Kapitel 2

Der Freitag kam mit schnellen Schritten. Elizabeth übergab den Laden an Charlotte und fuhr etwas früher nach Hause. Jane wollte sie ordentlich ‚aufbrezeln' für die Veranstaltung im Goetheinstitut und freute sich, daß Elizabeth sich dazu nahezu kampflos bereiterklärt hatte. Sie hatten ein schönes, elegantes Kleid für sie gekauft, das Elizabeths wohlgeformten Körper perfekt zur Geltung brachte. Sie fand den Ausschnitt zwar etwas gewagt, aber Jane hatte ihre Bedenken zerstreut. Und sie hatte recht, es stand ihr einfach fantastisch.

„Liebe Schwester, du kannst ruhig auch mal zeigen, was du hast!" sagte Jane recht unverblümt. „Diese Säcke, die du sonst immer bevorzugst…grausig!"

Elizabeths Haare wurden aus dem langweiligen Zopf befreit und nach einer Runde Durchbürsten fielen sie ihr in langen, lockigen Wellen über den Rücken. Dann noch die sonst so sträflich vernachlässigten Kontaktlinsen eingesetzt und weg mit der schrecklichen Brille. Elizabeth Bennet sah aus wie ein völlig anderer Mensch. Jane war unglaublich stolz auf die kleine Schwester.

„Du siehst so wunderschön aus, Liebes," flüsterte sie.

Elizabeth mußte zugeben, daß sie recht hatte. Sie küßte Jane auf die Wange und schon war sie auf dem Weg zum Goetheinstitut.

In der Darcy'schen Villa wartete Anne Darcy derweil geduldig auf ihren Sohn. Er hatte genügend Erfahrung mit gesellschaftlichen Anlässen und wußte, was von ihm erwartet wurde. Als er wenige Minuten später vor ihr stand, lächelte Anne anerkennend. Es war, als würde eine jüngere Version ihres Ehemannes vor ihr stehen. Sehr elegant sah er aus in seinem dunkelgrauen Anzug und dem gleichen verträumten Lächeln aus warmen, dunklen Augen, das er von seinem Vater geerbt hatte. Kein Wunder, daß die Frauen ihn regelrecht verfolgten, dachte sie amüsiert. Sie freute sich darauf, diesen Abend mit ihrem attraktiven, wohlerzogenen Sohn zu verbringen.

William hatte entschieden, selbst zu fahren und fuhr mit dem schwarzen VW Phaeton seines Vaters vor. Er konnte zwar nicht gerade behaupten, sich auf den Abend zu freuen, aber für seine Ma hätte er alles getan. Nun ja, fast alles.

Nachdem sie am Institut angekommen waren, hatten sie noch ein wenig Zeit, bis Anne mit ihrem Vortrag an der Reihe war. Wie er sich gedacht hatte, war sie bereits nach kurzer Zeit von Freunden und Kollegen umringt und William wußte, das würde den ganzen Abend so weitergehen. Anfangs blieb er an der Seite seiner Mutter und wurde den verschiedenen Herrschaften vorgestellt. Dann wurde sie aufs Podium gerufen und hielt ihren halbstündigen Vortrag über das Leben Friedrich Schillers, der mit herzlichem Applaus bedacht wurde.

William war sehr stolz auf sie. Sie liebte Menschen und hatte ein natürliches Talent, die Leute zu fesseln und von sich einzunehmen, egal ob in einem Vortrag oder im persönlichen Gespräch. Es war für ihn keine Überraschung, daß ihre raren Vorlesungen an der Uni in der Regel aus allen Nähten platzten.

William holte sie am Podium ab, gratulierte ihr zu ihrem Vortrag (der einzige, bei dem garantiert keiner eingeschlafen sei, wie er meinte) und verließ sie für einen Moment, um für sie beide etwas zu trinken zu holen.

Er hoffte, der Abend wäre bald vorbei. Wie er befürchtet hatte, senkte seine Anwesenheit den Altersdurchschnitt erheblich. Die jüngeren Frauen, die hier waren, erinnerten ihn sämtlich an Miss vertrocknete Brillenschlange. Unbefriedigte, alleinstehende Frauen, die meinten, auf intellektuell machen zu müssen. Grusel!

Als er nach etwa fünf Minuten mit zwei Gläsern Orangensaft zurückging, wurde seine Aufmerksamkeit allerdings höchst willkommen auf eine junge Frau gelenkt, die einige Meter vor ihm aus der Menge getreten war und nun in die gleiche Richtung lief wie er.

Wow! dachte er und bemühte sich, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Lange, fast bis zum Hintern reichende Haare, rote Haare, wohlgemerkt! Und was für ein Hinterteil das war! Und eine Figur, die keine Wünsche übrigließ. Wenn sie sich nur einmal umdrehen würde, damit er ihre restlichen Kurven sehen könnte… Während William noch vor sich hinfantasierte, was er alles mit ihr anstellen würde – denn daß sie in seinem Bett landen würde, war für ihn ganz klar, bemerkte er erst gar nicht, daß sie ebenfalls zu seiner Mutter gegangen war. Als er in ihre Nähe kam, waren die beiden in ein freundschaftliches Gespräch verwickelt und Anne sprach ihren Sohn an, als er zu ihnen trat.

„William, darf ich dich mit Elizabeth Bennet bekanntmachen, einer ehemaligen Studentin von mir. Liz, mein Sohn William."

Das rothaarige Traumwesen drehte sich freundlich lächelnd um und als sie erkannte, wer hinter ihr stand, entglitten ihr alle Gesichtszüge.

William hingegen erkannte die ‚Brillenschlange' gar nicht wieder. Fasziniert starrte er Elizabeth an. Sie hatte nicht nur tolle Haare, sie hatte tatsächlich auch tiefgrüne Augen. Hexenaugen. Ihr Mund war voll, rot und sah verlockend weich aus. Und ihre Brüste erst, prall und rund und überaus üppig… William Darcy war augenblicklich verloren. So sehr verloren, daß ihm gar nicht auffiel, daß Elizabeth ihn aus eisigen Hexenaugen anblickte.

„Sehr erfreut, Liz," murmelte William heiser und kam langsam ins richtige Leben zurück. Anne Darcy hingegen war Elizabeths Blick sehr wohl aufgefallen. Sie war gespannt, was hinter dieser Geschichte steckte. Hoffentlich war Liz Bennet keine ‚Ex-Beziehung' ihres Sohnes!

Liz hingegen nickte nur kühl und schwieg. Sie starrte William herausfordernd an, bis dieser nervös wurde und die Stirn runzelte. Sollte ich sie von irgendwo kennen? Nein, diese Haare wären mir in Erinnerung geblieben!

„Ich hätte nicht im Traum vermutet, daß Professor Fitzwilliam ihre Mutter ist, Mr. Darcy," sagte sie schließlich kühl.

„Oh, das ist oft verwirrend für die Leute," sagte Anne an seiner Stelle. „Ich habe in wissenschaftlichen Kreisen meinen Mädchennamen beibehalten."

Liz sah sie an. „Verstehe. Ich hatte für einen Moment gedacht, sie hätten ihn adoptiert."

William schluckte hart. Warum war diese Frau so unhöflich?

„Adoptiert, Liz?" Anne lachte.

„Nun ja, ich hatte vor kurzem das zweifelhafte Vergnügen, ihren Sohn kennenzulernen."

William bekam große Augen. Er wußte, er kannte sie! Aber woher bloß?

Elizabeth sah ihn kühl an. „Natürlich, sie erinnern sich nicht. Soll ich ihnen auf die Sprünge helfen? Sagt ihnen Georgia Street etwas? Kundenparkplatz? Abschleppwagen vielleicht?" Ihre Stimme war gegen Ende regelrecht ätzend geworden und Anne hob gespannt die Augenbrauen. Was hatte der Junge bloß wieder angestellt?

William schüttelte ungläubig den Kopf und murmelte tatsächlich etwas, das sich nach ‚Brillenschlange' anhörte. Elizabeth hatte es gehört und ihr Blick wurde noch um einige Grad kälter. „Vertrocknete, unbefriedigte Brillenschlange, wennschon!" zischte sie.

William wurde bleich. Diese Göttin sollte die hysterische Studentenschnepfe aus dem Buchladen sein? Es war nicht zu glauben.

Anne hatte den seltsamen Wortwechsel zwischen den beiden erst amüsiert und dann nachdenklich verfolgt. Ihr Sohn hatte Liz offenbar vor einiger Zeit beleidigt, soviel hatte sie verstanden, aber das würde sie später mit ihm klären. Es tat ihr sehr leid, daß Liz nun so aufgebracht war. Sie nahm ihren Arm, bedeutete William, sie kurz in Ruhe zu lassen und führte Liz an den Rand des Saales. William blickte den beiden nach, immer noch unsäglich verblüfft und ganz und gar ungläubig. Die Chancen, dieses Zauberwesen intimer kennenzulernen, waren wohl vorläufig erst einmal zunichte gemacht.

Anne ließ das Thema Liz gegenüber fallen. Sie hatte sich sehr gefreut, daß sie ihrer Einladung gefolgt war und wollte die Gelegenheit nutzen, mit ihrer ehemaligen Studentin zu plaudern. Mit ihrem Sohn würde sie später Schlitten fahren, sollte er sich tatsächlich so unmöglich benommen haben. Aber Liz konnte nicht so schnell umschalten.

„Es tut mir sehr leid, Professor Fitzwilliam. Ich hätte das nicht sagen sollen mit der Adoption, das war äußerst ungehörig. Bitte entschuldigen sie."

Anne drückte ihre Hand. „Nein, mir tut es leid. Ich wußte nicht, daß sie meinen Sohn kennen. Ich hatte auch nicht geahnt, daß ihnen mein ‚richtiger' Name unbekannt ist."

Liz seufzte. „Ich kenne ihren Sohn gar nicht mal richtig. Eigentlich nur durch Zufall. Wir hatten Anfang der Woche nur eine kleine Meinungsverschiedenheit, die etwas eskaliert ist, mehr nicht."

„Wollen sie es mir erzählen, Liz?" fragte Anne leise.

Liz berichtete ihr kurz von dem Vorfall und Williams abschließender Beleidigung. Annes Miene verfinsterte sich zusehends. „Ich hatte keine Ahnung, daß mein Sohn so ein Rüpel sein kann," sagte sie und warf ihrem Sprößling, der in einiger Entfernung stand und sie neugierig beobachtete, einen finsteren Blick zu." Und jetzt verstehe ich auch, was sie mit Adoption gemeint haben," lächelte sie etwas traurig.

Liz wurde rot.

„Nein, nein, schon in Ordnung, Liz. Eine Mutter sieht die Taten – und Untaten – ihrer Kinder offenbar meist in einem besseren Licht als sie wirklich sind." Sie seufzte. „Es tut mir sehr leid. Ich hatte mich so darauf gefreut, mich endlich mal wieder ausgiebigst mit ihnen unterhalten zu können, Liz. Aber unter diesen Umständen kann ich ihnen die Anwesenheit meines Sohnes kaum zumuten."

„Ich wollte ihnen keineswegs den Abend verderben, Professor Fitzwilliam, bitte entschuldigen sie. Aber ich muß sowieso jetzt gehen, fürchte ich."

Mit gegenseitigen Versicherungen, sich wieder einmal zu melden, gingen die beiden Frauen auseinander. Liz zu ihrem Auto, Anne zu ihrem Sohn.

William hatte Liz enttäuscht nachgesehen, als sie den Raum verließ. Insgeheim hatte er gehofft, daß seine Ma ihm mehr oder weniger den Weg bereiten würde und er doch noch eine Chance bekäme, sich mit Liz wieder zu versöhnen. Aber der unheilvolle Blick in den Augen seiner Mutter war ihm Antwort genug. Er wußte, sie war wütend. Und zwar auf ihn.

„Laß uns gehen," sagte sie nur und zog ihn nach draußen.

Als sie im Wagen saßen, brach Anne das Schweigen. „Willst du mir deine Version erzählen?"

William wußte, Ausflüchte waren zwecklos. Er seufzte innerlich und erzählte seiner Mutter, was vorgefallen war. Anne war froh, daß seine Geschichte mit der von Liz übereinstimmte. Zumindest war ihr Sohn ehrlich zu ihr.

„William Alexander Darcy, was habe ich in deiner Erziehung falsch gemacht? Hast du dich in Harvard erst zum Rüpel entwickelt? Ist das der amerikanische Einfluß? Ich hatte immer den Eindruck, wohlerzogene, höfliche Kinder zu haben, aber dein Verhalten Liz gegenüber gibt mir mehr als zu denken."

William haßte es, wenn seine Ma wütend auf ihn war. Er wußte, sie war es nie grundlos.

„Ich kann es nicht erklären, Ma. Ich weiß, es war nicht richtig, mich auf den Parkplatz zu stellen und noch unmöglicher war es, Miss Bennet zu beleidigen. Es tut mir leid."

„So, es tut dir leid. Das solltest du mal besser Liz selbst sagen, mein Junge. Du hast sie wirklich sehr verletzt."

William brummte irgendeine unverständliche Antwort.

„Und wie kommst du überhaupt darauf, sie vertrocknete Brillenschlange zu nennen? Es gibt kaum eine junge Frau, auf die diese Bezeichnung weniger zutrifft. Hast du denn keine Augen im Kopf?"

„Sie sah heute abend sehr verändert aus. Nicht diesen Schlabberlook, die Haare offen, diese alberne Brille hat gefehlt…"

„Was meinst du mit Schlabberlook und alberner Brille? Elizabeth Bennet sah noch nie anders aus als heute abend, William. Sie ist eine sehr intelligente, attraktive junge Frau, und offenbar auch sehr sensibel, da sie immer noch an deiner dämlichen Bemerkung zu knabbern hat. Ich hatte mich ehrlich gesagt darauf gefreut, euch heute miteinander bekannt zu machen. Es kann dir nicht schaden, auch mal Frauen kennenzulernen, die nicht nur aus Körper bestehen, William Darcy!" William zuckte zusammen.

„Aber sehr schade, diese Gelegenheit ist wohl nun endgültig verpaßt."

William haßte es, wenn seine Mutter unzufrieden mit ihm war. Und noch viel schlimmer, sie hatte ja recht. Er faßte den Entschluß, am Montag gleich morgens zum Buchladen zu fahren und sich in aller Form bei Miss Bennet zu entschuldigen.