Kapitel 23

Liz war am Sonntagmorgen mit einem leichten Ziehen im Bauch aufgewacht. Es tat nicht richtig weh, aber es war ein unangenehmes Gefühl. Sie sagte vorerst nichts davon zu William, um ihn nicht zu beunruhigen. Sie seufzte leise. Es war erst sieben Uhr und William schlief natürlich noch. Sie vertrieb sich die Zeit, ihn ein bißchen zu beobachten und schmunzelte, als ihr Blick auf seinen nackten Oberkörper fiel. Die Decke hatte er bis zu den Hüften heruntergestrampelt. Es konnte draußen so kalt sein wie es wollte – William schlief immer nackt. Oft genug wachte sie nachts auf, weil er wieder sämtliche Decken zu sich hinübergezogen hatte und sie selbst praktisch im Freien lag, was dann meist in einen kleinen Kampf ausartete, bis sie es auch wieder warm hatte. Oder aber er hatte sämtliche Decken bei sich, hielt sie selbst aber fest in seinen Armen, so daß es ihr fast zu warm war. Momentan konnte es ihr nicht kühl genug sein und sie begnügte sich mit einer etwas dünneren Decke.

William schlief wie ein Stein. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht ihr zugewandt. Die Haare fielen ihm ins Gesicht, sein Kinn war mit rauhen Stoppeln übersät und sein Mund leicht geöffnet. Liz hätte Stunden damit verbringen können, ihn zu betrachten. Aber noch schöner war, ihn zu berühren. Sie rutschte etwas näher und schlüpfte zu ihm unter die Decke. Ohne wach zu werden zog William sie an sich, murmelte etwas unverständliches und schlief weiter. Es dauerte nicht lange und Liz döste wieder ein, Williams Arme beschützend um sie geschlungen.

Nach einer gemeinsamen Dusche und einem kurzen Frühstück, bestehend aus Kaffee (heißer Milch für Liz), ein paar Muffins sowie der Sonntagszeitung, machten sich die beiden auf den Weg nach West Vanc. Georgie war mit dem Chor auf Tournee an der Ostküste unterwegs und würde erst kurz vor Weihnachten wieder zuhause sein. So waren Anne, William senior und junior sowie Liz alleine beim Essen. Die Stimmung zwischen den beiden Männern war spürbar angespannt, auch wenn sie sich beide große Mühe gaben, höflich miteinander umzugehen. Liz spürte im Unterbewußtsein, daß ein kleiner Funke einen gewaltigen Steppenbrand auslösen konnte und fühlte sich zunehmend unwohl. Anne war ebenfalls schweigsamer als sonst und beobachtete ihre beiden Männer mit großer Sorge.

William Darcy senior erkundigte sich beim Essen interessiert bei seiner Schwiegertochter nach ihrem Befinden, äußerte – ebenso wie Anne – Zustimmung über den ausgewählten Namen seines ersten Enkelkindes und bemühte sich um eine angenehme Atmosphäre, auch wenn er seinen Sohn nicht ein einziges mal ansprach. Als er allerdings beim Dessert anfing, die ein oder andere etwas bissige Bemerkung über ihn zu machen, hatte William die Nase voll. Trotz seines Ärgers bemühte er sich um einen ruhigen Ton.

„Dad, ich würde es begrüßen, wenn wir unsere Meinungsverschiedenheiten im Büro austragen könnten und nicht hier," sagte er leise, aber mit warnendem Unterton.

„Meinungsverschiedenheiten? Warum sagst du nicht, wie es ist? Du kannst es kaum erwarten, bis ich mich zur Ruhe setze, das ist es doch, nicht wahr? Alle meine Entscheidungen zweifelst du an, alles weißt du besser…"

William seufzte innerlich und runzelte die Stirn. Er mußte sich sehr auf die Zunge beißen, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Sein Vater steigerte sich da in etwas hinein, was er nicht mehr steuern konnte – anstatt wie bisher mit ihm zusammenzuarbeiten, wollte er plötzlich den alleinigen Chef herauskehren, der seinem Sohn Vorschriften machen konnte, wie er wollte. Williams Vorschläge, Ideen und Verbesserungen wurden fast immer abgelehnt, und das konnte auf Dauer nicht gutgehen. William wollte die Firma ja gar nicht alleine leiten, aber er wollte als gleichrangig anerkannt werden. Er war schließlich nicht nur erwachsen und alt genug, er war ausgebildeter Jurist und Betriebswirt und bis vor kurzem hatte die Zusammenarbeit mit William senior ja auch noch problemlos funktioniert. Seit sein Vater von der fixen Idee besessen war, daß sein Sohn ihn so schnell wie möglich aufs Altenteil schieben wollte, klappte gar nichts mehr zwischen den beiden.

William hatte keine Kraft mehr, seinem Vater zum wiederholten Male zu erklären, daß er sich das nur einbildete. Er versuchte, das Thema zu wechseln und erkundigte sich bei seiner Mutter nach Georgie und ihrer Tournee. Das Gespräch versandete nach wenigen Minuten, als alles gesagt war und nach einigen Momenten des Schweigens wandte man sich wieder Elizabeth und ihrer Schwangerschaft zu. William senior beteiligte sich nur noch selten an der Konversation und die Atmosphäre wurde immer bedrückender.

Liz kannte ihren Schwiegervater kaum wieder. Hatte er tatsächlich solche Angst vor dem Ruhestand? Warum genoß er nicht die Zeit, die ihm mit seiner Frau noch blieb? William war sehr fähig, er könnte die Firma ohne weiteres alleine leiten, William senior konnte als Berater zur Verfügung stehen und ansonsten mit Anne um die Welt reisen und sich ab und zu um ihre Enkeltochter kümmern. Liz wußte, daß Anne solch ein Leben vorschwebte, aber ihr Mann hatte offenbar ein großes Problem damit. Und bevor er sich nicht zur Ruhe setzte, solange würde sie auch nicht auf ihren Job an der Uni verzichten.

William fühlte sich sehr unwohl in seinem Elternhaus und gerade, als er Liz fragen wollte, ob sie nicht heimfahren wollte, stöhnte sie schmerzerfüllt auf und schlang die Arme um ihren Bauch. William war sofort neben ihr.

„Liebes, was ist? Hast du Schmerzen?"

Sie konnte nichts sagen, der Schmerz zerriß sie fast, so kam es ihr jedenfalls vor. Tränen liefen ihr übers Gesicht und nach ein paar Augenblicken wurde ihr schwarz vor Augen und sie verlor das Bewußtsein. William zögerte nicht lange. Seine Eltern halfen ihm, die ohnmächtige Liz ins Auto zu schaffen und als William auf der Fahrerseite einsteigen wollte, hielt ihn sein Vater auf und schüttelte den Kopf.

„Du paßt auf deine Frau auf, ich fahre," bestimmte er und William leistete keinen Widerstand. Anne quetschte sich auch noch ins Auto und sie fuhren los in Richtung Krankenhaus.

Liz wurde im Krankenhaus sofort weggebracht und den Darcys blieb nichts anderes übrig, als vor den Türen zur Intensivstation zu warten, was natürlich vor allem William sehr schwerfiel. Jeden Arzt, jede Krankenschwester sprach er an, aber keiner von ihnen wußte etwas von Elizabeth Darcy. Es dauerte über eine Stunde, ehe der behandelnde Arzt zu ihnen kam und sie in sein Büro führte. William wollte nicht reden, er wollte zu Liz.

„Sie können gleich zu ihr, Mr. Darcy. Es geht ihrer Frau den Umständen entsprechend gut, sie schläft allerdings jetzt. Dem Kind ist auch nichts passiert." Der Arzt runzelte die Stirn. „Offenbar leidet ihre Frau momentan unter einer familiären Streitigkeit, die ihr großen inneren Streß verursacht." Der Arzt warf den beiden Männern, die sich schuldbewußt ansahen, einen fragenden Blick zu. „Mrs. Darcy muß sich schonen. Sie nimmt sich solche Dinge zu sehr zu Herzen, bitte versuchen sie, sie nicht aufzuregen. Wir werden sie ein paar Tage hierbehalten um sicherzugehen, daß mit ihr und dem Baby alles in Ordnung ist. Sie darf keinesfalls aufstehen, sie dürfen sie nicht aufregen und sie darf sich nicht anstrengen. Ich hoffe, daß sie zu Weihnachten wieder nach hause kann."

Anne warf ihrem Mann und Sohn einen finsteren Blick zu, während der Arzt aufstand und William nach draußen führte. „Sie dürfen jetzt zu ihr, aber bitte wecken sie sie nicht auf, falls sie schläft. Sie braucht viel Ruhe."

William ging alleine ins Zimmer. Liz schlief. Sie sah so zerbrechlich und blaß aus in dem großen Bett und er setzte sich vorsichtig an ihre Seite. Er schämte sich und machte sich große Vorwürfe. Die albernen Streitereien mit seinem Vater hatten ihr sehr zu schaffen gemacht. Immer wieder hatte sie versucht, ihn zu einem Kompromiß zu bringen, aber sie waren alle beide stur geblieben. Liz (wie natürlich auch Anne) stand den Zwistigkeiten hilflos gegenüber, aber beide litten sie unter der schlechten, gedrückten Stimmung, wenn sie alle vier zusammen waren. Dann stand auch noch Weihnachten vor der Tür und Liz in ihrem Zustand… William hätte sich selbst ohrfeigen können. Wieso hatte er es zugelassen, daß seine Liebste darunter litt? Er selbst litt darunter, seine Mutter, Georgie, und sein Vater sicher auch. Aber nein, sie mußten Machtspielchen austragen, sie konnten sich nicht wie erwachsene Männer betragen. Ein Armutszeugnis, wie William beschämt feststellte.

Liz wachte nicht auf und irgendwann kam Anne ins Zimmer, um ihren Sohn zu fragen, ob er mit nach hause fahren wollte. William schüttelte den Kopf.

„Nein, bitte fahrt ruhig. Ich bleibe bei ihr. Vielleicht wacht sie noch auf."

„Ich habe Mrs. Sherwood angerufen. Sie wird einen kleinen Koffer packen und hierher schicken lassen." William lächelte dankbar. „Daran hätte ich nicht gedacht. Danke, Ma."

Anne trat hinter ihren Sohn und legte ihm die Arme um den Hals. „Du kannst gerne zu uns fahren heute nacht, Will. Falls du nicht alleine sein willst."

William küßte sie auf die Wange und schüttelte den Kopf. „Danke für das Angebot, vorerst bleibe ich hier und dann fahre ich nach hause. Es ist näher als West Vanc."

Anne nickte, fuhr ihrem Sohn durch die dunklen Locken und warf einen traurigen Blick auf die schlafende Liz. „Falls es etwas Neues gibt, sag uns Bescheid, Hon."

William drückte ihre Hand. „Natürlich. Gute Nacht, Ma."

„Gute Nacht, Darling."

Liz schlief in dieser Nacht tief und fest und die Nachtschwester legte William nahe, doch auch nach hause zu fahren und morgen früh wiederzukommen.

„Ihre Frau ist hier in besten Händen, Sir. Warum ruhen sie sich nicht auch ein bißchen aus, schlafen ein paar Stunden und morgen sind sie beide wieder frisch und munter."

William zögerte. Ihm graute vor dem leeren Haus, vor der einsamen Nacht, die vor ihm lag. Er überlegte kurz, ob er nicht doch nach West Vanc fahren sollte, aber entschied sich schließlich dagegen. Es war schon spät und außerdem lag sein eigenes Haus näher am Hospital. Wider Erwarten schlief er sofort ein, als er zu Bett ging.

Am nächsten Tag war Liz wach, als er ihr Krankenzimmer betrat. Sie lächelte schwach und William erschrak über ihr blasses Aussehen. Tapfer lächelnd setzte er sich an ihre Seite und nahm sie vorsichtig in die Arme. Wieder erschrak er. Sie war so schwach, so fragil! Es war, als hielte er ein Kind im Arm.

„Liebling, wie geht es dir?" fragte er besorgt und ließ sie zögernd los.

„Gut soweit. Ich bin nur entsetzlich müde und kraftlos, und die blöden Schmerzen lassen kaum nach. Ich glaube, Vicky drängt auf eine frühe Geburt."

William lächelte, obwohl ihm nicht danach zumute war. Der Arzt hatte vor seinem Besuch nochmal mit ihm gesprochen und ziemlich ernst ausgesehen. Sie wollten Liz länger dabehalten als geplant, da irgendetwas mit der Lage des Kindes nicht stimmte und sie strikte Bettruhe einhalten mußte. Zuhause hätte sie zwar ebenfalls jegliche Pflege haben können, aber William wußte genau, sie würde dort aufstehen wollen und sich am Ende nur selbst gefährden. Hier war sie gut aufgehoben, mußte er eingestehen. Natürlich hatte er dafür gesorgt, daß nur die besten Ärzte und Pflegerinnen für sie da sein würden.

„Es wird alles gutgehen, Liebes, mach dir keine Sorgen," versuchte er sie zu trösten, aber Liz wußte es besser. „Ich werde vielleicht bis zur Geburt hierbleiben müssen," sagte sie traurig. „Weihnachten werde ich auf jeden Fall hier verbringen. Und wenn ich ganz großes Pech habe, wird Vicky vorher geholt."

„Auf jeden Fall bist du hier in besten Händen, Liz. Wir werden das gemeinsam durchstehen, ich verspreche es. Ich komme jeden Tag zu dir, egal wie lange du hier bleiben mußt."

Liz ergriff seine Hand. „Du darfst deine Arbeit nicht vernachlässigen, William. Dein Vater…"

„Ssschhh… kein Wort darüber," unterbrach sie William. „Du konzentrierst dich ganz alleine darauf, gesund zu werden, einverstanden? Nichts ist wichtiger als du und die Kleine. Und du bleibst schön hier liegen, damit Vicky nicht in Versuchung gerät, doch noch vor ihrem Termin herauskommen zu wollen."

Liz nickte und lächelte schwach. „Na schön. Kannst du mir etwas vorlesen?" Sie deutete auf einen Stapel Bücher auf dem Nachttisch und William lächelte, als er Grimms Märchen obenauf entdeckte. Er las ihr das Märchen von Frau Holle vor, aber bereits nach zwei Minuten war Liz eingeschlafen.

So ging es die nächsten Wochen tagein, tagaus. William verbrachte jede freie Minute an Liz' Seite. Er nahm sich manchmal ein paar Akten mit, die er durchlesen konnte, wenn Liz schlief, und sie schlief sehr viel. Die Zwistigkeiten mit seinem Vater waren zunächst auf Eis gelegt worden, wie es schien. William senior sprach wenig mit seinem Sohn und wenn, dann nur, wenn er sich nach seiner Schwiegertochter erkundigte. Ansonsten war das Verhältnis zwischen ihnen weiterhin angespannt und William litt sehr darunter. Aber darum würde er sich kümmern, wenn mit Liz alles wieder in Ordnung war. Vielleicht trug ja auch die Geburt des ersten Enkelkindes etwas dazu bei, den Bruch zwischen den beiden Männern wieder zu kitten. Vorerst galten alle seine Gedanken seiner Frau und seiner ungeborenen Tochter.

Weihnachten stand vor der Tür und Liz durfte ihr Bett weiterhin nicht verlassen. Sie hatte sich die ganze Zeit über zusammengerissen, aber langsam wurde sie nervös und ungeduldig. Den ganzen Tag im Bett liegen war anstrengend, die Schmerzen waren mittlerweile ein Dauerzustand und so war es kein Wunder, daß sich ihre Laune dem Nullpunkt näherte. William tat sein bestes. Er unterhielt sie, las ihr vor, sah sich mit ihr Filme an (die er sich freiwillig nie angesehen hätte – Weiberkram – ), hielt sie einfach in den Armen, wenn sie einschlief. Er nahm es klaglos hin, wenn sie ihn anmeckerte (meist grundlos), wenn sie ihren Frust an ihm ausließ; tröstete sie, wenn sie weinte, weil die Schmerzen einfach nicht nachließen. Es war eine harte Zeit für sie beide und William betete jeden Tag, daß es bald vorbeisein würde. Er freute sich auf den Tag, an dem er seine Frau und seine Tochter nach hause bringen konnte und dann wollte er so schnell kein Krankenhaus mehr von innen sehen.