Kapitel 5 – Waffenruhe

Es war seltsam genug zu denken, dass ihr ehemaliger Professor jetzt ein Mandant war. Noch seltsamer war es zu realisieren, dass er für die nächsten paar Wochen als ein Nachbar den Flur hinunter wohnen würde. Hermione war von ihren eigenen Gedanken so sehr abgelenkt, dass die Stimme ihres besten Freundes sie beinahe dazu brachte zusammenzuzucken.

„Hermione! Bist du da?"

„Oh, Ron, ich bin hier. Ist alles okay?" Gerade rechtzeitig eilte sie in ihr Wohnzimmer, um zu sehen, wie der rothaarige Zauberer seinen Kopf durch die grünen Flammen steckte.

„Das ist, was ich dich fragen sollte! Ist bei dir alles okay?" Ron zog die Nase kraus und runzelte die Stirn. „Percy sagte …"

„Was?" Hermione war beunruhigt. „Was hat er dir gesagt? Er darf außerhalb des Büros nicht über Mandanteninformationen sprechen! Ich kann mit dir nicht über den Fall reden, zumindest nicht, bis ich einen Plan ausgearbeitet habe, wie wir öffentliche Anfragen beantworten."

„Oh, Hermione, würdest du dich bitte abregen?" Ron schüttelte den Kopf. „Er hat mir gar nichts über deinen Mandanten gesagt. Du kennst Percy. Wenn du ihm nicht zuerst das Gegenteil beweist, kann nichts ihn dazu bringen, irgendwelche Regeln zu brechen. Alles, was er mir gesagt hat, war, dass du einen Mandanten mit einer persönlichen Bürgschaft herausgeholt hast. Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?"

„Ich verstehe … Es tut mir leid. Keine Sorge, Ron. Alles ist prima. Es ist das Richtige", versicherte Hermione ihrem besten Freund. „Was machst du? Solltest du nicht beim Familien-Mittwochsabendessen sein?" Lässig wechselte sie das Thema.

„Ja, wir sind …" Ron zuckte mit den Achseln und lächelte leicht betreten. „Wir sind mit dem Abendessen gerade fertig. Mum macht den Nachtisch fertig. Sie möchte dem Dessert noch letzte Finesse verleihen. Daher dachte ich, ich komme schnell vorbei und schaue nach dem Rechten."

„Danke, Ron. Aber du brachst dir vor dem Dessert meinetwegen wirklich keine Sorgen zu machen." Hermione lächelte ihren besten Freund an. Sie wusste, wie sehr er den Nachtisch seiner Mum liebte. „Übrigens, wer war die Hexe, mit der du zum Mittagessen gegangen bist, als ich dir am Dienstag begegnet bin? Ist sie diejenige, von der du mir letztes Wochenende erzählt hast?"

„Ja, das ist sie." Rons Ohren verfärbten sich leicht rosa, als sie seine Kollegin erwähnte. „Ihr Name ist Amelia."

„Amelia scheint ein nettes Mädchen zu sein!" Hermione musste über Rons Reaktion grinsen, das sie an sein albernes Benehmen im Beisein von Veelas erinnerte. „Geht ihr beide also dieses Wochenende zum Spiel?"

„Wahrscheinlich nicht." Ron runzelte die Stirn. „Dieses Wochenende müssen wir Überstunden machen."

„Überstunden?" Hermione hob die Augenbrauen. „Als wir das letzte Mal über die Arbeit gesprochen haben, sagtest du, du hättest nicht viel zu tun. Was hat sich geändert?"

„Nun, es ist alles wegen der Skandale, über die Rita Skeeter in der Zeitung geschrieben hat." Ron klang verärgert.

„Welche Skandale?" Hermione war verwirrt.

„Liest du nicht die Zeitung? Du liest immer die Zeitung." Ron war überrascht.

„Natürlich lese ich die Zeitung mit Ausnahme von allem, was diese Skeeter-Hexe schreibt. Ich habe es so satt, dass sie persönlichen Nutzen daraus zieht, zerstörerische Geschichten über andere zu fabrizieren. Worüber schreibt ihre giftige Feder denn jetzt wieder? Wer ist ihr neuestes Opfer?" Hermione setzte sich auf das Sofa beim Kamin. Sie hatte das Gefühl, dass dieses Gespräch eine Weile dauern würde.

„Sie hat allerlei verrückte Geschichten über Leute geschrieben, die im Ministerium arbeiten, die meisten davon aktive oder ehemalige Auroren. Oh, du würdest die letzte nicht glauben. Vorige Woche schrieb sie, dass McGonagall eine Affaire mit Rufus Scrimgeour gehabt hätte, unmittelbar bevor er ermordet wurde. In ihrer Story hörte es sich an, als sei McGonagall eine machthungrige, aufmerksamkeitsheischende Hexe, die seit ihren Tagen als Schülerin in Dumbledores Klassenzimmer versucht hat, Hogwarts zu leiten und das Ministerium zu beeinflussen."

„Puh! Scrimgeour? Das ist ekelhaft! Und völlig grundlos." Hermione fiel die Kinnlade herunter. „Wer sollte so einen Blödsinn glauben?"

„Anscheinend eine Menge leichtgläubiger Leute!" Ron schüttelte den Kopf, während er über die Geschichte nachdachte. „Am Tag, nachdem der Artikel in der Zeitung veröffentlicht wurde, kam McGonagall meine Mum besuchen. Sie sagte, sie habe mehr Eulen bekommen als du, nachdem Skeeter über deine ‚Beziehung' mit Harry geschrieben hatte."

„Ich wusste nicht, dass Scrimgeour so viele Fans hatte." Hermiones Augen weiteten sich.

„Nein! Die Hassbriefe waren nicht von seinen Fans. Sie kamen von besorgten Eltern, die die Integrität der Schulleiterin in Frage stellten! Ich habe diese Hexe im meinem ganzen Leben noch nie so wütend gesehen, Hermione. Ich war so in Sorge, dass sie dieses Skeeterweib ermorden würde." Ron runzelte die Stirn, während er sich an die harschen Worte erinnerte, die McGonagall für Rita Skeeter gehabt hatte, als sie sich am Wochenende mit seiner Mum in der Küche unterhalten hatte.

„Oh, ich kann ihr das nicht vorwerfen." Hermione hatte schreckliches Mitleid mit ihrer früheren Hauslehrerin, wenn sie an die Hassbriefe dachte, die sie erhalten hatte, als sie in Hogwarts gewesen war. „Ich sollte Minerva bald schreiben. Das ist wirklich ärgerlich." Einen Augenblick lang runzelte sie der Information wegen die Stirn und fragte: „Was haben diese Geschichten also mit deinen Überstunden am Wochenende zu tun?"

„Nun, das ist es quasi, womit alles angefangen hat. Wegen all dieser verrückten Sachen, die sie in der Zeitung über die Auroren gesagt haben, hat das Ministerium es für nötig befunden, einige ‚organisatorische Bemühungen' zu starten. Sie lassen jeden von uns einen persönlichen Fragebogen ausfüllen. Ich bin nur froh, dass ich noch nicht lange im Aurorenbüro bin, weil mein Fragebogen noch überschaubar ist, nur ungefähr drei Fuß lang. Andererseits hat Amelia nicht so viel Glück."

„Aber sie scheint so jung zu sein!" Hermione hob die Augenbrauen. „Wie lange arbeitet sie schon im Aurorenbüro? Ich dachte, sie ist etwa in unserem Alter."

„Ja", seufzte Ron. „Sie hat sogar erst nach mir dort angefangen. Sie hat in Beauxbatons erst im letzten Sommer ihren Abschluss gemacht. Ihr Fragebogen ist nicht schlimm, sogar kürzer als meiner. Aber das Problem ist, dass sie den Auftrag bekommen hat, den von Tonks auszufüllen."

„Tonks?" Hermione konnte ihren Ohren nicht trauen. „Aber Tonks ist …"

„Tot, ich weiß." Ron kratzte sich unbehaglich am Kopf. „Anscheinend wollen sie für viele von uns Fragebögen ausgefüllt haben, lebendig oder tot. Amelia hat Tonks nie kennengelernt. Daher wurde sie fast verrückt, als sie las, dass Tonks einen Werwolf geheiratet hat. Ich habe einen ganzen Nachmittag damit zugebracht, ihr zu erklären, was für eine Art Mensch Remus war. Es war traurig, all diese Dinge durchgehen zu müssen. Aber ich werde Amelia bei ihrem Projekt unterstützen. Ich schätze, ihr zu helfen, die richtigen Antworten zu finden, ist das Mindeste, das ich für Tonks und Remus tun kann."

Zwischen den beiden Freunden gab es eine lange Schweigepause. „Das ist sehr nett von dir, Ron", sagte Hermione schließlich. „Ich bin sicher, Andromeda und Teddy werden es zu schätzen wissen, was du für Tonks und Remus tust. Was hat Harry zu alldem gesagt?"

„Oh, Harry wird das nicht gefallen." Ron schüttelte den Kopf. „Ich habe noch nicht mit ihm darüber gesprochen. Anscheinend ist er auf seiner Reise nach Rumänien sehr beschäftigt. Seit er vor über einem Monat abgereist ist, hat er Ginny nur vier Eulen geschickt. Ich habe gar nichts von ihm gehört. Du weißt, wie es ist …, da er jetzt seine Verlobte hat, ist sein bester Kumpel einfach unwichtig geworden. Sobald er jedoch wieder im Lande ist, wird er kommen und sich mit seinem eigenen Fragebogen befassen müssen, der praktisch fünfmal so lang ist wie meiner! Es ist verständlich, nehme ich an, weil er am Ende des Krieges eine Menge mehr mit dem Aurorenbüro zu tun hatte. Ich glaube, neben Kingsleys ist sein Fragebogen der längste. Apropos Kingsley: Wenn du mit ihm irgendetwas besprechen musst, beeilst du dich besser und tust es in den nächsten Tagen. Ich habe den Fragebogen für Kingsley heute in unserem Büro gesehen. Er hat eine ganze Truhe gefüllt! Nächste Woche soll er in unser Büro hinüberkommen, um daran zu arbeiten. Möglicherweise muss er eine Weile in unserem Büro bleiben, um alle Details zu jedem Fall auszufüllen, an dem er vor, während und nach dem Krieg als Auror gearbeitet hat."

„Das hört sich nach gewaltigen Kopfschmerzen an." Hermione runzelte die Stirn. „Ich glaube, mein Projekt gefällt mir jetzt viel besser als deines."

„Ich glaube, alles ist besser als das, was wir tun müssen", grummelte Ron.

Da sie sich an Rons Meinung über Snape erinnerte, stieß Hermione ein kleines Lachen aus. „Dessen bin ich mir nicht so sicher."

Ron wandte den Kopf von Hermione ab, als riefe ihn jemand von hinten. „Entschuldige, Hermione. Mum ruft. Nachtisch ist fertig. Ich muss gehen. Du wirst vorsichtig sein, ja? Und lass mich wissen, wenn du Hilfe brauchst."

„Mach dir keine Sorgen, Ron. Guten Appetit beim Nachtisch!" Hermione lächelte, als der Kopf des rothaarigen Zauberers in den grünen Flammen verschwand.

Hermione holte tief Luft und nahm die beiden Hühnchen-Sandwiches, die sie im Pub unten an der Straße gekauft hatte. Sie würde all die Informationen, die Ron ihr gerade gegeben hatte, zu einem anderen Zeitpunkt verarbeiten. Sie hatte einen schwierigen Mandanten, mit dem sie umgehen musste. Mit etwas Glück würde sie vielleicht in der Lage sein, ihn davon zu überzeugen, zu kooperieren und ihren ersten eigenen Fall zu einer angenehmen Erfahrung mit einem erfolgreichen Ergebnis zu machen.

Während sie zur Tür hinausging, warf sie einen schnellen Blick auf den Tagespropheten auf dem Kaffeetisch. Vielleicht müsste sie nach ihrem Treffen mit Snape beim Abendessen alle Geschichten von Skeeter durchsehen. Sie hasste den Gedanken, welche empörenden Storys sie würde lesen müssen.

Amüsiert sah Severus zu, während Hermione an der gegenüberliegenden Seite des Esstischs in der Küche seiner zeitweiligen Wohnung an ihrem Sandwich kaute.

„Ich nehme an, Sie haben nach all diesen Jahren endlich einige von Mr. Weasleys Tischmanieren übernommen?", sagte er kühl und starrte die Hexe an.

Hermione sah auf und starrte ihn einige Momente lang an, dann sagte sie: „Ich würde an Ihrer Stelle nicht die Bitte vergessen, die ich vor ungefähr einer Stunde ausgesprochen habe, Professor Snape. Haben Sie immer noch Interesse an meinen Erklärungen?"

Severus verschluckte eine spitze Bemerkung, die ihm beinahe über die Lippen gekommen wäre. Missmutig saß er auf seinem Platz, während Hermione weiter ihr Abendessen futterte.

„Sorry, Professor." Schließlich warf sie ihm zwischen den Bissen ein entschuldigendes Lächeln zu. „Ich bin am Verhungern. Ich hatte heute keine Zeit für ein Mittagessen. Möchten Sie Ihr Sandwich nicht probieren? Ich habe sie im Pub unten an der Straße besorgt. Drinnen habe ich noch nie gegessen. Aber ihre Sandwiches sind immer gut zum Mitnehmen. Wie ich gehört habe, ist die Bar dort sehr nett. Vielleicht wollen Sie sie irgendwann ausprobieren."

Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihr gelassen weiter zu. „Im Moment habe ich keinen rechten Appetit, Miss Granger. Sollte ich mich darauf einstellen zu warten, bis sie mit Ihrem Nachtisch fertig sind, bis ich die Information bekomme, die Sie versprochen haben?"

„Ich habe keinen Nachtisch besorgt." Hermione sah zu ihm auf und lächelte ihn verhalten an. Als sie den letzten Bissen ihres Sandwichs gegessen hatte, tupfte sie sich die Mundwinkel ab. „Es tut mir leid, dass ich Sie habe warten lassen. Dann gehe ich davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, Ihren Teil des Handels einzuhalten? Nun, wo soll ich anfangen … richtig, vielleicht sollte ich damit beginnen, dass Sie vorgestern schrecklich unhöflich zu mir waren."

„Wenn Sie eine Entschuldigung erwarten …" Er kniff die Augen zusammen.

„Nein, nein, nein …" Sie wackelte mit dem Finger vor ihm hin und her und trank aus einem hohen Wasserglas. „Nun, wenn Sie darauf bestehen, wäre das natürlich auch nett. Aber vielleicht können Sie das später tun."

Ohne auf seinen durchdringenden Blick zu achten, fuhr sie fort: „Was ich sagen wollte, war … nach unserem Treffen verbrachte ich schließlich den Rest des Tages damit, über Ihren Fall nachzulesen und zu versuchen, Beweise zu finden, die ich für meine Argumentation brauche. Mir wurde bald klar, dass ich den Fall ohne Ihre Mitwirkung keinesfalls innerhalb von zwei Wochen fertig vorbereiten kann. Ich dachte, eine Verlängerung sei die einzige Möglichkeit, mich davor zu retten, dass ich mich selbst umbringe, indem ich vierundzwanzig Stunden am Tag sieben Tage die Woche arbeite. Daher ging ich gestern Morgen vor unserem angesetzten Termin zuerst ins Büro. Ich schaute mir die Vorschriften zur Vorbereitungszeit einer ersten Anhörung an. Es steht in den Gesetzesbüchern, dass ein Verteidiger für jeden Fall zur Vorbereitung Anspruch auf mindestens drei Wochen hat. Da Kingsley den Fall so lange zurückgehalten hat, habe ich Aufzeichnungen, dass ich ihn erst am letzten Freitag zu sehen bekommen habe. Statt zu dem Treffen mit Ihnen zu gehen, bin ich daher darangegangen, einen Aufschub für die erste Anhörung bei Gericht zu erwirken. Als ich mit dem Papierkram in Percys Büro fertig war, erinnerte er mich daran, dass die Weihnachtsferien am Ende meiner beantragten drei Wochen beginnen. Das Gericht wird erst im Januar wieder tagen. Daher habe ich für uns ohne zusätzlichen Aufwand zwei weitere Wochen bekommen! Wir haben also jetzt fünf Wochen, um die erste Anhörung vorzubereiten."

„Oder solI ich sagen, ich habe dank Ihrer Bemühungen fünf Wochen, Miss Granger." Severus starrte die Hexe vor sich an. „Ich habe mich nie einverstanden erklärt, dass Sie mit dem Fall betraut bleiben."

Hermione beugte sich in Richtung des Tisches zwischen ihnen vor und sagte: „Professor, ich würde es wirklich schätzen, wenn Sie diesen Disput nicht noch einmal führen." Ihre Stimme war fest, aber ernst. „Sowohl Sie als auch Kingsley scheinen zu glauben, dass es andere Gründe gibt, weshalb ausgerechnet ich mit diesem Fall beauftragt wurde. Auch wenn ich keinen Grund habe, diesen Auftrag infrage zu stellen, würde ich gerne wissen, ob es weitere Motive gibt, mir diesen Fall zu geben. Sie können mich selbstsüchtig nennen, aber ich glaube, Ihnen zu helfen, ist wahrscheinlich damit gleichzusetzen, mir in diesem Punkt selbst zu helfen."

Severus kniff die Augen gegenüber der jungen Hexe vor sich zusammen. Ihre Argumentation war logisch. Ihre Entschlossenheit war eindrucksvoll. Und ein Teil von ihm lächelte innerlich, da er wusste, dass ihr sein Fall immer noch wichtig war.

„Was hat Weasley gemeint, als er sagte, dass niemand erwartet habe, dass Sie ‚solche' Verantwortlichkeiten übernehmen, Miss Granger? Welche Art Verantwortlichkeiten haben Sie übernommen?" Er beschloss, die Forderung, dass sie sich aus dem Fall heraushielte, zumindest für den Augenblick fallen zu lassen.

„Als ich mich damit befasst habe, wie ich die Wartezeit verlängern könnte, habe ich mir außerdem angeschaut, wie sie anfangs nach Ihrer Verhaftung vorgegangen sind. Sie hätten Ihnen Gelegenheit geben müssen, einen Freund zu kontaktieren, um eine Kaution zu stellen." Sie sammelte das Geschirr ein, reinigte es mit einem Schwenken ihres Zauberstabs und räumte es wieder in den Schrank.

„Möglicherweise haben sie es erwähnt." Er holte tief Luft und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Aber selbst wenn sie es getan haben, habe ich wahrscheinlich niemanden, den ich um diese Art Hilfe bitten könnte. Die Kaution ist normalerweise eine ziemlich hohe Summe, oder?" Er realisierte, was sie ihm mitgeteilt hatte, und runzelte die Stirn. „Haben Sie eine Kaution gestellt? Woher haben Sie das Geld?"

„Ich habe das Geld nicht." Sie ging wieder zum Tisch und lächelte ihn leicht an. „Ich glaube auch nicht, dass ich jemanden kenne, der so reich ist. Daher habe ich eine Bürgschaft für die Kaution übernommen."

Ungläubig betrachtete Severus die Hexe vor sich. Er war nicht überrascht, dass sie die relevanten Gesetze nachgeschlagen und für ihn eine zeitliche Verlängerung herausgeholt hatte, um sich auf den Prozess vorzubereiten. Er hatte jedoch nicht erwartet, dass sie die persönliche Verantwortung übernahm, um zu seinen Gunsten eine Kaution zu stellen. So gut kannte sie ihn nicht einmal, nur als den unfairen Professor und als Doppelagenten im Krieg.

„Ich hoffe, es ist nicht eine Gewohnheit von Ihnen, Mandanten immer mit einer persönlichen Bürgschaft herauszuholen, Miss Granger", fragte er mit kühler Stimme.

„Ich kann es kaum eine Gewohnheit nennen." Sie stieß ein kleines Lachen aus. „Schließlich sind Sie mein erster richtiger Mandant." Aus ihrem Lächeln wurde ein breites Grinsen, als sie sah, wie sich sein Stirnrunzeln verstärkte, als er ihre Antwort hörte. „Ich habe nur Witze gemacht, Professor. Nein, ich glaube nicht, dass das jemals zur Gewohnheit werden wird. Ich habe über Ihre Lage sehr sorgfältig nachgedacht, ehe ich auf der gepunkteten Linie unterschrieben habe. Ich glaube, dass Sie unschuldig sind. Und nach all diesen Jahren, nachdem ich weiß, was Sie für uns alle während des Krieges getan haben, kann ihr ehrlich sagen, dass ich Ihnen vertraue."

„Wenn Sie mir vertrauen, warum bin ich dann hier und nicht wieder in meinem Haus?" Er hob eine Braue.

„Das war wirklich nicht meine Entscheidung, Professor", sagte Hermione entschuldigend. „Als Garant für die Bürgschaft muss ich die Verantwortung für Ihren physischen Aufenthaltsort übernehmen. Eigentlich zögen sie es vor, dass Sie bei mir wohnen, wovon ich nicht denke, dass es besonders gut funktionieren würde. Glücklicherweise war diese Wohnung seit mindestens einigen Wochen zur Vermietung frei. Daher hat der Vermieter sie mir angeboten, als ich ihn angerufen habe."

„Dennoch haben Sie sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen Überwachungs- und Verfolgungszauber zu werfen, ehe Sie mir meinen Zauberstab zurückgegeben haben", wies Severus auf seine Beobachtung hin und schnarrte: „Was hat Sie zu der Annahme gebracht, dass ich nicht direkt unter Ihrer Nase davonappariere?"

„Wie ich Ihnen gesagt habe, Professor", zuckte sie leicht mit den Achseln, „ich vertraue Ihnen …"

Ihrer beider Blicke hafteten eine lange Weile ineinander, und er erkannte die Ernsthaftigkeit in ihren sanften braunen Augen. Nach einem Moment des Schweigens sprach sie wieder: „Sie können sagen, dass ich Sie nicht gut genug kenne, Professor Snape. Und ich werde nicht bestreiten, dass Sie damit recht haben. Aber ich weiß, dass es falsch von denen ist, diese Anschuldigungen gegen Sie vorzubringen. Ich war sehr aufgebracht, als Sie darauf bestanden, dass ich mich von dem Fall fernhalte. Aber als ich gestern Abend noch einmal an unser Gespräch dachte, spürte ich, dass der Grund dafür, dass Sie mich wegstoßen, etwas mit den politischen Verwicklungen des Falles zu tun hat. Sie versuchen, mich zu schützen, stimmt's?"

Ihre Worte verblüfften ihn. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete die junge Hexe vor sich. Sie tat es wieder, genau wie sie seine Motive angezweifelt hatte, als sie ihrem geheimen Kontakt geschrieben hatte, nachdem er Dumbledore getötet hatte. Wie machte sie das? Wie schaffte sie es immer, seine Verschleierungsmanöver zu durchschauen? Wie konnte sie ihn so gut verstehen?

Da sie von ihrem ehemaligen Professor keine Antwort bekam, fuhr Hermione fort: „Bitte, Professor Snape. Ich bitte Sie: Bitte denken Sie darüber nach, mit mir an diesem Fall zu arbeiten. Sie wissen, dass Sie meine Hilfe brauchen können, um eine solide Argumentation vor dem Zaubergamot zu vertreten. Und wie ich schon sagte, muss ich herausfinden, wer mich dahinein verwickeln möchte, falls dies tatsächlich eine Falle ist. Wenn Sie mir helfen können, die Motivation hinter den Anklagepunkten zu verstehen, habe ich eine bessere Chance, die Wahrheit herauszufinden. Wenn dies vorüber ist, brauchen Sie nichts mehr mit mir zu tun zu haben. Ich werde Sie nicht belästigen, wenn Sie in Ruhe gelassen werden möchten. Was meinen Sie?"

Seine tiefdunklen Augen verengten sich, dann fragte er mit seiner kühlen Samtstimme: „Bitten Sie um Waffenruhe?"

„Ja, Professor." Hermione hielt den Atem an. „Eine Waffenruhe."

Er brauchte noch einen weiteren Moment, um ihre Worte abzuwägen. Und schließlich nickte er knapp: „Ihre Bitte ist bewilligt."

Hermione stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und lächelte ihren Mandanten strahlend an. „Danke, Professor. Ich weiß das zu schätzen. Ich werde damit anfangen, Ihnen meine Recherchen zu bringen und …"

„Unter einer Bedingung", unterbrach er sie plötzlich. „Ich behalte mir das Recht vor, Ihre Dienste jederzeit ablehnen zu können."

Ihr Lächeln gefror, als sie seine Worte hörte. Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie den Zauberer vor sich betrachtete. Einen langen Augenblick später stand sie vom Tisch auf. „Ich sollte jetzt gehen. Morgen früh komme ich wieder." Sie sah auf ihre Armbanduhr und stieß einen kleinen Schrei aus. „Oh nein, es ist spät. Ich lasse ihn warten."

„Treffen Sie sich mit jemandem, Miss Granger?" Severus hob eine Braue. Erstaunt beobachtete er, wie ihre Wangen sich langsam röteten.

„Äh … ja", murmelte sie, während sie ihre Handtasche aufhob.

„Um diese Uhrzeit?", hakte er nach.

Ihr Erröten vertiefte sich, aber sie antwortete nicht. Schnell flüsterte sie ein „Guten Abend", dann eilte sie zur Tür hinaus.

Severus stand ruhig da und sah zu, wie sich die Tür hinter ihr schloss. Ihr Gespräch lief noch einmal in seinem Kopf ab. Dies war, was einem normalen persönlichen Gespräch am nächsten kam, das er mit ihr geführt hatte, seit sie Hogwarts als Schülerin verlassen hatte. Er fragte sich, ob er recht hatte in Bezug auf die Person, die sie so dringend treffen wollte.

Langsam ging er zu seinem Schreibtisch und zog das schwarze, ledergebundene Tagebuch aus der Schublade. Als er es auf den Schreibtisch legte, kündigte ein warmes Leuchten zwischen den Seiten ihren Gruß an.

„Natürlich, Miss Granger", murmelte er vor sich hin. „Ihn würden Sie niemals warten lassen."