Hallo, Ihr Lieben,

Na, da haben Klinsis Rumpelfußballer zumindest erfolgreich Elfer verwandelt, wobei, wie schon geschrieben, ich bei Elfern immer ein etwas anderes Bild vor dem geistigen Auge habe, siehe "Ein Sommer in Strasburg". ;-)

So viel oller Fußball, und ich konnte nicht schreiben, weil mittlerweile mein Sohn auch schon multitaskingfähig ist, und gleichzeitig Fußball gucken und "Gothic" spielen kann - an meinem Computer. Weihnachten spätestens kriege ich wieder einen Eigenen...

Dieses Kapitel hier, Ihr werdet's merken, wurde nicht nebenbei beim Fußball geschrieben, sondern in nächtlicher Sitzung.

Diesmal solltet Ihr auf die Musikempfehlung nicht verzichten, ich empfehle für den Anfang etwas Leichtes, "IF I was" von Midge Ure (kennen manche noch als Sänger von ULTRAVOX) und dann unbedingt was Italienisches, z. B. "Adresso tu" von Eros Ramazzotti, und zum Finale Pflicht: Mozarts Requiem. Wann Ihr es anstellen müßt, steht im Text. Macht es an, wenn Natalie das auch tut.

Viel Spaß mit diesem "katholischen" Kapitel...


Das Requiem

Natalie muss zurück, sie hat noch zwei Veranstaltungen heute. Remus mag sie kaum gehen lassen. Er will sie küssen, jeden Zentimeter ihres Gesichts und ihres Halses mit kleinen sanften Küssen bedecken. Und sie treibt ihn in den Wahnsinn, sie kann einfach ihre Finger nicht bei sich lassen.

Die Bedienung sieht ständig zu ihnen hinüber und grinst. In England hätte sie die Nase gerümpft, denkt Remus, aber das hier ist eine andere Welt.

Schließlich wird es Zeit, sich zu verabschieden. Natalie bezahlt und als Remus protestiert, sagt sie lachend, dass er ja am Abend bezahlen könne, schließlich wolle er sie ausführen.

Ein langer Kuss, eine irritierte Nachfrage („Was ist das in Deinem Mund?" „Remus, manchmal glaube ich, dass du hinter dem Mond lebst. Es ist ein Zungenpiercing."), und dann winkt sie ihm zu und läuft über den Hof.

Remus geht langsam zum Bahnhof zurück. Er hat Zeit. Mittlerweile scheint die Sonne, der Schnee glitzert auf Bäumen und Dächern, und er genießt es, einfach nur die Schönheit der alten Königsstadt zu bewundern.

In einer Nebenstraße entdeckt er ein Antiquariat. Er kann nicht widerstehen und betritt den Laden. Der Geruch nach alten Büchern schlägt ihm entgegen, nach Papierstaub und in Leder gebundenen Kladden.

Er streicht durch die Gänge, und in einem Regal mit fremdsprachiger Literatur findet er eine Erstausgabe von Byron. Liebesgedichte. Sie ist perfekt erhalten und mit farbigen Jugendstildrucken illustriert. Und sie ist mehr als günstig, wenn man ihren Wert bedenkt. Doch der Betrag, den Remus in seinem Portemonnaie hat, reicht nicht aus, und er muss auch noch über die nächsten Tage kommen damit. Dennoch spricht er mit dem Buchhändler, und der macht ihm einen Preis, bei dem Remus nicht nein sagen kann. Und er verhilft ihm zu Bargeld. Drei Häuser weiter, erfährt er, gibt es einen Pfandleiher.

Remus tut etwas, dass er sich noch heute Morgen nicht hätte vorstellen können. Er versetzt seine Uhr. Es fällt ihm nicht mal schwer, er wird sie in ein paar Tagen wieder auslösen, wenn sein Vater ihm Geld geschickt hat. „Ein letztes Mal" denkt er, doch er befürchtet, dass es nicht das letzte Mal sein wird, dass er seinen Vater um Hilfe bitten muss.

Er holt das Buch ab, dann geht er in die Eulerei, die sich neben dem schwedischen Zaubereiministerium befindet, getarnt hinter einer Muggelpost, und schickt seinem Vater ein Pergament.

Remus setzt sich in ein kleines Cafe und versinkt in Byrons Welt. Die Bedienung scheucht ihn irgendwann auf. Es sei sieben, sie würden gleich schließen, abends sei zu. Er bezahlt und läuft die wenigen Meter zum Bahnhof. Er holt seine Tasche aus dem Schließfach, mal wieder, aber diesmal pfeift er fröhlich vor sich hin, er ist so voller Freude, er könnte die ganze Welt umarmen, oder doch lieber nur Natalie.

Es sind seine letzten sauberen Klamotten, und er ist froh, dass er das weiße Hemd aufgehoben hat. Er betrachtet sich im zerbrochenen Spiegel der Bahnhofstoilette. Kein besonders romantischer Ort, aber halb so schlimm wie er in London wäre. Stockholm ist eine reiche Stadt, und man sieht es sogar an den Bahnhofstoiletten, die relativ sauber und intakt sind. Der Sprung im Spiegel ist neu. Gestern war er noch völlig in Ordnung.

„Remus Lupin, du kennst bereits den Erhaltungsstand der Bahnhofstoiletten in Europas Metropolen, es wird Zeit, dass du einen Job findest" sagt er zu sich selbst, und es liegt nur ein Hauch Bitterkeit in seinen Worten.

Er bringt seine Tasche zurück ins Schließfach, er will sie nicht mitschleppen heute Nacht, er kann sie morgen holen.

Pünktlich um fünf vor acht appariert er zum Park in der Nähe des Wohnheims. Erst als er vor der Tür steht, fällt ihm ein, dass er keine Blumen für sie hat. Nach einem Moment der Kopflosigkeit erinnert er sich seiner Fähigkeiten – immerhin ist er ein Zauberer.

Er sieht sich um: Ein kahler Baum neben der Einfahrt. Remus fummelt ein Muggeltaschenmesser aus seiner Manteltasche, es ist rot mit einem weißen Kreuz, und es ist ausgesprochen praktisch. Natalie hat es ihm geschenkt, weil er sich am Kronkorken einer Bierflasche die Fingerkuppe aufgeschnitten hat auf einer ihrer Touren. Er schneidet ein paar Zweige ab, dann sieht er sich vorsichtig um, und als niemand da ist, zieht er den Stab und murmelt „Floris". Die Zweige schlagen aus und treiben Blüten, und Remus hat Glück, es sind Kirschzweige. Er überlegt: Er könnte jetzt Rosen daraus machen, aber die Verwandlung ist komplizierter und würde nur ein paar Stunden anhalten, der Zauber auf den Zweigen ist permanent. Er entscheidet sich für die sicherere Variante.

Dann steht er vor ihrer Tür. Seine Hand zittert, als er die Klingel drückt. Aber diesmal tut er es.

Natalie öffnet. Und sie trägt einen Traum in Rot, ein enges Kleid und Remus ist sprachlos.

Sie küsst ihn auf die Wange und nimmt ihm die Zweige ab.

„Wow, wo hast du denn Kirschblüten her, um diese Jahreszeit? Remus, du bist ja wahnsinnig, die müssen so teuer gewesen sein."

„Mach dir darüber keine Gedanken, ja? Kostet mich ein Lächeln und ein bisschen Hokuspokus."

Natalie lacht und Remus ist glücklich.

Sie zeigt ihm die große Wohnküche, die sie sich mit fünf anderen Studenten teilt, es gibt zwei kleine Bäder und einen Flur, von dem die ebenfalls winzigen Zimmer angehen.

„Die Wohnung in Straßburg war schöner" seufzt sie. „Bevor ich da runter gegangen bin, hatte ich hier eine kleine Wohnung in der Altstadt, aber ich wollte Thor diesmal mit nach Stockholm nehmen, damit ich nicht immer am Wochenende nach Göteborg muss und sein Stall will auch bezahlt werden."

„Ich finde es hier sehr gemütlich" sagt Remus mit Blick auf das breite Hochbett, dann küsst er sie, ganz vorsichtig. Wenn sie sich jetzt an ihn presst, hat er verloren. Aber Natalie freut sich offensichtlich aufs Ausgehen, sie angelt jetzt ein paar kniehohe Stiefel aus ihrem Schrank und sie hat ihr Haar sogar hochgesteckt. Remus freut sich darauf, es nachher Strähne für Strähne zu lösen, und der Gedanke lässt ihn schon wieder hart werden.

Merlin, sie müssen raus hier, sonst ist es um seine Selbstbeherrschung geschehen.

„Komm, lass uns gehen". Seine Stimme klingt heiser.

„Wo führst du mich denn hin?" fragte sie neugierig, als sie auf der Straße stehen.

„Nun ja" lächelt er, „es ist ja eigentlich Deine Stadt, aber ich habe in der Altstadt ein kleines italienisches Restaurant gesehen, dass sah sehr freundlich aus. Und sie haben Bilder von Bergen an der Wand."

Eine halbe Stunde später stehen sie vor der „Tiroler Stub'n" und Natalie biegt sich vor lachen. „Italienisch" so sagt sie, „ist ein weiter Begriff".

Remus beharrt darauf, dass Südtirol zumindest zu Italien gehört, und Natalie lenkt – immer noch lachend - ein.

Das Restaurant stellt sich als klein, aber sehr nobel heraus. Doch Remus kümmert es heute nicht, und Natalie hat keine Ahnung, dass es ihn eigentlich kümmern müsste. Er hat ihr nie etwas davon gesagt. Das Leben in Frankreich mit Natalie war preiswert, Camping und Kochen auf dem Gaskocher, das teuerste war noch die Sportausrüstung, und Remus hat sie Second Hand gekauft. Außerdem muss Natalie auch rechnen, ein Pferd ist ein teures Vergnügen und Fechtstunden ebenfalls.

Sie bestellen Schlutzkrapfen und Kasnocken und einen trockenen Rotwein. Remus hat Recht behalten, der Restaurantbesitzer ist Südtiroler. Als er hört, wie Natalie Remus die Bergpanoramen auf den Bildern erklärt, gesellt er sich zu ihnen, und eine Weile erzählt sie ihm, welche Gipfel sie schon erklettert hat und welche sie noch ersteigen möchte, sie fachsimpeln ein bisschen, und dann zieht sich der freundliche Herr diskret wieder zurück. Später wird der Wein aufs Haus gehen, aber das ahnen Remus und Natalie noch nicht.

„Bist du sehr traurig, dass wir nicht in die Alpen gefahren sind, Remus?" fragt sie plötzlich. Das ist der Augenblick, vor dem er sich gefürchtet hat. Jetzt werden sie über das sprechen müssen, was geschehen ist.

„Ich habe wohl kein Recht dazu, weil es allein meine Schuld ist, aber ja, ich bin traurig gewesen. Aber jetzt bis du ja hier. Allting ska bli bra (Alles wird gut werden), n'est-ce pas?" Er nimmt ihre Hand.

„Wie geht es eigentlich deinem Bruder?"

Natalie lächelt, aber es ist ein trauriges Lächeln. „Besser, aber nicht gut. Er ist noch in der Reha-Klinik hier in der Nähe. Ich besuche ihn oft. Wenn du willst, kannst du am Wochenende mitkommen, er freut sich sicher, mal ein neues Gesicht zu sehen, und nicht immer nur seine langweilige Schwester. Die meisten seiner tollen Freunde finden ihn jetzt nicht mehr cool, seit er im Rollstuhl sitzt, und deswegen kommen sie immer seltener, und viele gar nicht mehr."

Natalies Augen sind auf einmal dunkel vor Trauer und Zorn.

„Das tut mir sehr leid" sagt Remus. „Ich verstehe, dass du nicht zurückgekommen bist, danach."

Er lässt das „danach" im Raum stehen. Es kann „nach dem Unfall" oder „nach meinem Fehler" bedeuten, und Natalie ist großzügig. Sie will nicht darin bohren. Vielleicht tut es ihr auch zu weh. Verzeihen und vergessen sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

„Ich habe dir geschrieben, nachdem Bengt über den Berg war und ich wieder klar denken konnte. Ich habe ein bisschen Zeit gebraucht, um mit allem klar zu kommen" sagt sie.

„Mit allem", das ist so unbestimmt wie Remus' „danach".

„Ich war schon nicht mehr in Straßburg, als du Ende September geschrieben hast" sagt Remus. „Ich musste nach London zurück, wegen…einer Familiensache" –Merlin, wie er es hasst, sie zu belügen! – „und dann habe ich das Studium dort weiter gemacht. Ich hatte Prüfungen und alles war so schwierig, ich wollte wirklich schon viel früher zu dir kommen."

Er fühlt sich ein bisschen hilflos. Er hat viel riskiert in Ungarn, und er würde ihr gerne davon erzählen, zum einen könnte sie ihn dann ein bisschen, nur ein kleines bisschen bewundern, aber vor allem würde er sie gerne an seinem wirklichen Leben teilhaben lassen, nicht nur an dem kleinen Muggelausschnitt davon.

„Woher weißt du, dass ich Dir Ende September geschrieben habe, wenn Du die Briefe nie bekommen hast" fragt sie, und er sieht einen Zweifel in ihren Augen aufblitzen.

„Von deiner Mutter" sagt Remus, „sie hat mir auch deine Adresse hier in Stockholm gegeben."

„Von meiner Mutter?" staunt sie, und Remus muss die ganze Göteborg-Geschichte erzählen, er erzählt es charmant und lässt Olegs deutliche ‚Warnungen' geflissentlich aus, und für eine Weile haben sie sich viel zu erzählen, weil jede Kleinigkeit, die Remus erzählt, Natalie an Geschichten von zuhause erinnert. Er ist dankbar, dass er einfach zuhören und sie ansehen kann, wenn sie vom Sommer erzählt, von der Sonne die fast nicht untergeht, von Olegs legendären Barbecues, und vom Winter, vom Polarlicht in Norwegen oder vom Warten auf den Tomten, den Weihnachtsmann und dem Ringelreihen um den Christbaum.

Ganz leise, damit keiner im Restaurant es hört, schließlich ist es erst November, singt sie ihm ein schwedisches Weihnachtslied vor. „Nu är det Jul igen" (Jetzt ist wieder Weihnachten).

Remus hält ihre Hand, lauscht dem weichen Akzent in ihrer Stimme und dann fällt ihm etwas ein.

„Ich hab noch was für Dich." Er kramt in seiner Tasche.

„Schließ deine Augen."

Sie macht folgsam die Augen zu.

Vorsichtig steckt er ihr den Kupferring mit der Rune für „Stärke" an den Finger, sie öffnet die Augen und erkennt ihn sofort.

„Oh, Remus! Wo hast du den her?" Sie sieht ihn gespannt an.

„Ich habe ihn gefunden." Er erzählt von der Cellistin.

Natalie weint, nur ein paar helle Tränen, lautlos. „Ich habe ihn in den Kasten geworfen" sagt sie schließlich leise und putzt sich die Nase. „Ich war so wütend."

„Und ich war so dumm" sagt er, und streichelt die Hand mit dem Ring. „Es tut mir so unendlich leid. Natalie, ich verspreche, das es nie, nie wieder vorkommt." Seine Stimme ist heiser. Er will sie noch etwas fragen. Aber nicht hier drin.

„Lass uns gehen, ja?"

Sie nickt, er zahlt, und die Rechnung ist Schwindel erregend für Remus, auch ohne den Wein, der aufs Haus geht, weil sie so bezaubernd von der Schönheit der Südtiroler Dolomiten geschwärmt hat.

Draußen pfeift ihnen der Ostwind kalt um die Ohren. Es riecht nach noch mehr Schnee.

Sanft legt er seine Arme um sie, dann lehnt er sie sachte gegen eine Hauswand. Eine der altmodischen Straßenlaternen beleuchtet ihr Gesicht, er kann jede Regung darin erkennen.

„Natalie, willst Du mir etwas versprechen?" Er wartet ihre Antwort nicht ab, und was soll sie auch sagen, sie weiß ja noch gar nicht, was er von ihr will.

„Bitte, was auch immer zwischen uns passiert, heute Nacht, morgen, oder irgendwann, der Ring ist ein Geschenk, und ich möchte, dass du ihn behältst. Wirf ihn nicht wieder fort, auch nicht wenn du mal wütend bist auf mich."

„Remus…"

„Nein, bitte, hör mir zu. Ich bin manchmal auch nur ein Mensch, und ich mache Fehler, ich werde immer wieder welche machen, wobei ich hoffe, nicht immer wieder dieselben. Falls Du irgendwann Grund hast, böse oder zornig auf mich zu sein, dann zieh ihn meinetwegen aus und pack ihn weg, aber wirf ihn nicht fort."

Sie sieht ihn erstaunt an.

„Remus, ich…"

„Bitte. Natalie. Versprich es mir."

Sie sieht auf den Ring an ihrem linken Ringfinger und sagt schließlich: „Ist es dir so wichtig?"

Remus nickt.

„Also schön, ich verspreche es. Ich werde ihn behalten, auch wenn ich dich nächste Woche mit meiner besten Freundin im Bett erwische."

Sie grinst.

Remus sieht sie an, und es ist sein voller Ernst als er sagt: „Das wird niemals passieren, ich schwöre es dir."

Sie nickt und lächelt, und sie gehen Hand in Hand weiter.

„Dann warst du mir die ganzen Monate treu?" fragt sie aus dem Off, und Remus erstarrt. Er denkt an die Französin am See. Wenn er Natalie jetzt die Wahrheit sagt, verliert er sie sicher wieder. ‚Ich habe hat sie so oft belogen, es kommt auf dieses eine Mal nicht an' rast es durch seinen Kopf. Aber er bringt es nicht fertig, sie schon wieder anzulügen.

„Ja, das heißt nein, ich…" diesmal ist sein Gesicht im Licht der Straßenbeleuchtung, und ihres liegt im Schatten, er kann nicht ablesen, was seine Worte anrichten. Remus holt tief Luft. „Ich dachte ich sehe Dich nie mehr wieder. Ich war so alleine und da war diese Frau…"

Natalie erspart sich und ihm den Rest. Fast.

„War es gut?" fragt sie aus dem Schatten heraus, und ihre Stimme klingt gepresst und dunkel.

„Merlin, nein, es war ziemlich schrecklich." Er schließt die Augen. Gleich wird sie ihn einfach hier stehen lassen, mit Recht. Er hat sie für eine schlechte Nummer mit einer Fremden betrogen.

Doch Natalie küsst ihn und sagt: „Bei mir war's auch schlecht. Er war einfach nicht du."

Remus steht wie vom Donner gerührt. Der Blonde, er wusste es! Wie Lava kocht die Eifersucht schlagartig in ihm hoch. Jetzt nur nicht den Kopf verlieren! Er möchte ihre Schultern gegen die Hauswand pressen und den Namen aus ihr heraus schütteln, damit er den Anderen auf der Stelle mit einem Unverzeihlichen belegen kann, aber er beherrscht sich mühsam. Sie ist seine Gefährtin, wie kann es ein anderer wagen, sie anzurühren?

„Wer?" fragt er, und es hört sich an wie ein Knurren.

„Es spielt keine Rolle, Remus, denn ich liebe nur dich." Natalie ist ruhig und ernst. Sein Zorn läuft gegen weiche Wände.

„Wer war es? Der Blonde aus deinem Seminar?" Remus hat kaum zugehört, was sie gesagt hat. Das Blut rauscht in seinen Ohren.

„Henrik? Du liebe Güte, nein, das ist tausend Jahre vorbei. Wir sind nur Freunde."

„Also wer!" Remus schreit sie an, und er begreift erst, was er da tut, als er ihren entsetzten Blick sieht.

„Oh mein Gott" sagt er, und er stottert, dass es ihm leid tut und dass er sie jetzt nach Hause bringen wird.

In seinem Kopf toben die Elemente, Eifersucht und der unbedingte Wille, sich jetzt nicht noch einen fatalen Fehler zu erlauben, ringen ein stummes Gefecht. Der Wolf macht ihn fertig. Er rast vor Eifersucht. Remus versucht, ihn zu unterdrücken. Die Anstrengung treibt ihm selbst in der Kälte den Schweiß auf die Stirn. Sein Verstand sagt ihm, dass er kein Recht hat, sie zu verurteilen. Der stille Kampf zwischen Verstand und Instinkt geht schließlich in dieser Runde an den Verstand.

Mühsam schluckt er alle Vorwürfe. „Du hast Recht, es spielt keine Rolle."

Natalie nimmt seine Hand. Sie hat gesehen, wie schwer ihm diese Worte fallen. Sie hat auch bemerkt, wie er seine Fäuste geballt hat, bis seine Knöchel weiß hervorgetreten sind.

„Krieg das in den Griff, ja, Remus? Es gab hier ein paar Männer vor dir, von denen einige auch in Stockholm studieren oder arbeiten, und es gab auch jemanden in der letzten Zeit, denn ich war genau so allein und durcheinander wie du. Immerhin warst du spurlos verschwunden. Aber es ist egal, weil jetzt zählen nur noch du und ich. Und es ist schön, dass du mich nach Hause bringen willst, und es wäre noch schöner, wenn du heute Nacht auch bleiben würdest."

oooOOOooo

Ihr Blick besänftigt ihn. Die kalte Nachtluft tut ein Übriges. Sie gehen nebeneinander durch die beleuchteten Straßen, es hat wieder begonnen zu schneien. Schneeflocken tanzen im Licht der Laternen. Remus hat einen Arm um Natalie gelegt, ihr Kopf liegt an seiner Schulter.

Irgendwann haben sie das „Kungshamra" erreicht.

Remus hält Natalie fest, bevor sie die Haustür aufschließen kann. „Bist du sicher, dass ich mit dir hoch kommen soll?" Immerhin hat er sich gerade vor zwanzig Minuten einen desaströsen Ausbruch geleistet. Warum nur ist er in diesen Dingen ein solcher Idiot?

Sie lacht. „Remus, natürlich bin ich mir sicher. Es ist doch nicht das erste Mal. Ich will dich."

Doch Natalie irrt sich. Für Remus ist es ein bisschen wie das erste Mal, zumindest ist er ähnlich nervös. Er hat davon geträumt, sich danach gesehnt, sie zu berühren, und jetzt, als es soweit ist, ist der Erwartungsdruck einfach riesig.

Er weiß nicht, wohin mit seinen Händen und mit seinem Blick, nachdem Natalie sich aus ihrer Jacke geschält hat.

„Willst du deinen Mantel nicht ausziehen?" fragt sie ihn, als er unschlüssig in der Diele steht.

Doch, er will.

Natalie nimmt ihm das schon nicht mehr sehr ansehnliche Kleidungsstück ab und hängt es an die Garderobe. Sie öffnet ihre Zimmertür und gewährt ihm Einlass in ihr kleines Reich.

Sie nimmt ein Feuerzeug vom Tisch und zündet die Kerzen an, die überall im Raum verteilt sind.

Dann steht sie vor ihm, groß und schlank, in diesem engen roten Etwas, und er kann die Hitze ihrer Haut durch den weichen Stoff hindurch spüren.

Seine Hände gleiten über ihr Gesicht und ihren Hals, doch sie zittern.

Zum ersten Mal hat er Angst, zu versagen. Er könnte jetzt die Schilde herunternehmen und dem Wolf mehr Raum geben, dann wäre es einfach, doch er will sie so sehr als Mensch berühren, nicht als Zwitterwesen.

Natalie spürt seine Unsicherheit. Sie versteht es nicht, aber sie weiß auch, dass sie nicht einfach darüber hinweg gehen will.

„Lass mich mal die Stiefel ausziehen" sagt sie, und dann trägt sie die Schuhe nach draußen in den Flur, und kommt aus der Küche mit einer dickbauchigen Flasche zurück, die eine bernsteinfarbene Flüssigkeit enthält.

Sie hat zwei Gläser dabei, die sie auf dem Tisch abstellt, sie gießt etwas von der Flüssigkeit ein und diese reflektiert das Licht der Kerzen. Ein Knopfdruck auf die Fernbedienung und Mozarts Requiem flutet den Raum. Introitus.

„Eine Totenmesse?" fragt Remus, und auf seinem Gesicht breitet sich Erstaunen aus.

„Du bist phänomenal, weißt du das eigentlich? Nur drei Takte und schon erkennst du das Stück. Das beeindruckt mich bei dir jedes Mal aufs Neue. Aber keine Angst, nach dem Requiem kommt die Krönungsmesse" - sie hält Remus das Glas hin, doch er kann seinen Blick nicht von ihren Augen lösen, deswegen trinkt Natalie einen Schluck und küsst ihn. Der scharfe aromatische Geschmack flutet seinen Mund. Weich und rund, es muss ein ziemlich edler Cognac sein.

„In C-Dur singen sie beim Finale, Forte" sagt Natalie, und Remus versinkt im Kyrie.

Sie nehmen sich Zeit, langsam lässt Natalie ihre Finger über seine Brust gleiten und öffnet einen nach dem anderen die Knöpfe seines Hemdes. Ihre Hände huschen unter das T-Shirt, das er darunter trägt und malen Kreise auf seine Haut, denen ein warmer Strom nachfolgt.

Sie zieht ihm das T-Shirt über den Kopf, und fährt mit den Fingerspitzen sachte über seine Schultern. Beim Recordare bleibt ihr Blick an einer neuen Narbe hängen, einem „Souvenir" aus den Wäldern Ungarns.

„Eines Tages wirst du mir erzählen, wo du die alle her hast" sagt sie leise.

„Nicht heute Nacht" flüstert er und beginnt den Reißverschluss ihres Kleides langsam nach unten zu ziehen. Ihre Haut ist noch heißer als er vermutet hat. Seine Hände streicheln über ihren Rücken, finden die empfindliche Stelle über den Grübchen an den Lenden und Natalie keucht, als er ihr das Kleid langsam vom Körper nach unten streift.

Die Baritone formen das Confutatis und Remus ist nicht mehr konfus, sondern klar und verloren in Konzentration. Confutatis maledictis, treibender Rhythmus, und wenn die Hölle denn den Verdammten zur Belohnung werden soll, so hat er, der verdammte Werwolf, doch wenigstens zuvor einen Engel besessen.

Er kniet vor Natalie, er bedeckt ihren Bauch mit Küssen, und beim Lacrimosa streicht er mit der Zunge sacht über die Innenseite ihrer Schenkel. Es ist, als würde er ein Sakrileg begehen, und es fühlt sich verteufelt gut an.

Sie werden es nicht auf Natalies Hochbett schaffen, aber der hochflorige dunkelrote Teppich in ihrem Zimmer ist weich, und sie haben so ausreichend Erfahrungen auf Wald- und Wiesenböden und schmalen Isomatten gesammelt, dass sie kein Bett brauchen.

Das Domine kostet Remus seine Jeans, und Natalie interpretiert das Libera der Soprane dahingehend, dass er auch keiner sonstigen Kleidung mehr bedarf. Sie befreit ihn davon.

Natalie berührt sein Geschlecht nicht, aber sie beißt ihn vorsichtlich in die weiche Haut an seinen Hüften, und er bemerkt den Übergang zum Hostias kaum, so sehr ist er darum bemüht, das Atmen nicht zu vergessen.

Er packt sie bei den Handgelenken und zieht sie sanft auf Höhe seines Gesichts. „Wenn du so weitermachst, werden wir es nicht bis zur Krönungsmesse schaffen, sondern nur bis zum Benedictus."

Er bedeckt ihr Gesicht mit Küssen, liebkost ihre Brüste, und als er mit der Zunge über ihren Bauch fährt und fühlt, wie sich ihre Muskeln anspannen, setzt das Sanctus ein, dramatisch und fordernd, und er zieht ihr den Slip über die Hüften.

Bis zum Benedictus hat sie schon zweimal seinen Namen gestöhnt, immerhin, sie sind noch nicht fertig. Der getragene Rhythmus verschafft ihnen ein bisschen Luft und Remus ist hingerissen von der Harmonie des Gesangs, davon wie Bariton und Sopran sich ineinander verschlingen, während der Alt eine Klangdecke webt und der Tenor wie ein Falke über die Liebenden hinweg gleitet.

Remus erforscht Natalies Mund, sie hat ihm ganz die Führung überlassen und drängt sich gegen das liebkosende Streicheln seiner Hände. Wenn er die zarte Haut zwischen ihrem Ohr und Hals zwischen seine Zähne zieht, kann er ihr kleine Laute entlocken, die sich beinahe harmonisch ins Agnus Dei mischen.

Natalie flüstert in sein Ohr, und ihre Lippen berühren es dabei nicht, aber er kann ihren warmen Atem fühlen, und es macht ihn beinahe wahnsinnig. Sie sagt, dass sie ihn spüren will, dass sie es nicht mehr erwarten kann, und ihre Worte sickern in das Communio.

„Das Communio" keucht Remus atemlos zwischen zwei Küssen, bevor ihre Zunge seine Lippen wieder in Brand setzen kann, „wir sind schon beim Communio, es ist das letzte Stück, vor der…" - sie verschließt seinen Mund mit ihren Küssen. Er stöhnt, und sie zieht ihn auf sich. Seine Hände gleiten durch ihre Haare, lösen die Spangen und das helle Seidenblond fließt über seine Finger. „…vor der Krönungsmesse" setzt er seinen Satz fort, „in C-Dur."

Und dann, endlich, setzt das Kyrie der Missa ein, und der Sopran schwebt hoch über dem Chor.

Remus zieht jetzt Natalie auf sich, ihre Schenkel umschließen seine Hüften und er streicht ihr die langen Haare aus dem Gesicht. Auf einmal hat er es nicht mehr so eilig, er will sie ansehen, bevor er sie spürt, oder beides, mit den Fingern sehen, spüren. Er streicht mit den Fingerkuppen über ihre Augen, ihre Nase, ihre Lippen.

Kyrie eleison, Herr erbarme dich, singt der Chor, und Remus hofft, dass sich irgendwann auch für ihn ein Erbarmen findet, und er denkt, er wird es in Natalies Armen finden, vielleicht.

Natalie stöhnt und presst ihren Unterleib gegen seinen Körper, und das erinnert ihn daran, dass sie kein Engel ist, sondern aus Fleisch und Blut, und wenn schon mythologisch, dann noch am ehesten eine Walkyria. Sie trohnt auf ihm wie eine Sagenkönigin.

Das Gloria setzt ein, und es ist ein Moment des Rausches, der Wildheit. Ihre Hände sind wie Magneten, die das Blut an jede beliebige Stelle seines Körpers ziehen, und Natalie macht sich nicht die Mühe, besonders empfängliche Stellen noch auszusparen. Im Gegenteil, ihre Finger setzen ihn in Flammen, wenn sie ihn berührt und er hat das Gefühl, dass er lichterloh brennt. Sie beißt ihn in die Brustwarzen und der Schmerz heizt seine Lust nur noch mehr an.

Mit dem Schlusschor treibt sie ihn über den Abgrund, zum ersten Mal.

Remus stöhnt und der Gesang schwillt immer weiter an und ergießt sich über ihn und spült ihn endgültig hinfort.

Quoniam tu solus Sancta

Tu solus Domina" keucht er.

Natalie lacht leise und küsst seinen Bauch. Seine Muskeln kontrahieren. Das Gloria war nur der Auftakt. „Da capo" sagt sie zu ihm, und ihre Stimme ist heiser vor Verlangen und die Lust glitzert in ihren Augen.

Er küsst ihre Hände, die solche Dinge mit ihm tun, dass er die Welt um sich herum vergisst, die machen, dass es nur noch ihn gibt und sie.

„Al fine" sagt er. Ihre Hände sind feucht und ein bisschen salzig, und der Geruch macht ihn schwindelig.

Gleich wird er den Wolf nicht mehr halten können, der sich in seiner Höhle regt und gegen die Kontrolle aufbegehrt.

Doch vor dem Wolf kommt offenbar der Schmetterling, und es ist nicht einer, es sind hunderte, die Natalie über seine Haut und seinen empfindlichen Hals tanzen lässt, und als der Flügelschlag ihn im Nacken berührt, erblüht Remus' Verlangen unter ihren Händen aufs Neue, bis er es kaum mehr aushalten kann.

Diesmal wird er sie mitnehmen.

Er ist besessen von ihr, und er benutzt das Credo, um jenen empfindlichen Punkt in ihrem Schoß zu finden, dessen Berührung ihre Augen verschleiert, und er küsst sie, bis sie nach Atem ringt und um das letzte bisschen Selbstbeherrschung kämpft. Dann hält er inne, bis sie schließlich seinen Namen flüstert und um Erlösung bettelt.

Remus zieht sie unter sich, er küsst sie und ihre Blicke verschlingen sich umeinander wie ihre Körper. Er dringt in sie ein, mit dem Gefühl des absoluten Glücks, die Erlösung ist nahe. Es ist ein Miteinanderverschmelzen, ein gemeinsames Versinken.

Die Soprane und Alte erklimmen die Höhen des Sanctus, während Remus und Natalie eine heilige Handlung vollziehen, er bewegt sich zuerst langsam und dann immer schneller, sie hebt sich ihm entgegen, gefangen und aufgefangen im treibenden Crescendo der Harmonien.

Er sieht, wie ihre Augen immer größer werden und er fleht sie an, sie nicht zu schließen, ihm ihr Nachtblau nicht zu entziehen.

„Sieh mich, Natalie, sieh mich an!" presst er im Rhythmus ihrer Bewegungen hervor.

Natalie erbebt, ihr Blick scheint zu zerfließen und er ertrinkt in diesen blauen Seen. Remus spürt ihre Kontraktion, er verschließt ihren Mund mit seinen Küssen und trinkt ihre Schreie, die ihn schließlich selbst in den alles verschlingenden Mahlstrom der Gefühle hinab reißen, und er ist in ihr und um sie, während die letzten Takte des Sanctus verklingen.

Pleni sunt coeli et terra gloria tua, Natalie" flüstert Remus, als er wieder Luft bekommt und das warme Gefühl von seiner Mitte aus bis in die äußersten Fingerspitzen verströmt ist, wo es sanft pulsiert.

„Was heißt das?" fragt Natalie und hält seinen braunen Blick fest, während sie sich eine Strähne ihres langen Haares aus der nassen Stirn streicht. Ihr ganzer Körper glitzert vor Schweiß.

„Ich liebe Dich, Natalie" sagt Remus, und er findet, dass diese Übersetzung ausreichend präzise ist.


TBC?

Pleni sunt coeli et terra gloria tua (Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit.)

Das ist der vorletzte Satz aus dem Sactus.

Ich hoffe, es hat Euch gefallen ;-))