William kam jeden Tag pünktlich um halb zehn zu Elizabeths Buchladen. Jeden Tag nahm er einen Band der Schillerausgaben mit und jeden Tag taute Liz ein bißchen mehr auf. Mittlerweile führten sie recht angenehme Gespräche über Literatur und ab Donnerstag bot sie William sogar Tee an. Auf dem Gebiet der Literatur fühlte sie sich sicher und konnte fast unbefangen mit ihm reden, war sehr verblüfft aber angenehm überrascht von seiner Sachkenntnis. Aber sobald er versuchte, ihre Gespräche auf eine etwas privatere Ebene zu lenken, blockte sie sofort ab.
William zwang sich zu Geduld, Liz war verwirrt.
Am Samstag morgen öffnete Liz erst um halb elf. Sie war heute etwas später dran als sonst und mußte widerwillig schmunzeln, als sie William um zehn Uhr bereits vor dem verschlossenen Laden vorfand. Er hatte eine große Papiertüte von Tim Horton's dabei und winkte ihr zu. Bewundernd musterte er sie, als sie näherkam. Heute trug sie Shorts, darüber ein dünnes Top, das ihre vollendeten Kurven einmal mehr perfekt zur Geltung brachte. Sie hatte sich heute dafür entschieden, da der Tag fürchterlich heiß zu werden versprach und der Laden bis auf einen alten Ventilator nicht klimatisiert war. William fand, sie sah sehr, sehr sexy aus.
„Ich fürchte, ich hab mich ein wenig in der Zeit vertan," sagte er verlegen. „Darf ich trotzdem schon mit reinkommen? Ich hab Donuts mitgebracht."
Liz mußte lächeln. Sie ließ ihn eintreten und schloß die Tür hinter ihnen wieder ab. Hmmm…sie liebte Donuts!
„Kaffee oder Tee?" rief sie aus dem Nebenzimmer.
„Oh…Kaffee, wenn es keine großen Umstände macht." William trat zu ihr in den kleinen Raum, in dem neben einigen Bürogeräten und anderen Dingen wie Ordnern etc. auch eine winzige Küche untergebracht war.
„Nein, macht keine Umstände. Charlotte, meine Mitarbeiterin, ist die Kaffeefetischistin unter uns und hat dieses luxuriöse Monster hier spendiert." Sie deutete auf einen Kaffeeautomaten, der mit ganzen Bohnen gefüllt war und jede Tasse einzeln frisch zubereitete. „Milch und Zucker?"
„Danke, ich trinke schwarz."
Liz reichte ihm seine Tasse und brühte sich ihre eigene, in die sie eine Menge Milch goß. Sie deutete zu dem kleinen Tisch am Fenster und sie ließen sich nieder. William öffnete seine Donuttüte und Liz lächelte geradezu genießerisch. „Tim Horton's Maple Donuts. Ich gestehe, dafür würde ich Morde begehen."
Hey, das war das erste mal, daß sie nicht über Bücher redete! Diese Chance mußte genutzt werden, wenn auch sehr, sehr vorsichtig.
„Echt? Das sind auch meine Favoriten," sagte William, was nicht ganz stimmte. Er war ein ausgewiesener Süßschnabel und aß schlicht und ergreifend alles, was es an Süßkram gab. Die Bemerkung war jedoch ein Fehler.
„Oh, dann nehme ich einen mit Schokolade, sorry."
William hätte sich selbst treten können. „Nein, ich bestehe darauf, daß sie alle Maples essen," verlangte er kategorisch und legte ihr einen davon ungefragt auf den Teller.
Liz lächelte ihn verlegen an und William blieb bei diesem Anblick fast das Herz stehen. Er hatte nur noch den vollkommen irrationalen Wunsch, sie in die Arme zu schließen und sie nie mehr loszulassen. Was zum Teufel war bloß in ihn gefahren?
Liz bemerkte, daß er sie anstarrte und fühlte sich mit einem mal unwohl. Sie runzelte die Stirn. War es ein Fehler gewesen, ihn reinzulassen? Sie hatte die Tür dummerweise abgeschlossen und hier hinten würde keiner ihre Schreie hören…
William kam mit einem Ruck wieder in die Realität zurück. Ganz recht, Darce, mach ihr Angst! fluchte er innerlich und setzte sein offenstes Lächeln auf.
Er suchte verzweifelt nach einem möglichst unverfänglichen Thema, das nichts mit Büchern zu tun hatte und nicht zu persönlich war. Schwierig, schwierig… Liz kam ihm zuvor.
„Was machen sie an einem solchen Tag wie diesem in der Stadt?" fragte sie. „Keine Lust, an den Strand zu gehen bei dieser Hitze?"
„Nicht um diese Uhrzeit. Und heute wird sicher die Hölle da draußen los sein." Dann lieber am heimischen Swimmingpool rumlungern…
Liz nickte nachdenklich. „Ich mag den Betrieb tagsüber auch nicht, aber ich liebe es, abends am Meer spazierenzugehen. Glücklicherweise wohne ich in der Nähe der Küste."
William nahm alle diese kleinen privaten Bemerkungen in sich auf und speicherte sie sorgfältig.
„Ich hatte mal eine zeitlang mit dem Gedanken gespielt, ein Haus in Kitsilano zu kaufen, das ist einiges zentraler als West Vanc., wo meine Eltern leben, aber bin dann doch davon abgekommen."
Liz sah ihn überrascht an. „Ich wohne in Kitsilano, zusammen mit meiner Schwester. Hat ihnen die Gegend nicht gefallen?"
Treffer!
„Oh doch, schon. Aber dann hat mir mein Dad vorgeschlagen, ein Zimmer im Pan Pacific zu beziehen, wenn ich in der Stadt sein muß und das hab ich angenommen." Zimmer! Die größte Suite des Hotels traf es schon eher.
Liz kam wieder zu Bewußtsein, daß sie es hier mit einem der reichsten Männer Kanadas zu tun hatte. Seiner Familie gehörte das Pan Pacific schließlich, und nicht nur das. Die Darcys hatten Beteiligungen an den besten Häusern im ganzen Land, einige gehörten ihnen komplett. Und sie saß hier mit ihm in ihrem kleinen Büro und verspeiste seine Ahorn Donuts! Allerdings mußte sie sich eingestehen, daß er ganz nett sein konnte, wenn er wollte. Auch gefielen ihr sein ehrliches Interesse an Büchern und ihre Diskussionen über Literatur auf hohem Niveau. Aber warum kam er jeden Tag hierher? Es wäre ihm ein leichtes gewesen, alle zehn Ausgaben auf einmal zu erstehen. Und heute brachte er sogar Donuts mit und sie saßen hier gemütlich zusammen und plauderten. Und zwar nicht über Bücher. Zu allem Überfluß gefiel ihr das sogar. Aber was zum Teufel wollte er von ihr? Und was machte er, wenn er alle zehn Bände gekauft hatte?
William versuchte vorsichtig, noch weitere private Informationen aus Liz herauszukitzeln und als er fünfzehn Minuten später mit seinem sechsten Schillerband den Laden verließ, hatte er schon wieder ein wenig mehr über sie in Erfahrung gebracht. Fürs erste zufrieden mit sich selbst, fuhr er zurück nach West Vancouver um den restlichen heißen Tag am heimischen Swimmingpool zu vertrödeln.
Am nächsten Donnerstag war es dann soweit: Der letzte Band der Schillerausgaben wechselte den Besitzer. William hatte sich Gedanken gemacht, wie er Liz weiterhin sehen konnte, ohne sie mit Dinnereinladungen oder ähnlichem zu verschrecken. Er wußte instinktiv, sie würde (noch) nicht mit ihm ausgehen. Ihre Gespräche waren zwar mit der Zeit lockerer geworden, aber er spürte, daß sie noch nicht so weit war, um ihn privat und alleine zu treffen.
Es fiel ihm über die Maßen schwer, sich zurückzuhalten. Am Dienstag hatte es einen kleinen Zwischenfall gegeben: Liz hatte ein Buch von der Balustrade holen wollen, war auf der schmalen Stiege ausgerutscht und die letzten drei Stufen heruntergefallen. Zufälligerweise stand er dort und konnte sie in letzter Sekunde auffangen. Mehrere Augenblicke hielt er sie fest in seinen Armen. Sie beruhigte sich nur sehr langsam und zitterte vor Schreck am ganzen Körper. William konnte ihren rasenden Herzschlag an seiner Brust spüren und strich ihr zärtlich über den Rücken, beruhigende Worte vor sich hinmurmelnd. Was für ein Gefühl! William hätte den Rest des Tages hier so mit ihr stehen können, sie in den Armen haltend, ihren Rücken streichelnd. Oh wie gerne er sie geküßt hätte! Diese vollen, roten Lippen… nur einmal. Ein einziges mal. Er schloß die Augen und schluckte hart. Hör auf, Darcy, du machst alles kaputt! sagte er streng zu sich selbst. Schließlich machte Liz sich von ihm los und bedankte sich verlegen. Sie blickte in seine dunklen Augen, die ihren Blick mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Sorge erwiderten. Bedauernd ließ er sie los, zahlte seinen achten Band Schiller und ging.
Liz war den Rest des Tages vollkommen in Gedanken gewesen. Sie gestand sich widerwillig ein, daß es sich gut angefühlt hatte, von William gehalten zu werden. Sehr gut sogar. Sie war ihm regelrecht von der dämlichen Treppe in die Arme gefallen, in die starken Arme, und hatte sich seltsam geborgen und beschützt gefühlt. Er hatte sie gestreichelt und an sich gedrückt, sie konnte sogar seine Erektion spüren, wie sie sich mit schamrotem Gesicht erinnerte. Aber das verwirrendste waren seine dunklen, warmen Augen gewesen, sein Blick, so voller Liebe. Hätte er sie in diesem Moment geküßt, sie hätte sich nicht gewehrt…
Liz schüttelte unwillig den Kopf. Dummes Zeug. Er war einfach nur nett gewesen, schließlich konnte er sie schlecht auf den Boden knallen lassen, wenn er schon einmal dort stand. Daß sie den Körperkontakt angenehm fand war ja auch kein großes Wunder, schließlich hatte sie schon seit längerer Zeit keine engere Beziehung mehr gehabt und William Darcy war unbestritten ein sehr attraktiver Mann. Welcher Frau würde das nicht gefallen?
Und genau das war das Problem: Zu vielen Frauen für ihren Geschmack. Einen Mann wie ihn hätte man niemals für sich alleine. Und da Elizabeth Bennet schon einmal von einem Mann bitter enttäuscht worden war, war sie irgendwie froh darüber, daß heute der zehnte Tag war und William ab morgen keinen Grund mehr hatte, in den Laden zu kommen.
William hatte sich vergebens den Kopf zerbrochen. Er konnte morgen nochmal kommen und nach dem Märchenbuch fragen, aber das wäre nur ein Aufschub und keine richtige Problemlösung. Vielleicht wäre es tatsächlich das beste, erst einmal einige Zeit verstreichen zu lassen und den Laden erst in ein paar Wochen wieder aufzusuchen. Oder ein paar Tagen, Wochen war ihm definitiv zu lang. Möglicherweise freute sie sich dann, ihn zu sehen und wäre einem privaten Treffen nicht mehr so abgeneigt. Schließlich wären sie dann so was wie alte Bekannte. Oder ihm fiel bis dahin noch eine tolle Idee ein.
Liz packte also den zehnten Schillerband ein und überreichte William seinen Beleg. „Werden sie mir irgendwann einmal verraten, was ihre Mutter dazu gesagt hat?" fragte sie leise. William hätte sie küssen können. Sie bot ihm die Gelegenheit ja geradezu an! Ha!
„Sehr gerne! Sie hat am Sonntag Geburtstag." Mit Absicht ließ er offen, wie er sie darüber zu informieren gedachte. Er bedankte sich noch einmal herzlich bei Liz für die exquisite Beratung und mit einem „hoffentlich bis bald" sowie einem langen, innigen Blick verließ er den Laden.
Charlotte kam vom Büro in den Laden und sah ihre Freundin verwundert an, die ganz in Gedanken versunken hinter der Kasse stand. „Raus mit der Sprache, was läuft zwischen dir und Mr. Hottie?" fragte sie neugierig.
„Mr. Hottie?"
„Liebes, der Bursche ist so heiß, da hilft auch kein Ventilator mehr." Ihr Blick fiel auf das altertümliche Gerät, daß sich langsam an der Decke drehte.
Liz seufzte. „Gar nichts läuft zwischen uns."
„Was ganz sicher nicht an ihm liegt! Der Junge fährt ziemlich auf dich ab, Liz."
Liz wurde rot. „Unsinn."
„Und warum kam er dann die vergangenen zehn Tage hierher, nur um jedesmal ein Buch aus einer Sammlung zu kaufen, die er problemlos an einem Tag hätte kaufen können? Weil er nichts besseres zu tun hat, schon klar." Charlotte schüttelte belustigt den Kopf.
„Keine Ahnung, Charlotte."
Liz entging weiteren inquisitorischen Fragen, als der Briefträger kam und sie in ihr Büro lief, um die Post durchzugehen.
