Was immer die Zukunft bringt…

Und Carl sollte Recht behalten, denn der nächste Sommer kam mit so großen Schritten, dass es, ehe man sich versah, schon Juni war.

Jem hatte als Drittbester seines Jahrgangs abgeschlossen und auch Ken konnte ein beeindruckendes Abschlusszeugnis vorweisen, während Una ihr Zertifikat für den mit Bravour bestandenen Haushaltskurs erhielt.

Auch Jerry, Carl und Shirley konnten mir ihren Leistungen in den vergangenen Monaten mehr als zufrieden sein und während sie die Schulbank drückten, bereitete man in Ingleside und dem Pfarrhaus alles für die bevorstehende Hochzeit vor. A

nne und Rosemary nähten abwechselnd an Faith' Hochzeitskleid, einem Traum aus weißer Seide und Spitze, während Rilla, Susan und Faith selbst mit den Kleidern für die Brautjungfern mehr als beschäftigt waren.

Man hatte sich dafür entschieden, Nan und Persis pastellrosa, Di und Una kornblumenblau und Rilla, als Ehrenbrautjungfer, lavendelfarben tragen zu lassen.

Aber natürlich waren die Kleider nicht alles, was man vorbereiten musste, und so stellte sie in den letzen Tagen vor der Hochzeit eine ziemliche Hektik ein. Schließlich sollte am großen Tag doch alles perfekt sein.

Und tatsächlich sah es so aus, als würde wirklich alles zur allgemeinen Zufriedenheit ablaufen. Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite, die Männer trugen ihre Smokings, die Frauen ihre Kleider und sämtliche Vorbereitungen waren getroffen, doch gerade, als die Brautjungfern einer mehr als nervösen Faith in ihr Kleid helfen wollten, fiel Di auf, was fehlte.

„Faith…?", fragte sie langsam und hielt den linken Schuh der Braut hoch, „wo hast du dein Sixpence-Stück?"

„Was bitte?", Faith sah sie mir als verwirrt an. Persis begriff schneller.

Etwas altes, etwas neues, etwas geliehenes, etwas blaues und ein Sixpence-Stück im Schuh", zählte sie auf und sah Faith erwartungsvoll an. Langsam schien auch der zu dämmern, was los war und Panik zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

„Das… das habe ich vergessen", gab sie zu.

„Okay, keine Panik", Nan machte eine beschwichtigende Handbewegung, „das Kleid ist das neue. Und Rosemarys Schleier das alte. Und irgendeiner von den Jungen wird schon noch ein Sixpence-Stück in der Tasche haben. Ich gehe sie mal fragen."

Sprach's und lief nach unten. „Ich hätte ein hellblaues Band, das wir dir in die Haare machen könnten", schlug Una vor, „ich wollte es zwar eigentlich selbst nehmen, aber ich finde schon was anderes." Noch im Sprechen verließ sie ebenfalls den Raum.

„Fehlt nur noch etwas geliehenes", bemerkte Di und Persis nickte bekräftigend.

„Nein, tut es nicht", widersprach Rilla und öffnete den Verschluss von ihrer Opal-Kette, „hier, wir tauschen." Sie hielt Faith die Kette hin und griff ihrerseits nach dem Perlencollier, was die andere ursprünglich hatte tragen wollen.

„Und du meinst, dass macht Ken nichts aus?", fragte Faith und drehte die Kette etwas unschlüssig in den Händen.

„Ach, der soll sich nicht so anstellen", wiegelte Rilla ab, „und jetzt komm, wir müssen uns beeilen."

So bekam Faith Rillas Kette um den Hals und Unas Band in die Haare und Nan trieb innerhalb kürzester Zeit tatsächlich das benötigte Geldstück auf, das sie höchstpersönlich in den linken Brautschuh legte.

Dann klopfte auch schon Rosemary an die Tür, um zu sagen, dass die Zeremonie in wenigen Minuten beginnen würde. Die Gäste saßen bereits und Jem wartete zusammen mit Jerry, seinem Trauzeugen, und Rev. Meredith, der die Zeremonie leiten würde, auf seine Braut.

Die spielte derweil nervös mit ihrem Bouquet aus Maiglöckchen (Glück), Veilchen (Treue) und Vergissmeinnicht (wahre Liebe und Erinnerung), das sie und Rilla mit viel Bedacht zusammengestellt hatten, herum, während die Brautjungfern und Brautführer sich in Paaren auf den Weg machten.

Persis neben Shirley, Nan neben Ken, Una neben Carl und Di neben Gordon Blake, dem zweiten Sohn von Annes Freundin Philippa und einem guten Freund und ehemaligen Kommilitonen von Jem.

„Faith, ich habe Ewigkeiten gebraucht, diese Blumen so zusammenzustellen und du zerrupfst sie völlig", schalt Rilla und zupfte ihrerseits Faith' Schleier zurecht.

„Tut mir Leid", etwas beschämt ließ Faith den Strauß sinken, „ich bin nur so schrecklich aufgeregt."

„Wozu du auch jedes Recht hast. Aber das wird sich geben, wenn du erst einmal neben Jem stehst", versprach Gilbert.

Faith hatte ihn, da ihr eigener Vater ja die Zeremonie durchführen würde, gebeten sie zum Altar zu führen und ihr zukünftiger Schwiegervater erfüllte ihr diesen Wunsch nur zu gerne.

„Und außerdem glaube ich, dass du jetzt dran bist", wandte er sich dann an seine jüngste Tochter. Rilla ließ von Faith' Schleier ab, fasste ihr eigenes Bouquet, eine kleinere Ausgabe von Faith', mit beiden Händen, setze ihr hübschestes Lächeln auf und machte sich auf den Weg nach unten.

„Bist du bereit?", erkundigte Gilbert sich bei der Braut, während das leise Klackern von Rillas Absätzen sich langsam entfernte.

Faith nickte: „Ja. Ja, ich denke, das bin ich."

Ob sie es allerdings tatsächlich war, wusste sie nicht so genau und als sie an Gilberts Arm die Treppe hinunter in Richtung des Wohnraumes ging, war sie nahe dran, sich einfach umzudrehen und wegzulaufen.

Weil, wenn sie es so bedachte, war eine Heirat ja doch ein sehr großer Schritt und auch wenn sie diesem Tag jahrelang entgegengefiebert hatte, hieß das ja noch lange nicht, dass sie wirklich bereit war.

Und richtig darüber nachgedacht hatte sie ja auch noch gar nicht. Fantasiert und geträumt, ja, aber nie nachgedacht und abgewogen. Und war eine Pro- und Contra-Liste nicht auch sehr wichtig? So etwas hatte sie nämlich auch nicht gemacht.

Aber eine Bekannte in London hatte einmal gesagt, dass so eine Liste essenziell wäre – wirklich essenziell. Und Faith hatte einfach mit den Schulter gezuckt und es vergessen. Jetzt wünschte sie sich allerdings, sie hätte den Ratschlag nicht so einfach abgetan.

Und was Jem anbelangte… und ihre Haushaltskünste… daran wollte sie wirklich nicht einmal denken!

„Du wirst sehen: Es wird schon alles gut werden", munterte Gilbert sie auf, bevor er die Tür zum Wohnraum öffnete und sie hineinführte. Faith allerdings half das nicht viel. Sie war immer noch nervös und voller Selbstzweifel.

Und das besserte sich nicht gerade, als sie die Reihen von Freunden, Familienmitgliedern, Nachbarn und Bekannten sah. Ihr Blick glitt weiter, zu den Brautjungfern, über Rilla zu ihrem Vater, dann zu Jerry und schließlich zu den Brautführern. Jem sah sie absichtlich nicht an.

Von irgendwoher spielte Gertrude Grant, die es sich, obwohl hochschwanger, nicht hatte nehmen lassen zu kommen, den Hochzeitsmarsch am Klavier. Faith schluckte, ging dann los. Sie hörte die Gäste leise miteinander reden.

Worüber, verstand sie nicht und war eigentlich auch ganz froh darüber. Aber sie wusste ja auch nicht, dass es ausschließlich darum ging, was für eine wunderschöne Braut sie war und wie gut sie und Jem zueinander passten.

Viel zu schnell für Faith' Geschmack waren sie am Ende des Ganges angekommen. Gilbert hob den Schleier und küsste sie auf die Stirn.

Ein leises Rascheln verriet Faith, dass Rilla den Schleier zurechtzupfte, dann küsste ihr eigener Vater sie ebenfalls und sie drehte sich, um ihrer Ehrenbrautjungfer den Strauß zu reichen. Rilla lächelte aufmunternd, zog sich dann etwas zurück.

Faith atmete durch und wandte sich dann, zum ersten Mal an diesem Tag, Jem zu. Er grinste etwas und sie konnte sehen, dass er ebenso nervös war wie sie – wenn nicht sogar noch mehr. Und aus irgendeinem Grund half ihr das, ruhiger zu werden.

Gilbert hatte ja Recht: Es würde schon alles gut werden. Faith schenkte Jem ebenfalls ein Lächeln, jetzt völlig ruhig und sicher und es schien ihr, als würde sich das auf ihn übertragen. Dann hörten sie, wie ihr Vater mit der Zeremonie begann und beide drehten sich zu ihm.

Und von da an ging alles ganz schnell. Ehe Faith sich versah, hatten Jem und sie erst die Eheversprechen, dann die Ringe getauscht und schließlich beugte er sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. Und einfach so waren sie verheiratet.

Wie im Rausch vergingen auch die nächsten Stunden. Zuerst nahm das frisch verheiratete Paar sämtliche Glückwünsche entgegen und Faith kam es fast so vor, als würde die Schlange niemals kleiner werden. Tat sie am Ende aber doch und man konnte sich auf den Weg ins Regenbogental machen.

Susan war zwar der Meinung gewesen, dass es wohl kaum der richtige Platz für eine Hochzeitsfeier war, war aber mit vernichtender Mehrheit überstimmt worden.

Eingeleitet wurden die Feierlichkeiten von einem wahren Festmahl, bei dem Faith sich fragte, wann es denn bitte gekocht worden war und nachdem alle zur genüge gesättigt waren, folgten ein paar Reden.

Gilbert und John, als Väter, ließen es sich natürlich nicht nehmen, jeweils eine auf das junge Paar zu halten und auch Jerry und Rilla schienen es als ihre Aufgabe anzusehen.

Zuallerletzt erhob sich Jem und sagte ein paar Worte, die zwar teilweise etwas holprig klangen und bewiesen, dass an ihm wirklich kein Redner verloren gegangen war, aber so treffend und ehrlich und so sehr Jem waren, dass sie Faith trotz allem zu Tränen rührten.

Als die Reden schließlich beendet waren und langsam die Dämmerung einsetzte, folgte schließlich der Hochzeitstanz, der von einer kleinen, etwas zusammen gewürfelten Band begleitet wurde.

Und als Faith in den Armen ihres Ehemannes lag und sich von ihm über das Parkett – das in diesem Fall schlichtes Gras war – führen ließ, fragte sie sich innerlich, wie sie jemals hatte zweifeln können, dass das hier das Richtige war.

Nach einem Drittel kamen Anne und John und sie musste sich von Jem trennen. Hatten sie außerdem vorher die Tanzfläche für sich gehabt, gesellten sich nun die Brautjungfern und Brautführer, Rilla und Jerry, sowie Rosemary und Gilbert zu ihnen.

Nach einem weiteren Drittel fand Faith sich bei ihrem neuen Schwiegervater wieder und bekam aus den Augenwinkeln mit, wie Ken und Jerry das Protokoll boykottierten und ebenfalls Partnerinnen tauschten.

Kaum war der Tanz zu Ende, stand auch schon wieder Jem vor ihr, um den nächsten Tanz mit ihr zu tanzen. Und während sie so tanzten, fragte Jem seine Braut leise: „Bist du glücklich, Faith?"

Faith traute ihrer Stimme nicht, also lächelte sie nur, aber ihr Lächeln war für Jem Antwort genug.