Mel
Lukas hatte sein Appartement in einem anderen Trakt des riesigen Wohnkomplexes, der eigens für das Personal errichtet wurde.
Als ich das Appartement betrat, kam ich mir sofort vor wie in einer Geheimdiensteinsatzzentrale. Die Wand vor mir war mit etlichen Monitoren verziert und darunter stand ein großer Schreibtisch mit drei Computern, etlichen Funkgeräten und Telefonen.
Eine Couch und ein großer Fernsehbildschirm versuchten das ganze Szenario etwas gemütlicher zu machen. Aber es blieb bei dem Versuch.
Ich hatte zeit mich ein wenig umzusehen, denn Lukas war nocheinmal zurückgegangen, um meine restlichen Sachen zu holen.
Die Küche sah schon etwas gemütlicher aus. Im Gegensatz zu meinem Appartement, bildete sie hier einen eigenständigen Raum und man sah, dass Lukas sich oft hier aufhielt.
Das Schlafzimmer dagegen wirkte unpersönlich, was wahrscheinlich ein Hinweis darauf war, dass Lukas nicht viel zum schlafen kam.
Als ich einen Blick ins Badezimmer warf, bekam ich plötzlich Sehnsucht nach einer heißen Dusche. Lukas hätte bestimmt nichts dagegen und so schlüpfte ich aus meinen Sachen und drehte die Dusche auf.
Lukas
Lukas war derweilen auf dem Weg zu Mels Appartement. Er hatte sich bei Ray noch eine große Reisetasche ausgeliehen, da er selbst keine besaß.
Robert hatte ihm erst vor kurzem die Leitung des Sicherheitsteams übertragen, damit er selbst mehr Zeit für den Park hatte, und so hatte Lukas keine Probleme sich Zutritt zu Mels Appartement zu verschaffen.
Er atmete auf, als er niemanden vorfand und machte sich schnell daran Mels Klamotten zusammenzupacken. Bei manchen Sachen stahl sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen und dieses Lächeln wurde zu einem Grinsen, als er ein rotes Spitzenhöschen in die Finger bekam.
Wie gerne er sie darin mal sehen würde. Erschrocken über seine eigenen Gedanken verstaute Lukas die Unterwäsche schnell in der Reisetasche. Aber er konnte nichts gegen seine Gefühle Mel gegenüber tun, je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto stärker wurden sie.
Und jetzt, wo sie praktisch bei ihm wohnte, war es sicher schwer, sie nicht einfach in seine Arme zu ziehen und zu küssen.
Lukas seufzte leise. Was hatte diese Frau nur an sich, dass er sich so zu ihr hingezogen fühlte? Und das auch noch seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Dumm war nur, dass er nicht wusste, wie stark sie noch an Donald hing. Aber nach vorhin standen die Chancen für Donald schlecht. Und Lukas hoffte, er könne Mel irgendwann für sich gewinnen.
Er beeilte sich die restlichen Sachen einzupacken und verließ dann eilig das Appartement.
Mel
Die heiße Dusche hatte gut getan, ich fühlte mich nicht mehr ganz so erschlagen und etwas entspannter.
Ich trat aus der Dusche und wickelte mich in ein weiches Handtuch.
„Mel?" hörte ich Lukas. Er war also schon wieder zurück.
„Ich bin im Bad", antwortete ich und hoffte, er würde nicht reinkommen.
„Okay, ich stell dir deine Sachen ins Schlafzimmer."
Ich hörte, wie er das Schlafzimmer verließ und steckte vorsichtig den Kopf aus der Tür, als ich niemanden im Schlafzimmer entdecken konnte verließ ich das Bad und durchwühlte die Reisetasche.
Ich war froh, dass ich mir bei der letzten Gelegenheit ein paar Sachen vom Festland hatte schicken lassen, so brauchte ich wenigstens nicht mehr wie eine wandernde Werbetafel für den Park herumlaufen. Allerdings fragte ich mich, wer bloß auf die Idee gekommen war mir rote Spitzenunterwäsche einzupacken. Was dachten die denn, was ich hier vorhatte? Dinos verführen? Ich beschloss sie bei Gelegenheit mal anzuprobieren, vielleicht sah sie ja doch nicht so schlecht aus.
Ich sichtete die Klamotten und entschied mich für einen bequemen Hausanzug in babyrosa.
Oh mann, dachte ich. Jetzt seh ich aus wie ein wanderndes Bonbon. Anscheinend hatte derjenige, der das Klamottenpaket zusammengestellt hatte, keinen Sinn für Farben. Bislang hatte nie zeit gefunden, um mir die Sachen genauer anzusehen und jetzt wünschte ich, dass ich es mal getan hätte.
Immerhin waren die Sachen besser, als die JP Klamotten.
Ich suchte Lukas und fand ihn im Wohnzimmer vor seinen Monitoren.
„Arbeitest du eigentlich von hier aus?" fragte ich ihn und setzte mich auf die Couch.
„Nein, normalerweise nicht. Der Sicherheitsdienst hat eine eigene Einsatzzentrale. Aber ich hab mir auch hier noch ein paar zusätzliche Monitore installieren lassen, damit ich auch wenn ich Feierabend habe alles überwachen kann. Immerhin sind wir für die Sicherheit der Besucher zuständig. Und seit Robert mir die Leitung des Teams anvertraut hat, will ich lieber auf Nummer Sicher gehen. Und Robert fand, das es eine gute Idee wäre."
„Du verstehst dich anscheinend gut mit Robert?"
„Ja, er ist ein guter Kerl. Mir tut es nur leid, dass ihn seine Vergangenheit nicht in Ruhe lässt."
„Du wusstest davon?"
„Ja, er hat es mir mal erzählt. Er meinte, da wir mittlerweile ziemlich eng zusammen arbeiten, wäre es besser keine Geheimnisse voreinander zu haben."
„Dann muss er dir aber ganz schön vertrauen."
„Vertrauen ist in unserem Job wichtig. Wenn es um die Sicherheit geht ist es gut, wenn man jemanden hat, dem man blind vertrauen kann. Und wenn ich jemandem vertraue, dann ist es Robert. Hast du eigentlich mitbekommen, dass sein Sohn heute morgen angekommen ist?" wechselte Lukas das Thema.
„Sein Sohn? Ich dachte, der will nichts mit ihm zu tun haben?"
„Dazu kann ich dir nichts sagen."
„Woher weißt du überhaupt, dass er hier ist."
„Mel, Mel, Mel", Lukas sah mich tadelnd an. „Ich bin der Sicherheitschef. Da muss ich über alles und jeden Bescheid wissen."
„Aber das ich mich auf die Insel geschmuggelt habe, dass wusstest du nicht", grinste ich ihn frech an.
„Ja, da hast du uns allen einen großen Schock eingejagt. Und die meisten von unserem Team sind dir immer noch böse, weil sie wegen dir mehr arbeiten mussten. Immerhin musste diese Sicherheitslücke geschlossen werden", seufzte er gespielt theatralisch. „Das du zu so was fähig sein kannst..."
„Wenn ich mir erst mal etwas in den Kopf gesetzt habe..."
„Soso. Mich wundert nur, wie du es geschafft hast Robert dazu zu kriegen, dass er dich in den Park mitnimmt."
„Oh, da traust du mir dann doch zu viel zu. Das hatte ich Luthien zu verdanken."
„Ach so, ich will gar nicht wissen, wie sie ihn dazu gebracht hat... ich muss noch etwas arbeiten. Du kannst dir den Fernseher anmachen, wenn du möchtest. Außerdem gibt es bald schon Abendessen."
„Ich weiß nicht, ob ich da hingehen soll", meinte ich.
„Du kannst dich doch nicht hier verkriechen. Irgendwann wirst du Donald sowieso über den Weg laufen, das ist schließlich eine Insel, da läuft man sich zwangsweise über den Weg."
Irgendwie kamen mir Lukas Worte bekannt vor. Ja, ich glaube ich hatte das gleiche schon mal zu Luthien gesagt.
„Kommst du denn dann mit?" fragte ich hoffnungsvoll.
„Würd ich gerne, aber ich hab noch jede Menge zu tun. Außerdem wolltest du doch Roberts Sohn sehen, oder nicht?"
„Ja schon, aber..."
„Siehst du", unterbrach er mich schnell. „Und das kannst du nur, wenn du zum Abendessen gehst."
„Trotzdem wäre es mir lieber, wenn du mitkommst", versuchte ich es noch mal.
„Und warum?" fragte er und ein schelmisches Funkeln trat in seine Augen.
Ja, warum eigentlich? So genau wusste ich das selbst nicht. Es war einfach ein schönes Gefühl in seiner Nähe zu sein. Doch das konnte ich ihm doch nicht sagen. Bevor es für mich noch peinlicher werden konnte, verließ ich eilig das Zimmer.
Lukas
Lukas sah ihr schmunzelnd hinterher. Als er gesehen hatte, wie verlegen sie seine Frage machte, hätte er sie am liebsten sofort geküsst. Aber er wollte warten, bis Mel bereit war eine Entscheidung zu treffen und ihre Gefühle geordnet hatte. Doch mittlerweile war er fast sicher, dass diese Entscheidung zu seinen Gunsten ausfallen würde.
Mel
Als ich in den Speisesaal kam war Roberts Sohn schon weg. Dafür war Donald da. Ich bemühte mich ihn zu ignorieren und setzte mich neben Luthien.
„Schick", kommentierte sie meinen Hausanzug.
„Wen ich denjenigen, der mir diesen Schund geschickt hat in die Finger bekommen."
„Wieso? Du siehst irgendwie niedlich aus." Luthien musste kichern.
„Niedlich? Ich will aber nicht niedlich aussehen. Und weißt du was die mir noch geschickt haben?" ich senkte die Stimme. „Rote Spitzenunterwäsche."
„Was? Was glauben die was du vorhast?"
„Keine Ahnung. Aber weißt du was mir gerade einfällt? Ich hoffe Lukas hat die nicht gesehen, als er meine Sachen geholt hat."
„Bestimmt hat er die gesehen", grinste sie. „So was sehen Männer immer!"
„Na klasse. Hab ich Roberts Sohn verpasst?" wechselte ich das Thema.
„Ja, er ist gerade gegangen." Und dann erzählte sie mir, wie unhöflich er gewesen war und wie sie in zurechtgewiesen hatte.
„Wow", meinte ich. „Ich wusste ja gar nicht, dass du so gut in Kindererziehung bist. Dabei dachte ich, dein Mutterinstinkt wäre für eine Frau überraschend unterentwickelt."
„Das hat doch nichts mit Mutterinstinkt zu tun."
„Aber mit Knigge oder wie? Nee, is klar!"
"Wo hast du eigentlich Lukas gelassen?" mischte sich Robert ein.
„Der muss noch was arbeiten hat er gesagt."
„Ist eben mein bester Mann", freute er sich und konnte den Stolz in seiner Stimme nicht ganz verbergen.
„Fragt sich nur wofür", ließ sich Donald vernehmen. „Aber Sie haben ihn bestimmt gut angelernt. In allen Sachen."
Robert ließ sich diesmal nicht beirren, sondern wandte sich wieder mir zu.
„Hast du nicht Lust mit Lukas heute abend bei mir auf ein Glas Whisky vorbeizukommen?" fragte er übertrieben laut und betonte Lukas Namen ganz besonders.
Donald gab ein unwilliges Knurren von sich, zog es aber vor nichts darauf zu sagen.
„Dann lernst du auch mal Liam kennen", fuhr Robert fort.
„Gern, aber Lukas meinte, er hätte heute noch viel zu tun."
„Dann sag ihm, dass sein Chef ihm den Auftrag gegeben hat heute abend mit seinem Chef ein Glas Whisky zu trinken."
„Ich werde es ihm ausrichten."
Robert
„Schön", freute sich Robert und rieb sich die Hände. Er würde alles versuchen, um Lukas und Mel einander näher zu bringen. Lukas war ein feiner Kerl und Mel hatte eindeutig etwas besseres verdient, als diesen schnöseligen Anwalt. Und wenn er Donald dabei noch einen reinwürgen konnte, wäre das sicher ein schöner Nebeneffekt.
Luthien
Abends war ich mit Liam erst mal alleine in Roberts Wohnung. Zu mir war er jetzt sehr höflich, aber wir unterhielten uns auch nicht wirklich viel. Robert war noch im Kontrollraum, als es an der Tür klopfte. Es waren Mel und Lukas.
„Kommt rein", begrüßte ich beide. „Robert kommt gleich, aber bis dahin kann ich euch schon mal Liam vorstellen."
Dieser gab beiden die Hand.
„Du bist also Roberts Sohn", meinte Lukas. Er konnte nicht ahnen, dass Liam es gar nicht gefiel, auf seinen Vater angesprochen zu werden.
„Scheint so", gab er nur zurück.
Wir setzten uns und ich sah mir Lukas genau an. Robert hat wohl Recht, dachte ich dann. Er sieht wirklich nett aus und wenn Robert ihm vertraute...
Unser Gespräch drehte sich um den Park. Liam hörte aufmerksam zu, denn die Dinos schienen ihn doch sehr zu interessieren. Es dauerte nicht lange und dann kam auch Robert dazu. Als Liam ihn aber durch die Tür kommen sah, sprang er auf und verabschiedete sich.
„Ich werd jetzt schlafen gehen", erklärte er nur und Robert versuchte erst gar nicht ihn aufzuhalten.
„Das war mein Sohn", seufzte er.
Er ließ sich neben mir auf die Couch fallen, griff nach seinem Whisky und legte seinen anderen Arm um mich. Mel warf mir einen Blick zu, der mir sagen sollte, dass sie sich für mich freute, aber auch etwas neidisch war. Sie war sich wohl im Moment überhaupt nicht über ihre Gefühle im Klaren.
Wir diskutierten weiter über den Park und schnell drehte sich das Gespräch nur noch um die Raptoren.
Ich merkte, dass es Lukas wohl etwas unangenehm war, sich mir gegenüber so locker zu verhalten, wie Robert es tat. Für ihn war ich seine Chefin und er wusste nicht wirklich, wie er sich jetzt verhalten sollte. Robert hatte dieses Problem nie gehabt, dachte ich so, und musste schmunzeln.
Wenn Lukas mit Robert alleine war, hatte er wahrscheinlich kein Problem, denn ihn kannte er schließlich schon sehr gut. Aber ich war für ihn eine Fremde und auch noch die Person, die sein Gehalt zahlte.
Außerdem schien es ihn zu irritieren, wie vertraut Robert mit mir umging. Er hätte es ihm wohl nie zugetraut, dass er etwas mit mir anfangen würde und es dann auch noch so offen zeigte.
Damit ich mich auch mal ungestört mit Mel unterhalten konnte, fragte ich sie, ob sie mich mal auf den Balkon begleiten würde und sie verstand.
„Das war also Roberts Sohn", fing sie an. „Die beiden sehen sich wirklich ähnlich."
„Sie sehen sich nicht nur ähnlich, sondern sie sind es auch", seufzte ich.
„So schlimm?"
Ich nickte.
„Die wollen sich am liebsten aus dem Weg gehen."
Mel blickte verstohlen durch das Fenster.
„Ich wüsste nur zu gerne, worüber die beiden sich jetzt unterhalten..."
„Vielleicht über die Raptoren... vielleicht auch über dich... Sag mal, was ist jetzt eigentlich mit Don? Liebst du ihn noch? Willst du wieder mit ihm zusammen sein?"
„Frag mich was leichteres", meinte sie frustriert. „Ich weiß es im Moment selbst nicht."
„Und was ist mit Lukas?" Bohrte ich weiter. „Immerhin wohnst du bei ihm. Was ich sowieso nicht verstehe. Hier sind doch noch genug Wohnungen frei..."
„Das hat sich halt so ergeben..."
„Aha", meinte ich nur bedeutungsvoll. „Vielleicht sollten wir mal wieder reingehen obwohl ich das Gefühl habe, dass es Lukas etwas unangenehm ist, den Abend mit seiner Chefin zu verbringen..."
Mel grinste nur.
„Ich glaube, es verwirrt ihn auch ziemlich, wie vertraut ihr miteinander umgeht... Robert scheint ja sogar eine sanfte Seite zu haben..."
Als ich später mit Robert alleine war, kuschelte ich mich an ihn.
Sag mal", fragte ich ihn dann. „Findest du es richtig, Lukas und Mel zusammen zu bringen?"
„Wieso nicht? Mel hat jemand besseren verdient als Don und ich unterstütze eben den, den ich am Besten finde."
Ich verzog mein Gesicht.
„Ich weiß nicht. Ich denke, Mel ist erwachsen und wir sollten uns da nicht einmischen. So etwas geht nie gut...Außerdem woher willst du wissen, dass Lukas überhaupt Interesse hat?"
„Das wüsstest du wohl gerne, was?" Grinste er.
„Komm schon. Hat er was erwähnt?" Fragte ich neugierig.
„Na gut, er hat gesagt, dass er Mel jetzt schon sehr mag..."
„Und weiter?"
„Ach... dann wollte er nur noch wissen, wie du als Chefin so im Bett bist..."
Er lachte, aber ich versetzte ihm einen Stoß in die Rippen. Er stöhnte auf.
„Bitte nicht. Ich hab erst mal genug von Schlägereien..."
Ich schmunzelte.
„Willst du damit sagen, dass da schon Gefühle im Spiel sind?"
Robert nickte nur und dann zog er mich enger an sich.
„Wo wir gerade wieder von Gefühlen reden... Was ist mit meinen Gefühlen?"
Er begann mich zu küssen und dann fuhr er zwischen den Küssen fort:
„Sie sollten mir unbedingt helfen, die zu befriedigen, Dr. Parker. Dann werde ich mich auf jeden Fall revanchieren..."
Ich musste lachen, ließ mich aber dann doch von ihm ins Schlafzimmer bringen.
Am nächsten Morgen saß ich im Labor und beschäftigte mich mit der Aufgabe einen neuen Rex zu klonen.
Als ich meine Eppis gezählt und in den Ständer gestellt hatte, wollte ich noch mal meine Handschuhe wechseln und blickte auf. Liam stand in der Tür und sah mir schüchtern zu.
„Du kannst ruhig reinkommen", ermutigte ich ihn. „Nur bitte nichts ohne Handschuhe anfassen."
Er nickte und ich reichte ihm ein paar Handschuhe. Dann gab ich ihm Rebeccas Hocker und er setzte sich.
„Darf ich fragen, was sie da machen?"
„Natürlich", antwortete ich und griff nach meiner 1000 µl Pipette.
„Ich mache Dinosaurier. Jedenfalls versuche ich es…"
Begeistert sah er mich an.
„Cool!"
„Ja, aber nicht mehr so cool, wenn sie dich jagen und auffressen wollen", bremste ich seinen Enthusiasmus. „Gerade bin ich dabei DNA von unserem toten Rex zu isolieren."
„Hier gibt's Tyrannosaurier! Die find ich total klasse. Kann ich die sehen?"
Ich seufzte.
„Ehrlich gesagt: Nein."
Liam sah mich enttäuscht an, aber ich erklärte es ihm.
„Wir hatten nur einen, aber der ist jetzt leider tot. Eigentlich sollte das unsere Hauptattraktion werden, aber das Tier ist tot umgefallen, nachdem dein Vater es mit einem Betäubungspfeil beschießen musste…"
„Sie meinen, mein Vater hat einen Tyrannosaurus erlegt?"
„Na ja, erlegt ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort", antwortete ich, aber Liam schien es doch zu beeindrucken. Sein Vater hatte das wohl größte Landraubtier aller Zeiten getötet.
„Wenn dich die Tiere so interessieren, solltest du mal mit deinem Vater reden. Er könnte dich mal mitnehmen und dir sicher viel zu den Dinos, die wir haben, erzählen."
Davon war er nicht begeistert.
„Könnten sie das nicht tun?"
Ich musste schmunzeln. Vielleicht war das meine Chance Robert ein bisschen zu helfen.
„Weißt du, ich mache die Dinosaurier, aber ich beobachte sie nicht den ganzen Tag. Ich kann dir höchstens sagen, was ein Carnivore und was ein Herbivore ist, aber das weißt du ja sicher schon selbst."
„Wissen sie, Dr. Parker, ich und mein Dad: Das ist keine gute Idee. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben und jetzt ignoriert er mich. Das hab ich wohl verdient…" Gab er zu.
„Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Dein Vater liebt dich, Liam. Er hat nur Angst es zu zeigen, weil er denkt, du hasst ihn. Aber du bist sein Sohn und jeder macht mal Fehler."
„Vielleicht", meinte er schmunzelnd, „ aber sie kennen meinen Vater nicht, wie ich ihn kenne."
„Darauf würde ich nicht wetten", gab ich zurück.
„Nun er kann manchmal ganz schön ärgerlich werden", erklärte der Junge mir, aber das war für mich ja nichts Neues.
„Und das erzählst du mir?" Fragte ich lachend. „Dein Vater hat mich mal ein hinterhältiges Biest genannt."
Das überraschte Liam.
„Aber ich dachte… sie beide sind…"
Ich winkte ab.
„Da waren wir noch nicht zusammen. Ehrlich gesagt, konnte ich deinen Vater nicht ausstehen, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind und er mich wohl auch nicht. Aber wie du siehst, kann man seine Meinung auch ändern… sogar Robert."
Jetzt musste Liam lachen und ich musste unwillkürlich lächeln. Er erinnerte mich wirklich sehr an Robert.
„Du solltest mit ihm reden. Ihr könnt euch nicht ewig aus dem Weg gehen. Das hab ich auch schon mal versucht: Funktioniert aber nicht. Immerhin leben wir hier auf einer Insel."
„Das ist mir auch schon aufgefallen", erwiderte er ablenkend und dann fuhr er nachdenklich fort:
„Trotzdem, Dr. Parker…"
„Nenn mich Luthien." Erstaunt aber dankbar sah er mich an.
„Okay, Luthien… ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee ist."
„Du kannst dich nicht ewig davor drücken. Außerdem, was ist, wenn du wieder zu deiner Mutter zurückgehst?"
Sein Ausdruck veränderte sich. Er sah traurig aus.
„Wissen sie… ich meine, weißt du, ehrlich gesagt, hab ich gar keine Ahnung, ob ich zurück kann."
Mir wurde einiges klar.
„Deswegen hast du gestern nichts erwidert, als ich deine Mutter erwähnt habe, nicht wahr? Das was ich gesagt habe, stimmte also."
Er nickte stumm.
„Ich glaube, sie will mich loswerden. Jetzt wo sie einen neuen Kerl hat, bin ich das fünfte Rad am Wagen."
„Das tut mir leid." Ich wusste nicht, wie ich ihn trösten sollte.
„Ist schon okay", meinte er dann. „Ich hab mich bei ihr schon länger nicht mehr wohl gefühlt. Ständig sind wir umgezogen…"
„Das kenne ich", unterbrach ich ihn. „Ich bin mit meinen Eltern viel gereist. Da wir reich sind, hatten wir diese Möglichkeit."
„Und wo fühlst du dich zu Hause?"
Ich dachte kurz nach.
„Das kann ich dir leicht beantworten. Ich besitze zwanzig Immobilien über die ganze Welt verteilt, aber im Moment fühle ich mich hier zu Hause. Auf dieser gottverdammten Insel."
„Warum?"
„Weil ich hier mit deinem Vater zusammen sein kann…"
Liam nickte verständnisvoll.
Ich stand auf.
„Leider muss ich los und etwas mit Henry besprechen, aber wenn du möchtest, kannst du dir ja mal den Kontrollraum von Ray zeigen lassen."
Also lieferte ich Liam bei Ray ab, der sich sofort bereit erklärte ihm alles zu erklären.
Unsere Besprechung dauerte ziemlich lange und es dämmerte schon. Außerdem sah es so aus, als würde es wieder mal ein Gewitter geben. Ich wollte noch mal im Kontrollraum vorbeischauen und dort fand ich Liam immer noch zusammen mit Ray. Die beiden beobachteten angestrengt einen Bildschirm.
Als Ray mich erkannte, bedeutete er mir dazu zu kommen.
„Luthien, sieh dir das mal an. Das gefällt mir nicht."
Ich stellte mich hinter sie und erkannte, dass sie die Raptoren beobachteten. Die beiden Tiere schlichen am Zaun der zur Straße führte entlang. Auf und ab, immer an der gleichen Stelle.
Ich konnte mir keinen Reim darauf machen.
„Wie lange machen die das schon?"
„Schon ne ganze Zeit. Was soll denn das?"
Mittlerweile fanden sich noch mehr Leute im Kontrollraum ein. Darunter auch Mel, Dr. Harding, Donald und Lukas.
Alle beobachteten den Bildschirm, als die Tiere plötzlich den Zaun ansprangen. Funken sprühten und die Tiere wurden zurück geschleudert. Es schien ihnen nichts auszumachen, denn sie versuchten es immer wieder.
„Was haben die vor?" Fragte Dr. Harding. „Wollen die sich umbringen?"
„Was kein Verlust wäre", erwiderte ich sarkastisch.
Ray schüttelte den Kopf.
„Das ist gar nicht gut."
„Holen sie Robert her. Wir brauchen ihn hier", wies er dann Lukas an.
Don schnaubte nur. Seiner Meinung nach brauchte niemand jemanden wie Robert.
„Was gibt's?" Fragte Robert kurze Zeit später, als er mit Lukas zurückkam.
„Du solltest dir das mal ansehen", meinte Ray nur und deutete auf den Bildschirm.
Robert stellte sich dicht neben mich und mir lief ein wohliger Schauer über den Rücken. Ich mochte es, wenn er mir so nah war, dass ich sein Aftershave riechen konnte. In solchen Momenten musste ich mich zusammen reißen, um nicht über ihn herzufallen.
„Was soll das?" Meinte er, als er die Raptoren beobachtete.
Er dachte darüber nach. Diese Tiere waren intelligent, also wollten sie auch irgendetwas bezwecken und es war eindeutig, dass sie aus dem Gehege ausbrechen wollten.
Dann sah er die ersten Regentropfen fallen und er verstand.
„Verdammt", fluchte Robert plötzlich. Wir hatten aber noch nicht verstanden und sahen ihn fragend an.
„Seht doch. Es regnet. Diese verdammten Biester versuchen einen Kurzschluss im Zaun zu verursachen!"
„Oh Gott!" Stöhnten wir alle auf, denn Robert hatte Recht.
„Wir müssen sofort da raus und sie ruhig stellen, aber da ich kaum das Gewehr richtig halten kann, müssen sie das diesmal übernehmen, Thomas."
Dr. Harding wirkte nicht sehr begeistert und zögerte.
„Vielleicht sollten wir diesmal besser Luthien mitnehmen", schlug er dann vor und ich wusste warum.
„Auf gar keinen Fall!" Empörte sich Robert, aber Dr. Harding erklärte es.
„Sie ist aber nach ihnen die beste Schützin hier. Jedenfalls was bewegte Ziele angeht. Ich kann die Tiere betäuben, wenn sie still stehen oder fressen, wie bei der Umzugsaktion. Aber wenn sie rum rennen wie jetzt gerade… keine Chance. Luthien trifft da viel besser als ich."
Alle sahen Robert erwartungsvoll an und schließlich stimmte er doch zu.
Das ist die Chance, dachte ich und lief noch mal schnell ins Labor.
Aus einem Chemikalienschrank nahm ich eine der Schatullen heraus, in denen sich spezielle Pfeile befanden. An den Wagen traf ich wieder auf die anderen, die schon auf mich warteten. Ein halbes dutzend Sicherheitsleute waren noch zu Robert, Dr. Harding und mir dazu gestoßen und wir machten uns auf den Weg.
Am ehemaligen Rexgehege sahen wir schon von weitem die Funken sprühen, weil die Tiere nicht aufgeben wollten.
Als wir ausstiegen, fauchten und knurrten sie uns böse an.
Alle stiegen Gewehr in Anschlag aus und gingen in Position. Es regnete nun in Strömen und ich fragte mich, ob ich die Tiere wirklich treffen würde.
„Wir versuchen sie vom Hochstand aus zu treffen", rief Robert dann Dr. Harding zu. Dann wies er seine Männer an:
„Falls irgendetwas Unvorhergesehenes passiert, schießen sie einfach."
Robert nahm meine Hand, als ich mein Gewehr geschultert hatte und führte mich zum Hochstand.
„Ich werde dich begleiten", meinte er dann schmunzelnd. „Vielleicht kannst du ja doch noch ein paar Tipps vom Meister gebrauchen…"
Vom Hochstand aus, konnte man gut in das Gehege blicken. Eigentlich sollte es nicht so schwer sein, dachte ich, aber trotzdem war ich nervös.
Zitternd nahm ich den ersten Pfeil aus der Schatulle, entfernte die Schutzkappe von der Spitze und lud das Gewehr.
Robert hielt einen zweiten zum Nachladen bereit und wunderte sich, dass die Spitzen dieser Pfeile extra Kappen trugen. Aber er sagte nichts dazu. Das Letzte, was er jetzt wollte, war Luthien abzulenken.
Ich nahm das Gewehr in Anschlag und Robert sprach beruhigend auf mich ein, als er sah wie die Gewehrspitze wackelte.
„Such dir ein Tier aus und folge ihm. Versuch ruhig zu atmen und wenn du es im Visier hast, drück einfach ab. Wir sehen dann schon, was passiert…"
Ich befolgte seinen Rat und als ich mir relativ sicher war, verschoss ich den ersten Pfeil.
Es dauerte keine Sekunde, da kippte das erste Tier zuckend um und Schaum quoll aus seinem Mund. Alle die das beobachten konnten, waren überrascht. So schnell wirkte kein Betäubungsmittel und auch Robert war verwirrt.
„Jetzt muss es schnell gehen", meinte er aber nur und reichte mir den nächsten Pfeil. „Sonst ist das zweite Tier weg."
Und in der Tat sah der zweite Raptor unschlüssig zu seinem Artgenossen. Wahrscheinlich wollte er sich gerade dazu entschließen zu flüchten.
Ich wollte nachladen, aber der Pfeil fiel mir vor lauter Aufregung aus der Hand. Robert handelte sofort. Er hob den Pfeil auf und nahm mir das Gewehr aus der Hand.
Bei ihm ging das Nachladen schnell und ohne Probleme. Dann legte er an und sog scharf die Luft ein. Er hatte wohl Schmerzen, ignorierte sie aber und schoss auf das zweite Tier, das gerade im Gebüsch verschwinden wollte.
Auch dieses Tier fiel krampfend zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Robert gab mir das Gewehr und hielt sich seinen Arm.
„Und jetzt", meinte er dann stöhnend, „will ich wissen, was in den verdammten Pfeilen war. Das ist doch kein Betäubungsmittel."
„Nein", gab ich zu. „Ein schnell wirkendes Nervengift. Die Raptoren machen uns jetzt keine Probleme mehr."
Als wir zurück zu den Wagen kamen, wartete Dr. Harding schon auf eine Erklärung.
„Was war das denn?" Fragte er etwas blas im Gesicht.
„Ein starkes Nervengift", erklärte ich ihm und irgendwie wirkte auch er erleichtert über das Ableben unserer Lieblinge.
Auf dem Weg zurück zum Besucherzentrum grinste Robert mich plötzlich an.
„Weißt du, John wird davon gar nicht begeistert sein. Bald sind alle seine Fleischfresser wieder ausgestorben. Willst du mich arbeitslos machen?"
„Ich weiß", seufzte ich, „aber es war meine Entscheidung. Die Biester waren einfach zu gefährlich."
„Guter Schuss, übrigens. Ich bin stolz auf dich…"
Robert parkte den Wagen.
„Danke, aber ohne dich, wäre der zweite Raptor entkommen", meinte ich beim Aussteigen.
Er legte den Arm um mich, küsste mich zärtlich und wir gingen zurück zum Kontrollraum.
Dort erwarteten uns schon alle. Sie wollten natürlich auch eine Erklärung, aber der erste, der uns begrüßte, war ein total aufgeregter Liam.
„Luthien, ist alles okay?" Fragte er mich besorgt und Robert sah mich stirnrunzelnd von der Seite an. So kannte er seinen Sohn gar nicht.
„Seit wann duzt ihr euch denn?" Flüsterte er mir dann zu und ich antwortete ebenso leise:
„Ich hatte heute eine sehr interessante Unterhaltung mit deinem Sohn."
Und dann zu Liam:
„Uns geht's gut. Wir sind nur etwas nass geworden."
Um das zu unterstreichen deutete ich auf den Boden, denn um uns herum hatte sich schon eine kleine Pfütze gebildet.
