William setzte sich schließlich durch und fuhr nicht nach Kuba, was eine außerordentlich laute und hitzige Auseinandersetzung mit seinem Vater zur Folge hatte. Die beiden Männer gerieten sich so sehr in die Haare, daß der Rest der Familie Angst hatte, die kommenden Weihnachtstage in Unfrieden verbringen zu müssen.
So sehr William sich auch bemühte, die geschäftlichen Probleme nicht mit nach Hause zu bringen, es gelang ihm nicht ganz. Beide Darcys hatten außerordentliche Dickschädel und beide litten insgeheim sehr unter dem Zwist, was natürlich keiner eingestehen wollte. Aber keiner machte den ersten Schritt.
Von dem schwelenden Konflikt einmal abgesehen, der ihr Kummer machte, ging es Liz gesundheitlich gut. Aber auch sie hatte keine Lösung. Die beiden Kampfhähne würden sich alleine zurechtraufen müssen. Nicht nur der Familienfrieden, auch die Zukunft der Firma hing davon ab. Ein Machtwechsel lag in der Luft, aber William senior hatte noch lange nicht die Absicht, zurückzutreten und seinem Sohn den Chefsessel zu überlassen. Liz verstand es nicht so ganz. William war mehr als fähig, den Konzern zu führen, das hatte er schon oft genug bewiesen. Wenn sie an der Stelle ihres Schwiegervaters gewesen wäre, hätte sie ihm die Leitung schon längst überlassen und sich dann zusammen mit Anne ein schönes Leben gemacht. Liz wußte, daß Anne insgeheim darauf hoffte, ihr Mann würde bald zurücktreten. Sie sehnte sich danach, mit ihm zu verreisen und ihre Zeit mit ihm zu verbringen, nach all den Jahren, die sie wegen der Firma hatte zurückstecken müssen.
Liz hatte es da etwas besser. Natürlich arbeitete William hart und war oft unterwegs, aber er konnte vieles von zuhause aus erledigen und so waren sie nicht so häufig getrennt wie ihre Schwiegereltern in all den Jahren. Alles in allem war Liz mit ihrem Leben ziemlich zufrieden im Moment. Wenn sich jetzt noch bloß die beiden Sturköpfe vertragen würden…
Aber Liz hatte keine Zeit zum Trübsal blasen. Anfang Dezember erhielt sie eine Einladung zu einer Junggesellinenabschiedsfeier einer ehemaligen Studienkollegin, zu der auch Charlotte und Jane eingeladen waren. William war nicht sonderlich angetan davon und versuchte, es ihr auszureden.
Am Tag, als die Einladung gekommen war, wie schon so oft in diesem Herbst war es ein grauer, regnerischer Tag, leistete Liz ihrem Mann einmal mehr Gesellschaft in seinem Arbeitszimmer. Mrs. Sherwood hatte das Feuer im Kamin angefacht, ihnen einen Teller mit Plätzchen sowie heißen Kakao hingestellt und sich dann für den Rest des Tages verabschiedet.
William saß auf der Couch und beschäftigte sich mit einem langweiligen Dossier, das fast nur aus noch langweiligeren Zahlen bestand und schüttelte ab und zu frustriert den Kopf. Liz lag auf der gleichen Couch, ihren Kopf in Williams Schoß gebettet und las ein deutsches Kinderbuch. Die Plätzchen hatten nicht wirklich lange in Williams Gegenwart überlebt, aber beide waren viel zu faul, um aufzustehen.
„Mrs. Sherwood ist schon gegangen, nicht wahr?" murmelte William, nachdem das letzte Plätzchen in seinem Mund verschwunden war. Liz hatte nicht viel davon abbekommen – bei William mußte man da schnell sein.
„Mhhm."
William seufzte. „Wie wäre es, wenn du mal in der Küche nachsehen würdest…" begann er hoffnungsvoll.
„Keine Chance. Geh selbst."
„Du bist grausam."
„Du bist verfressen."
Nach einer Weile begann William von neuem.
„Ist die Post schon gekommen?"
„Keine Ahnung."
„Kannst du nicht mal nachsehen? Und auf dem Rückweg…"
„Du bist raffiniert, William Darcy. Aber ich hole dir keine Plätzchen."
William seufzte frustriert. „Ich kann nicht aufstehen, du liegst auf mir."
„Ich kann mich aufsetzen." Aber Liz bewegte sich keinen Zentimeter und las weiter.
Das Telefon klingelte und keiner der beiden machte Anstalten, aufzustehen. Schließlich erhob sich Liz ächzend – William hatte ja wirklich keine Chance, aufzustehen, solange sie halb auf ihm lag – und nahm das Gespräch an. Es war Charlotte, die sie wegen heute abend anrief. Die beiden plauderten zehn Minuten über das, was heute abend wohl geplant war und kicherten wie Schulmädchen. William runzelte die Stirn, als er Worte wie „Stripper" und „Dollarscheine" hörte und was sonst noch so dort ablaufen sollte.
Liz grinste immer noch, als sie auflegte und, da sie gerade stand, war sie nicht so herzlos und lief in die Küche, um noch ein paar Plätzchen zu holen. Zu ihrem allergrößten Erstaunen beachtete William die süßen Teile gar nicht und sah sie immer noch stirnrunzelnd an.
„Was ist das für eine Veranstaltung heute abend?" wollte er wissen. Liz lachte.
„Ein Abschiedsabend für Jennifer Watson, einer ehemaligen Studienkollegin und Freundin. Wir haben früher viel unternommen, auch mit Jane und Charlotte zusammen. Sie heiratet morgen und wir haben alle zusammengelegt, damit sie noch ein bißchen Spaß hat, bevor es ernst wird."
„Und da habt ihr irgendwelche Kerle engagiert, die nackt herumhüpfen?"
Williams Gesicht war weiterhin ernst und reizte Liz noch mehr zum Lachen.
„Wir haben ihr einen Stripper spendiert, ja. Der springt irgendwann heute nacht aus einer Torte oder so. Das macht man heutzutage offenbar bei solchen Feiern. Nun ja, wem es gefällt…"
William fand es nicht lustig.
„Ich will nicht, daß du dorthin gehst," sagte er bockig und Liz schaute ihn ungläubig an.
„Wieso? Weil ein Typ sich für Jen auszieht? Das ist nicht dein Ernst."
„Weil das kein Umgang für dich ist."
Liz lachte und schüttelte den Kopf. „Ich darf dich daran erinnern, William Darcy, daß du und Charles vor nicht allzu langer Zeit auf einer Junggesellenabschiedsfeier ward, bei der es so wüst zuging, daß die Hochzeit um ein Haar nicht stattgefunden hätte, da der Bräutigam später mit zwei! der mindestens zehn Stripperinnen im Bett erwischt wurde! Du wurdest, wenn ich dich ebenfalls dezent daran erinnern darf, am nächsten Morgen um kurz vor acht mit dem Taxi nach hause gebracht, ziemlich betrunken, mit Lippenstift verziert und konntest dich an nichts mehr erinnern – genauso wenig wie Charles übrigens. Ich habe mich übrigens daraufhin nicht scheiden lassen. Und du willst mir ehrlich und wahrhaftig verbieten, da heute abend hinzugehen?" Liz konnte es nicht fassen. Sie hatte tatsächlich einen Macho geheiratet!
„Wer ist noch dabei?" wollte William wissen. An diese wüste Party hatte er tatsächlich keine Erinnerung mehr, aber er hatte später gehört, daß es sehr, sehr übel zugegangen war. Man hatte ihm (und viel wichtiger, Liz) jedoch glaubhaft versichert, daß er, außer betrunken gewesen zu sein, nichts schlimmes angestellt hatte. Trotzdem war es ihm immer noch peinlich Liz gegenüber und natürlich hatte er kein Recht, ihr die Teilnahme an dieser Feier zu verbieten. Aber es gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.
„Ich kann dich begleiten," schlug er vor und Liz, die sein Gezicke bisher noch ganz amüsant gefunden hatte, wurde langsam ärgerlich.
„Sei nicht albern! Du wirst mich vor meinen Freundinnen nicht blamieren, William. Ich werde mit Jane und Charlotte dorthin fahren, wir werden ein bißchen Spaß mit den Mädels haben und das wars. Und da Charlotte uns beide abholt und auch wieder nach hause bringt, mußt du dir noch nicht einmal Sorgen machen."
William wußte, wann es an der Zeit war, einzulenken. Vor allem, wenn er im Unrecht war. Liz würde ihn mit Liebesentzug strafen und es wäre noch nicht einmal unverdient. Also zuckte er bloß mit den Schultern, griff nach seinem Report, seufzte laut und schüttelte schließlich den Kopf. Liz verkniff sich ein Grinsen und ging nach draußen um nachzusehen, ob die Post mittlerweile vielleicht doch gekommen war.
Der Abend wurde sehr lustig. Die Mädels hauten gehörig auf den Putz, der engagierte Stripper enttäuschte nicht und heizte den Damen gehörig ein. Es war drei Uhr nachts, als Liz wieder zuhause war. Selbstverständlich war sie stocknüchtern, da sie natürlich keinerlei Alkohol trank und sich und das Baby nicht mutwillig gefährdete. William war noch auf, was Liz ungläubig den Kopf schütteln ließ. Er lag im Wohnzimmer auf der Couch, Minnie auf dem Schoß und sah sich einen uralten Schwarzweißfilm an.
„Hallo Liebling," begrüßte er sie.
Liz küßte ihn flüchtig auf die Wange und ging ins Schlafzimmer. Sie war müde und wollte nur noch schlafen. Auf Williams Ausfragerei hatte sie keine große Lust. Aber er war ihr gefolgt und blieb an der Tür stehen.
„Hattest du einen schönen Abend?" wollte er wissen.
„Ja, es war sehr nett," antwortete sie und zog mühsam die Schuhe aus. Ihre Füße brachten sie fast um und sie seufzte erleichtert auf, als sie von den engen Folterwerkzeugen befreit war. Aber William wollte sie gar nicht ausfragen. Er hatte eingesehen, daß er heute mittag etwas überreagiert hatte und wollte einfach nur Abbitte leisten. Schweigend ließ er sich an ihrer Seite auf dem Boden nieder und begann, vorsichtig ihre geschundenen Füße zu massieren. Liz schloß müde die Augen und schnurrte wohlig. Eine zeitlang sagte keiner von beiden ein Wort. Liz brach schließlich das Schweigen.
„Danke, William. Das hat unendlich gut getan," sagte sie und fuhr liebevoll durch seine Haare. Er ließ von ihr ab und nahm neben ihr auf dem Bett Platz.
„Soll ich dir ein schönes, heißes Bad einlassen?" fragte er und legte einen Arm um sie. Liz war von seiner Anteilnahme gerührt. „Oh, das ist lieb, aber ich glaube, ich lege mich gleich schlafen. Ich bin schrecklich müde, es war sehr anstrengend."
William konnte es nicht verhindern, er runzelte die Stirn. Klugerweise sagte er aber nichts. Liz erhob sich gähnend, küßte ihn kurz und verschwand im Bad. Ohne noch viel zu reden, gingen die Darcys schlafen und da der nächste Tag ein Samstag war, schliefen sie sich aus.
Der Samstag verging ruhig und harmonisch. William und Liz frühstückten erst spät und verbrachten den Rest des Tages mit Faulenzen. Es war einer dieser Tage, den sie sehr genossen. Während draußen immer noch der Sturm um die Häuser tobte, machten sie es sich in ihrem Häuschen gemütlich. Der dicke, flauschige Teppich vor dem offenen Kamin lud zum kuscheln ein, William hatte literweise heißen Kakao gekocht und sichergestellt, daß sie auch genügend Plätzchen hatten. Daß er genügend Plätzchen hatte, hieß das.
Liz war zwar bereits sehr umfangreich, aber es hielt sie bislang nicht davon ab, weiterhin mit William zu schlafen. Sie hatten sich also für den Tag ein gemütliches Liebesnest eingerichtet und William verwöhnte und bediente seine Frau, wo immer es ging.
Am nächsten Tag waren sie zum Mittagessen bei Williams Eltern eingeladen, und das würde vorerst das Ende von Ruhe und Frieden bedeuten, wenn auch noch niemand ahnte, was auf sie zukommen würde. Und das kurz vor Weihnachten.
