Kapitel 3

Wenn die ‚Parkplatzaffäre' etwas Positives gebracht hatte, dann die Tatsache, daß Liz viel über sich selbst nachgedacht hatte und widerwillig zu dem Schluß gekommen war, daß William-arroganter-Mistkerl-Darcy nicht einmal so unrecht hatte. Sie sah tatsächlich unmöglich aus. Sie gestand sich ein, daß sie den Abend am Institut genossen hatte (bevor sie IHN wiedersah). Sie hatte nette Gespräche gehabt, sich in ihrem neuen Outfit super wohlgefühlt und war regelrecht erschrocken, daß ER sie nicht einmal wiedererkannt hatte. Seine interessierten Blicke waren ihr nicht entgangen und ganz ehrlich, welche Frau genoß so etwas nicht, auch wenn es von einem arroganten, von sich selbst überzeugten Mistkerl wie William Darcy kam!

Also wurden die sackartigen Gewänder inklusive Riesenbrille in die Tonne getreten und sehr zu Janes und Charlottes Freude verwandelte sich Elizabeth Bennet zurück in das, was sie eigentlich schon immer gewesen war: eine attraktive, junge Frau. Von vertrockneter, unbefriedigter Brillenschlange war ab sofort nichts mehr zu sehen.

Jane hatte Liz am Montag morgen zum Buchladen mitgenommen. Sie wollte ihr heute abend ihre neue ‚Beziehung' vorstellen und würde sie gleich nach Ladenschluß wieder abholen. Charlotte war diese Woche in Urlaub und Liz hatte soeben den Laden geöffnet und sich daran gemacht, eine brandneue Lieferung aus England auszupacken. Ihr Herz ging auf, als sie den Inhalt sah: Eine wundervolle Edition sämtlicher Werke Jane Austens in zweifacher Ausführung. Lächelnd blätterte sie die Bücher vorsichtig durch, erfreute sich an den wundervollen Illustrationen und der edlen Ausstattung und hatte gar nicht bemerkt, daß sie einen Kunden hatte.

Der Kunde stand an der offenen Tür und genoß still den Anblick, der sich ihm bot. Wie Liz liebevoll über die Seiten strich, die dunkelroten Haare immer wieder in die Stirn fallend, so vollkommen in ihrer Welt gefangen. Er hätte sie stundenlang beobachten können. Als er sich schließlich räusperte, schrak Liz auf und blickte in die amüsierten Augen William Darcys.

„Wie lange stehen sie schon da?" fragte sie unhöflich.

Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Grade eben erst gekommen." Er musterte sie beifällig, als er näher trat. Sie trug enge, schwarze Jeans und eine helle, sommerliche Bluse, die den Ansatz ihrer vollen Brüste zeigte und auch sonst sehr phantasieanregend war. Die gräßliche Brille war glücklicherweise verschwunden und ihre grünen Hexenaugen sahen ihn herausfordernd an.

William wußte, daß er mit seinem Charme bei ihr nicht weit kommen würde. Dieser Fall war komplizierter und eine ziemliche Herausforderung für ihn. Eine wahrhaft willkommene Abwechslung – normalerweise war die ‚Jagd' auf Frauen ein eher langweiliges Geschäft – sie leisteten so gut wie nie Widerstand.

„Miss Bennet, ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen," sagte er leise. „Was ich getan und gesagt habe, tut mir sehr, sehr leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist letzte Woche, so bin ich normalerweise nicht erzogen worden. Ich habe meinem Namen wahrhaft keine Ehre gemacht. Bitte verzeihen sie mir."

Er schenkte ihr seinen besten Hundeblick und sah sie erwartungsvoll mit seinen dunklen Augen an. Liz war überzeugt, daß seine Mutter ihn zu dieser Aktion hier gezwungen hatte und nickte nur. „Entschuldigung akzeptiert."

William lächelte schüchtern. „Darf ich es wiedergutmachen?" fragte er. „Darf ich sie zum Essen einladen?"

Sie hatte es geahnt. Aber nichts in der Welt konnte sie dazu bringen, mit ihm auszugehen. Niemals.

„Danke, aber das möchte ich lieber nicht."

William war ehrlich verblüfft. Sie lehnte ihn ab? Sie lehnte ihn tatsächlich ab?

„Oh, bitte weisen sie mich nicht ab, Miss Bennet. Ich habe sonst das Gefühl, daß sie noch immer böse auf mich sind."

„Mr. Darcy, ich habe ihre Entschuldigung akzeptiert. Ich bin nicht mehr böse. Aber bitte gehen sie jetzt."

Er warf ihr einen traurigen Dackelblick zu und ging zur Tür. „Auf Wiedersehen, Miss Bennet."

Liz schloß erleichtert die Augen, als er ging.

William saß wenige Augenblicke später in seinem Porsche und grinste. Die Sache begann ihm Spaß zu machen.

Liz hatte irgendwie keine Lust, Janes neueste Eroberung heute abend zu treffen, aber sie konnte schlecht absagen. Als sie am Abend neben ihrer euphorischen Schwester im Auto saß, war ihre Stimmung auch schon viel besser.

„Ich bin so gespannt, was du von ihm hältst, Lizzy."

Liz wußte, daß ihre Schwester sich nur schwer richtig ernsthaft verliebte und sagte ihr, er müsse schon etwas besonderes sein.

Als sie das Restaurant betraten, trat ein junger Mann auf sie zu. Er strahlte Jane regelrecht an, dann lächelte er Liz freundlich zu, als sie ihm vorgestellt wurde. Liz mochte Charles Bingley auf den ersten Blick.

Das Essen verlief in einer harmonischen, lustigen Stimmung. Charles war ein fröhlicher, charmanter Bursche und Liz gefiel, wie sehr er sich um ihre Schwester bemühte. Wie sie später erfuhr, war er darüber hinaus noch sehr wohlhabend – sein Vater war Inhaber einer großen Cateringfirma und Charles leitete die Niederlassungen im Westen Kanadas mit Sitz in Vancouver.

Nach dem Essen stellte sich heraus wie geschickt es gewesen war, mit zwei Autos zu fahren. Liz, die spürte, daß die beiden Turteltauben gerne noch ein bißchen Zeit für sich alleine hätten, schlug vor, daß Charles Jane später nach hause fahren sollte. Sie entschuldigte sich mit einem anderen Termin, was zwar gelogen war, aber die beiden ließen sie widerstandslos gehen.

Liz war nicht böse um ein bißchen Zeit für sich alleine. Sie fuhr nach hause, setzte sich mit einem Glas Wein auf den Balkon und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Gegen ihren Willen dachte sie an William Darcy. Sie nahm ihm keine Sekunde lang ab, daß seine Entschuldigung heute morgen ernst gemeint war. Wie lange mochte er wohl im Laden gestanden haben, bevor sie ihn bemerkt hatte? Warum hatte er sie so lange schweigend angestarrt?

Sie gestand sich ein, daß er ein sehr attraktiver Mann war. Sein Lächeln konnte Butter zum Schmelzen bringen, von Frauenherzen ganz zu schweigen. Liz wußte nicht, ob und was er von ihr wollte, aber sie wußte, sie fühlte sich unwohl in seiner Nähe. Er war so von sich selbst überzeugt, so arrogant und offenbar der Meinung, daß er jede Frau in sein Bett bekam, die er haben wollte. Das mochte auf andere zutreffen, aber Liz würde er nicht ködern. Sie fand ihn ganz abscheulich, mochte er noch so gut aussehen. Sein einstudierter Schlafzimmerblick war an sie verschwendet. Insgeheim hatte sie sogar ein klein wenig Angst vor ihm. Und daß die von ihr so verehrte Anne Fitzwilliam seine Mutter war, hatte sie mehr geschockt als sie zugeben wollte.

Am nächsten Morgen hatte sie kaum den Laden geöffnet, als William Darcy höchstpersönlich schon wieder vor ihr stand. Er lächelte schüchtern und begrüßte sie höflich. Sie grüßte kühl zurück, sagte aber sonst nichts. Was für ein Schauspieler!

„Darf ich mich etwas umschauen?" bat er.

Liz nickte wortlos. Das konnte sie ihm schlecht verbieten.

Er schenkte ihr ein dankbares Lächeln und wandte sich den Regalen zu. Einige Minuten lang widmete er sich mit konzentrierter Miene dem Angebot, während er in Wahrheit immer wieder Liz begutachtete. Wieder sah sie zum Anbeißen aus. Diesmal trug sie ein luftiges, ärmelloses Sommerkleid, das ihre gebräunten Schultern und Arme gut zur Geltung brachte. Wieder war der Ausschnitt sehr raffiniert und die Haare – diesmal elegant hochgesteckt – gaben den Blick auf ihren delikaten Nacken frei. Bevor William sich weiteren Fantasien hingeben konnte, die im Endeffekt immer in seinem Bett endeten, kam er zur Besinnung.

Mit einem gespielt resignierten Seufzer wandte er sich Liz zu, die gerade eine Lieferung auspackte, sich dabei bückte und William unbewußt ihre appetitanregende Rückseite bot. Er riß sich zusammen.

„Miss Bennet, darf ich sie um ihre Hilfe bitten," sagte er und sah sie aus seinen warmen braunen Augen bittend an. „Meine Mutter hat bald Geburtstag und ich möchte ihr etwas außergewöhnliches schenken. Sie liebt ja Schiller über alles, hat natürlich auch schon viele schöne Ausgaben von ihm, aber ich möchte gerne etwas ganz spezielles, ausgefallenes. Können sie mir helfen?"

Das war ein wahrhaft cleverer Schachzug. Er wußte genau, auf diesem Gebiet würde sie reagieren. Was Elizabeth allerdings nicht wußte und auch nie geglaubt hätte war, daß William selbst Bücher über alles liebte. Er trug sehr viel dazu bei, daß die ohnehin schon beeindruckende Bibliothek in seinem Elternhaus immer weiter anwuchs. Liz hingegen hätte ohne zu zögern ihr komplettes Vermögen verwettet, daß er noch nicht einmal wußte, wie man Friedrich Schiller buchstabierte. Zu ihrem großen Glück bot niemand ihr diese Wette an.

Liz fühlte sich auf heimischem Terrain und da sie Anne Darcy auf diesem Gebiet ganz gut einzuschätzen vermochte, konnte sie William auch vernünftige Vorschläge machen. In der Tat hatte sie eine wundervolle Ausgabe von Schillers gesammelten Werken in zehn wunderschönen Bänden anzubieten. Die Bücher waren so empfindlich und wertvoll, daß sie sie in einem geschlossenen Schrank aufbewahrte. Sie führte William in den hinteren Teil des Ladens und zeigte ihm die Bände. Es war dort etwas eng und William, erfreut über die unerhoffte Gelegenheit, rückte ihr natürlich so weit es ging auf die Pelle. Natürlich nur, um sich die Bücher besser anschauen zu können!

Als er die Ausgaben sah, vergaß er für einen Augenblick, daß er Liz eigentlich verführen wollte. Mit ehrlicher Begeisterung fragte er, ob er einen Band anfassen und durchblättern durfte. Liz, über sein plötzlich so ganz anderes Verhalten erstaunt, nickte und zog Band 1 heraus.

William nahm das Buch äußerst vorsichtig in die Hände. Behutsam öffnete er den Einband und blätterte langsam durch die Seiten. Liz hatte recht, es handelte sich um eine außergewöhnlich gut erhaltene Ausgabe. Sie beobachtete ihn aufmerksam. Wie er mit dem Buch umging gefiel ihr, es zeigte Sachverstand und Liebe zu dem wertvollen Stück. Dieser Band beinhaltete Teil 1 der Gedichte Schillers und die Schrift war in altdeutschem Sütterlin gehalten. Ihre Verblüffung kannte keine Grenzen, als er anfing, in völlig akzentfreiem Deutsch die ersten Zeilen der „Glocke" vorzulesen und schlug in offene Bewunderung um, als er die nächsten Zeilen rezitierte, ohne auf den Text zu schauen. Wow, sie hatte ihn wohl etwas unterschätzt.

„Können sie das ganze Gedicht auswendig?" fragte Liz neugierig. Darcy lächelte. „Ooch…glaube nicht, vielleicht, ich kriege wahrscheinlich ein paar Verse zusammen, wenn ich mich anstrenge."

Immer schön bescheiden bleiben! Sie mußte ja nichts von der albernen Wette wissen, die er vor ein paar Jahren gegen seine Mutter verloren hatte und als Wetteinsatz hatte er die komplette Glocke auswendig lernen müssen. Er konnte es immer noch.

„Was meinen sie, Miss Bennet, das könnte meiner Mutter gefallen, oder?" fragte er leise. „Die Ausgaben sind wirklich wunderschön."

„Ja, sind sie. Ich fürchte, sie sind praktisch unverkäuflich, es ist wirklich nur etwas für absolute Liebhaber. Ich muß sie darauf hinweisen, daß ein Band 250 Dollar kostet."

William lächelte. Als würde Geld eine Rolle spielen. Aber er hatte eine grandiose Idee.

„Das ist in der Tat ein stolzer Preis. Verkaufen sie die Bände denn einzeln?"

„Ungern, aber wenn es sein muß, schon." Die Chancen, daß jemand in Vancouver 2500 Dollar für zehn alte Bücher, und die auch noch in alter deutscher Sprache, hinlegte, war äußerst gering in der heutigen Zeit. Innerlich brach es ihr das Herz, die Sammlung auseinanderreißen zu müssen.

„Dann nehme ich Band 1."

Liz nickte und schloß den Schrank wieder zu. William nahm den Band und wollte ihn zur Kasse bringen, als sein Blick auf ein weiteres Regal fiel. Märchenbücher. Vorsichtig legte er den Schiller ab und zog einen opulenten Band aus dem Regal. Grimms Märchen, in einer wunderschönen Ausgabe. Bewundernd betrachtete er die meisterhaften Illustrationen. Auch dieses Buch war ein deutsches Original.

Liz trat zu ihm. Märchenbücher! Dieser Mann verblüffte sie von Minute zu Minute mehr.

William drehte sich zu ihr um. „Meine kleine Schwester liebt Märchen. Sie hat von klein auf eine ganz wundervolle Sammlung von Märchenbüchern angelegt – ich werde mal nachsehen, ob sie etwas ähnliches bereits hat." Hat sie natürlich nicht, aber ich kann wenigstens nochmal herkommen.

Er machte eine Kopfbewegung zu dem Buch in seiner Hand und stellte es behutsam wieder ins Regal.

„Sie haben wirklich ein ganz wundervolles Sortiment, Miss Bennet," fuhr er fort und folgte ihr zur Kasse.

Er schien es ehrlich zu meinen. Liz dankte ihm, gab ihm seinen Kreditkartenbeleg und packte das Buch vorsichtig in stabiles Papier ein.

William schenkte ihr ein fast schüchternes Lächeln, nahm sein Buch an sich und verabschiedete sich höflich.

Liz hatte wieder etwas zum Nachdenken.

Während William seinen Porsche zum Pan Pacific Hotel lenkte. In seiner Suite packte er das Buch vorsichtig aus und sah es sich genauer an. Ganz wundervoll. Seine Mutter würde die Bände lieben, das wußte er. Noch neun Besuche bei Miss Bennet standen vorerst an – danach sollte auch eine ‚eiserne Jungfrau' wie sie davon überzeugt sein, daß sie ihn haben wollte.

William ging mit einer Flasche Wasser auf die Dachterrasse und genoß einmal mehr den beeindruckenden Blick über den Hafen von Vancouver und das Burrard Inlet. Unter ihm hatten zwei große Kreuzfahrtschiffe am Canada Place festgemacht und ein ganzes Heer Arbeiter war damit beschäftigt, die Bäuche dieser Schiffe mit Proviant zu füllen. Stundenlang hätte er ihnen dabei zusehen können.

William war froh, daß er wieder in der Stadt war. An der Universität hatte er zwar eine Menge Spaß gehabt, höchstwahrscheinlich auch ein paar gebrochene Herzen zurückgelassen, aber seine Heimat war hier, hier gehörte er hin.

Seine Gedanken wanderten wieder zurück in den kleinen Buchladen und seiner so widerborstigen Besitzerin. War sie wirklich so nachtragend oder mochte sie ihn tatsächlich nicht? Eine vollkommen neue Erfahrung für William Darcy, der es gewohnt war, daß die Frauen ihm in Scharen nachliefen. Es kam ihm fast so vor, als würde sie sich vor ihm fürchten, aber wenn es um Bücher ging, schien sie ein wenig aufzutauen. Es gefiel ihm, daß sie ihren Schlabberlook und vor allem diese schreckliche Brille aufgegeben hatte.

Sie hatte etwas an sich, was ihn unwiderstehlich anzog, was er aber nicht genau erklären konnte und über reine Äußerlichkeiten hinausging. Etwas, was seine beschützerischen Instinkte weckte. Etwas, was er vorher noch nicht in dieser Form gekannt hatte. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als sie in sein Bett zu bekommen, aber tief im Innern wußte er, da war noch etwas anderes.

William schüttelte ungeduldig den Kopf. Unsinn. Es waren wahrscheinlich ihre grünen, geheimnisvollen Hexenaugen, die ihm die Sinne verwirrten. Entschlossen nahm er sein Mobiltelefon an sich und blätterte langsam durch das Adreßbuch. Über eine Woche hatte er jetzt abstinent gelebt, es war mal wieder Zeit für ein bißchen Abwechslung.

Als er zwei Stunden später die Wohnung seiner „Abwechslung" verließ, fühlte er sich nicht so gut und entspannt, wie es hätte sein sollen. Nachdenklich saß er einige Minuten in seinem Porsche und grübelte verwirrt darüber nach, warum er eben ‚oh Lizzy' gerufen hatte, als er zum Höhepunkt gekommen war.