Kapitel 8 – Das Leben geht weiter

Severus hätte nie erwartet, dass der Zeitpunkt für seine Enthüllung so falsch sein könnte. Schließlich war es für ihn nicht einfach, sich endlich dazu zu entschließen, ein Geständnis abzulegen, und er hatte gehofft, es richtig zu machen.

Bereits am ersten Tag hatte Severus beschlossen, der Gryffindor mit den buschigen Haaren nie seine wahre Identität zu offenbaren. Zu Anfang war sein Grund einfach gewesen: Er wollte einfach nichts mit ihr zu tun haben. Nach dem Krieg änderte sich sein Entschluss nicht, aber er hatte ihn aus einem völlig anderen Grund gefasst: Er hatte angefangen, sie gernzuhaben, vielleicht sogar ein wenig zu sehr.

Jahrelang hatte Severus Hermiones regelmäßige Botschaften als etwas betrachtet, das Gesprächen mit einem vertrauten Menschen am nächsten kam. Er kam nicht um die Sorge hin, dass es ihn ihre Freundschaft kosten würde, wenn sie die Wahrheit über ihren geheimen Kontakt herausfand. Keineswegs bestritt er, dass dies eine völlig selbstsüchtige Handlungsweise war. Er dachte jedoch auch, dass seine Entscheidung wohlgerechtfertigt war: Was sie nicht wusste, schadete ihr nicht. Soweit Severus sehen konnte, würde Hermione nie mehr als einen Freund auf der anderen Seite des magischen Notizbuchs erwarten. Während nach dem Krieg einem mysteriösen Brieffreund zu schreiben, der jungen Hexe eine gewisse Unterhaltung bieten mochte, war Severus sicher, sie würde ihr „Schreibhobby" sofort aufgeben, wenn sie wüsste, dass sie ihm schrieb.

Bald nach dem Krieg hatte sie begonnen, hier und da Hinweise fallen zu lassen, dass sie ihn gerne treffen wollte. Er hatte dies ignoriert, als bemerke er ihre Fragen zwischen den Zeilen nicht. Severus hatte sich schnell eingeredet, dass sie lediglich neugierig war. Er konnte sich nicht dazu entschließen, sich mit ihr zu treffen. Nicht nur war er besorgt, dass seine Enthüllung ihre Freundschaft gefährden würde, Severus fürchtete überdies, dass die Versuchung zu groß sein würde, wenn er sich mit ihr träfe. Wenn er sie sehen und ihr sagen musste, dass er es war, der ihr schrieb, würde er ihr wahrscheinlich sagen wollen, dass er sich mehr als Freundschaft wünschte. Und dies wäre nach Severus' Auffassung der jungen Hexe gegenüber ein lächerlicher Vorschlag. Warum sollte er sich mit einer derartigen Enthüllung erniedrigen? Er fand es viel einfacher, sich lediglich zu weigern, ihre Fragen nach seiner Identität zu beantworten.

Severus' Entscheidung seine geheime Identität betreffend war ins Schwanken geraten, seit Hermione seine Verteidigerin geworden war und begonnen hatte, täglich mit ihm zu arbeiten. Tag für Tag sah Severus in den sanften braunen Augen der jungen Hexe weder Vorurteil noch Urteil. Ihre Aufrichtigkeit ließ ihn sich unbehaglich fühlen. Sie war so versöhnlich und voller Akzeptanz. Dennoch hinterging er dieses Vertrauen seiner selbstsüchtigen Bedenken wegen.

Als er früher an diesem Tag ihre verzweifelte Botschaft gesehen hatte, in der sie T bat, sie im Pub zu treffen, wusste er, dass er sein Geständnis nicht länger aufschieben konnte. Noch immer fürchtete er die Konsequenzen, aber er wusste auch, dass er sie niemals als echte Freundin haben würde, wenn er seine Identität vor ihr geheim hielt.

Dies war der Grund, weshalb Severus von dem Moment an, als er den Pub betrat, bereit war, ihr mitzuteilen: „Die Person, die Ihnen all die Jahre geschrieben hat, bin ich. Mir wurde das andere Notizbuch übergeben."

Hermione gab ihm jedoch keine Gelegenheit. Sie brachte ihn zum Schweigen, als er dazu ansetzte zu sagen: „Mir wurde gesagt, ich solle Sie hier treffen" und wiegelte es ab, als er fragte: „Was bringt Sie dazu zu glauben, dass er nicht auftaucht?" Severus brauchte nicht lange, bis ihm klar wurde, dass sie viel nüchterner sein musste, um sein Geständnis zu verarbeiten und zu akzeptieren.

Er hatte entschieden, auf eine andere Gelegenheit zu warten, um das Thema wieder anzusprechen, bis er die Fragen hörte, die sie stellte, unmittelbar bevor sie einschlief.

„Zu dumm, dass T das nicht denkt." In seinem Kopf spielte er dies ebenso wie die genauen Worte, die sie im Schlaf geäußert hatte, wieder ab. Nie hätte er eine derartige Enthüllung von ihr erwartet. War er wirklich so blind gewesen und hatte nicht realisiert, dass er bei ihr bessere Chancen haben mochte, als er sich je hätte vorstellen können?

Nachdem er aus Hermiones Wohnung getreten war, verließ Severus das Gebäude, wanderte ziellos durch die dunkler werdenden Straßen und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Während er sicher gewesen war, was er tun sollte, ehe er im Pub sie gesehen hatte, war er jetzt keineswegs mehr sicher. Er war hin- und hergerissen zwischen T und Severus Snape zu sein. Offensichtlich wünschte sie sich, dass T an sie als mehr als nur eine Freundin dachte. Aber es war Severus Snape, den sie zum Essen an Weihnachten einlud. Wenn sie Severus bereits als einen Freund betrachtete, würde sein Geständnis dann ihn sowohl als T als auch als Severus ihre Freundschaft kosten?

Wieder waren seine Möglichkeiten verschwommen. Severus disapparierte an einer verlassenen Straßenecke und kehrte in sein Haus in Spinner's End zurück. Für den Augenblick musste er sein Dilemma beiseite schieben, weil er ein Weihnachtsgeschenk einpacken musste – für sie.

Als Severus an Hermiones Wohnung vorbeiging und in seine eigene zurückkehrte, war es am Weihnachtstag bereits Nachmittag. Sobald er zur Tür hineinging, bemerkte er ein warmes Leuchten, das zwischen den Seiten seines Notizbuchs strahlte. Schnell ging er zu seinem Schreibtisch und las ihre Nachricht:

Frohe Weihnachten! Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Heiligabend mit Ihrer Familie.

Ich schreibe heute Morgen, um Sie zu bitten, meine vorherige Nachricht von gestern Nachmittag zu ignorieren. Ich hatte in letzter Zeit eine Menge Stress und war offensichtlich nicht ganz bei Sinnen.

Seit ich Ihnen meine letzte Nachricht geschickt habe, habe ich über unsere Freundschaft in den letzten Jahren sehr viel nachgedacht. Ich weiß nicht, wie Sie über unsere Freundschaft/Beziehung oder was immer Sie glauben, was zwischen uns besteht, denken. Aber es ist mir deutlicher und deutlicher geworden, dass ich es falsch eingeschätzt habe.

Vom allerersten Tag an, als ich das Notizbuch von Dumbledore bekommen habe, habe ich herauszufinden versucht, wer Sie sind. Weil Sie so gut darin sind, Ihre Identität geheim zu halten, habe ich meine Fantasie benutzt, um die Lücken zu füllen. Nach so vielen Jahren habe ich in meinem Kopf eine sehr realistische Person kreiert, obwohl mir klar ist, dass Sie wahrscheinlich völlig anders sind, als ich Sie mir vorstelle. Was ich zu sagen versuche, T, verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich glaube, ich habe zu viel Zuneigung zu jemandem entwickelt, den meine eigene Vorstellung geschaffen hat.

Während ich über unsere Gespräche nachgedacht habe, wurde mir klar, dass ich mich Ihnen aufgedrängt habe, indem ich unsere Mitteilungen seit dem Kriegsende fortgesetzt habe. Außerdem habe ich Sie bedrängt, Ihre Identität preiszugeben. Das war sehr unsensibel von mir, und ich entschuldige mich. Wenn es etwas gibt, das ich Ihnen sagen kann, dann möchte ich, dass Sie wissen, dass Ihre Freundschaft mir sehr viel bedeutet. In gewisser Weise waren Sie mein bester Freund, den ich nie getroffen habe.

Bitte verzeihen Sie mir diese ausschweifende Nachricht am Weihnachtstag. Warum ist es sogar auf Papier so schwer, dies zu sagen? Bitte verzeihen Sie mir …, aber ich muss aufhören, Ihnen zu schreiben, zumindest für eine Weile. Ich habe beschlossen, dass ich meine Augen und mein Herz öffnen muss. Es gibt so viele andere Menschen um mich herum, die mich gernhaben, aber ich nehme sie nie auch nur zur Kenntnis. Ich kann nicht länger meinen Kopf in meiner eigenen Vorstellung vergraben. Ich muss nach vorne schauen.

Ich bin sicher, irgendwann in Zukunft werde ich Ihnen wieder schreiben, wenn ich dazu bereit bin. Bis dahin seien Sie versichert, dass ich Ihnen nichts als das Beste wünsche.

Freundliche Grüße

Hermione"

Severus erstarrte auf seinem Stuhl, als er die Botschaft vor sich las. Er war sich nicht sicher, ob er darüber glücklich oder verärgert sein sollte. Es schien, als habe sie sein aufgrund seiner dualen Identität bestehendes Dilemma gelöst, indem sie sich von ihrem Brieffreund verabschiedete. Wenn er dabei war, sie als T zu verlieren, würde er nicht riskieren, ihre Freundschaft als Severus zu verlieren.

Mit einem tiefen Seufzen blätterte Severus die Seite um und sah zu, wie ihre Nachricht im Papier verschwand. Sorgsam nahm er seine Feder in die Hand und schrieb seine kurze Antwort nieder:

Wie Sie wünschen, Hermione. Entschuldigen Sie sich nicht. Sie haben nichts falsch gemacht."

Als ein warmes Leuchten seine Nachricht davontransportierte, wurde Severus klar, das er möglicherweise gerade die letzte Nachricht geschrieben hatte, die er ihr jemals als ‚T' schreiben konnte. In dem Versuch, die Enge in seiner Brust zu lindern, atmete er ein paarmal tief ein.

Er wusste nicht, wie lange er am Schreibtisch gesessen und das leere Notizbuch angestarrt hatte, als eine vertraute Stimme plötzlich aus dem Kamin in seinem Wohnzimmer rief: „Professor Snape? Severus? Sind Sie daheim?"

Leise räumte er das Notizbuch in seine Schublade weg und ging in sein Wohnzimmer. Er war nicht sicher, was er sagen sollte, als er Hermione mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht in den grünen Flammen sah. Glücklicherweise übernahm sie das Reden für ihn.

„Großartig, Sie sind zurück! Wenn Sie fertig sind, können wir essen. Ich möchte Ihnen zeigen, was ich gemacht habe."

Er presste die Lippen fest zusammen und versuchte, ihr Lächeln zu erwidern. „Ich komme gleich rüber."

Die Tür zu Hermiones Wohnung war nur angelehnt, als Severus den Flur entlangging. Sobald er das Wohnzimmer betrat, konnte er etwas Köstliches riechen, das aus der Küche kam. Hermione hatte Weihnachtsmusik auf einem Muggel-CD-Player laufen. Severus erkannte das Lied von vor Jahren wieder, als er zum ersten Mal Weihnachtslieder während eines Besuchs bei Lilys Familie in den Weihnachtsferien gehört hatte.

„Da sind Sie ja." Hermione kam aus der Küche und strahlte ihn an. „Ich weiß, es ist noch ein bisschen früh, aber meine Mum hatte das Weihnachtsessen immer etwa um drei Uhr nachmittags fertig. Ich hoffe, das ist in Ordnung für Sie."

Da er sich noch nicht völlig von der Nachricht erholt hatte, die er früher am Nachmittag von ihr gelesen hatte, nickte Severus ihr nur ruhig zu und reichte ihr das Weihnachtsgeschenk, das sorgsam in ein Stück weinroten Papiers mit Goldbändern eingepackt war.

„Oh meine Güte, danke!", japste sie, als sie das Paket von ihm entgegennahm. „Sie haben es sogar in Gryffindorfarben eingepackt."

„Bilden Sie sich nichts ein", sagte er ausdruckslos. „Rot ist eine Weihnachtsfarbe. Interpretieren Sie nicht zu viel hinein."

Hermione lächelte ihn strahlend an und antwortete: „Das stimmt, ich Dummerchen. Wie konnte ich vergessen, dass Rot genauso eine Weihnachtsfarbe wie Grün ist!" Ehe Severus mit einem Knurren antworten konnte, fügte sie hastig hinzu: „Ich hoffe, es ist okay für Sie, wenn ich es ein bisschen später öffne. Ich war gerade dabei, den Tisch zu decken. Falls Sie der Mince Pies noch nicht überdrüssig sind, habe ich hier einige, die auf Sie warten."

Severus folgte ihr in ihr kleines Esszimmer und fand eine eindrucksvolle Auswahl an Gerichten auf dem Tisch. „Ich dachte, Sie sagten, Sie könnten keinen …"

„Keinen Truthahn braten." Lächelnd beendete Hermione den Satz für ihn. Ein zarter Roséton überzog langsam ihre Wangen. „Ein Vogel solcher Größe hat mir immer Angst eingejagt. Aber ein Hühnchen ist etwas ganz anderes. Das habe ich schon ein paarmal gemacht. Ich hoffe, Sie mögen es."

Severus bemerkte das Erröten der jungen Hexe, und er fragte sich, ob dies daher kam, dass sie in der Küche hart gearbeitet hatte. „Angst eingejagt?" Er hob eine Braue. „Ich hätte nie erwartet, dass der Gryffindorprinzessin überhaupt etwas Angst einjagt, geschweige denn ein Truthahn."

„Sie veralbern mich doch gerade, oder?" Hermione sah von unter ihren langen Wimpern zu dem Zauberer auf, während sie Severus gegenüber Platz nahm. „Frohe Weihnachten." Sie hob ihr Glas.

Vier Wochen zuvor hätte Hermione niemals geglaubt, dass sie ein Weihnachtsessen alleine mit Snape genießen könne. Obwohl sie die Wahrheit hinter Severus' Handlungsweise während des Krieges erfahren hatte, hatte sich Hermione immer von dem dunkelhaarigen Zauberer eingeschüchtert gefühlt. Da sie in den letzten paar Wochen jedoch Seite an Seite mit ihm gearbeitet hatte, hatte sie angefangen, den intelligenten, aufmerksamen, höflichen und fürsorglichen Menschen hinter diesen ernsten dunklen Augen und den sarkastischen Kommentaren zu sehen. An diesem speziellen Abend genoss Hermione voll und ganz die Gesellschaft ihres früheren Tränkemeisters.

Sie plauderten miteinander, während sie Hermiones viele „Experimente" mit ihren Küchengeräten und den frischen Zutaten kosteten, die sie erst an diesem Morgen auf dem Markt gekauft hatte. Das Gespräch bewegte sich bald von Feiertagserinnerungen aus Hermiones Kindheit zu Harry Potters zahlreichen Abenteuern in den letzten Jahren.

„Potter sollte dankbar dafür sein, dass er Sie hatte, die auf ihn aufgepasst hat", kommentierte Severus einmal. „Meiner Meinung nach war er viel zu lange völlig ahnungslos."

„Ich glaube, er schuldet Ihnen weitaus mehr als sonst irgendjemandem, Severus." Sie lächelte den Zauberer an. „Selbst vor dem Krieg haben Sie sein Leben etliche Male gerettet. Aber ich muss sagen, Sie haben dies mit Ihrer schrecklichen Unfairness gegenüber uns Gryffindors gut kaschiert."

„Lassen Sie uns nicht das Thema wechseln", antwortete Severus kühl. „Ich nehme an, es ist fair zu sagen, dass Potter vielen Leuten sein Leben verdankt, nicht wahr?"

„Mir war nicht klar, wohin dieses Gespräch führen würde." Sie nahm einen kleinen Schluck von ihrem Wein und lächelte Severus schelmisch an. „Ich war auf eine Entschuldigung aus."

Nach dem Essen wechselten sie vom Esszimmer ins Wohnzimmer. Zwischen einer Tasse Kaffee und einem Stück Biskuitkuchen brachte Hermione schließlich das Thema auf's Tapet, das sie seit dem Morgen beschäftigt hatte.

„Äh … wegen gestern Abend … Es tut mir sehr leid." Hermione errötete, als sie sich den peinlichen Augenblick abends zuvor an der Bar ins Gedächtnis rief. „Ich muss Ihnen dafür danken, dass Sie mich hierher zurückgebracht haben. Und … dessentwegen, was ich gestern Abend gesagt habe … Die Art, wie ich Sie angesprochen und mit Ihnen geredet habe, war völlig unangemessen. Könnten Sie es bitte … einfach vergessen?"

„Ich hatte nicht vor, etwas von Ihrem Geplapper in Erinnerung zu behalten, falls es das ist, was Sie meinen." Er sah sie mit seinen tiefdunklen Augen weiter an, aber seine Mundwinkel hoben sich langsam zu einem kleinen Lächeln.

Amüsiert beobachtete Severus, wie die junge Hexe unbehaglich auf ihrem Platz umherrutschte. Um ihr das Leben ein wenig weniger schwer zu machen, wechselte er das Thema. „Möchten Sie Ihr Geschenk auspacken? Schließlich ist es Weihnachten."

„Oh, wie konnte ich das vergessen!" Hermione sprang vom Sofa auf. „Ich habe auch etwas für Sie!"

Sie verschwand kurz in ein anderes Zimmer und kam mit dem Geschenk von Severus und einer kleineren Schachtel zurück, die in einen Bogen blassgrünes Papier mit silbernen Bändern eingepackt war. Als sie ihm das Geschenk reichte, sagte sie leise: „Ich hoffe, Sie mögen es."

Während seine langen Finger die Bänder öffneten, konnte Severus ihren Blick auf sich fixiert fühlen. „Ich benote keinen Aufsatz, Hermione", seufzte er, als er zu ihr aufsah. „Sie bekommen keine Note."

„Ich kann nicht anders!", lachte sie und bedeutete ihm weiterzumachen.

Ein hübscher Schal zeigte sich, als Severus schließlich die Verpackung entfernt hatte. Der Schal hatte einen Silbergrauton und war sehr weich anzufassen. „Haben Sie den selbst gestrickt?" Er hob eine Braue.

Severus erinnerte sich noch an die grässlichen Mützen, die Dobby vor dem Krieg einmal getragen hatte, als er ihm den Nachmittagstee brachte. Der Hauself hatte stolz verkündet, dass er die Mützen als Geschenke bekommen hatte, während er Gryffindorhaus reinigte. Severus fragte sich, ob Hermione daher geübt war. Falls dies zutraf, war es offensichtlich, dass ihre Übung sich gelohnt hatte: Der Schal in seinen Händen war einfach perfekt.

„Mögen Sie ihn?", fragte sie und beobachtete ihn aufmerksam. „Ich habe für Harry und Ron jeweils eine Mütze gemacht. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie eine Mütze tragen. Und ich dachte, Silber sähe recht gut zu Schwarz aus …" Sie fing an, mit dem Bündchen ihres Pullovers herumzuspielen, während sie begierig auf seinen Kommentar wartete.

„Danke." Er sah auf und suchte ihre sanften braunen Augen, nicht in der Lage, sich davon abzuhalten, sie warmherzig anzulächeln. „Er ist … sehr schön." Er sah auf den Schal zwischen seinen Fingern, und ein kleiner Klumpen bildete sich in seiner Brust. Er unterbrach seine eigenen Gedanken darüber und schaute wieder zu der jungen Hexe. „Machen Sie Ihr Geschenk auf?"

Mit einem strahlenden Lächeln riss sie das Paket in ihren Händen auf. Sie hob die Brauen, als ein dickes Journal zum Vorschein kam. Es hatte einen leicht abgestoßenen Lederumschlag, und schmale Goldeinfassungen zierten die Ecken. Leicht verwirrt sah sie zu Severus auf.

„Schlagen Sie es auf." Er nickte ihr zu.

In der unteren rechten Ecke der ersten Seite fand sie die Initialen „SS", geschrieben in der vertrauten Handschrift ihres ehemaligen Tränkemeisters. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Seite umblätterte und ein Inhaltsverzeichnis erblickte. Schnell blätterte sie durch die ersten paar Seiten und realisierte, dass es ein systematisch geordnetes Buch mit Notizen war. Bei einem Blick auf die Themen war es für sie offensichtlich, dass die Notizen niedergeschrieben worden waren, um all die Magie zu analysieren, die mit der „Dunklen Magie" zu tun hatte, sowie die gemeinsamen Ursprünge im Vergleich zu den allgemein verwendeten magischen Theorien. „Haben Sie … das geschrieben?" Sie konnte den Blick nicht von den Informationen vor sich abwenden. „Dafür müssen Sie sehr lange gebraucht haben!"

„Etwas über fünfzehn Jahre", antwortete er ruhig.

„Das können Sie mir nicht schenken, Severus!" Völlig geschockt sah sie ihn an. Das Wissen in dem Journal war unbezahlbar.

„Ich will Ihnen das jetzt schon seit einer Weile geben." Er sagte die Wahrheit.

„Aber dies ist praktisch ein Buch. Es ist ein Manuskript. Sie können es veröffentlichen lassen!" Je mehr sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr der Wert des Journals.

„Und Rita Skeeter darüber schreiben lassen, dass ich beabsichtige, die Macht des Dunklen Lords zu verehren?", sagte er ausdruckslos.

„Nein! Ich kann anhand der Themen sehen, dass dies nicht ist, was Sie hier geschrieben haben." Hermione sah weiter die Themen durch. „Es ist für mich offensichtlich, dass Sie dies geschrieben haben, um die Dunklen Künste zu analysieren. Hier haben Sie es perfekt gesagt … ‚indem man die Theorien hinter der Dunklen Magie versteht, könnten übliche Banne und Zauber verbessert oder verstärkt werden; neue magische Theorien könnten entdeckt werden'. Nur engstirnige Leute würden dies als Förderung der Dunklen Künste betrachten."

„Da draußen gibt es eine Menge engstirniger Leute, Hermione", antwortete Severus.

„Warum geben Sie es mir?" Fragend sah sie ihn an, da sie nicht auf ein solch wertvolles Geschenk gefasst gewesen war.

„Sie sind nicht engstirnig", antwortete er rundheraus.

Für einen sehr langen Moment hielt er ihren Blick und versuchte, sich ihre schönen braunen Augen in sein Gedächtnis einzubrennen. Nach einer gefühlten Ewigkeit holte er tief Luft und fragte: „Sie glauben sicher nicht, dass ich Sie das Journal ohne ein Anliegen behalten lasse?"

Überrascht weiteten sich ihre Augen. „Was möchten Sie, dass ich tue?", fragte sie zögernd.

„Habe ich vor dem Termin bei Gericht immer noch die Freiheit, außer Landes zu reisen? In Ihrer Gesellschaft, meine ich natürlich", fragte er.

„Äh … ja, das nehme ich an. Möchten Sie irgendwohin reisen?" Auf seine Frage hin runzelte sie die Stirn.

„Nun, um es richtig auszudrücken: SIE wollen wohin", korrigierte er sie.

„Wie meinen Sie das?" Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich.

„Letzte Woche hatten Sie mir gegenüber erwähnt, dass Sie Ihren Eltern eine anonyme Weihnachtskarte geschickt haben. Daher ist es nur vernünftig anzunehmen, dass Sie wissen, wo sie wohnen. Ich würde sie gerne vor dem Termin bei Gericht mit Ihnen besuchen und die Gedächtniszauber aufheben, die Sie auf sie geworfen haben. Aufgrund der beschränkten Zeit, die wir haben, würde ich vorschlagen, dass Sie am Montagmorgen als Erstes einen internationalen Portschlüssel beantragen."

Hermione brauchte einige Sekunden, bis sie den Sinn seiner Bitte verstand. Als ihr klar wurde, was er ihr anbot, begann sie sofort zu protestieren: „Nein, das können wir nicht tun! Wir haben noch Arbeit zu erledigen. Ich möchte, dass wir uns mit allen Ihren Zeugen treffen und …"

„Sie scheinen zu vergessen, was ich Ihnen zu Anfang unserer Verhandlungen gesagt habe", fiel er ihr kühl ins Wort.

„Verhandlungen?" Sie runzelte die Stirn. „Was …"

„Sagte ich nicht, dass ich mir das Recht vorbehalte, Ihre Dienste jederzeit abzulehnen? Sie könnten in etwas mehr als einer Woche immer noch einen unkooperativen Mandanten haben." Er kniff die Augen zusammen und starrte sie intensiv an.

Hermione schloss kurz die Augen und stieß ein leises Seufzen aus. Kopfschüttelnd sah sie ihn wieder eine lange Weile an. Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie endlich sagte: „Severus … wenn ich Sie nicht besser kennen würde, hätte ich gesagte, dass Sie ein Idiot sind. Warum tun Sie das für mich?" Während sie sich eine einzelne Träne wegwischte, lächelte sie ihn schwach an. „Danke."