Kapitel 11

Die Heimfahrt nach Vancouver verlief zum größten Teil in einvernehmlichem Schweigen. Der Chauffeur holte sie wie verabredet ab und um Liz das Wasserflugzeug zu ersparen, fuhren sie nach Nanaimo und nahmen dort die Fähre, die direkt zur Horseshoe Bay fuhr. Sie verbrachten die Überfahrt an Deck und William ließ Liz keinen Augenblick los, so als hätte er Angst, sie würde verschwinden, sobald er sie nicht mehr in den Armen hielt.

Er konnte es noch gar nicht fassen. Sie hatte eingewilligt, ihn zu heiraten! Er konnte auch nicht fassen, daß er sie das überhaupt gefragt hatte, aber er war darüber sehr, sehr glücklich. Liz war immer noch ganz von den Socken, sie konnte es noch gar nicht glauben, daß er ihr tatsächlich einen Heiratsantrag gemacht hatte. Und daß sie ihn angenommen hatte!

William hatte den Fahrer heimlich angewiesen, nicht nach Pemberley, sondern zuerst zu einem Juwelier zu fahren. Er wollte Liz heute noch einen standesgemäßen Verlobungsring schenken. Am liebsten hätte er es der ganzen Welt mitgeteilt!

Liz war sehr verlegen, als William sie in das Geschäft führte. Williams Vorstellungen von einem ‚ordentlichen' Verlobungsring beziehungsweise dessen Preis verursachten ihr Schwindelgefühle. Aber er ließ nicht mit sich diskutieren. Er ruhte nicht eher, bis sie sich den Ring gewählt hatte, der ihr tatsächlich am besten gefiel (sie hatte keine Möglichkeit, die Preise an den Schmuckstücken zu sehen) und war schließlich mit ihrer Wahl zufrieden. Ein schlichter, aber sehr edler Platinring mit Diamanten und Smaragden besetzt, passend zu ihren grünen Augen.

Wie schon erwähnt hatte Liz keine Probleme, sich in Liebesdingen William ab und an zu unterwerfen, aber sie würde es ihm nicht durchgehen lassen, ALLE Entscheidungen ihres zukünftigen gemeinsamen Lebens alleine zu treffen.

William wollte sie sofort zu seinen Eltern bringen und ihnen alles erzählen, Liz wollte nicht. Noch nicht. Die Darcys waren heute erst aus Europa zurückgekehrt und sie jetzt mit einer solchen Nachricht zu überfallen, erschien ihr reichlich unangebracht. Sie schlug vor, daß William seinen Eltern und Georgie zunächst alleine davon erzählen sollte, damit sie nicht aus allen Wolken fielen. William stimmte schließlich zu, wenn auch zögernd. Also ließ er Liz zu ihrem Apartment bringen und sich selbst anschließend nach West Vanc. Er würde seinen Eltern heute noch davon erzählen, keine Frage. Er konnte es einfach nicht länger für sich behalten. Und danach würde ihn nichts abhalten, wieder nach Kitsilano zu fahren.

Als William das Anwesen betrat, waren seine Eltern schon seit einigen Stunden zuhause. Die Familie saß gemütlich auf der Terrasse beisammen und trank Kaffee. Anne Darcy freute sich, ihren Sohn zu sehen. Georgie hatte nur erzählt, daß er ein paar Tage nach Vancouver Island verreist war. Bevor William Gelegenheit hatte, von seinem Kurzurlaub mit Liz und ihrer anschließenden Verlobung zu erzählen, ergriff William Darcy senior das Wort.

„Nun, Sohn, ich hoffe, du bist gut erholt, ab morgen ist die faule Zeit fürs erste vorbei." William zog ein Gesicht, aber sein Dad lächelte nachsichtig. „Morgen früh beziehst du dein Büro am Robson Square, morgen mittag habe ich ein Meeting angesetzt, in dem du offiziell vorgestellt wirst, abends gibt es einen kleinen Empfang im Pan Pacific zu deiner Einführung – falls du noch jemand auf die Gästeliste setzen willst, laß es Kathy wissen, und am Dienstag beginnen wir mit dem ersten Teil deiner Rundreise. Da ich erst aus Europa zurückgekehrt bin, lassen wir es langsam angehen und beginnen mit New York, Quebec City und dann über San Diego zurück. Europa heben wir uns für nächsten Monat auf. Ich habe ein interessantes Angebot für einen luxuriösen Landsitz in Schottland bekommen, das würde gut zu uns passen und…"

William hörte gar nicht mehr zu. Ebenso wie Liz haßte er Vorschriften oder wenn jemand über sein Leben bestimmen wollte. Daß er selbst das bei anderen auch gerne tat, war selbstverständlich etwas gaaaaaanz anderes…. Natürlich, sein Vater war Chef der Darcy Hotels Inc., aber er hatte ja wohl auch ein Wörtchen mitzureden! Wie konnte er einfach festlegen, was er zu tun hatte? Er wollte jetzt nicht verreisen. Er wollte keinen ‚kleinen Empfang'. Er wollte in Ruhe seine Arbeit für Darcy Hotels beginnen und er wollte gefälligst gefragt werden, bevor man solche Pläne für ihn schmiedete!

Er konnte irgendwie verstehen, daß sein Dad vor Stolz platzte, daß sein Sohn endlich in die Firma einstieg, aber nicht so. Er mußte seinen Ärger zügeln, um nichts in der Welt wollte er seine Eltern enttäuschen. Und er wollte ihnen endlich von Liz erzählen.

Sein Vater war etwas enttäuscht über Williams mangelnden Enthusiasmus, aber Anne hatte es kommen sehen. Sie kannte ihren Jungen gut genug und hatte ihren Mann gewarnt, ihn so zu überfallen und vor vollendete Tatsachen zu stellen. Er hatte nur abgewunken und gesagt, sein Sohn wäre ihm sicher dankbar, wenn er ihm das alles abnahm. Nun mußte er sehen, was er davon hatte. Ihre zwei sturköpfigen Männer… Anne Darcy schüttelte still seufzend den Kopf. Wie gut, daß Georgie so pflegeleicht war!

William versicherte seinem Pa, daß sie morgen in Ruhe über alles reden würden, da er jetzt noch eine überaus wichtige Neuigkeit zu erzählen hatte, die keinen Aufschub mehr duldete.

Seine Mutter und Georgie waren zunächst etwas schockiert, aber da sie beide Liz sehr mochten, wunderten sie sich nicht allzu lange und umarmten und küßten William und wollten alles genau wissen.

William Darcy senior, der Liz nicht kannte, war regelrecht erstarrt. Sein Sohn hatte sich verlobt? Und er hatte ihm das Mädchen noch nicht einmal vorher vorgestellt? Elizabeth wer? Stammte sie aus guter Familie? Brachte sie Vermögen mit in die Ehe? Nicht, daß sein Sohn das nötig hätte, aber er wollte unter allen Umständen verhindern, daß irgendeine Goldgräberin in die Familie einheiratete, die nur hinter seinem Geld her wäre und irgendwann seinen Sohn und die Familie enttäuschte. William Darcy senior wollte nur, daß sein einziger Sohn genauso glücklich in der Wahl seiner Frau wäre, wie er selbst.

„Erzähl uns etwas über diese Elizabeth, woher stammt sie, welche Familie, wo lebt sie…" sagte er und die beiden Damen seiner Familie seufzten ungeduldig. „Ich kenne diese Dame ja schließlich nicht!"

„Liz ist ganz wundervoll," sagte William leise. „Sie ist Eigentümerin eines kleinen Buchladens in der Stadt, dort wo Mum ihre deutschen Bücher kauft. Sie ist eine ehemalige Studentin von Mum und die beiden kennen sich natürlich schon. Sie hat eine Schwester."

„Und was ist mit ihrer Familie?"

William stellte fest, daß er von ihrer Herkunft, ihrer Familie überhaupt nichts wußte. Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, die hat sie bisher noch nie erwähnt."

Sein Vater runzelte die Stirn. „Du kennst ihre Familie nicht? Du kannst doch keine Frau heiraten, von der du überhaupt nichts weißt!"

„Ich liebe Liz und ich werde sie heiraten. So bald wie es geht."

Sein Dad hatte berechtigte Zweifel an den Absichten seines Sohnes. Er kannte seinen Lebenswandel nur zu gut – schließlich war er in diesem Alter selbst nicht besser gewesen – und jetzt verliebte er sich in eine Frau und wollte sie heiraten, obwohl er sie erst so kurze Zeit kannte, von der er so wenig wußte… Auch wenn seine Frau voll des höchsten Lobes über Liz war, er war nicht so ganz überzeugt, daß er die richtige Entscheidung traf.

William wischte alle Bedenken beiseite. Er stand auf und teilte seiner Familie mit, daß er heute nacht bei Liz bleiben würde.

Liz hatte nicht damit gerechnet, William heute noch einmal zu sehen. Jane war – natürlich – nicht da und so hatte sie es sich mit einem Buch, einem heißen Kakao und Williams Pullover (oder war es mittlerweile ihrer?) auf dem Balkon gemütlich gemacht. Das Buch lag die meiste Zeit unbeachtet auf ihrem Schoß, viel aufregender waren ihre Gedanken.

Zum millionsten Mal dachte sie über den heutigen Tag nach. Hatte William Darcy sie heute wirklich gefragt, ob sie ihn heiraten würde? Anscheinend, denn der Ring an ihrem Finger kam schließlich nicht von alleine an ihre Hand. Fast scheu und etwas ungläubig betrachtete sie die kleinen, aber lupenreinen Diamanten und Smaragde auf dem Platinreif. William hatte noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er den Preis erfahren hatte.

Liz seufzte. Was hatte sie bloß geritten, so schnell ihre Zustimmung zu geben? Einen Mann zu heiraten, der sie vor wenigen Wochen noch „vertrocknete, unbefriedigte Brillenschlange" genannt hatte, den sie für einen arroganten, eingebildeten Mistkerl hielt? Den sie vorher nur aus den Klatschspalten der Tagespresse kannte und der in der Stadt einen fast schon legendären Ruf als Frauenheld hatte? Sie, Elizabeth Bennet! Frau ohne Herkunft, ohne Familie. Sie wünschte, Jane wäre hier.

Als es an der Tür klingelte dachte sie zunächst, Jane hätte den Schlüssel vergessen. Um so größer ihr Erstaunen und ihre Freude, William vor sich zu sehen. Er strahlte und küßte sie, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen anstatt nur wenige Stunden. Liz bat ihn herein und äußerte ihre Verwunderung, ihn heute noch einmal zu sehen.

„Ich habe dir doch gesagt ich hasse es, ohne dich einzuschlafen – und aufzuwachen," murmelte er und seine Hände glitten unter ihren (oder vielmehr seinen) Pullover, den sie auf nackter Haut trug. Liz hatte die Augen geschlossen, gab sich völlig seinen Berührungen hin und versuchte, langsam wieder zur Erde zurückzukehren. Sie schien wie hypnotisiert. William befreite sich von seinem Pullover, Jeans und Schuhen, nahm Liz kurzerhand auf die Arme und trug sie in ihr Schlafzimmer. Warum sich auf der Couch verrenken, wenn er es im Bett haben konnte! Er legte sie sanft aufs Bett, warf den Rest seiner Klamotten auf den Boden und nahm sie schnell und hart, wie er es am liebsten hatte.

Die Entscheidung, Liz ins Schlafzimmer zu tragen, war im nachhinein sehr weise gewesen. Etwa fünf Minuten, nachdem sie das Wohnzimmer verlassen hatten, drehte sich ein Schlüssel in der Wohnungstür und Jane kam nach hause. Sie wunderte sich nur kurz über die Männerkleidung, die im Wohnzimmer verstreut lag und schüttelte lächelnd den Kopf. William schien da zu sein.

Nachdem sie beide wieder zur Ruhe gekommen waren, setzte sich William auf, lehnte sich an das Kopfende des Bettes und spielte gedankenverloren mit Lizzys Haaren. Liz' Kopf lag in seinem Schoß und als er lange Zeit nichts sagte, kitzelte sie ihn leicht am Bauch.

„An was denkst du gerade so angestrengt?" fragte sie leise und sah zu ihm hoch.

William seufzte. „Ich hatte heute ein Gespräch mit meinem Dad. Morgen ist mein erster offizieller Tag in der Firma und er hat praktisch meine ganze nächste Zeit schon verplant. Am Dienstag will er mit mir eine Tour durch den Osten und die USA machen um mir die Hotels des Konzern zu zeigen und mich überall vorzustellen. Wir werden wochenlang unterwegs sein."

„Oh," machte Liz. „Aber ich schätze, das gehört zu deinem Job, nicht wahr? Natürlich mußt du überall vorgestellt werden."

„Ja, aber nicht schon am Dienstag und vor allem nicht ohne dich."

Liz sah ihn erstaunt an. „Nicht ohne mich?"

„Ich hatte geplant, diese ganzen Reisen mit dir zu machen."

„William, ich kann unmöglich jedesmal mit dir auf Reisen gehen," sagte Liz sanft. „Außerdem…glaubst du nicht, wir sollten uns einmal darüber unterhalten, wie es jetzt konkret mit uns weitergehen soll?"

William nickte und grinste verlegen. „Entschuldige, Liebes. Ich platze in dein Leben, überrumple dich nach wenigen Wochen schon mit einem Heiratsantrag – ich bin ein ganz schöner Egoist, nicht wahr?" Liz nickte und er kniff sie leicht in die Seite.

„Ok. Laß uns reden. Wie stellst du dir unser zukünftiges Leben vor?"

Liz richtete sich ein bißchen auf, um nicht andauernd zu ihm hochschauen zu müssen. „William, ich möchte mit dir zusammen sein. Ich denke auch, wir sollten irgendwann zusammenziehen."

William runzelte die Stirn. „Irgendwann? So bald wie möglich, Liebes. Wo möchtest du wohnen?"

Liz hatte sich noch keine Gedanken darüber gemacht. Sie hoffte, er würde nicht vorschlagen, daß sie zu ihm nach Pemberley zog. Der Gedanke, bei seinen Eltern zu leben, schreckte sie. In einer Hotelsuite wollte sie auch nicht wohnen. Blieb noch ihr Apartment über und das teilte sie mit Jane. Jane allerdings, das wußte sie, trug sich auch mit dem Gedanken, zu Charles zu ziehen. Charles hatte bereits ein luxuriöses Penthouse am Rande der Stadt.

„Ich denke, Jane wird bald mit Charles zusammenleben wollen. Wir könnten dann hier wohnen. Zumindest übergangsweise."

Das war nicht exakt das, was sich William vorstellte. Gewiß, das Apartment war gemütlich, aber er dachte bereits weiter. Er wollte Liz so bald wie möglich heiraten, er wollte eine Familie mit ihr gründen. Seine Kinder sollten nicht in einem kleinen, gemieteten Apartment in Kitsilano aufwachsen. Und wieder einmal machte William Darcy den Fehler, Liz nicht nach ihrer Meinung zu fragen.

„Ich dachte daran, ein kleines Anwesen kaufen, was hältst du davon? Mit einem großen Garten und einem Swimmingpool. Und einer Bibliothek. Und vielen Kinderzimmern. Und…"

Liz schüttelte amüsiert den Kopf. „Du planst ganz schön weit voraus, William."

„Weit voraus? So weit finde ich das gar nicht."

„Wir haben uns heute verlobt und du planst schon Kinderzimmer? Ist das nicht ein bißchen voreilig?"

„Ich möchte eine Familie mit dir gründen, Liz."

„Aber doch noch nicht gleich morgen!"

„Möglichst bald."

Liz machte sich los. „William Darcy, ich würde es sehr begrüßen, auch zu diesem Thema befragt zu werden!"

„Du willst mich aber heiraten, oder?" fragte er leise.

„Natürlich will ich das. Aber das bedeutet doch nicht, daß wir alles überstürzen müssen. William, bitte gib mir Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Ich weiß, du liebst es, mich zu überrumpeln," sie strich ihm zärtlich über die Wange, „aber momentan geht mir das alles zu schnell. Laß uns eins nach dem andern angehen, einverstanden?"

William nickte. Sie hatte ja recht, aber er war nun einmal ungeduldig. Er wollte alles auf einmal, und das ging eben nicht. Nicht immer jedenfalls.

„Aber deswegen können wir trotzdem ein Häuschen kaufen, oder?" fragte er nach einer Weile hoffnungsvoll und Liz mußte lachen.

Sie kamen schließlich zu einer Einigung, das heißt, Liz machte die Vorschläge und William mußte wohl oder übel zustimmen, da sich alles leider sehr vernünftig anhörte. William haßte es zwar, wenn etwas vernünftig war, aber er gab letztendlich nach.

William sollte sich zunächst einmal auf seinen neuen Job konzentrieren und auch die geplante Reise mit seinem Vater machen. Liz war davon überzeugt, daß Mr. Darcy sehr, sehr enttäuscht sein würde, wenn sein Sohn ohne ihn und stattdessen mit einer (ihm noch fremden) Frau fuhr und hatte damit absolut recht.

William hatte sie gebeten, morgen abend zum Empfang ins Pan Pacific mitzukommen, und nach langem Zögern hatte sie schließlich eingewilligt. William würde Liz seinem Vater vorher bereits vorstellen.

Wenn William seine erste längere Reise hinter sich gebracht hätte, würden sie in Ruhe darüber nachdenken, wohin sie ziehen wollten. Liz hatte darauf bestanden, ihren Laden weiterzuführen und William hatte nach langer Diskussion schließlich nachgegeben. Streit wäre das richtigere Wort dafür, denn William bestand darauf, daß es seine Frau nicht nötig hatte zu arbeiten und Liz nannte ihn einen sturen, altmodischen Chauvinisten, der ihr keine Vorschriften zu machen hatte. Und außerdem war seine eigene Mutter ja ebenfalls berufstätig.

William machte der Debatte kurzerhand ein Ende, indem er ihren Mund mit seinen Lippen verschloß und sie für die nächsten paar Minuten erst einmal anderweitig beschäftigt waren.

Danach, es war schon sehr spät, fragte William nach ihrer Familie. Außer Jane hatte er noch niemanden kennengelernt und er wollte wissen, ob sie schon jemandem von ihrer Verlobung erzählt hatte. Sie saßen beide an das Kopfende des Bettes gelehnt und Liz hatte sich an Williams nackte Brust geschmiegt. Es dauerte eine Zeit, bis sie anfing, ihre Lebensgeschichte zu erzählen.