Kapitel 5

In der Post war eine Einladung der Universität zum traditionellen Sommerfest im Pacific Spirit Park, Samstag in einer Woche. Sie erzählte Jane am Abend davon und da Charles in dieser Zeit auf Dienstreise in Toronto sein würde, nahmen sie sich vor, zusammen hinzugehen.

Die Arbeitswoche bis zum nächsten Wochenende verging nur langsam. Es war immer noch sehr heiß in der Stadt und einige nächtliche Regen- und Gewitterschauer brachten nur wenig Abkühlung. Liz war innerlich etwas enttäuscht, daß William nach dem Geburtstag seiner Mutter nicht im Laden erschienen war, die ganze Woche über tauchte er nicht auf.

Sie schalt sich eine dumme Gans. Als hätte er jemals ernste Absichten gehabt, Elizabeth Bennet! Zehn Versuche, sie zu irgendetwas zu überreden, waren ja wohl genug und kein Wunder, daß er jetzt die Geduld verloren hatte. Daß er sie bei seinen zehn Besuchen im Laden zu absolut gar nichts hatte überreden wollen, verdrängte sie dabei gerne.

Auch der Samstag, an dem die Sommerparty stattfinden sollte, war ein wunderschöner Tag. Es war nicht übermäßig heiß und die Menschen strömten in Massen zum Pacific Spirit Park. Überall waren Getränkestände und Picknicktische aufgebaut, es gab allerlei zu essen und eine Menge an Unterhaltung für kleine und große Besucher. Liz und Jane waren am späten Nachmittag mit den Fahrrädern gekommen – Kitsilano war nicht weit entfernt – und bummelten langsam durch den riesigen Park. Unterwegs hatten sie eine Menge Bekannter getroffen und waren oft stehengeblieben, um einen kleinen Plausch zu halten, aber als es auf den Abend zuging, wollten sie sich ein ruhiges Plätzchen suchen um in Ruhe ihre Burger zu verspeisen.

Als sie zu den Picknicktischen kamen, glaubte Liz zuerst, William Darcy gesehen zu haben, aber eine Gruppe Inlineskater versperrte ihr den Blick. Als sie nochmal hinschaute, sah sie die Gestalt nur noch von hinten. Sie hatte tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit William, aber er konnte es nicht sein, denn diese Person hier schob langsam einen Rollstuhl vor sich her in dem ein junges Mädchen saß, soweit sie erkennen konnte. Sie zuckte mit den Schultern und folgte Jane zu einem der wenigen freien Tische.

Während Jane sich um die Burger kümmerte, kam der Mann, der den Rollstuhl geschoben hatte, wieder in Liz' Blickfeld. Zu ihrer großen Überraschung war es tatsächlich William. Er war noch ein paar Meter von ihr entfernt und Liz beobachtete, wie er sich immer wieder zu dem jungen Mädchen im Rollstuhl beugte und mit ihr sprach. Die beiden lachten über etwas und William küßte sie zärtlich auf die Stirn. Als die beiden in ihre Nähe kamen, rief Liz ohne zu überlegen laut seinen Namen und wurde knallrot, als er sich erstaunt nach dem fremden Rufer umwandte. Als er Liz erkannte, breitete sich ein erfreutes Lächeln auf seinem Gesicht aus und er winkte ihr zu. Kurz erklärte er offenbar dem Mädchen, wer sie war und nachdem sie zustimmend genickt hatte, schob er den Rollstuhl zu dem Picknicktisch.

„Miss Bennet, was für eine nette Überraschung!" sagte er und schenkte ihr wieder ein überaus herzliches Lächeln. Jane war in diesem Moment mit Burgern und Getränken beladen wieder an den Tisch gekommen und so stellten sie sich gegenseitig vor. Das Mädchen im Rollstuhl war Georgiana, Williams kleine Schwester. Nachdem man die Förmlichkeiten beiseite geschoben, sich auf Vornamen geeinigt und William Georgie vorsichtig aus dem Rollstuhl gehoben und auf die Picknickbank gesetzt hatte, entwickelte sich eine amüsante Gesprächsrunde.

Georgie war das genaue Gegenstück ihres Bruders. Er war dunkel, groß und kontaktfreudig, während sie blond, zierlich und etwas schüchtern war. Beiden gemeinsam waren die dunklen, unergründlichen Augen. Die Bennetschwestern mochten sie auf Anhieb, und zu Williams großer Freude taute seine Schwester im Verlauf des Abends mehr und mehr auf. Und auch Liz schien Spaß zu haben, so locker und entspannt hatte er sie noch nie gesehen. Auch heute abend war sie wieder unglaublich anziehend in ihren Jeans und dem enganliegenden T-Shirt. Er mußte sich sehr beherrschen, nicht den ganzen Abend ihre Brüste anzustarren.

Die beiden Darcys teilten sich eine Bank und Jane und Liz saßen ihnen gegenüber, dabei befand sich Liz gegenüber William. Er ließ sie kaum aus den Augen, was Liz anfangs ziemlich verlegen machte. Immer, wenn sie aufsah, fing sie seinen Blick auf und jedes mal lief ihr ein angenehmer Schauder über den Rücken. In diesen Augen konnte man ohne weiteres ertrinken. Sie wunderte sich, warum sie sich plötzlich so wohl in seiner Nähe fühlte. Noch vor wenigen Tagen hatte sie sich vor ihm gefürchtet!

Aber es war auch sehr schwer, ihn nicht zu mögen. Er unterhielt die Mädels mit Anekdoten aus seiner Studienzeit in Harvard, holte ab und zu Nachschub an Essen und Getränken und versuchte dabei immer wieder sehr geschickt, mehr über Liz zu erfahren. In seiner Schwester hatte er eine unfreiwillige Helferin. Sie war von den beiden Bennets sehr angetan, aber am meisten von Liz, die auch ihrem Alter etwas näherkam. Und sie hatte ein untrügliches Gespür dafür, daß sie ihrem Bruder alles andere als gleichgültig war.

Es wurde langsam dunkel und Georgie begann plötzlich zu frösteln, was William sofort bemerkte. „Wo ist deine Jacke, Liebes?" fragte er und warf einen Blick auf den Rollstuhl. „Ich fürchte, im Auto," grinste Georgie verlegen.

William seufzte gespielt genervt und entknotete seinen Pullover, den er über den Schultern getragen hatte. „Arme hoch!" befahl er und zog seiner Schwester den Pulli über. Das zierliche Mädchen versank regelrecht in der weichen Wolle und die Mädels kicherten. „Du kannst Liz und Jane gerne noch einladen, die beiden passen sicher auch noch rein!" grummelte William belustigt, als er ihr die Ärmel hochkrempelte. Georgie beugte sich zu ihm und küßte ihn auf die Wange. „Danke, Bruderherz. Was würde ich ohne dich bloß machen?"

„Frieren!" brummte er, legte ihr dann aber einen Arm um die Schultern und drückte sie zärtlich an sich.

Liz war von seinem veränderten Verhalten sehr angetan. Seine Arroganz und Selbstgefälligkeit war komplett verschwunden und die liebevolle Art und Weise, wie er seine Schwester behandelte rührte ihr Herz. Für einen Moment stellte sie sich vor wie es wäre, jetzt neben ihm zu sitzen, seinen Arm um ihre Schultern gelegt, seinen weichen Wollpullover an sich, in dem man so herrlich versinken konnte, seinen Geruch... Oh ja, sie hätte im Augenblick nur zu gerne mit Georgie getauscht.

Elizabeth Bennet konnte sich nur über sich selbst wundern.

Glücklicherweise wurde sie gleich darauf aus ihren schwärmerischen Gedanken gerissen als Professor Fitzwilliam auf sie zukam.

„Hier steckt ihr also!" rief sie und winkte. „William Darling, du solltest dein Mobiltelefon vielleicht mal einschalten!" Sie entdeckte Liz am Tisch und strahlte. „Oh Liz, wie schön, sie zu sehen! Ich sehe, mein Sohn hat offenbar doch noch etwas an guter Kinderstube mitbekommen…schön, daß ihr zwei nicht mehr böse aufeinander seid." Sie wuschelte ihm spielerisch durch die dunklen Locken und William sah sehr, sehr verlegen aus der Wäsche. Die vier Frauen lachten und Jane wurde vorgestellt.

„Schade, daß ich nicht länger bleiben kann. Es ist so ein schöner Abend, nicht wahr? William, Georgie, es ist zwar etwas kurzfristig, aber ich bin auf dem Weg nach Paris mit eurem Dad. Er hat mich gebeten, mitzukommen." Anne strahlte voller Vorfreude. Sie liebte es, ihren Mann auf Dienstreisen zu begleiten und Paris war natürlich extrem interessant.

Die vier warfen ihr neidische Blicke zu. „Und nicht nur das, wir bleiben mindestens zwei Wochen weg."

„Toll, mach uns nur neidisch," grummelte William, lächelte aber gleich darauf. Er stand auf und umarmte seine Ma liebevoll. „Ich wünsch euch beiden viel Spaß. Genieß die Zeit, aber übertreibt es nicht, hörst du?" sagte er streng.

Anne kniff ihm in die Wange. „Ja, mein Sohn." Sie küßte ihre Kinder zum Abschied, beauftragte William, gut auf Georgie aufzupassen und verabschiedete sich von den Bennetschwestern. Fröhlich winkend eilte sie davon zu ihrer Limousine.

Liz und Jane sahen sich an und hatten beide den gleichen Gedanken. Wie schön mußte es sein, in einer solchen Familie aufzuwachsen!

William warf seiner Schwester einen amüsierten Blick zu. „So, Georgie, jetzt haben wir zwei Wochen sturmfreie Bude! Was stellen wir alles an in der Zeit?"

„Wir laden Liz und Jane zu einer Poolparty ein?"

Liz in seinem Pool? Allein die Vorstellung von Liz im Bikini in seinem Haus, in seinem Pool brachte sein Blut in Wallung.

„Gute Idee, Georgie. Was halten die Damen davon? Wie wäre es mit nächstem Samstag?"

Liz und Jane sahen sich an. Warum eigentlich nicht?

„Sehr gerne," sagte Jane schließlich leise.

„Oh ja, und wir machen abends ein großes Barbecue!" sagte Georgie, die bereits am Pläne schmieden war. „Und ihr könnt bei uns übernachten, wir haben eine Menge Gästezimmer. Es wäre doch unsinnig, spät abends noch heimzufahren!"

William knutschte seine Schwester innerlich, als die Mädels auch diesem Vorschlag zustimmten und fügte seiner Liste insgeheim noch ein Liz in seinem Bett hinzu.

„William, wir sollten vielleicht auch Charles einladen, was meinst du?" fragte Georgie. „Und meine Freundin Megan."

„Einverstanden. Ich hoffe bloß, Charles bringt seine unerträgliche Schwester nicht auch mit!"

Georgie zog einen Flunsch. „Vielleicht haben wir Glück und sie ist gar nicht in der Stadt," meinte sie. „Aber ansonsten werden wir sie wohl ertragen müssen."

Also war es abgemacht. Liz und Jane sollten am nächsten Samstag nach dem Mittagessen losfahren und auf Pemberley, so hatte William Darcy senior das Anwesen aus sentimentalen Gründen in Erinnerung an seine englische Heimat getauft, übernachten. Die Geschwister versicherten ihnen noch einmal, daß genügend Zimmer zur Verfügung stünden und es wirklich keinerlei Umstände machte. Liz, du kannst aber auch sehr gerne in meinem Zimmer übernachten, grinste William in sich hinein.

Es war mittlerweile spät geworden und Liz begann langsam auch zu frieren. Die vier erhoben sich und William hob Georgie vorsichtig in ihren Rollstuhl. Liz stand neben ihm und als er wieder aufsah, fiel sein Blick auf ihre durch die Kühle hartgewordenen Nippel. Er schluckte hart. Liz bemerkte es glücklicherweise nicht, ihr war kalt und sie dachte mit Grauen an die Heimfahrt auf dem Fahrrad. William bemerkte ihre Gänsehaut und ohne zu überlegen begann er, zärtlich ihre Arme zu reiben. Liz blickte ihn fragend an, wehrte sich aber nicht. Er lächelte zurück. Seine warmen Hände auf ihrer Haut fühlten sich gut an und ihretwegen hätte er das die ganze Nacht tun können. Nicht alles, daß sie angefangen hätte zu schnurren unter seiner Berührung.

Georgie und Jane hatten unterdessen wissende Blicke getauscht und grinsten beide vor sich hin. Schließlich beendete Georgie das ganze, in dem sie ihren Pullover auszog und William am Hemd zupfte.

„Gib Liz deinen Pullover, Will, wir sind sowieso gleich am Auto und sie kann ihn viel besser gebrauchen."

„Danke Georgie, das ist nett von dir," sagte William und streifte Liz den Pullover über. Vorsichtig befreite er ihre langen Haare aus dem Halsausschnitt, was Liz heiße Wellen durch den Körper jagte, als er die Haut an ihrem Nacken berührte. Er rollte langsam die Ärmel hoch, die auch ihr zu lang waren und zupfte noch ein wenig an ihr herum, was allerdings nicht im geringsten nötig gewesen wäre. Der Pullover ging ihr fast bis zu den Knien.

„Besser?" fragte er leise und Liz nickte. Er strich noch einmal von ihren Schultern über ihre Arme und trat einen Schritt zurück.

„Danke," murmelte Liz wie betäubt. „Ich bringe ihn am Samstag wieder mit." Sie konnte den Blick einfach nicht von seinem lösen.

„Ok, dann sehen wir uns am Samstag," sagte Georgie, die es nicht mehr mit ansehen konnte. Sie war überzeugt, noch wenige Augenblicke länger und die beiden wären an Ort und Stelle übereinander hergefallen!

William und Liz erwachten aus ihrer eigenen kleinen Traumwelt und lächelten verlegen. Die vier verabschiedeten sich kurz darauf und machten sich auf den Heimweg.

Jane gab Liz Zeit, bis sie wieder in ihrer Wohnung angekommen waren. Sie holte eine Flasche Wein und sie ließen sich auf dem Balkon nieder. Jane grinste als sie sah, daß Liz immer noch Williams Pullover trug. Sie hatte sich regelrecht darin eingemummelt.

„Also?" fragte sie.

„Also was?" grinste Liz zurück.

„Lizzy! Du weißt ganz genau was! Ich dachte, du kannst William Darcy nicht ausstehen."

Liz blickte verträumt in die Ferne. „Das dachte ich auch, Jane."

„Wirst du was mit ihm anfangen?"

Liz kam mit einem Schlag in die Realität zurück. „Keine Ahnung." Jane hob amüsiert eine Augenbraue.

„Lizzy, es war für alle Beteiligten heute abend offensichtlich, daß ihr euch nicht gleichgültig seid."

„Ach Jane, wenn es so einfach wäre," seufzte Liz. „Ich weiß, ich hielt ihn für einen arroganten Mistkerl. Dann hat er mir zehn Tage lang jeden Tag ein teures Buch für seine Mutter abgekauft und einmal Donuts mitgebracht. Wir hatten wunderbare Gespräche über Literatur und nach den zehn Tagen habe ich nichts mehr von ihm gehört. Das wir uns heute gesehen haben war Zufall."

„Er scheint aber eine Menge für dich zu empfinden, Lizzy."

„Er war heute abend sehr nett, ja."

„Aber?"

„Aber? Jane, du kennst seinen Ruf als Frauenheld. Ich möchte nicht als Nummer XY auf seiner Liste enden."

„So einen Eindruck macht er nicht auf mich."

„Er weiß ziemlich genau, wie man Frauen einwickelt und rumkriegt."

Jane seufzte. Ein Mann, der sich so liebevoll um seine behinderte Schwester kümmerte, seine Mutter offenbar anbetete und ihre eigene Schwester den ganzen Abend mit nichts als zärtlichen, liebevollen Blicken bedachte, konnte ihrer Meinung nach kein skrupelloser Schürzenjäger sein. Aber Liz hatte recht, sie sollte nichts überstürzen.

„Wir werden ihn am Samstag genauestens unter die Lupe nehmen, einverstanden?"

Liz lachte. „Ok. Hat er nicht gesagt, er lädt seinen Freund ein? Vielleicht ist der ja interessant."

Jane lachte und sie gingen in die Wohnung zurück. Während Jane zu Bett ging, wollte Liz noch ein bißchen fernsehen.

Jane fand sie am nächsten Morgen schlafend auf der Couch, eingemummelt in Williams Pullover.