Kapitel 18

William fuhr erst beruhigt ins Büro, nachdem Liz ihm versprochen hatte, ihn sofort zu benachrichtigen, wenn sie ein Ergebnis des Tests hatte. Er konnte sich an diesem Morgen auf nichts konzentrieren. Seine Gedanken kreisten nur um eins: Vielleicht würde er bald Vater werden.

Er wunderte sich ernsthaft über sich selbst. Er hatte sich bisher noch nie ernsthaft in der Vaterrolle gesehen. Kinder waren ganz nett, wenn man sie nicht den ganzen Tag um sich herum hatte und abends wieder abgeben konnte. Außerdem war er bisher immer der Meinung gewesen, daß es keine Frau auf der Welt gab, die würdig gewesen wäre, einen Darcy auf die Welt zu bringen – seine Schwester natürlich ausgenommen, aber das zählte nicht.

Seit er verheiratet war, hatte er stets genau – und heimlich – die regelmäßige Wiederkehr der monatlichen ‚speziellen Tage' von Liz verfolgt. Diese paar Tage haßte er leidenschaftlich. Nicht nur, daß sie ihm Enthaltsamkeit abnötigten, seine Frau vertrug die erste Zeit immer nur sehr schlecht, hatte starke Schmerzen und war entsprechend gereizt. Die Chance, daß sie jetzt tatsächlich schwanger war, war groß. Er wußte, sie war schon einiges über ihrer Zeit.

William schlich den ganzen Tag um das Telefon herum und ging seinen Sekretärinnen gehörig auf die Nerven, weil er sie alle zehn Minuten fragte, ob seine Frau angerufen hatte. Er stöhnte auf, als sein Dad am späten Nachmittag noch eine dringende Telefonkonferenz einberief, an der er teilnehmen mußte. William Darcy senior hatte seine Mädels angewiesen, sie nicht zu stören.

Und so hing William in seiner Telefonkonferenz fest, als Liz das Gebäude betrat. Kathy Johnson begrüßte sie und bedauerte, sie könne die Herren keinesfalls stören. Liz überlegte kurz, ging dann in Williams leerstehendes Büro und hinterließ ihm ein kleines Päckchen mit einem Zettel dran.

William war äußerst enttäuscht, als er hörte, daß seine Frau dagewesen war und er sie verpaßt hatte. Neugierig las er den Zettel, der an dem kleinen Paket auf seinem Schreibtisch steckte und lächelte.

Na, was glaubst du? stand darauf und darunter war ein großer Smiley gemalt.

Er öffnete den Karton und fand ein Paar winzig kleine Babyschuhe darin. Und noch ein Zettel: Ich liebe dich, William.

Minutenlang starrte er auf die winzigen Schuhe. Seine Gedanken liefen Amok, er wußte gar nicht, wohin mit seiner Freude. In diesem Moment betrat sein Dad das Büro und wunderte sich über das tränenüberströmte Gesicht seines Sohnes. Erschrocken kam er näher, als William ihm die Schühchen hinhielt und über alle Ohren strahlte. William Darcy senior brauchte einen Moment, bis er verstand, daß niemand gestorben, sondern im Gegenteil, ein neuer Darcy auf dem Weg in diese Welt war. Stumm umarmte er seinen Jungen. Sein erstes Enkelkind…

William fuhr sofort nach hause. Er traf Liz alleine an, Jane hatte sich – nach langem hin und her – mit Charles auf ‚neutralem Boden' getroffen.

Wortlos nahm er sie in die Arme und so hielten sie sich minutenlang – beide ohne ein Wort zu sagen.

William legte eine Hand auf Liz' Bauch. „Du mußt mir unbedingt sofort sagen, wenn er zu strampeln anfängt," sagte er ernsthaft.

Liz lachte. „Ich denke, das wird noch einen Moment dauern, Hon. Ich habe morgen früh einen Arzttermin, der das alles nochmal bestätigen soll."

William schaute sie verwirrt an. „Es steht noch nicht fest?"

„Na ja, ich habe drei Tests gemacht und Jane hat aufgepaßt, daß ich es auch richtig mache. Aber trotzdem muß ich zum Arzt."

„Soll ich dich begleiten?"

„Nein, brauchst du nicht. Später, wenn man auf dem Ultraschall sehen kann, was es wird, nehme ich dich mit."

„Willst du denn vorher wissen, was es wird?"

Liz nickte. „Du nicht?"

„Hm. Ich weiß nicht." William überlegte. „Doch, vermutlich schon. Aber es spielt keine Rolle, denke ich."

Liz grinste. „Genau. Egal ob Junge oder Mädchen, er oder sie wird sowieso hoffnungslos verwöhnt werden – egal ob von dir oder deinen Eltern."

William sah beleidigt aus. „Ich werde ein furchtbar strenger Vater sein, verlaß dich drauf. Streng, aber gerecht."

Liz rollte die Augen und küßte ihn auf die Wange. „Na klar, William."

Der Arzttermin am nächsten Tag brachte die offizielle Bestätigung: Im Februar des nächsten Jahres würde eine neue Generation der Familie Darcy das Licht der Welt erblicken.

Drei Tage nach dieser Neuigkeit zog Jane zu Charles zurück. Sie hatten lange miteinander gesprochen und Charles hatte endlich eine Entscheidung getroffen. Er würde es eher darauf anlegen, bei seiner Familie in Ungnade zu fallen als auf Jane zu verzichten. Daß Liz schwanger war hatte letzten Endes sogar den Ausschlag gegeben – er konnte sich nicht vorstellen, mit einer anderen Frau als Jane eine Familie zu gründen.

Liz und William waren froh über diese Entscheidung, behielten allerdings ein wachsames Auge auf das Paar. Schwierige Zeiten würden ihnen bevorstehen.

Schwierige Zeiten standen auch Liz bevor. Schwierigkeiten machte ihr aber nicht ihre Schwangerschaft, sondern vielmehr der werdende Vater. Liz fühlte sich körperlich wunderbar. Abgesehen von ein bißchen morgendlicher Übelkeit ging es ihr prächtig und, nachdem sie zum ersten mal mit Georgie eine Übungsstunde des „Cripple Choir" besucht hatte, konnte sie es nicht erwarten, in diesem Projekt mitzuarbeiten. In der Tat war viel zu tun. Auftritte in ganz Nordamerika waren zu organisieren, Werbung mußte gemacht werden und vieles mehr. Die Internetseite des Chores, bisher eine Aufgabe, die William zunächst freiwillig übernommen hatte und für die er leider kaum noch Zeit fand, war in den letzten Monaten sträflich vernachlässigt worden und lag nun in Liz' Zuständigkeit. Das hatte den Vorteil, daß sie auch von zuhause aus daran arbeiten konnte – auch wenn ihr Körperumfang später einmal zunehmen würde beziehungsweise das Kind auf der Welt war. Liz stürzte sich mit Feuereifer auf ihre neuen Aufgaben.

William sah es mit einem Stirnrunzeln. Natürlich hatte er nicht das geringste dagegen, daß sich seine Frau in Georgies Projekt engagierte, im Gegenteil. Aber er durfte natürlich nicht zulassen, daß sie sich überanstrengte. Am liebsten hätte er sie in Watte gepackt und rund um die Uhr unter Beobachtung gehalten, so besorgt war er um sie. Er spielte mit dem Gedanken, die nächsten Monate von zuhause aus zu arbeiten, aber Liz und sein Vater redeten ihm das schnell wieder aus.

Liz fand seine Besorgnis um ihr Wohlbefinden und seine Euphorie anfangs noch süß. Sie fühlte sich wohl, die Schwangerschaft bekam ihr ausgezeichnet und William las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Er bestand darauf, Dianne O'Connor mit der Gestaltung des Kinderzimmers zu beauftragen und Liz gab schließlich nach, auch wenn sie den Zeitpunkt etwas verfrüht fand. Weiterhin verlangte er, daß sie sich so weit wie möglich schonte und nach Möglichkeit zuhause bleiben sollte. Dieses Ansinnen löste erwartungsgemäß einen mittelschweren Streit aus.

Liz versuchte, ihrem Gatten so friedlich wie möglich beizubringen, daß sie gar nicht daran dachte, die nächsten neun Monate zuhause im Bett zu verbringen.

„William, ich fühle mich wirklich ganz ausgezeichnet, es ging mir noch nie besser. Ich verspreche dir, auch in meinem ganz eigenen Interesse, nichts zu übertreiben und mich nicht zu sehr anzustrengen. Ich werde jedesmal, wenn ich das Haus verlasse, jemandem mitteilen, wohin ich gehe. Und ich werde mich von dir so oft es geht nach Strich und Faden verwöhnen lassen."

William war nicht beruhigt, in keinster Weise. Er wollte nicht, daß sie alleine aus dem Haus ging und überhaupt so viel unterwegs war. Aber Liz ließ sich von ihren Aufgaben nicht abbringen. Sie lehnte es strikt ab, den ganzen Tag zuhause zu verbringen und zu Williams Ärger hatte sie in seiner Mutter und Georgie starke Fürsprecher. Anne versuchte, ihren Sohn zu beruhigen.

„Du kannst Liz nicht zuhause anketten, Will. Sei froh, daß sie sich so wohl fühlt und es nicht nötig ist, im Bett zu liegen. Die Zeit, in der sie freiwillig zuhause bleibt, weil sie sich nicht mehr rühren kann, kommt früh genug, dann kannst du um sie herumglucken. Aber jetzt, am Anfang, laß ihr diese Freiheit. Freu dich mit ihr, daß ihr die Schwangerschaft so gut bekommt. Und außerdem, sie ist nicht die erste Frau, die ein Baby bekommt."

Anne freute sich zwar, daß ihr Sohn so engagiert war, aber ihr tat Liz auch ein wenig leid.

William gab nur zögernd nach, aber im Endeffekt blieb ihm gar nichts übrig. Wenn er es sich nicht komplett mit seiner Frau verderben wollte, mußte er ihr ihre Freiheiten lassen. Liz tat ihr bestes, ihm ein wenig in seinen Ängsten und Sorgen um sie entgegenzukommen. Es war ja süß von ihm, daß er sich so um sie kümmerte, auch wenn er ziemlich übertrieb – ihrer Meinung nach. Aber zuhause bleiben – niemals.

Nichts dagegen hatte sie, die Abende zuhause in Williams Gesellschaft zu verbringen. Die meisten Wohltätigkeitsveranstaltungen, Cocktailempfänge, Bälle und andere sogenannten „Pflichtauftritte" machten ihr sowieso keinen großen Spaß – wenn es nicht gerade um die Projekte der Familie ging. Mit ihrem stetig anschwellenden Bauch mochte sie nicht tanzen und auch nicht neugierig angestarrt werden.

Es war daher eine nette Abwechslung, abends nach dem Essen mit William auf der Couch zu kuscheln, jeder mit seinem Buch beschäftigt.

Eines abends hatten sie es sich wieder auf der Couch gemütlich gemacht. Es war zwar schon mitten im Sommer, zumindest nach dem Kalender, aber davon war nichts zu spüren. Kalt und stürmisch waren die letzten Tage gewesen und auch jetzt pfiff der Wind mit Macht um die Häuser. William hatte das Feuer im Kamin angefacht und heißen Kakao für sie beide gekocht, so daß sie sich fühlten, als würde der Winter bereits vor der Tür stehen.

Liz lag faul ausgestreckt zwischen Williams Beinen, ihren Rücken an seine Brust gelehnt und naschte Erdbeeren. William, einen Arm um ihren sich wölbenden Bauch gelegt, in der anderen Hand ein Buch, las ihr deutsche Märchen vor und ließ sich gelegentlich mit Erdbeeren füttern. In einer dieser Erzählpausen bildete sich Liz ein, ein Geräusch zu hören, eine Art Kratzen.

„Das ist der Ast, der an dem Fensterladen entlangschrammt. Ich werde den Gärtner informieren, daß er ihn etwas kürzen soll," murmelte William und wandte sich wieder dem „Froschkönig" zu. Liz verfütterte eine weitere Erdbeere an ihn. „Sag mal Liebes, haben wir nichts mit Schokolade drum…"

Da war es wieder, das Geräusch. Etwas kratzte an der Tür, ganz deutlich.

„William, das ist nie und nimmer der Ast," sagte Liz und bevor er reagieren konnte, war sie aufgestanden und zur Hintertür gegangen.

„Liz, warte!"

Aber sie hatte die Tür schon geöffnet und, als sie niemanden draußen stehen sah, fiel ihr Blick schließlich auf das kleine, nasse Fellbündel, daß mit herzzerreißendem Maunzen auf sich aufmerksam machte.

Liz bückte sich und hob die kleine Katze hoch. „Sieh doch nur, ein Kätzchen!" Sie hielt es William hin. „Und das arme Ding ist ganz nass."

Sie schloß die Tür und trug das Tier in die Küche, wo sie es genauer anschaute. William folgte ihr seufzend. Wie er seine Frau einschätzte, hatten sie ab heute einen neuen Mitbewohner. Und der gemütliche Abend zu zweit war auch definitiv vorüber.

Liz setzte das Kätzchen auf den Tisch und holte ein Handtuch, um es vorsichtig trockenzureiben und etwas zu wärmen.

Das durchnäßte und verängstigte Tier ließ sich wider Erwarten widerstandslos abreiben und hielt still. Liz hatte ihr Herz sofort verloren.

„William?" fragte sie nach ein paar Minuten, als die Katze wieder einigermaßen präsentabel aussah.

„Ooooh nein!" kam sofort die entschiedene Antwort.

Liz sah erstaunt auf. „Woher willst du wissen, was ich sagen will?"

„Ich weiß genau, was du sagen willst! ‚William, könntest du nicht schnell rüber in die Mall fahren und ein bißchen Katzenfutter kaufen' – hab ich recht?"

Liz grinste. „Und ein Katzenklo, wenn du schon dabei bist. Und vielleicht ein Körbchen, was meinst du?"

„Liz, Liebling. Die Katze kann hier nicht bleiben. Wer weiß, vielleicht ist sie einfach abgehauen, und der Eigentümer sucht sie schon verzweifelt. Irgend ein Kind kann heute nacht nicht ruhig schlafen. Und was ist, wenn sie Krankheiten überträgt?"

„Wir können morgen Zettel aushängen. Aber für heute braucht sie was zu essen. Und was machen wir, wenn sie nicht entlaufen ist? Bringst du es übers Herz, sie wieder auszusetzen?"

Die Katze, die begonnen hatte, sich vorsichtig zu putzen, saß immer noch auf dem Küchentisch und sah William irgendwie vertrauensselig an. Sein Widerstand schmolz wie Butter in der Sonne. Nein, natürlich hatte er nicht das Herz, sie auszusetzen. Und er würde selbstverständlich auch jetzt noch losfahren und das Gewünschte besorgen.

Seufzend holte er Jacke und Autoschlüssel und machte sich auf den Weg.

Als er wiederkam, fand er seine Frau mitsamt Katze im Wohnzimmer vor. Liz schlief, die Katze saß ruhig auf ihrem Schoß. Amüsiert schüttelte er den Kopf und begann, eine Dose Futter zu öffnen und stellte den Napf auf den Boden in der Küche. Sofort kam das Kätzchen hinterher, schmiegte sich um seine Beine, schnurrte ihn an und machte sich dann erst über das Futter her, während William seufzend das Katzenklo präparierte.

„Na ja, wenigstens hast du gute Manieren und bedankst dich zuerst," murmelte er und verstaute den kleinen Vorrat an Futter im Schrank. Er war sicher, das Tierchen würde nicht lange bei ihnen bleiben.

William ging zurück zu Liz ins Wohnzimmer und versuchte, den ursprünglich gemütlichen Abend fortzusetzen – vorausgesetzt, seine Liebste hatte nicht vor, den Rest der Nacht auf der Couch zu verpennen. Als er sich neben sie setzte, wurde sie wach.

„Alles in Ordnung mit Minnie?" fragte sie schläfrig.

„Minnie?"

„So hab ich sie genannt. Sie braucht doch einen Namen, auch wenn sie nicht lange hier bleibt."

Minnie kam in diesem Moment – offenbar wohlgenährt und zufrieden – ins Wohnzimmer zurück, schien einen Augenblick zu überlegen und sprang dann sehr zielsicher auf Williams Schoß, wo sie sich ein paarmal drehte, sich niederließ und sofort einschlief.

Liz lachte. „Ich glaube, du hast einen neuen Freund gefunden, Will. Wahrscheinlich eher eine neue Freundin."

Liz behielt recht. Wie versprochen hatte sie Zettel in der Nachbarschaft ausgehängt und auch die „Vermißtenanzeigen" der Zeitung über mehrere Tage verfolgt, aber es meldete sich niemand und keiner schien Minnie zu vermissen. Sie war mit ihr (es war tatsächlich eine Katzendame) zum Tierarzt gefahren um sie vorsichtshalber untersuchen zu lassen. Minnie blieb schließlich ein Bestandteil des Darcy'schen Haushalts. Und William wurde schnell ihr absoluter Liebling. Sie folgte ihm, wo immer er hinging. Kam er abends nach hause, begrüßte sie ihn an der Tür. Arbeitete er von zuhause aus, wich sie nicht von seiner Seite, saß auf seinem Schoß oder blieb zumindest in seiner Nähe. William seufzte, fügte sich aber schließlich in sein Schicksal und tolerierte ihre Anwesenheit. Nur das Schlafzimmer und das Bad waren für sie tabu.

Liz amüsierte sich prächtig über die beiden neuen Freunde. Es wurde schließlich nicht mehr darüber diskutiert, die Katze wegzugeben.