Kapitel 30

Es wurde Februar. Liz saß eines morgens mit der Tageszeitung und einer Tasse Kaffee im Wintergarten, aber sie war zu sehr in Gedanken, als daß sie die Zeitung konzentriert lesen konnte. William war auf Dienstreise an der Ostküste und wollte morgen abend spätestens zurück sein. Liz vermißte ihn, wie jedesmal. Sie schlief nicht gerne alleine ein.

Liz lächelte nachdenklich. Übermorgen hatten sie ihren zweiten Hochzeitstag. Zwei Jahre waren sie nun schon verheiratet, war das zu glauben? Wenn sie sich an die Anfänge ihrer Beziehung zurückerinnerte, konnte sie nur den Kopf schütteln. William, der mit seinem Porsche auf ihrem Kundenparkplatz gestanden hatte und ein so überaus arroganter Idiot gewesen war, der später für seine Mutter diese wundervollen Schillerbände erstanden hatte – zehn Stück an zehn Tagen und der sie mit seiner Kenntnis über deutsche Literatur verblüfft hatte. William, in den sie sich schließlich doch verliebt hatte, obwohl er ein verwöhnter, reicher Playboy war und der privat so ganz anders war, nämlich ein aufmerksamer, liebender Familienvater. Hätte ihr vor zwei Jahren jemand gesagt, daß ihre Ehe länger als ein paar Monate halten würde, sie hätte ihn heimlich ausgelacht. Aber ihre Ehe hatte bisher allen Stürmen getrotzt und standgehalten und sie sah keinen Grund, daß sich daran etwas ändern würde.

Wie sehr sie sich doch täuschte.

William rief Liz am nächsten Morgen an um ihr mitzuteilen, daß er wie geplant abends zuhause wäre. Er äußerte etwas anzüglich seine Hoffnung, sie würde zur Feier des Tages ihren schwarzen Spitzenbody für ihn anziehen, was Liz amüsiert den Kopf schütteln ließ. William und sein geliebter Spitzenbody!

Sie hatte noch den ganzen Tag Zeit und überlegte, womit sie ihn noch überraschen konnte. Ins Bad würde sie später gehen, kurz bevor er nach hause kam. Anne würde Victoria gegen mittag abholen und über Nacht in West Vanc behalten, somit wären sie den ganzen Abend und morgen ungestört. Liz freute sich darauf, ihren Mann einmal für sich alleine zu haben und so schwer es ihr auch fiel, sich von ihrer Tochter auch nur für kurze Zeit zu trennen, sie glaubte, daß solch ein gemeinsamer Tag für sie beide nötig war.

Mrs. Sherwood hatte ebenfalls heute frei bekommen und so mußte sich Liz selbst um alles kümmern. Sie stellte den Champagner kalt und brachte schon mal zwei Kristallgläser ins Schlafzimmer. Anne kam, um Vicky abzuholen und verabschiedete sich schnell wieder. Danach hatte Liz viel Zeit. Sie holte schon einmal den von William so geliebten schwarzen Spitzenbody hervor und legte ihn aufs Bett. William wäre höchstwahrscheinlich etwas erschöpft nach seiner Reise, also würde er sicher baden wollen, dachte sie. Sie überprüfte die Badeessenzen, legte weiche, flauschige Handtücher bereit und konnte es kaum erwarten, daß er endlich nach hause kam. Sie mußte sich irgendwie ablenken.

Liz hatte sich gerade ein Buch genommen und vor dem Kamin in der Bibliothek gemütlich gemacht, als es an der Tür klingelte. Wer mochte das sein? Seufzend stand sie auf, verärgert über die Störung, und öffnete. Laura Bailey stand vor der Tür und lächelte freundlich.

„Hallo Elizabeth, ich hoffe, ich störe nicht?"

Liz wollte nicht unhöflich sein, aber Laura war nicht unbedingt jemand, den sie momentan gerne sehen wollte. Sie mochte die Frau nicht besonders, irgendetwas an ihr erschien ihr falsch und unaufrichtig. Möglicherweise war es auch nur ein bißchen Eifersucht, weil diese Frau vor Jahren mit William zusammen gewesen war.

„Laura, hallo. Kommen sie doch rein," sagte sie zögernd und ließ ihren Gast eintreten.

„Ich muß mich entschuldigen, daß ich nicht schon früher vorbeigekommen bin," sagte Laura und sah sich neugierig um. Du hättest meinetwegen gar nicht kommen brauchen, dachte Liz ein bißchen gehässig.

„Und dabei wollte ich doch so gerne ihre Tochter sehen!"

„Oh, Vicky ist nicht da heute," entgegnete Liz. „Sie ist bei ihren Großeltern."

„Ach? Wie schade!" Laura heuchelte Bedauern. Liz bot ihr einen Stuhl an und fragte, ob sie Kaffee wollte. Sie wollte.

„Ein Jahr ist die Kleine schon alt, nicht wahr? Ich kann mich noch so gut daran erinnern, als ich William an Weihnachten vor einem Jahr im Krankenhaus getroffen habe," ihr Lächeln wurde breiter und sie sah Liz lauernd an. „Der Ärmste! Er hatte damals eine schlimme Zeit durchgemacht."

Liz wurde immer gereizter. Und ich etwa nicht?

„Ich bin sehr froh, daß ich ihm ein bißchen Trost geben konnte damals," sagte Laura und ließ Liz nicht aus den Augen. „Wir kennen uns ja schließlich schon lange Jahre und standen uns schon immer recht nahe."

Liz wollte ihren Ohren kaum trauen. Was zum Teufel meinte diese Frau?

Laura lächelte unschuldig. Ihr Gift verteilte sich langsam, aber es verteilte sich unaufhaltsam. Sie wußte, sie hatte Elizabeths volle Aufmerksamkeit.

„Ja, er war ziemlich frustriert, der Arme. So besorgt um sie, Elizabeth. Kein Wunder! Das erste Kind unterwegs, Komplikationen, Weihnachten alleine…wie gut, daß wir uns im Krankenhaus getroffen hatten. Er hatte definitiv jemanden gebraucht, der ihm zuhört, dem er seine Sorgen erzählen konnte, der ihn tröstete. Ganz wie früher, als wir noch zusammen waren." Sie starrte lächelnd, aber gedankenverloren in die Ferne. „Was für eine wundervolle Zeit wir damals hatten. Ich bedaure heute noch, daß ich ihn nicht nach Montreal begleitet habe…" Sie seufzte. „Aber das ist Schnee von gestern und ich sollte das in ihrer Gegenwart wahrscheinlich besser nicht ansprechen. Wie unsensibel von mir!" Sie lachte affektiert. „Ich freue mich jedenfalls, daß wir heute trotzdem noch gute Freunde sind. Sehr gute Freunde, wie ich bemerken darf. Das ist ja eher selten der Fall, wenn man sich getrennt hat, nicht wahr?"

Liz wollte es nicht glauben. Was versuchte Laura, ihr damit zu sagen?

„Was wollen sie, Laura?" fragte sie direkt und die andere Frau schenkte ihr ein falsches Lächeln.

„Entschuldigen sie, Elizabeth, die Nostalgie geht mit mir durch. Sie brauchen keine Angst zu haben, William hat sich mittlerweile endgültig entschieden. Für seine Familie."

Sie sah nun bedrückt aus, ihr Lächeln war verschwunden und Tränen traten in ihre Augen. „Ich bin offen zu ihnen. Letztes Jahr, an Weihnachten, hatte ich so etwas wie Hoffnung, daß er zu mir zurückkommt. Aber diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Ich will ihnen nur sagen, daß ich das akzeptiere."

Was redete diese Frau? Was war letztes Jahr an Weihnachten passiert zwischen ihr und William? Aber Liz war zu stolz, um weitere Fragen zu stellen. Sie würde aber ihrem Gatten heute abend ziemlich auf den Zahn fühlen!

Laura stand auf. „Ich denke, ich gehe lieber," sagte sie. „Schade, daß ich ihre kleine Tochter nicht habe sehen können. Auf Wiedersehen."

Liz starrte auf die geschlossene Haustür, nachdem Laura gegangen war, und ihre Gedanken liefen Amok. Sie versuchte, Lauras seltsame Äußerungen zu sortieren. Irgendetwas mußte an Weihnachten zwischen ihr und William geschehen sein. Er hatte sich ihr anvertraut? Sie hatte ihn getröstet? Sie hatte Hoffnung gehabt, daß er zu ihr zurückkommen würde? Was war bloß passiert? Und vor allem: was hatte ihr William über ein Jahr lang verschwiegen?

Vergessen war ihr morgiger Hochzeitstag, vergessen war, daß sie ihren Gemahl heute nacht nach Strich und Faden verführen, ihm eine unvergeßliche Liebesnacht bereiten wollte. Laura Bailey hatte ihren Giftpfeil verschossen und er hatte Elizabeth Darcy mitten ins Herz getroffen.

Am Flughafen in Halifax wartete William Darcy ungeduldig darauf, daß sein Flug endlich aufgerufen wurde, aber es tat sich nichts. An der Küste war ein Schneesturm niedergegangen und sämtliche Flüge hatten Verspätung. Immer wieder sah er auf die Uhr. Er wollte endlich nach hause. Er sehnte sich nach Liz, er wollte nichts anderes, als in ihren Armen liegen und an nichts anderes mehr denken müssen.

Als die Maschine mit vierstündiger Verspätung endlich abhob, lehnte er sich müde in seinem Sitz in der ersten Klasse zurück und schloß die Augen. Nur noch wenige Stunden, und er konnte seine Frau endlich wieder in die Arme schließen. Erst nach dem Start fiel ihm ein, daß er sie gar nicht darüber informiert hatte, daß er sich verspäten würde.

Je später es wurde, desto unruhiger wurde Elizabeth. Wie eine Tigerin im Käfig lief sie auf und ab, fand keine Ruhe, konnte nicht stillsitzen. Lauras Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf. Sie hatte das clever gemacht, nur Andeutungen gegeben, nichts gesagt, was sie hätte greifen können. Einzig William würde die Sache aufklären können und er kam und kam einfach nicht.

Liz zwang sich zur Vernunft. Wieso ging sie gleich vom Schlimmsten aus? Laura wollte sich höchstwahrscheinlich nur wichtig machen, aus Eifersucht und Neid. Aber warum sollte sie das tun? Nein, es steckte mehr hinter der Sache, Liz war sicher. Sie war sehr gespannt auf Williams Version. Inwiefern hatte Laura ihn trösten müssen?

Verdammt!

Stunden später war sie mit ihren Nerven fast am Ende. William hätte schon längst hier sein müssen! Sie rief sein Mobiltelefon an, aber das war ausgeschaltet. Sie rief das Hotel in Halifax an, doch die nette Dame teilte ihr mit, daß Mr. Darcy planmäßig das Haus in Richtung Flughafen verlassen hatte. Liz nahm ihren Marsch durch das Haus wieder auf. Ein unangenehmer Gedanke nistete sich in ihrem Kopf ein. Vielleicht hatte er ja einen kleinen Abstecher gemacht, bevor er nach hause fuhr? Vielleicht hatte er die letzten beiden Jahre über irgendwelche Affairen gehabt? Vielleicht sogar mit Laura und er hatte sie abserviert und nun war sie wütend und spielte die gekränkte Geliebte?

Liz wurde schlecht. Es war nicht abwegig, oder? An Gelegenheiten mangelte es William nicht. Er war viel unterwegs und er kam auch abends oft spät nach hause. Hatte er sie tatsächlich all die Zeit über betrogen? Er hatte vor ihrer Hochzeit ein wildes Leben geführt, das wußte sie. Konnte man das so einfach ändern? Konnte man praktisch über nacht ein treusorgender, monogamer Familienvater sein, der sich mit einer Frau begnügte, wo er vorher hunderte hätte haben können – und definitiv gehabt hatte? Und wo war er jetzt? Warum kam er nicht nach hause?

Als William zwei Stunden später müde, aber erleichtert und voller Vorfreude auf seine Frau das Haus betrat, fand er diese wie ein Häufchen Elend tränenüberströmt zusammengerollt auf der Couch im Wohnzimmer vor. Er ließ alles fallen und eilte erschrocken an ihre Seite, fest davon überzeugt, daß etwas schlimmes passiert sein mußte.

„Elizabeth! Was ist los, ist was passiert? Wo ist Vicky? Ist irgendwas mit Vicky?"

Liz drehte sich langsam zu ihm um. Ihre Augen waren rot geschwollen und ihr Herz brach, als sie ihn so sah.

„Liz?" sagte er leise und griff nach ihrer Hand. „Sag mir was los ist." Seine Stimme war fast ängstlich.

Sie schüttelte den Kopf. „Es ist nichts mit Vicky," brachte sie heraus und zog ihre Hände zurück. Sie räusperte sich und griff nach einem Taschentuch. Als sie sich etwas gefangen hatte, holte sie tief Luft und fragte ihn ganz direkt, ob er etwas mit Laura Bailey hatte. William schloß die Augen und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Liz, die seine Reaktion mit größter Spannung verfolgt hatte, wußte in diesem Augenblick Bescheid.

„Also hat sie dich getröstet, so wie sie es nennt und du hattest überlegt, ob du zu ihr zurückkehrst?" sagte sie leise und ihre Tränen liefen wieder. „Warst du eben auch bei ihr? Vier Stunden Verspätung sind lange genug für einen kleinen Abstecher. Ich will einfach nur die Wahrheit, William."

William fühlte sich wie durch den Wolf gedreht. Seine Gedanken rasten, er konnte sie gar nicht so schnell sortieren. Laura hatte ihre Drohung endlich wahrgemacht und Liz informiert, das war Fakt. Aber er mußte es genau wissen.

„Elizabeth, erzähl mir, was passiert ist," sagte er ruhig.

„Laura Bailey hat mich heute mittag besucht und mir erzählt, daß sie dich letztes Jahr an Weihnachten getröstet hätte und du danach ernsthaft überlegt hast, ob du zu ihr zurückkehrst. Daß ihr noch gute Freunde seid und daß sie es bedauert, damals nicht mit nach Montreal gegangen zu sein." Sie schaute William aufmerksam an. „Bitte sei ehrlich, Will. Hast du etwas mit dieser Frau?"

Diese Frage konnte er ohne zu lügen mit „Nein" beantworten, aber es war ja nur die halbe Wahrheit. Laura hatte offenbar nicht explizit erwähnt, daß er ein einziges mal mit ihr geschlafen hatte, aber er wußte, er durfte es nicht verschweigen. Der Schaden war angerichtet und jetzt ging es nur noch darum, die Folgen möglichst gering zu halten.

„Nein, ich habe nichts mit Laura," begann William und in Elizabeths Gesicht begann sich Hoffnung abzuzeichnen. Eine Hoffnung, die er mit seinem nächsten Satz wieder zerstören mußte. „Aber…" er wußte, es gab keine abgeschwächte Fassung, also entschloß er sich, einfach ganz offen und ehrlich zu sein. „es stimmt, sie hat mich sozusagen getröstet damals, als du im Krankenhaus lagst. An Heiligabend."

„Wie definierst du trösten, William?" fragte Liz kühl.

Er schluckte und vermied ihren Blick. „Ich habe mit ihr geschlafen. Ein einziges mal."

Für Elizabeth Darcy brach eine Welt zusammen. Unglaube verwandelte sich in Zorn, der sich wiederum in Schmerz verwandelte. Nein, sie wollte es einfach nicht glauben, es konnte nicht sein. William, im Bett mit dieser Frau? William hatte sie tatsächlich betrogen? Der Mann, der sie liebte, sie auf Händen trug, dessen Kind sie geboren hatte, der im Bett nie genug von ihr bekam? Er sagte, er hatte Trost gebraucht, Trost, als sie im Krankenhaus war und er Weihnachten alleine verbringen mußte. Er hatte Laura im Krankenhaus getroffen und nichts eiligeres zu tun gehabt, als gleich darauf mit ihr in die Kiste zu springen. Einmal, ja. Aber das war exakt einmal zu viel. Und es war schon über ein Jahr her und er hatte ihr nichts davon gesagt.

Liz stand mit wackligen Beinen auf, während William sie besorgt und verzweifelt anschaute. „Elizabeth, laß mich erklären…"

Sie fauchte und brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Da gibt es recht wenig zu erklären, William, findest du nicht? Du gibst zu, mit dieser Frau im Bett gewesen zu sein. Sorry, aber damit muß ich erst fertig werden. Ich kann mit soetwas sehr, sehr schlecht umgehen, William." Sie mußte sich festhalten und holte tief Luft. „Ich…ich will dich vorerst nicht mehr sehen," sagte sie leise.

„Liz, bitte…" flehte er, aber vergebens. Liz schüttelte entschieden den Kopf. Sie wandte sich ab, damit er ihre Tränen nicht sah und ging ins Schlafzimmer. William hörte, wie sie Sachen in einen Koffer packte und kurz mit jemandem sprach, offenbar am Telefon, aber er war unfähig, sich zu bewegen. Was zum Teufel sollte er tun? Er wußte, sie würde sich nicht aufhalten lassen und egal was er sagte, es würde in einem häßlichen Streit enden. Und er war nicht in der Position, Forderungen zu stellen. William mußte sie gehenlassen, auch wenn es ihn alle Kraft der Welt kostete.

Minuten später erschien Liz mit ihrem Koffer und ihrer Handtasche. Im selben Augenblick klingelte es an der Tür.

„Mein Taxi," sagte sie bloß und William versuchte ein weiteres mal, ihr zu erklären. Liz schüttelte bedrückt, aber entschlossen den Kopf.

„Nein, Will. Ich verstehe sehr gut. Du warst damals traurig, überfordert oder was weiß ich. Du hast bei einer anderen Frau Trost gesucht und gefunden. Möglicherweise ist das ein guter Grund, fremdzugehen. Aber es tut mir leid, ich kann dir momentan nicht verzeihen."

Mit diesen Worten verließ sie das Haus, einen am Boden zerstörten William zurücklassend.