Kapitel 24

Heiligabend kam mit stürmischem Wind und Dauerregen. Es war ungemütlich kalt und wer zuhause bleiben konnte, tat das auch. William war wie an jedem Tag im Krankenhaus. Liz hatte es am Morgen vor Schmerzen kaum ausgehalten und man hatte ernsthaft in Erwägung gezogen, die Geburt einzuleiten. Schließlich war man übereingekommen, noch abzuwarten und sie hatten ihr ein ganz, ganz leichtes Schmerzmittel verabreicht. Das hatte allerdings den Effekt, daß sie den ganzen Rest des Tages im Halbschlaf verbrachte und kaum etwas mit ihr anzufangen war. William verbrachte die Zeit mit ihr, aber als sie um halb zehn etwa tief und fest eingeschlafen war, machte er sich traurig und niedergeschlagen auf den Weg nach hause.

In Gedanken versunken lief er den Flur des Krankenhauses entlang zum Parkplatz. Er war so abwesend, daß er eine junge Frau übersah, die gerade aus einem Zimmer trat und sie fast über den Haufen rannte.

„Oh, entschuldigen sie bitte, ich hab sie gar nicht…" „Verzeihung, ich war ganz…"

Erstaunt sahen sich die beiden an.

„Laura?"

„William?"

William fing sich als erster. „Laura Bailey? Was um alles in der Welt machst du denn hier? Wie geht es dir?"

„Meine Mutter wurde gestern eingeliefert, ich war den ganzen Tag bei ihr. William Darcy…ich hatte immer gedacht, du wärst noch an der Ostküste. Wie lange bist du schon wieder in der Stadt?"

„Oh, schon lange."

Laura lächelte. „Ich bin erst seit zwei Wochen wieder im Land. Ich war drei Jahre lang in Asien unterwegs. Aber was machst du hier? Hoffentlich nichts ernstes?"

Williams Lächeln verblaßte etwas. „Meine Frau ist hier, Komplikationen während der Schwangerschaft."

Als er „meine Frau" sagte, legte sich ein Schatten über Lauras Gesicht. Laura Bailey war praktisch die einzige halbwegs ernsthafte Beziehung, die William vor Liz gehabt hatte. Es war schon lange her. Sie waren einige Monate zusammengewesen, dann hatte sich William entschieden, nach Montreal zu gehen, um Jura zu studieren. Er hatte Laura gebeten, mitzukommen, doch sie hatte andere Pläne. Sie wollte sich nicht nach einem Mann richten und begann ihrerseits ein Studium in den Vereinigten Staaten. Die Beziehung hielt eine Distanz von mehreren tausend Kilometern nicht aus, und so trennten sie sich schließlich als Freunde. Irgendwann verloren sie sich ganz aus den Augen und so waren Jahre vergangen, seitdem sie sich das letzte mal gesehen hatten.

Laura hatte immer gehofft, sie würden vielleicht später nochmals eine Chance miteinander haben – sie hatte William nie ganz vergessen können – aber die Worte „meine Frau" machten diese Möglichkeit zunichte. Oder?

Laura dachte kurz nach. William sah traurig und erschöpft aus, vielleicht konnte er ein wenig Abwechslung gebrauchen. Und auf sie wartete ja auch niemand zuhause…

„Was hältst du davon, wenn wir zusammen einen Kaffee trinken gehen? Wenn du natürlich andere Verpflichtungen hast…" schlug sie vor und sah ihn erwartungsvoll an.

William akzeptierte gerne. Das einsame Haus, so leer ohne Liz, deprimierte ihn sehr. Laura war nette Gesellschaft, es wäre sicher interessant zu erfahren, wie es ihr in den vergangenen Jahren gegangen war. Außerdem war es eine willkommene Ablenkung von all seinen Sorgen, die er außer Liz noch hatte.

Gegenüber vom Krankenhaus gab es einen kleinen Coffeeshop, in dem man ungestört sitzen und reden konnte. In Anbetracht des Feiertages und der Uhrzeit war nicht viel los, und die etwas gelangweilte Kellnerin nahm lustlos ihre Bestellung entgegen. Man konnte sehen, daß sie lieber den Laden zugemacht hätte, als jetzt noch Kunden zu bedienen.

Anfangs fühlte sich William ein wenig unsicher in Lauras Gegenwart. Mit dieser Frau hatte er immerhin eine mehrere Monate dauernde Beziehung geführt, sie wären vielleicht sogar zusammengezogen, möglicherweise heute verheiratet, wenn er nicht nach Montreal gegangen wäre. Laura sah noch fast genauso aus wie damals. Lange, blonde Haare, sehr gepflegt, gut gekleidet. Und eine stattliche Oberweite, wie William sich verlegen erinnerte und dabei leicht errötete. Ihr Liebesleben war durchaus gut gewesen, auch wenn Laura eher konservativ in diesen Dingen war und nicht so spielerisch und neugierig mit der körperlichen Liebe umging wie Liz. William schämte sich etwas, daß er seine Exfreundin auf diese Dinge reduzierte, aber wenn er ehrlich war, konnte er sich heute nicht mehr vorstellen, sich in Laura zu verlieben. Sicher, sie war nett, sie sah gut aus und sie schien ihn immer noch zu mögen, aber der auslösende Funke war nicht mehr da. Zumindest nicht von seiner Seite.

Laura sah die Sache etwas anders. Auch William hatte sich nicht groß verändert, seit er nach Montreal gegangen war. Er sah nur noch männlicher und noch attraktiver aus, wie sie fand. Ihre Entscheidung, damals nicht in den Osten mitzugehen, hatte sie später bitter bereut. Einen Mann wie William Darcy gab man nicht ohne weiteres auf, aber das war ihr erst klargeworden, als es zu spät war. Ein William Darcy ließ sich nicht an der Nase herumführen. Sie hatte die Chance gehabt, nicht genutzt, Pech für sie. William hatte klare Verhältnisse geschaffen und das war das endgültige Ende ihrer Beziehung. Aber sie mußte ja unbedingt in Kalifornien studieren… Hätte sie eine Möglichkeit gehabt, die Zeit zurückzudrehen, sie hätte es gemacht. Und hier saß sie nun mit ihrem Ex, dessen hochschwangere Ehefrau im Krankenhaus lag…

Sie ermunterte William, ihr seine Sorgen zu erzählen und zu seinem Erstaunen tat es ihm sehr gut, sich alles von der Seele zu reden. Laura hörte still und aufmerksam zu, nickte dann und wann, gab zustimmende Laute von sich, stellte kurze Fragen. Nach einiger Zeit griff sie nach seiner Hand, drückte sie und hielt sie fest. William fühlte sich seltsam getröstet durch Lauras Anwesenheit, ihre Nähe. Und sie machte es sehr geschickt. Sie war mitfühlend, gewährte unaufdringlich Körperkontakt, hielt sich mit ihren eigenen Sorgen zurück. Es war nicht so, daß sie ihm etwas vorspielte, ganz und gar nicht. Sie nahm seinen Kummer ernst und es bedrückte sie, ihn so traurig zu sehen. Aber sie hatte auch nicht vor, ihn an diesem Abend einfach wieder so aus ihrem Leben verschwinden zu lassen.

Um etwa halb elf wurden sie förmlich aus dem Coffeeshop rausgeschmissen. Sie waren die einzigen Gäste gewesen und die unfreundliche Kellnerin wollte nun endlich ihren Laden schließen. Laura vertraute auf Williams Ritterlichkeit. Sie war mit dem Bus gekommen und würde sich jetzt ein Taxi leisten, hoffte aber, William würde von sich aus anbieten, sie nach hause zu fahren. Was er selbstverständlich auch tat. Nie hätte er zugelassen, daß sie alleine mit dem Bus um diese Zeit fahren würde.

Die Fahrt zu Lauras Wohnung war nicht besonders weit, allerdings lag sie am entgegengesetzten Ende der Stadt, weit entfernt vom Haus der Darcys, William würde einen weiten Heimweg haben.

William stellte den Motor ab – ein gutes Zeichen – wie Laura dachte, als sie vor dem Haus angekommen waren.

„Ich habe mich gefreut, dich wiederzusehen," sagte er. „Auch wenn die Umstände etwas freundlicher hätten sein können."

Laura nickte. Sie mußte schnell überlegen, wie sie ihn noch ein bißchen festhalten konnte – er durfte nicht einfach so verschwinden!

„Ich fand es auch sehr nett," sagte sie leise und griff nach seiner Hand. „William, wenn ich irgendetwas für dich tun kann… du weißt, wo du mich findest. Und wenn du nur zwei Ohren brauchst, die dir zuhören…"

William lächelte. Der Abend hatte ihm gutgetan. „Danke, ich weiß es zu schätzen."

Laura neigte sich leicht zu ihm und küßte ihn sanft auf die Wange. Verdammt, wieso reagierte er nicht!

William hätte auch höchstwahrscheinlich auf diesen eher freundschaftlichen Kuß nicht besonders reagiert, wäre sein Blick nicht in dem Moment auf Lauras (mehr als großzügigen) Ausschnitt gefallen. Durch ihr Hinüberbeugen zu ihm hatte er allerbeste Sicht auf ihre Brüste und – ohne daß er sich dagegen wehren konnte – drehte er ihr Gesicht zu sich, küßte sie verlangend auf den Mund und nach nur wenigen Sekunden verschwand seine linke Hand in ihrem Ausschnitt. Sein Verstand setzte vollkommen aus, er hatte nur noch das Bedürfnis, sein Gesicht zwischen diesen prallen Hügeln zu vergraben. Und Laura war nur zu glücklich, ihm dieses Bedürfnis zu erfüllen. Allerdings nach Möglichkeit in ihrem Bett und nicht hier im kalten Auto.

Ohne ein Wort zu sagen, zog Laura William mit sich in ihre Wohnung und er leistete keine Gegenwehr. In Sekundenschnelle waren sie ausgezogen und fanden sich in Lauras Bett wieder. William machte sich keine Mühe mit dem Vorspiel – nahezu rücksichtslos nahm er Laura und nur wenige Minuten später sank er erschöpft auf ihr zusammen.

William war so müde und ausgelaugt, daß er fast auf der Stelle einschlief, sehr zu Lauras Frust und Ärger, die ziemlich unbefriedigt noch einige Zeit wachlag.

Als er am nächsten Morgen früh erwachte, befiel ihn das schlechte Gewissen, das er Liz gegenüber hatte mit voller Stärke. Er konnte es nicht glauben, er hatte heute nacht seine Frau betrogen.

Sein Blick fiel auf Laura, die friedlich neben ihm schlief. Er schämte sich, haßte sich selbst. Er war fremdgegangen, hatte Liz betrogen und darüberhinaus hatte er offenbar Hoffnungen in Laura geweckt, die er nicht einhalten konnte und auch gar nicht einhalten wollte. Er gestand sich ein, daß es ihm gutgetan hatte, seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen, aber er hatte zwei Frauen damit verletzt. Eine wußte nichts davon, die andere wäre höchstwahrscheinlich bitter enttäuscht. Er mußte hier weg. Verdammt.

Leise stand er auf in der Hoffnung, Laura nicht zu wecken, aber sie wurde sofort wach, als er sich anzog. „Willst du schon gehen?" fragte sie schläfrig und setzte sich auf. Die Decke rutschte von ihrer Schulter und gab den Blick auf ihre phänomenalen Brüste frei, aber William sah schnell weg, um nicht noch einmal in Versuchung zu geraten und zog sich rasch fertig an.

„Es war ein Fehler, bitte entschuldige. Ich wollte keine Hoffnungen in dir wecken, die ich nicht erfüllen kann. Sorry."

Laura lachte bitter. „Na, schlechtes Gewissen auf einmal? Angst vor der lieben Ehefrau?" Sie schnaubte höhnisch. „Auch du bist nicht besser als andere Kerle, William Darcy. Hätte ich nicht gedacht."

William zog es vor, nichts darauf zu sagen. Er bereute bereits zutiefst, seinen niederen Trieben nachgegeben zu haben, aber es ließ sich nun nicht mehr rückgängig machen. Er würde damit leben müssen. Und er hatte nicht annähernd eine Ahnung, wie viel ihn das kosten würde.