Fußballfrei – auch das gibt es diesen Sommer bei der WM 2006. Morgen geht es wieder rund, Deutschland gegen Argentinien, da heißt es Daumen drücken.

Dies hier ist das vierte Kapitel und es ist ein Ausfluss des öden Schweiz-Spiels (gegen die Ukraine), in dem es die Eidgenossen versäumt haben, auch nur ein einziges Mal das Tor zu treffen.

Also hatte ich Zeit für andere Dinge, während meine Männer vor dem Fernseher gähnten, und so gibt es ein neues Kapitel mit Remus in der schwedischen Hauptstadt. Gefunden hat er sie ja nun. Man darf gespannt sein, ob er sich diesmal traut, sich zu zeigen und zu seinen Gefühlen zu stehen, unser ewig zweifelnder Lieblingswolf.

Also los, vorab einen Becher eisgekühlte Schokolade mit Cointreau und ab dafür.


Natalie

Als Remus erwacht, ist es schon hell draußen und die Zeit fürs Frühstück vorbei. Wieder bezahlt er seine Rechnung und checkt aus, wieder geht er zum Bahnhof. Ohne Frühstück braucht er zumindest einen Becher Tee.

Sie haben nur Kaffee oder Kakao im Kiosk, und wieder verbrennt er sich fast die Lippen an der heißen schokoladigen Köstlichkeit.

Er stellt fest, dass das Leben in Stockholm ausgesprochen teuer ist: Er hat noch zwanzig Kronen und ein paar englische Pfund in der Tasche, dann muss er wieder eine Eule nach Hause schicken und seinen Vater um Geld bitten. Das ist ihm nicht angenehm, aber er kann es nun mal nicht ändern. Doch er weiß, dass diese Bettelei schleunigst ein Ende finden muss.

Der Weg zur Umwelttechnik ist diesmal schon nicht mehr so fremd, und er findet den Seminarraum ohne Probleme wieder. Schon als er die Treppe hinauf steigt, nimmt er Witterung auf. Sie ist dort oben, kein Zweifel, etwas Blumiges und Bergwind, das ist Natalie.

Er zögert einen Moment, dann öffnet er die Tür. Der Unterricht hat noch nicht angefangen, die Studenten sitzen und stehen in Grüppchen zusammen und kaum jemand nimmt Notiz von dem jungen Mann, der jetzt unschlüssig im Türrahmen steht.

Sie steht in der anderen Ecke des Raumes, von ihm abgewandt, neben ihr steht der Blonde, den Arm locker über ihren Schultern, er sagt etwas auf Schwedisch und alle lachen. Ein dunkelhaariger Mann bemerkt schließlich, dass Remus fortwährend zu Natalie hinstarrt, er tippt sie an und bedeutet ihr, sich umzudrehen.

„...guy from yesterday" hört Remus, und Natalie dreht sich um, sie sieht ihn und dann erkennt sie ihn und ihre Augen weiten sich. Dunkelblaue Seen, kalt und bodenlos tief.

Die Zeit steht still.

Remus hört nur noch das Pochen seines eigenen Herzens, er spürt den harten Puls an seiner Stirn und wie eine Hitze in ihm aufsteigt, sein Gesicht flutet und Röte seine Wangen überzieht.

Er wird nie rot, eigentlich, er ist zumindest nie rot geworden, wenn er Mc Gonagall belügen musste, um Sirius und James nach einer ihrer vielen Dummheiten zu decken. Er wurde auch nicht rot, wenn er Lilly und James später besuchte, nachdem sie bereits verheiratet waren, obwohl der erste Moment mit Lilly immer ein Besonderer war. Er freute sich, sie zu sehen, aber er schämte sich auch jedes Mal aufs Neue ins Bodenlose.

Natalies Augen sind immer noch weit aufgerissen, und ihre Pupillen riesig, wie bei einem Reh im Wald, wenn der Wolf es überrascht.

‚Merlin, sie hat Angst vor mir', denkt Remus, und seine Welt beginnt zusammenzubrechen. Alle Hoffnungen und Gedanken scheinen vergeblich gewesen zu sein und der Raum dreht sich um ihn.

Aber dann schüttelt Natalie ihre Erstarrung ab, sie stürmt die Treppe des Hörsaals hoch und fliegt sie beinahe auf ihn zu.

Er steht völlig steif, während sie ihre Arme um ihn schlingt und ihm etwas ins Ohr sagt, sie sagt es schnell und auf Schwedisch und er versteht es nicht.

Er ist völlig perplex, er hat mit Fragen gerechnet, mit Vorwürfen, aber nicht mit ihrem Körper, der sich jetzt an ihn schmiegt, nicht mit ihren Baumschlangenhauthänden an seinem Gesicht und schon gar nicht mit ihren Lippen auf seinem Mund.

Endlich begreift er, dass sie wirklich vor ihm steht, dass sie ihm offensichtlich verziehen hat, dass sie ihn – vielleicht – immer noch will, und die Schmetterlinge in seinem Bauch flattern wie ein Haufen wild gewordener Snitches durcheinander.

Endlich reagiert er, der Bann bricht und die Zeit läuft weiter.

Endlich gehorchen ihm seine Arme, Hände und Finger wieder und er hält sie fest, ganz fest.

Er sieht in ihre Bergseenaugen, die immer noch dunkelblau, aber nicht mehr kalt, sondern weich sind wie blauer Samt, und endlich finden sich ihre Lippen in einem Kuss, der ihm seine Fragen beantwortet und seine Zweifel fortspült.

Tumult erhebt sich in dem kleinen Hörsaal, Remus hört Applaus und als er schließlich widerwillig von ihr lässt, stehen die Anderen um sie herum und grinsen.

„Hey, Natalie, gut aufgepasst im Reproduktions-Workshop?"

„Zugabe, Zugabe!"

„Ist das der Engländer mit dem du uns seit September auf die Nerven fällst?"

Es ist der große Blonde, der diese Frage stellt, und Remus blickt in sein offenes, fröhliches Gesicht. Remus versteht nichts von dem, was sie rufen, aber er kann Zustimmung und Ablehnung gut unterscheiden, und was ihm hier entgegenschlägt und sich in den Gesichtern von Natalies Kommilitonen spiegelt, ist ausschließlich positive Emotion und Anteilnahme.

Natalie nickt, sie kann nicht sprechen, und verwundert stellt Remus fest, dass Tränen in ihren Augenwinkeln schimmern.

„Das ist ja wirklich eine rührende Szene" beendet eine leicht zynische Stimme das allgemeine Gejohle. Der Professor ist durch die Tür herein gekommen, und er spricht Englisch, (und nein, es ist nicht Snape!) denn dies hier ist der internationale Kurs für Agrartechnik.

„Wenn Sie sich jetzt bitte auf ihre Plätze begeben würden, auch die werte Miss Johansson, und unser Gast kann gerne bleiben, so er meinen Unterricht nicht stört, aber wir wollen doch jetzt aus den rosa Wolken, die hier offensichtlich erklommen werden, in die zweifelsohne ernüchternden Tiefen der Erntemaschinenkonstruktion hinab steigen."

Remus, dessen Bedürfnis an Tiefen zunächst einmal gestillt ist, und der auch nicht eineinhalb Stunden angestarrt und betuschelt werden will, entschuldigt sich, zuerst bei Natalie („Ich hole dich nach dem Seminar ab" sagt er, drückt kurz ihre Hand und gönnt sich noch einen Blick in die berauschend blaue Sphäre ihrer Augen), dann bei dem Professor („Verzeih'n Sie die Störung"), verlässt danach den Raum und schließt die Tür hinter sich.

„Ja!" ruft er lautlos aus und ballt die Faust, ein Aufschrei aus einem Gefühl der Erleichterung, des Glücks, aber auch des Triumphes.

Er hat auf ganzer Linie gewonnen, er fühlt sich wie ein Ritter, der den Kopf des Drachen, die Prinzessin und das halbe Königreich errungen hat.

Nun gut, er ist ein Ritter ohne Schloss und derzeit ohne Stellung, aber das wird sich finden.

Auf dem Weg zum Technikum hat er gestern eine Cafeteria gesehen, und hier wird er die Zeit totschlagen und auf Natalie warten, bis das Seminar nachher vorbei ist. Hier gibt es niemanden, der ihn anstarrt, sie haben sogar Schokomuffins und englischen Tee, letzteren im Beutel, aber das Leben ist auch so perfekt genug für Remus Lupin.

Er hat Muffins (und die Schweden machen sie mit viel Butter und dicken Schokoladenstücken und Blaubeeren drin), er hat Tee, er hat noch eine halbe englische Zeitung von gestern und er hat Natalie.

Heute Nacht – seine Hände zittern ein bisschen, wenn er daran denkt, sie zu halten, und er kann es nicht lassen, kann nicht widerstehen, sich vorzustellen wie es sein wird, wieder neben ihr zu liegen und ihre Haut zu spüren.

Er fühlt das Blut in seinen Unterleib schießen und gleich darauf in seine Wangen, obwohl hier niemand seine Gedanken lesen kann. Er versucht verzweifelt, an etwas sehr Unerotisches zu denken, und der Gedanke an Dolores Umbridge aus dem Zaubereiministerium führt letztlich zum Erfolg.

Irgendwann wird es Zeit zurück zu gehen, und er wirft seinen alten Mantel über, und draußen bemerkt er, wie hell der Himmel auf einmal ist. Es hat aufgehört zu schneien und der Schnee auf Wegen und dem parkähnlichen Campus ist rein, pulvrig und sehr weiß.

Er schluckt Remus' Schritte, und perlt von seinen Schuhen ab, dessen Energete und wasserabweisender Zauber jetzt stark genug sind, um seine Füße warm zu halten.

Remus würde sich jetzt sogar in den Muggelaufzug wagen, aber er bevorzugt es, die Treppen mit federnden Schritten hoch zu laufen.

Seine goldene Taschenuhr, es ist eine kleine Damenuhr und sie gehörte seiner Mutter (die große Silberne des Großvaters hat er verständlicherweise gerne seinem Bruder überlassen), zeigt viertel nach zwölf, und endlich, um halb eins, öffnet sich die Tür und Natalie quillt mit der Horde Studenten aus dem Raum, und nur ein paar von ihnen lassen sich jetzt auf dem Weg zum Mittagessen von der rührseligen kleinen Szene aufhalten, die Remus und Natalie veranstalten.

„Kommt ihr mit zum essen, oder lebt ihr von Luft und Liebe?" fragt eine Frau mit braunen Locken auf Englisch, und der Blonde lacht.

Natalie löst sich aus Remus' Umarmung, sieht ihn fragend an, bevor sie antwortet:„Danke, aber ich habe keinen Hunger – zumindest nicht auf matschige Spaghetti oder fetttriefende Köttbullar. Und Remus hat offensichtlich schon die Muffins in der Cafete probiert", sie lacht und küsst ihm einen Schokofleck aus dem Mundwinkel.

Die beiden Anderen zucken die Schulter und schlendern gutgelaunt zum Essen davon, dabei nehmen sie noch eine englisch sprechende Studentin ins Schlepptau, und Remus hört den Blonden sagen: „Das ist doch der Engländer, den Natalie in Frankreich kennen gelernt hat. Scheint eine ganz heftige Sache zu sein, sie war völlig neben der Spur, als sie zurückkam. Und dann noch das mit Bengt..."

Remus hört nur mit einem Ohr zu. Sehen will er ohnehin nur Natalie.

„Du gibst mir den Vorzug vor Spaghetti und Fleischbällchen?" fragt er, und seine Stimme hat einen ganz komischen Klang, heiser und ein bisschen neckend und dazu noch mit einem Hauch von Anspannung, dass sie jetzt vielleicht sagen könnte, dass Spaghetti ihr eigentlich lieber wären.

„Remus" sagt sie nur, küsst ihn und drängt ihn dabei in den leeren Seminarraum. Ihre Hände sind unter seinem Pullover und ihre Lippen finden zielsicher die empfindliche Stelle zwischen seinem Hals und seinem linken Ohr. Einen Moment gibt er sich ihr völlig hin, es fühlt sich einfach zu gut an, doch dann reißt er sich zusammen. Er will etwas anderes.

„Natalie, nein" keucht er, und fängt ihre Schmetterlingsfinger wieder ein.

Sie lacht schelmisch. „Ich habe auf Spaghetti verzichtet" sagt sie und presst ihren Körper an seinen.

„Ja, nein, bitte..." Das Blut schießt wieder in seine Wangen, zumindest die wenigen Milliliter, die noch nicht in seinem Unterleib eine schmerzende Beule geformt haben.

Er schiebt sie vorsichtig ein Stück weg, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können.

„Bitte, nicht hier, Natalie, nicht auf die Schnelle."

Der Wolf heult entrüstet auf. Das kann der Mensch doch jetzt nicht ernst meinen? Nicht jetzt, wo sie hier ist, er ihre Hitze spürt und sogar riechen kann, wie sehr sie ihn will.

„Ich habe solche Sehnsucht nach Dir, glaub mir" sagt Remus, und der hungrige Ausdruck in seinen Augen bestätigt seine Worte eindrucksvoll, „aber ich will dich ohne Hast, und alleine, ohne potentielle Zuschauer."

„Ich mag Zuschauer" schnurrt sie.

„Ich weiß" stöhnt er, „aber bitte, nicht diesmal. Geh mit mir aus, heute Abend, ja? Lass uns was essen gehen und dann..." In diesem Moment weiß er nicht, wohin er dann mit ihr gehen soll, er hat kein Hotel mehr, auch kein Geld mehr dafür, jedenfalls nicht nach einem Abendessen, und Stockholm im Winter hat sicher einiges an Sehenswürdigkeiten, bestimmt auch schöne Strände, aber ohne die französische Sonne wird es ziemlich ungemütlich werden.

Dann klingt prima" sagt sie und küsst ihn wieder, „aber wenn das so ist, brauch ich jetzt ein Muffin und einen Kaffee."

Sie gehen nicht in das Uni-Cafe, sondern in ein kleines Bistro in einem alternativen Kulturzentrum in der Nähe, und Natalie bestellt Kaffee und Muffins für sich und Würstchen für Remus.

„Danke" sagt er, als sie ihm den Teller rüber schiebt, „aber das musst du nicht."

„Ich weiß, dass ich nicht muss" sagt sie, „aber du bist ganz dünn geworden, ich habe deine Rippen gespürt vorhin." Und wieder hat sie eine Hand unter seinem Pullover, und er muss scharf die Luft einziehen, weil kleine Lavabäche über seine Haut zu fließen scheinen, wo immer sie ihn berührt.

„Nataliiiiiie – so kann ich nicht essen". Er muss lachen und ihre Augen strahlen wie ein schwedischer Sommerhimmel.

So sitzen sie da, die Blicke ineinander verschlungen, und er zieht ihre Hand an seinen Mund und küsst ihre Finger, einen nach dem anderen, jeder Kuss ein stummes Versprechen.


TBC

So ich es noch nicht persönlich getan habe (per mail): Vielen Dank für die lieben Reviews an Lina, Anne, Alysha, Melina, Nemea, Bine und Abhaya.

Ihr seid nicht bei dieser Aufzählung dabei? Dann könnte es daran liegen, dass ihr noch nicht reviewed habt ;-)

Push the button, thank you so much!