Richard ging zum Flugzeug und ohne Umwege ins Cockpit. Rob McMahon sah ihn erstaunt an. „Kann ich ihnen helfen, Sir?"
Richard nahm neben dem Piloten platz. „Passen sie auf, ich muß ihnen jetzt was erklären..."
Robs Augen wurden immer größer, je mehr Richard erzählte. Er schwieg und nickte zu allem, was Richard verlangte. „Es ist im Prinzip ganz einfach. Ich nehme ihn in Empfang, gebe mich als Käptn aus, begleite ihn nach hinten in die Kabine, um die Anweisungen für den Flug entgegenzunehmen. Dort überwältige ich ihn und sobald das erledigt ist, rufen sie die Polizei. Und wenn unser Gast außer Gefecht gesetzt ist, sollten wir vielleicht am besten ihren Chef aus dem Klo befreien..." Richard grinste Rob zuversichtlich an und dann warteten sie schweigend ab, bis Wickham erschien.
Der ließ nicht lange auf sich warten. Richard mußte innerlich grinsen. Wickham wirkte äußerlich so cool, so ganz der „Gauner von Welt", Mr. Macho live. Aber Richards geschulten Augen konnte er nichts vormachen. Unter seinen Armen konnte man große Schweißflecken sehen, auch wanderte sein Blick sehr unruhig hin und her, mißtrauisch schaute er sich um. Endlich kam er die Treppe hoch, wo Richard ihn freundlich begrüßte. „Guten Tag, Sir! Mein Name ist John Vernon und ich habe die Information erhalten, daß wir die genaue Flugroute erst kurzfristig erfahren?"
Wickham nickte argwöhnisch und sah sich suchend um, was Richard auffiel. „Gut. Ich komme am besten kurz mit ihnen nach hinten, da können wir alles besprechen."
Er ließ Wickham vorausgehen und staunte, wie vertrauensselig dieser Möchtegern-Gangster war. Die Gelegenheit war viel zu gut, um sie verstreichen zu lassen und ehe es sich Wickham versah, hatte ihn Richard in einen stählernen Griff genommen. Alles Wehren nutzte nichts, gegen einen Nahkampf erprobten Soldaten wie Richard konnte er nicht das geringste ausrichten.
Richard preßte ihn auf den nächsten Ledersessel und fesselte ihn routiniert mit einem Paar Handschellen. George trat wie ein Wilder um sich, aber selbst wenn er Richard einmal traf, zuckte dieser nicht mit der Wimper. „Machs dir doch selbst nicht so schwer, Mann," seufzte er und verschnürte auch noch Wickhams Beine ordentlich.
„So, Mistkerl, und jetzt sag mir, wo Darcys Kind ist!" sagte Richard mit ruhiger Stimme und setzte sich ihm bequem gegenüber.
Wickham lachte höhnisch. „Von mir erfährst du nichts. Soll die Göre doch verrecken. Was hab ich zu verlieren?"
„Was wollen wir wetten, daß du mir ziemlich schnell sagst, wo das Kind ist? Welchen von deinen zehn unnützen Fingern soll ich dir zuerst brechen?"
Wickham grinste weiter und schwieg.
„Ah, du stehst auf Schmerzen. Kein Problem."
Richard nahm Wickhams gefesselten Hände vorsichtig, fast zärtlich in seine eigenen und bog langsam seine Finger auf. „Also? Noch eine Chance geb ich dir."
Wickhams Grinsen verblaßte etwas. Der Kerl hatte Mörderkräfte und er sah nicht so aus, als mache er Spaß. Richard schaute ihn freundlich lächelnd an. „Nun?"
Wickham überlegte. Aber er überlegte zu lange, denn Richard hatte für solche Spielchen keine Geduld. Eine schnelle, konsequente Bewegung und Wickhams kleiner Finger stand in eigentümlichem Winkel vom Rest der Hand ab. Wickham brüllte wie am Spieß vor Schmerz und Überraschung.
„Sagst du es mir jetzt, Wickham?"
„Du kannst mich mal," flüsterte Wickham haßerfüllt. „Und wenn du mir alle Finger brichst!"
„Och, kein Problem. Ganz wie du wünschst."
Plötzlich hörte Wickham auf zu schreien und richtete den Blick auf einen Punkt hiner Richard. „Na, das wurde aber auch Zeit!" sagte er kaum hörbar und fiel in Ohnmacht.
Bevor Richard sich umdrehen konnte, spürte er eine Pistole am Rücken.
„Lassen sie ihn los," sagte eine etwas bebende Stimme, die Richard zu seinem großen Erstaunen als die von Rob McMahon erkannte. Er war für einen Moment fassungslos.
„McMahon, was soll das?" fragte er ungläubig.
„Lassen sie ihn los und verlassen sie das Flugzeug." McMahon hielt ein wenig Abstand, damit Richard ihn nicht mit einem Überraschungsangriff überwältigen konnte. „Los, raus," wiederholte er, diesmal entschlossener.
„Warum tun sie das?" wollte Richard wissen. „Warum stecken sie mit diesem Mistkerl unter einer Decke?"
„Weil er mich erpreßt. Hören sie auf zu quatschen und gehen sie endlich. Ich muß den Vogel in die Luft kriegen, und zwar schnell, sonst ist Miss Vicky in Gefahr."
„Wissen sie, wo das Kind ist?"
„Nein, das weiß nur Wickham und er verrät es erst, wenn er an seinem Zielort angekommen ist und in Sicherheit."
Richard hatte aus den Augenwinkeln eine Bewegung hinter dem Piloten wahrgenommen.
„Los, gehen sie endlich, sonst erschieße ich sie!" schrie McMahon nervös und wie um seine Entschlossenheit zu demonstrieren, fuchtelte er vor Richard mit der Pistole herum.
Richard runzelte die Stirn. Wenn der Bursche die Fassung verlor, konnte es für alle gefährlich werden. Was wuselte da bloß hinter McMahon herum? Es war ziemlich dunkel im Flugzeug und er konnte nichts erkennen.
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Wickham war aus seiner kurzen Ohnmacht eben wieder aufgewacht, orientierte sich etwas mühselig, spürte wieder den scharfen Schmerz in seinem kleinen Finger und schrie in dem Moment „Achtung McMahon" als dieser auch schon zu Boden ging, bei dieser Gelegenheit vor Schreck den Abzug drückte, Wickham dabei in den Oberschenkel schoß und dann gnädigerweise das Bewußtsein verlor.
Hinter ihm stand ein schweratmender William Darcy mit einer großen Taschenlampe in der Hand, mit der er gerade seinen Chefpiloten niedergeschlagen hatte.
„Wow, gute Arbeit, Darce!" meinte Richard trocken und sah sich um. William war überhaupt nicht nach Scherzen zumute. „Wir müssen einen Krankenwagen und die Polizei rufen," sagte er mit einem Blick auf Rob McMahon. „Was er mit Wickham zu schaffen hatte, können wir noch später klären. Wir müssen unbedingt Wickham wachbekommen und Vicky suchen." Er warf seinem Cousin einen grimmigen Blick zu. „Und wenn das alles geschafft ist, haben wir zwei auch ein Wörtchen miteinander zu reden!"
„Ich weiß gar nicht, was du meinst," grinste Richard, den so leicht nichts erschütterte und er versetzte Wickham einen wenig sanften Tritt, der ihn auch prompt weckte. Wieder begann er zu jammern und Richard gab ihm noch einen kleinen Kick. „Halt die Klappe, Wickham. Wo ist das Kind?"
Wickham schaute die beiden Männer aus glasigen Augen an und drohte wieder das Bewußtsein zu verlieren. William beugte sich zu ihm herunter. „Wo ist Vicky?" fragte er leise, aber mit einem drohenden Unterton in der Stimme. „Ich schwöre bei Gott, Wickham, wenn der Kleinen irgendetwas passiert ist und du nicht sofort sagst, wo sie ist, du verläßt dieses Flugzeug hier nicht mehr lebend." Zur Bekräftigung seiner Worte versetzte er ihm noch einen Stoß und Wickham heulte vor Schmerz auf, als er sich beim Zurücktaumeln seinen gebrochenen Finger stieß. Richard hatte in der Zwischenzeit Polizei und Krankenwagen alarmiert.
„Sie ist im „Gaylord", in der Davie Street. Frag nach Marcel." Wickhams Stimme war kaum mehr zu hören. Richard zog überrascht die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
Rob McMahon begann sich ebenfalls wieder zu regen und stöhnte leise vor sich hin – während draußen die Wagen von Polizei und Rettungsdienst mit quietschenden Reifen zum Stehen kamen. Sekunden später stürmten Polizisten das Flugzeug.
Richard erläuterte kurz die Szenerie, dann durften die Rettungssanitäter zur Tat schreiten. Wickham und McMahon wurden in die beiden Krankenwagen verfrachtet und unter starker Polizeibewachung ins Flughafenhospital gebracht. Ein Officer war zurückgeblieben, um Richard und William Fragen zu stellen.
William wurde unruhig. Er wollte jetzt endlich seine Tochter befreien. Er erläuterte es dem Polizisten geduldig und bat, gehen zu dürfen. Er versprach, sich am nächsten Tag der Polizei für sämtliche Fragen zur Verfügung zu stellen. Der Officer überlegte kurz und machte dann einen Gegenvorschlag.
„Ich kann sie nicht alleine dorthingehen lassen, Sir. Warten sie zwei Minuten, ich rufe Verstärkung und zwei Zivilermittler begleiten sie."
Richard nickte William schweigend zu und er fügte sich widerwillig. Zehn Minuten später war er in einem Zivilfahrzeug mit den beiden Polizisten unterwegs.
William wußte natürlich, daß diese Ecke der Davie Street nicht gerade die vornehmste der Stadt war, aber als er schließlich vor einer heruntergekommenen Schwulenbar stand, traf ihn fast der Schlag. Wickham? In einer Schwulenbar?
Um diese Tageszeit war noch nicht viel los in diesem Etablissement und so wurden die drei Männer von den wenigen Anwesenden sowie dem Barkeeper neugierig beäugt. Besonders William erregte die Aufmerksamkeit der Männer und hinter seinem Rücken hörte er laszive Schnalzgeräusche und die ein oder andere Schamlosigkeit drang an sein Ohr, das meiste davon bezogen auf seine Männlichkeit und seinen „geilen Arsch". Das fehlte ihm gerade noch, ein Lustobjekt für diese Kerle zu sein!
Einer der Polizisten fragte nach Marcel und der Mann hinter der Theke erschrak merklich. Er schwieg.
„Los, Mann, wo finden wir Marcel?" wiederholte der Cop ungeduldig. Ein sehr großer, sehr kahlköpfiger, sehr finster blickender Schwarzer, behängt mit vielen goldenen Ketten, trat zu ihnen. „Was wünschen sie, Sir?" fragte er höflich, seine sanfte Stimme das krasse Gegenteil zu seinem Aussehen.
William verlor endgültig die Geduld. Er hatte genug von diesem Geplänkel. „Hören sie, hat Wickham ihnen ein kleines Mädchen anvertraut? Ist sie bei ihnen?"
Der Gesichtsausdruck des Mannes veränderte sich schlagartig. Er lächelte breit und sah fast sympathisch aus. „Sie kommen sie abholen? Hat der alte Hurensohn es tatsächlich geschafft, zu entkommen? Hammer! Folgen sie mir, Miss Vicky ist oben. Sie ist solch ein süßes Kind." Er drehte sich um und schickte sich an, durch den Flur zu einer schmalen Treppe zu gehen, aber William riß ihn zurück. „Wenn ihr irgendwas mit ihr angestellt habt, ich schwöre…"
Marcel wandte sich im Zeitlupentempo um und starrte auf Williams Hand, die sich um seinen mächtigen Oberarm gekrallt hatte. Betont langsam entfernte er die Hand und schaute William beleidigt an. „Sir, aus welchem Grund sollten wir einem kleinen Mädchen etwas antun, das bei uns zu Gast ist? Sie haben eine abscheuliche Phantasie." Ohne ein weiteres Wort stieg er die Treppe hinauf und führte sie zum letzten Raum des Ganges. Dort ließ er William und die Polizisten eintreten.
William hatte in einer Lokalität wie dieser Gott weiß was erwartet, aber nicht dieses gemütlich eingerichtete, kein bißchen tuntig erscheinende Zimmer. Es hingen auch keine Ketten an den Wänden und Peitschen waren auch nicht zu sehen, genauso wenig wie irgendwelche Kerle in Lederkleidung. Am Fenster in einem großen Sessel saß ein junger, blonder Mann, der ein Kind auf dem Schoß hatte und ihm aus einem Buch vorlas. Beide, Kind und Mann, sahen auf, als die Männer plötzlich ins Zimmer drängten, William vorneweg.
Als er seine Tochter erblickte, schloß er für einen Moment die Augen. Er war so erleichert, sie lebend wiederzuhaben, sie wohlauf zu sehen, daß ihm die Tränen in die Augen stiegen.
„Troy, ich fürchte, Miss Victoria wird uns heute wieder verlassen," sagte Marcel zu dem anderen Mann. Er warf William einen aufreizenden Blick zu. „Ihr hübscher, aber leider etwas intoleranter Daddy kommt, um sie abzuholen."
Der Mann stand auf und hielt das Kind immer noch auf dem Arm. Er reichte es William, der seine Tochter erleichtert in die Arme schloß und so fest an sich drückte, daß sie kichern mußte.
„Wie schade, daß du uns verläßt, Miss Vicky. Aber du kommst uns hoffentlich besuchen!" Er schaute William von unten nach oben bewundernd an. „Und dann bringst du deinen Daddy aber wieder mit, hörst du?"
Nur über meine Leiche, dachte William, der nur noch hier weg wollte. Er hatte keineswegs etwas gegen Schwule, aber das ging ihm ein bißchen zu weit. Vicky jedoch schien nichts gegen einen weiteren Besuch einzuwenden zu haben. Sie giggelte mit Troy, als dieser sie zum Abschied sanft unter dem Kinn kitzelte und William mußte zugeben, daß die Männer seine Kleine offenbar sehr gut behandelt hatten. Er brachte sogar einen Dank hervor und die beiden lächelten freundlich.
„Es war uns eine Freude, Sir. Wir stehen sehr gerne jederzeit wieder zur Verfügung," sagte Marcel. „Und auch für andere….Gelegenheiten, falls sie doch einmal in Versuchung kommen sollten…" er grinste und auch die beiden Polizisten mußten sich das Lachen verbeißen.
Nicht, wenn sich das verhindern läßt! dachte William mit Horror.
Er schaute seine Tochter liebevoll an. So lange hatte er sie nicht gesehen, nicht im Arm halten dürfen. Sie war natürlich gewachsen in der Zwischenzeit, sie konnte mittlerweile laufen. Aber ihr süßes Lächeln aus großen, braunen Augen, das hatte sie schon immer gehabt.
Victoria wandte sich ihrem Daddy zu und schaute ihn ebenfalls aufmerksam an. Und gerade als William sich ängstlich fragte, ob sie diesen fremden, bärtigen Kerl, der ihr Vater war und den sie so lange schon nicht mehr gesehen hatte, überhaupt wiedererkennen würde, zupfte sie sanft an seinem Bart, lächelte ihn an und sagte leise: ‚Lo Daddy.
William brach in Tränen aus.
