ich nichts machen."

„Siehst du Tops, mit dir ist alles okay."

„Kommen Sie Mel, wir sollten zurück gehen. Sonst benutzt Muldoon doch noch sein Gewehr und im Moment traue ich es ihm glatt zu, dass er nicht auf den Triceratops schießen wird." Er zwinkerte mir vergnügt zu.

Ich streichelte Tops nocheinmal zum Abschied, dann folgte ich ihm.

Robert war sichtlich erleichtert, als wir bei ihm ankamen.

Er scheuchte uns in den wagen und gab Gas.

Doch er kam nicht weit.

„Verdammt", fluchte Robert lautstark. „da seht ihr, was ihr angerichtet habt!"

Vor dem Jeep stand ein Triceratops.

Noch bevor Robert reagieren konnte, war Mel aus dem Wagen gesprungen.

„Sehen Sie es ein, Mr. Muldoon. Hier bestimmen nicht mehr Sie, wann Mel zu gehen hat", grinste Harding.

„Und wie bringen wir das da Hammond bei?"

Darauf hatte auch Harding keine Antwort.

Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis Tops den Jeep freigab und uns fahren ließ. Auf der Rückfahrt grummelte Robert wütend vor sich hin. Jetzt hatten sich auch noch die Tiere gegen ihn verschworen.

„Das kommt davon, wenn man meint Dinosaurier-Flüsterer zu spielen", schimpfte er.

Harding und ich beachteten ihn gar nicht, sondern ließen ihn vor sich hinschimpfen.

Als wir den Kontrollraum betraten, warteten Luthien und John schon ungeduldig auf uns. Auch Don hatte sich wieder eingefunden und ich konnte mich nicht zurück halten und musste ihm sofort alles erzählen.

„Anscheinend haben auch die Tiere die Schnauze voll von Ihnen", stichelte er dann auch prompt gegen Robert. Und nur allein Johns Anwesenheit hielt Robert davon ab in die Luft zu gehen.

„Wir sprechen uns noch", raunte er Don zu als er den Raum verließ.

Luthien und John hatten noch etwas mit Dr. Harding zu besprechen, also verließen auch Don und ich den Kontrollraum.

„Meinst du nicht, ihr solltet euern Kleinkrieg beenden?" meinte ich zu Don.

„Du glaubst doch nicht etwa, dass ich klein beigeben werde!" Entrüstet sah er mich an.

„Nein, natürlich nicht", seufzte ich. „Allerdings habe ich die Befürchtung, dass es beim nächsten Mal nicht bei einer aufgeplatzten Lippe bleiben wird."

„Na und?"

„Langsam hab ich das Gefühl, du willst dich unbedingt mit ihm prügeln."

„Ich hab nur noch eine offene Rechnung zu begleichen", unschuldig sah Don mich an.

Er wirkte aufeinmal so anders, viel jugendlicher und... ja, männlicher. Und ich musste mir eingestehen, dass es mir unheimlich gefiel.

„Komm mit mein Held, ich habe jetzt erst mal genug von Dinosauriern und brauche einen richtigen Mann."

„Da bist du bei mir genau an der richtigen Adresse."

Spontan hob Don mich hoch und trug mich in mein Appartement. Na ja, eigentlich war es mittlerweile unser Appartement, denn Don schlief gar nicht mehr woanders.

Robert

Robert stand vor seiner Appartementtür. Er brauchte unbedingt Ruhe und einen Whiskey, um sich abzureagieren.

Auf dem Flur hörte er fröhliche Stimmen und sah, wie Don mit Mel auf den Armen zu ihrem Appartement lief. Die beiden schienen ihn gar nicht zu bemerken, so sehr waren sie mit sich selbst beschäftigt.

Etwas neidisch beobachtete er, wie Don Mel vorsichtig absetzte, sie in seine Arme zog und sie leidenschaftlich küsste, dabei schob er sie sanft vor sich her und durch die Tür.

Robert war wieder alleine. Er dachte an Luthien und seufzte. Warum musste bei ihm immer alles so laufen, wie es gerade nicht laufen sollte? Und warum hatte so ein Schnösel wie Don eigentlich so viel Glück bei Frauen? Ein Grund mehr ihm bei der nächsten Gelegenheit eine zu verpassen.

Der Gedanke, wie er Don eine ordentliche Abreibung verpassen würde, erheiterte ihn. Der würde noch sein blaues Wunder erleben.

Luthien

„Das gefällt mir nicht", meinte Harding währenddessen im Kontrollraum.

„Genau, ich finde auch, dass wir die Raptoren alle einschläfern lassen sollten", stimmte ich ihm zu. „Sie sind der größte Risikofaktor."

„Nein, die Raptoren ziehen um und zwar in das alte Rex-Gehege. Und jetzt will ich nichts mehr hören." Johns Stimme duldete keinen Widerspruch.

Ich sah Harding seufzend an. Der Umzug der Raptoren konnte noch heiter werden.

Da saßen wir nun alle und John Hammond stand vor uns, wie ein Lehrer vor einer Gruppe von Schülern. Für den Abend hatte er eine Versammlung der wichtigsten Mitarbeiter einberufen und ich konnte mir schon denken, worum es gehen sollte.

„Nun", meinte John, „ sie können sich sicher denken, warum ich sie alle hergebeten habe.

Also als erstes möchte ich bekannt machen, dass die Raptoren in das alte Rexgehege umziehen werden. Das ist gut gesichert und wir können den Raptorpferch dazu benutzen, den Leuten den aufwachsenden Rex zu zeigen…"

„Den wir noch gar nicht haben", murmelte Henry leise hinter mir und ich musste mir ein grinsen verkneifen.

Robert hielt das für eine idiotische Idee. Dementsprechend war auch seine gute Laune von heute Morgen verschwunden. Na ja, auch noch wegen anderer Sachen, wie zum Beispiel Gennaro, aber auf jeden Fall saß er misslaunig neben mir.

„Also, John", alle hatten nur darauf gewartete, dass Robert sich zu Wort meldete, „ ich kann gar nicht oft genug sagen, dass ich das für wirklich keine gute Idee halte. Die Raptoren müssen ständig überwacht werden. Ich bin hier Sicherheitschef und ihr Tierhüter, aber unter diesen Umständen, weiß ich nicht, wie ich für die Sicherheit garantieren soll."

„Also bitte", mischte sich Don ein und verteilte die nächste Spitze gegen Robert. „Als wenn sie das vorher geschafft hätten. Wie viele Tiere sind diese Woche noch mal entkommen?"

Die Frage triefte vor Ironie. Mach nur so weiter, dachte Robert insgeheim, beim nächsten Mal wenn wir uns über den Weg laufen, ist John vielleicht nicht dabei… Dieser fuhr fort mit der Besprechung.

„Robert, die Tiere werden überwacht. Dr. Harding hat ihnen die Sender implantiert und wir haben den Hochstand am Rexgehege, auf dem wir Wachen postieren werden. Das ist mein letztes Wort, Robert. Wir können den Besuchern auf der Tour schließlich kein leeres Gehege präsentieren…"

Robert wollte noch einwerfen, dass das Rexgehege aber um einiges größer war und dass zwei Raptoren sich dort gut verstecken könnten, ließ es dann aber dabei bewenden, da es John sehr ernst war. Er würde keine weitere Diskussion dulden.

„Also, wie gesagt, wir wollen den Park nächste Woche eröffnen…"

Ich wusste zwar, dass ich das nicht tun sollte, trotzdem unterbrach ich ihn. Bei der Diskussion wegen der Raptoren hatte ich mich noch zurückgehalten, obwohl ich auch da hätte eingreifen müssen. Aber den Park so übereilt zu eröffnen zu wollen… das konnte ich nicht zulassen.

„John, wir können den Park nächste Woche nicht eröffnen."

Alle starrten mich an, als würde ich jetzt gesteinigt werden, weil ich ihn unterbrochen hatte, aber er ging darauf ein.

„Ach und warum nicht?"

„Weil es einfach unmöglich ist…"Seufzte ich nur und jetzt meldete sich Donald zu Wort.

„Also John ich glaube kaum, dass Miss Parker das beurteilen kann. Sie ist schließlich Wissenschaftlerin und nicht in der Verwaltung tätig. Ich denke, wir sollten Ray fragen, was er…"

„Nein, nein Donald", stoppte ihn John, „ ich möchte alle Meinungen hören. Luthien, du hast etwas dazu zu sagen? Dann solltest du auch den Platz einnehmen, der dir zusteht…"

Er bedeutete mir nach vorne zu kommen, aber ich sträubte mich, denn ich ahnte, was er vorhatte.

„Bitte John, zwing mich nicht dazu!" Bat ich ihn und die anderen konnten nicht verstehen, worum es in Wirklichkeit ging.

„Es ist an der Zeit", meinte John ruhig.

„Du hast dich lange genug versteckt. Es wird Zeit für dich Verantwortung zu übernehmen."

Für die anderen klang das wahrscheinlich sehr mysteriös, aber für mich war es einfach. John hatte mich in eine Falle gelockt und ich war darauf reingefallen. Mir wurde klar, dass er das mit der Eröffnung gar nicht ernst gemeint hatte. Es war nur ein Trick gewesen, um mich aus der Reserve zu locken und jetzt würde er mich sowieso festnageln, also stand ich seufzend auf.

„Na gut. Also wir eröffnen nicht nächste Woche. Ich hab mit Ray gesprochen und wir haben uns darauf geeinigt, dass wir es in drei Wochen schaffen sollten."

Ray war erstaunt, dass das auf einmal feststand und noch mehr überraschte ihn, was John dazu sagte.

„In Ordnung. Wenn du das so entschieden hast, kann ich sowieso nichts daran ändern…"

Schnell wollte ich mich wieder setzen. Vielleicht konnte ich mich doch noch aus der Affäre ziehen, aber Ray machte mir einen Strich durch die Rechnung.

„Moment mal", meinte er verdutzt, „ seit wann trifft Luthien solche Entscheidungen und seit wann, John, können sie nichts daran ändern?"

Das war's, dachte ich. Auf Ray's Scharfsinn war wie immer Verlass.

John lieferte natürlich gerne eine Erklärung.

„Nun, eigentlich hätte sie das schon seit einigen Jahren tun sollen. Ihr gehören schließlich einundfünfzig Prozent der InGen-Aktien."

„Einundfünfzig Prozent?" Fragte jetzt Henry ungläubig.

„Ich meine, ich rechne das nur kurz mal durch: Also wenn Luthien einundfünfzig Prozent der Aktien gehören und wir alle wissen, dass vier Prozent frei verfügbar sind, dann bleiben für sie, John, ja nur noch fünfundvierzig Prozent. Das würde also heißen, dass wir nicht für sie arbeiten, sondern eher für Luthien?"

John nickte nur und ich seufzte. Jetzt war die Katze aus dem Sack.

„Das soll wohl ein Witz sein!" Warf nun Robert ein und sah mich skeptisch an.

„Nein", fuhr John fort.

„Luthien hat nur nie die Firmenleitung übernehmen wollen."

„Was ja wohl auch kein Wunder ist!" Meldete ich mich jetzt zu Wort.

„Oder würdest du, Henry, dir als Biologe zutrauen eine Firma zu leiten?"

Henry schüttelte nur bestätigend den Kopf.

„Aber wie kann das sein?" Auch Donald konnte das kaum glauben.

Also erklärte ich es für alle.

„John und meine Mutter, also seine Schwester, haben InGen gegründet. Das Kapital beschafft und so weiter und meiner Mutter gehörten schon immer einundfünfzig Prozent der Aktien, also die Mehrheit. Aber sie hat John immer die Firma leiten lassen und sich nur selten eingemischt. Als sie vor sieben Jahren gestorben ist, haben mein Vater und ich jeweils zu gleichen Teilen ihre Aktien geerbt. Die Firma hat mich damals recht wenig interessiert, ich war zu der Zeit mitten in meinem Studium, aber als vor ein paar Jahren mein Vater einen Zusammenbruch hatte, entschied er, dass es für ihn zu stressig war, sich zusammen mit John weiter um die Firma zu kümmern. Er schenkte mir praktisch seine Aktien und machte mich somit zur Hauptaktionärin. Übrigens lebt er auch ohne ganz gut. Na ja und so steh ich hier…"

Die einzige, die nicht platt war, war Mel. Sie als meine beste Freundin wusste natürlich davon.

Irgendwie war ich ein bisschen erleichtert, dass es jetzt raus war.

„Ihr eröffnet also in drei Wochen?" Fragte John mich noch einmal und ich nickte.

„Du weißt, dass uns die Investoren im Nacken sitzen und du es übernommen hast, mit deinem Privatvermögen zu haften…"

Ich seufzte.

„Ja, ich weiß. Aber wir brauchen die Zeit."

„Was bedeutet das?" Fragte Ray, der sich mit solchen Feinheiten nicht auskannte.

„Das bedeutet, dass wenn der Park kein Erfolg wird, ich nicht nur arbeitslos, sondern auch arm und obdachlos werden könnte, weil unsere Investoren dann alles pfänden, was mir gehört und was sie in die Finger kriegen können. Das passiert, wenn die Insel ein Verlustgeschäft wird und ich mit meinem Privatvermögen dafür hafte….Vielleicht kann ich ja dann bei einem von euch wohnen…" Scherzte ich zum Abschluss der Erklärung.

Ray kannte sich damit zwar nicht aus, aber er konnte sich denken, dass wenn die Banken jemand privat für so ein Projekt bürgen lassen, es sich um ne Menge Geld handeln musste.

„Ähm, über was für ein Privatvermögen reden wir hier?" Ihm war es wohl etwas peinlich danach zu fragen, aber mich störte es nicht.

„Mehrere hundert Millionen Dollar… und Immobilien."

Alle waren vollkommen überrascht und Henry stieß einen Pfiff aus.

„Ja genau …und ich hab dir damals davon abgeraten für die Insel zu haften!" Mel sah mich strafend an.

„Aber wolltest du auf mich hören: Nein!"

„Ja, ja" erwiderte ich nur und wich ihrem Blick aus.

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll", stotterte Henry, aber Rebecca sprang ein.

„Ich schon", meinte sie frech. „Wie wär's mit ner Gehaltserhöhung, Chef?" Fragte sie mich dann und wir mussten alle lachen. Natürlich ging ich auf ihren Scherz ein.

„Für dich bestimmt nicht, Rebecca. Ich stehe jetzt schon seit über vier Jahren jeden Tag neben dir und muss mit dir zusammen arbeiten. Du gehst mir auf die Nerven."

„Oh man", stöhnte sie, „hätte mir das nicht schon jemand früher sagen können? Dann hätte ich die Zeit genutzt um mich bei ihr einzuschleimen…"

Wieder lachten alle, bis auf Donald.

„Ja, genau wie Mr. Muldoon", meinte er leise, so dass John es nicht hörte.

Robert, ich und Mel aber schon. Mel stieß ihn unsanft mit ihrem Ellenbogen an und Robert sprang auf. Er funkelte Don böse an und ich dachte schon jetzt würde die nächste Runde der Prügelei beginnen, aber dann verließ Robert ohne ein weiteres Wort den Raum.

„Was ist denn mit dem los?" Fragte Ray und sah ihm nach.

Auch John wollte ihn zurückrufen, aber ich hielt ihn fest.

„Laß ihn", meinte ich. „Ich rede später mit ihm."

Nach der Besprechung wollte ich Robert suchen. Es wurde Zeit, dass wir endlich miteinander redeten. Ich fand ihn am Raptorpferch. Er stand auf der Besucherplattform und blickte nachdenklich in das Gehege. Der Pferch wurde von allen Seiten mit Strahlern beleuchtet und irgendwie sah es unheimlich aus.

Zaghaft trat ich zu ihm und sah ebenfalls danach, was die Raptoren machten. Aus dem Gehege kamen die üblichen Geräusche. Fauchen und Knurren für jeden, der sie beobachtete.

„Was machen denn unsere Lieblinge?" Fragte ich Robert.

„Das, was sie immer tun. Knurren, fauchen, schnappen… die freuen sich wahrscheinlich schon darauf hier bald raus zukommen. Dann müssen sie sich darüber nicht mehr ihre hässlichen Köpfe zerbrechen."

Robert wirkte frustriert.

„Glaubst du, die wissen, dass ich ihre Anführerin auf dem Gewissen habe?" Irgendwie war mir bei dem Gedanken nicht wohl.

„Na ja, bis du es jetzt erwähnt hast wahrscheinlich nicht."

Er schien sich zu entspannen, aber ich fand das nicht witzig.

„Oh." War alles was mir dazu einfiel.

„Glaub mir", meinte er dann, „ mich hassen die Viecher viel mehr. Immerhin bin ich derjenige, der sie immer mit kleinen, pieksenden Betäubungspfeilen beschießt…und hofft, dass es nicht bei den Pfeilen bleibt."

„Da bist du nicht der einzige. Ich hoffe das auch." Gab ich zu.

Er drehte sich um und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen das Geländer.

„Wieso, wenn du doch auch unser Chef bist, hast du dann vorhin nichts gesagt?"

Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen deswegen, aber vielleicht verstand Robert es ja.

Ich trat vor ihn und berührte ihn sanft an seiner rechten Schulter. Es war wie ein Reflex, denn ich wusste, dass war die Stelle, an der der Raptor ihn schwer verletzt hatte.

„Oh Robert, ich weiß, aber ich konnte nicht. Ich wollte John nicht in allem widersprechen und fand es wichtiger, dass die Insel nicht überstürzt für Besucher geöffnet wird. Vielleicht löst sich das Problem mit den Raptoren ja auch so."

„Ich verstehe", nickte er. „Du wolltest ihm nicht gleich alles aus der Hand nehmen und die Insel ist ja auch privat für dich von Bedeutung."

„Tja, so wie es scheint, ist mein kleines Geheimnis ja nun auch gelüftet."

Ich seufzte.

„Weißt du", grinste Robert plötzlich, „ ehrlich gesagt hatte ich vorhin nur einen Gedanken: Verdammt, du hast mit deinem Boss geschlafen."

„Du solltest nichts darauf geben, was Donald sagt."

„Ich hab dabei auch nicht an seine Bemerkungen gedacht. Weißt du, das fällt mir echt nicht leicht…" Er stockte. Scheinbar kamen wir nun auf den Punkt.

„Es tut mir leid, dass ich dir nicht sofort die Wahrheit über mich erzählt habe, aber irgendwie hat sich nie die richtige Situation ergeben…"

„Du meinst, weil wir immer eher damit beschäftigt waren uns auszuziehen?" Ich wollte nur die Situation etwas auflockern.

„Ich war einfach zu feige und hatte Angst dir alles erklären zu müssen. Ich hatte Angst, du würdest es nicht verstehen und danach nichts mehr mit mir zu tun haben wollen…"

Er schien es wirklich ernst zu meinen und wollte noch mehr loswerden, als sich plötzlich dichte Regenwolken über uns zusammenzogen und ein Schauer anfing auf uns niederzuprasseln. Bis zum Besucherzentrum wären wir völlig durchnässt gewesen, aber Robert nahm meine Hand und lief mit mir zum nächstgelegenen großen Baum, der uns wenigstens etwas Schutz gewährte.

„Wo waren wir stehen geblieben?"

Ich musste schmunzeln.

„Ach ja, ich war gerade dabei vor dir auf die Knie zu fallen. Bildlich gesprochen. Es tut mir leid, dass ich dich damit verletzt habe. Du hättest es nicht so erfahren sollen, sondern von mir…"

„Weißt du, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass du vor etwas Angst hast…"

Er sah mich unverwandt an.

„Doch. Im Moment habe ich sogar große Angst. Nämlich, dass du mir nicht verzeihst, dich umdrehst, verschwindest und nichts mehr mit mir zu tun haben willst."

Ich musste schmunzeln.

„Im Moment würde ich hier sowieso nicht abhauen, weil es viel zu stark regnet…"

„Laß die Witze! Mir ist es verdammt ernst."

„Mir auch. Robert natürlich verzeihe ich dir. Ich hab dir ja auch nicht alles über mich erzählt… wie wir ja vorhin rausgefunden haben. Ehrlich gesagt war ich nur im ersten Moment sauer auf dich. Mittlerweile kann ich es sogar ein bisschen verstehen."

„Wirklich?"

„Ja wirklich… und jetzt finde ich, sollten wir das machen, was wir beide doch schon die ganze Zeit wollen…"

Verlegen spielte ich an seinem Mitarbeiterausweis rum. Dann grinste ich ihn an und er strich mir einen Regentropfen von der Wange.

Schließlich zog er mich in seine Arme und wir küssten uns leidenschaftlich.

„Ist dir klar, dass uns hier eine Menge Leute sehen könnten?" Besorgt sah er mich an.

„Ist mir egal. Dann haben sie wenigstens Grund über uns zu reden."

Damit zog ich ihn wieder zu mir.

Mel

Am einem der großen Panoramafenster des Besucherzentrums stand ich mit Donald und blickte nach draußen. Wir beobachteten Luthien und Robert, die unter einem Baum vor dem Regenschauer, der gerade niederging, Schutz suchten.

Erst schienen sie sich nur zu unterhalten, aber dann begannen sie plötzlich sich hemmungslos zu küssen und ich musste schmunzeln. Ich freute Mich für meine beste Freundin.

Don

Donald hingegen ärgerte, dass Robert es wohl doch geschafft hatte, Luthien zurück zu gewinnen.

Vor allem wie sie dastanden und hemmungslos über einander herfielen. Für ihn waren das nicht nur leidenschaftliche Küsse, sondern die beiden sahen aus, als würden sie sich jeden Augenblick der Kleider vom Leib reißen wollen.

Klar, dachte Don. Luthien gehört ja praktisch die Insel, also verhält sie sich auch so und macht, was ihr gefällt.

Trotzdem würde er zu gerne John's Gesicht sehen, wenn er rausfindet, was zwischen den beiden läuft. Wahrscheinlich würde er Robert zur Schnecke machen und der Gedanke erheiterte Donald.

Mel

„Komm", riss ich Don aus seinen Gedanken, „ich find's nicht okay, wenn wir hier stehen und die beiden beobachten. Mir würde das auch nicht gefallen."

„Bist du dir da ganz sicher?" Fragte Don mich zwinkernd und wir gingen zu meinem Apartment.