Kapitel 18 – Atem schöpfen
Seit dem Tag, an dem Arthur den ersten goldenen Sonnenstrahl in seiner Zelle entdeckt hatte, war jeder Tag ein sonniger geworden, aber Severus konnte das angenehme Wetter nicht trösten. Er verbrachte die meiste Zeit damit, müßig an der Wand zu sitzen und das Notizbuch dabei fest in den Händen zu halten.
Die Gefangenen schienen alleine gelassen zu sein, nachdem die Dementoren ihre Posten am Himmel über Azkaban verlassen hatten. Die Anlieferung von Essen und Wasser stand unter einem Zauber, dem üblichen Zeitplan zu folgen. Es gab eine leichte Verbesserung bei der Essensqualität, die möglicherweise durch das Entfernen des für die Dementoren typischen Kühlungseffekts verursacht wurde. Darüber hinaus gab es jedoch keine Anzeichen von Ersatz für die fürchterlichen Gefängniswächter; erst eine Woche später, als schließlich eilige Fußtritte von Ferne den Steinflur hinunter zu hören waren.
„Achtung, Gefangene", hallte eine laute Stimme durch den Flur. „Ein Team von Heilern ist gekommen, um eine Überprüfung Ihres Gesundheitszustandes vorzunehmen. Bitte treten Sie an die Gittertüren Ihrer Zellen vor und warten Sie auf weitere Anweisungen."
Severus runzelte leicht die Stirn und bewegte sich nicht. Ihm war jetzt klar, dass der Orden tatsächlich mit seiner Operation erfolgreich gewesen war. Würde Warrington noch immer die Strippen im Ministerium ziehen, wären keine Heiler gerufen worden. Dennoch ließ die Tatsache, dass er noch immer keine Nachrichten von Hermione im Notizbuch erhalten hatte, Severus' Herz bleischwer werden. Die Heiler waren wahrscheinlich nicht in der Lage, ihm irgendetwas über seine Hexe zu berichten; daher konnte der Zauberer keinen Grund erkennen, vom kalten Steinboden aufzustehen.
Er schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand, verfolgte aber mit seinem scharfen Gehör die Geräusche in der Ferne. Die Schritte verrieten die Anzahl der kleinen Gruppe – sie waren wahrscheinlich weniger als fünf. Die Heiler bewegten sich langsam und erfüllten ihre Pflicht, jeden gründlich zu untersuchen. Ein paar Schritte erschien ihm leicht fehlt am Platz. Es hörte sich an, als sei ein junger Mann eilig auf der Suche nach jemandem, und er vollführte sicher keine Diagnostikzauber, wie ein Heiler es tun sollte.
Severus öffnete die Augen, als die Schritte sich seiner Zelle näherten. Er bekam nur einen schnellen Blick auf einen Schopf roten Haars, als ein junger Zauberer an seiner Zelle vorbeirannte. Und dann hörte er, wie die Schritte an der Zelle nebenan stoppten, und eine Stimme rief: „Dad!"
„Percy?" Arthurs zögernde Stimme kam von der anderen Seite der Mauer. „Bist du das wirklich?"
„Dad! Bist du in Ordnung?" Percys Stimme bebte, als sei er kurz davor, in Tränen auszubrechen. „Es tut mir so leid, dass ich nicht früher herkommen konnte. Es tut mir so leid, Dad …" Gefühle überwältigten den jungen Mann, und er begann zu schluchzen.
„Schh … Junge. Nicht weinen". Arthur versuchte, seinen Sohn zu trösten. „Mir geht es eigentlich ziemlich gut. Siehst du? Ich bin in Ordnung! Du … hast du wirklich versucht …, mich zu finden?", fragte er unsicher. „Ich dachte … ich habe dich im Ministerium gehört … Ich wusste nicht, dass du noch …"
„Ich habe kein Wort davon ernst gemeint, Dad. Ich hatte keine Wahl! Ich musste vor allen eine Show abziehen", erklärte Percy zwischen seinen Schluchzern. „Ich dachte, es sei die beste Art, sie davon zu überzeugen, dass ich einer von ihnen sei. Ich hatte gehofft, ihnen dadurch genug Grund zu geben, mir zu vertrauen. Aber es hat nicht gereicht! Sie haben dich trotzdem mitgenommen, nur, um meine Worte zu testen. Es tut mir so leid, Dad …" Für einen langen Augenblick trat Schweigen ein.
Percy sprach erst wieder, als er endlich seine Fassung wiedergefunden hatte. „Ich habe versucht, hierherzukommen und Dich zu finden, sobald Kingsley angekündigt hatte, dass die neue Regierung Kontrolle über das Ministerium erlangt hatte. Aber in London herrschte völliges Chaos. Wir haben das Flohnetzwerk verloren, und es ist jetzt nur teilweise instand gesetzt. Zu Anfang konnten nur einige Portschlüssel gleichzeitig aktiviert werden. Sie haben es geschafft, die Dementoren wegzuschicken, konnten aber nicht einmal ansatzweise regeln, was mit den Gefangenen geschehen sollte. Als jemand die Sorge um die Gesundheit der Gefangenen aufbrachte, nachdem sie lange den Dementoren ausgesetzt gewesen waren, habe ich die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und mich freiwillig gemeldet, eine Gruppe Heiler aufzutreiben, die herkommen und die Untersuchungen durchführen. Es war nicht so einfach, wie ich dachte. Das St. Mungo war brechend voll, und sie hatten niemanden verfügbar. Ich suchte überall im Land und besuchte eine lange Liste von Heilern, die entweder im Ruhestand sind oder eine eigene Praxis haben. Es war wirklich schwierig, sie davon zu überzeugen, mit mir zu kommen. Viele haben mich zur Tür hinausgeworfen, sobald sie das Wort Azkaban hörten", seufzte Percy. „Das ist der Grund, weshalb ich in vier langen Tagen Klinkenputzens überall im Land nur fünf Heiler gefunden habe."
„Das hast du gut gemacht, mein Junge. Ich bin so stolz auf dich." Arthurs Stimme war langsam und leise. „Wie geht es deiner Mutter? Und allen anderen?"
„Nach der Operation habe ich niemanden getroffen. Aber direkt nach der Übernahme habe ich einen Patronus von Bill bekommen, der mir sagte, sich solle mich darauf konzentrieren, dich zu finden. Er teilte mir mit, dass George und Charlie zurück in den Fuchsbau gingen und das Durcheinander aufräumten, das Warringtons Ministerium bei einer Durchsuchungsaktion vor ein paar Monaten hinterlassen hat. Bills Patronus sagte außerdem, dass er Ron und Ginny gesehen habe, die mit Harry am Ende der Schlacht das Ministerium verließen. Seitdem habe ich von ihnen nichts mehr gehört. Aber ich würde sagen, keine Nachricht ist gute Nachricht. Mum geht es recht gut", antwortete Percy mit einem traurigen Lachen. „Auch wenn ich ziemlich sicher bin, dass sie jetzt bereit ist, mich umzubringen. Als ich Ron das letzte Mal gesehen habe, sagte er mir, dass sie kein Wort glauben wollte, als er ihr zu erklären versuchte, dass ich undercover für den Orden arbeite. Aber abgesehen davon, dass sie bestürzt ist, weil du weggesperrt worden bist, und ich mich gegen die Familie gewandt habe, geht es ihr gut. Ginny hat sie nach Hogwarts gebracht, nachdem du verhaftet worden warst. Und später, als Hogwarts zu voll wurde, hat Bill sie nach Shell Cottage gebracht, damit sie bei ihm und Fleur bleibt. Oh, richtig! Wie konnte ich das vergessen?!" Der junge Zauberer stieß plötzlich einen Schrei aus. „Fleur ist schwanger. Du wirst bald Opa, Dad!"
Arthur gab ein seltsames Geräusch von sich, das wie eine Mischung aus einem Lachen und einem Schluchzen klang. Auf der anderen Seite der Mauer hörte Severus still zu und fühlte sich unbehaglich, weil er lauschte. Aber in Percy Weasleys Worten lag etwas, das ein plötzliches Feuer in seiner Brust entfachte. Behutsam legte er das Notizbuch auf den Boden und ging zur Gittertür. Da er kein weiteres Wort von seinem Nachbarn hörte, räusperte Severus sich und rief: „Mr. Weasley?"
„Pro … Professor Snape?" Percys rotschöpfiger Kopf erschien auf der anderen Seite des verriegelten Tors. „Mir war nicht klar …"
„Ja, Sohn." Arthurs Stimme kam von der anderen Seite der Mauer. „Du musst Severus danken, dass er meinen Verstand gerettet hat. Wenn er nicht gewesen wäre …"
„Nicht der Rede wert", unterbrach Severus knapp seinen Mitgefangenen, ehe er Percy seine Aufmerksamkeit zuwandte. „Mr. Weasley … ich habe mich gefragt …"
„Ja, Professor?", fragte Percy. „Fragen Sie sich, ob Sie ebenfalls entlassen werden? Wenn Sie sich darüber Gedanken machen, keine Sorge, bitte. Ihr Name wurde während der Versammlungen des Ordens lange vor dem Aufstand mehrfach erwähnt. Sie und mein Dad gehören zu den Ordensmitgliedern, die befreit werden, sobald die Logistik geregelt ist."
„Das ist nicht, wonach ich frage", grummelte Severus ungeduldig, aber die Frage, die ihm die ganze Seit durch den Kopf gegangen war, blieb ihm in der Kehle stecken. Es kostete ihn große Mühe, sie zu formulieren. Er holte tief Luft und begann mit zögernder Stimme. „Ich habe mir lediglich gefragt, ob Sie irgendwelche Neuigkeiten betreffend Miss Granger haben."
„Oh, diese Hermione war brillant!" Percys Gesicht leuchtete auf, als er antwortete. „Sie war diejenige, die auf die Idee kam, in Warringtons Hinterhof ein Feuer zu entfachen. Es hat ziemlich gut funktioniert, muss ich sagen. Dieses Mädchen trägt wirklich einen klugen Kopf auf ihren Schultern …"
„Wo ist sie jetzt?" Severus hinderte den jungen Zauberer daran, weiter zu plaudern.
„Jetzt?" Percy hielt aufgrund der unerwarteten Frage inne. „Ich … ich weiß nicht. Ich habe nicht viel mit ihr direkt zu tun. Alles, was ich weiß, habe ich indirekt von Kingsley oder Ron erfahren. Ich habe sie seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Warum, Professor, warum wollen Sie sie finden? Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Sie werden kein Strafverteidigungsteam mehr brauchen. Ihr Prozess war eine Falle – das ist jetzt allseits öffentlich bekannt. Sie brauchen nicht auf Granger zu rechnen, damit sie weiter an ihrem Fall arbeitet …"
„Wie erfreulich!", spie Severus, der keineswegs erfreut schien. Ohne ein Wort wandte er sich von der Tür ab und setzte sich wieder auf den Platz auf dem Boden.
Percy zuckte über seinen ehemaligen Professor mit den Achseln und ging zu seinem Vater zurück. „Er ist immer noch der Alte, hm? Immer noch dieselbe Garstigkeit, schätze ich?"
„Oh, lass ihn in Ruhe, den Severus. Er ist zur Zeit nur ein wenig verdrossen. Aber sag auf jeden Fall deiner Mutter, dass ich versprochen habe, Severus zu helfen, so gut ich kann, wenn wir draußen sind. Ich stehe in seiner Schuld, Sohn …"
Severus hatte das dringende Bedürfnis, die beiden Weasleys anzuschreien, dass er nichts von ihnen wolle, brachte jedoch nicht die Energie auf, seinen Ärger zum Ausdruck zu bringen. Stattdessen schluckte er seine Worte hinunter und schloss die Augen. Arthur Weasley mochte aufgrund des Wissens um die Tapferkeit seines Sohnes und seiner bevorstehenden Entlassung überglücklich sein. Aber für Severus Snape gab es noch immer keinen Lichtblick auf der Welt.
Zwei Tage nach Percy Weasleys Besuch erschien ein Wachzauberer vor Severus' und Arthurs Gefängniszellen. „Arthur Weasley", rief er und schaute dann auf das Stück Pergament in seiner Hand hinunter. „Severus Snape." Er sah zu Severus hinüber. „Heute Nachmittag werden Sie zu Ihren Familien entlassen. Bitte kommen Sie mit mir, um sich fertigzumachen, ehe sie in einigen Stunden via Portschlüssel eintreffen."
Bei den Worten des Wachmanns runzelte Severus die Stirn. Die Zaubererwelt machte niemals Fehler bei der Identifikation von Verhältnissen. Es gab konkrete Anforderungen, damit jemand als „Familie" galt; und Severus wusste, dass er keine „Familie" hatte, die kommen und Anspruch auf ihn erheben würde. Wenn es Hermione war, wäre sie allenfalls eine „Freundin". Eine Erkenntnis traf ihn, als er sich daran erinnerte, Arthurs Worte gegenüber Percy zwei Tage zuvor gehört zu haben. Vielleicht hatten die Weasleys in den letzten achtundvierzig Stunden beschlossen, ihn zu adoptieren? Der bloße Gedanke, von einer Truppe Rotschöpfe umgezingelt zu sein, ließ Severus erbleichen. Er stieß ein Stöhnen aus, als er die Hand zum Boden streckte und nach seinem Notizbuch, Feder und Tintenflasche griff. Sobald er sich umdrehte, öffnete sich das verriegelte Tor mit einem Klicken vor ihm. Der Wachmann trat einen Schritt zurück und wartete darauf, dass Arthur und Severus aus ihren Zellen traten.
„Severus!" Arthur stieß ein Keuchen aus, als er des Zauberers ansichtig wurde, der ihm in den vergangenen paar Monaten Gesellschaft geleistet hatte.
Severus schaute den unrasierten Mann vor sich teilnahmslos an. Bei all den Ordenstreffen während des Krieges hatte er Arthur Weasley nie besondere Aufmerksamkeit gewidmet, noch hatte er bis zu ihrem geteilten Schicksal in Azkaban mit dem Mann mehr als einige Worte gewechselt. Aber irgendwie und irgendwo hatte sich in den letzten paar Monaten ein unsichtbares Band zwischen ihnen gebildet. Severus' Mundwinkel hoben sich etwas zu einem schwachen Lächeln, während er Arthur knapp zunickte. Aber gleich kniff er die Augen zusammen, als er sah, dass der Zauberer einen Schritt näher trat. Er wird mich doch sicher nicht umarmen? Severus runzelte die Stirn; aus seinem Lächeln wurde schnell ein höhnisches Grinsen.
Der Wachmann gab Arthur keine Gelegenheit, die Toleranz des anderen Zauberers zu testen. „Folgen Sie mir hier entlang, bitte", befahl er.
Kurz darauf befanden Severus und Arthur vor einem Doppelhaus auf der gegenüberliegenden Seite der Insel.
„Da sind wir", erklärte der Wachmann ruhig, als er mit einem Schwenken seines Zauberstabs die Türen von zwei Wohnungen öffnete. „Laut diesen Heilern sind Sie beide die Einzigen, die keine Zeit im St. Mungo verbringen müssen, ehe Sie entlassen werden. Ich freue mich sehr über Ihr Glück. Ich werde nie erfahren, wie Sie das geschafft haben. Tut mir leid wegen der Unterkünfte, aber dies ist wirklich das Beste, was wir im Moment für Sie tun können. Dies ist ein altes Wohnhaus, das für die Familien der Wachen gebaut wurde, lange, ehe die Dementoren übernommen haben. Drinnen finden Sie Ihre Zauberstäbe und saubere Kleidung. Auf dem Tisch sollten Sie außerdem Essen und Wasser vorfinden. Machen Sie sich in Ruhe frisch und ruhen Sie sich aus. Ich komme und hole Sie, wenn Ihre Familien eintreffen."
Arthur und Severus sahen zu, als der Wachmann davonging und wandten sich einander zu.
„Meine Güte! Ich träume doch nicht, Severus?", fragte Arthur mit einem strahlenden Lächeln.
Severus verdrehte die Augen und ging in den Raum, in dem ein Ebenholzzauberstab auf einem kleinen Stapel zusammengelegter Kleidung lag. „Du hast ihn gehört, Weasley. Geh da rein und wasch dir das Gesicht. Vergiss nicht, dich zu rasieren. Du siehst aus wie ein Wilder."
„Schau dich selber an", lachte Arthur, als er in seine Wohnung ging. Severus schwor, dass er den Zauberer den ganzen Weg pfeifen hörte, bis er die Tür schloss.
Tief in Gedanken saß Severus am Fenster, das auf das Meer hinauszeigte. Vor zehn Minuten war er mit Arthur Weasley in den Konferenzraum gebracht worden. Der Konferenzraum war gegen ein Kliff gebaut, von dem kurvenreiche Stufen zu einem felsigen Strand führten. Severus hatte den Verdacht, dass er einmal ein Leuchtturm gewesen war, ehe die Insel von Dementoren befallen wurde.
Da er sich nicht wirklich auf ein peinliches Treffen mit den Rotschöpfen freute, die ihn wahrscheinlich aus Mitgefühl adoptiert hatten, konzentrierte Severus seine Überlegungen auf seinen Plan, Hermione aufzuspüren, nachdem er Azkaban Adieu sagen konnte.
Arthur konnte andererseits seine Aufregung kaum im Zaum halten. Der Zauberer lief unaufhörlich an der Tür auf und ab und streckte dauernd wieder den Kopf nach draußen, um die Treppe hinunterzuschauen. „Wo sind sie?", fragte er ungeduldig zu wer weiß wievielten Mal.
Severus warf dem Zauberer einen strengen Blick zu, der ihm sagte: „Woher sollte ich das wissen", ohne auch nur einen Ton von sich zu geben.
„Nun, ich weiß, dass du es nicht weißt", seufzte Arthur. „Es ist nur … sie sollten inzwischen hier sein …"
„Arthur!" Von draußen kam der Schrei einer Frau.
Arthur wirbelte genau rechtzeitig herum, um Molly aufzufangen, die durch die Tür eilte und sich in seine Arme warf. Kurz danach erschienen zwei weitere Zauberer an der Tür – Ron und George Weasley.
Still wie ein Schatten saß Severus in der Ecke. Er fühlte sich sehr wie ein Eindringling, weil er anwesend war und zusah, wie Arthur wieder mit seiner Familie zusammenkam. Er war nur dankbar, dass die Aufmerksamkeit aller auf Mollys unkontrolliertes Weinen gezogen wurde. Severus nahm es nicht übel, dass er vergessen wurde.
Die Hexe brauchte nicht lange, um sich in den Armen ihres Mannes zu beruhigen. Molly wischte sich schnell die Tränen ab, drehte sich um und schob ihre beiden erwachsenen Söhne in die Arme ihres Vaters. „Das ist wundervoll." Sie tupfte sich die Augen ab. „Bald sind wir alle daheim."
Ron und George warfen ihrem ehemaligen Tränkemeister, der sie aus einer Ecke des Raums beobachtete, unbehagliche Blicke zu, dann wandten sie sich ihrem Vater zu, um ihn verlegen zu umarmen. Dem Blick ihrer Söhne folgend entdeckte Molly plötzlich den anderen Zauberer im Raum. „Oh, Severus!" Schnell ging sie zu dem Zauberer hin. „Percy hat mir alles darüber erzählt. Wir können dir nicht genug danken, dass du Arthur die ganze Zeit geholfen hast!"
Severus' Rücken versteifte sich, während er die Hexe beobachtete, die näher und näher kam. Er war nicht sicher, ob er für die unvermeidliche Umarmung bereit war; aber er war sicher, sein Leben würde in absolutes Chaos gestürzt, sobald die Frau verkündete, dass er für immer Teil des Weasleyclans werden würde. Aber die nächsten paar Worte von Molly bereiteten Severus eine große Überraschung.
„Ich bin so froh, dass du auch diesen furchtbaren Ort verlässt, Severus." Molly lächelte den Zauberer warmherzig an. „Wer kommt, um dich nach Hause zu bringen?"
Severus' Brauen schossen in die Höhe, als er die Hexe vor sich anstarrte. Also waren es doch nicht die Weasleys?
Ehe er seine Stimme wiederfinden konnte, schwang die Tür auf, und Ginny rannte in den Raum. „Dad!", schrie sie.
Molly japste vor Freude. „Du hast es geschafft, Ginny! Ich habe dich und Harry nicht gesehen, als wir den Fuchsbau verlassen haben, daher dachte ich, dass wir dich sicher erst sehen, wenn wir nach Hause kommen!"
Severus' Augen zogen sich zusammen, als er zusah, wie der berühmte Zauberer mit dem wirren schwarzen Haar langsam durch die Tür kam. Harry Potter ging an diesem Tag außergewöhnlich langsam und setzte jeden seiner Schritte sorgfältig, da jemand hinter ihm seinen Arm als Krücke benutzte. Und als die Person endlich in den Raum trat, konnte Severus kaum atmen. Er schoss von seinem Platz auf und blinzelte wütend die Hexe an der Tür an. Er konnte doch sicher nicht träumen?
Da war sie: Hermione, seine Hermione, stand mit einem tränenfeuchten Lächeln auf ihrem müden und blassen Gesicht vor ihm.
„Severus." Sein Name kam wie ein Flüstern von ihren Lippen; aber es war so ein kraftvoller Klang, dass er sofort alle Fesseln um Severus' Herz sprengte.
Mit zwei langen Schritten durchquerte der Zauberer den Raum und trat vor die junge Hexe. Sie machte einen kleinen Schritt von ihrem Freud weg, streckte die Hände nach dem hochgewachsenen Zauberer aus, und er zog sie schnell in seine Arme.
„Hermione", hauchte Severus. „Ist dies … Wirklichkeit?"
„Ja, Severus." Ihre Stimme bebte. „Wir haben gewonnen. Und ich bringe dich nach Hause."
Er beugte sich hinab und küsste ihre Stirn, aber ihre Hände griffen nach oben und umschlossen sein Gesicht, ehe er sich zurückziehen konnte. Langsam suchte sie nach seinen Lippen. Unsicher sah er in ihre sanften braunen Augen, aber alle Zweifel in seinem Verstand schwanden, als ihre Lippen seine berührten. Er schloss die Augen, gab ihrer Berührung nach und strich mit den Händen durch ihre dicke braune Lockenmähne, während er den Kuss vertiefte.
„He! Ihr seid nicht alleine!" Rons zornige Stimme durchbrach die Stille im Raum. Sein Schrei wurde von einem lauten Pfiff begleitet, den sein Bruder ausstieß.
Mit einem Seufzen brach Severus den Kuss ab und entfernte sich widerwillig von Hermione, ohne die junge Hexe aus den Augen zu lassen. Ein Lächeln lag in seinen Augenwinkeln, als er das leichte Erröten auf ihren Wangen bemerkte.
„Kann das irgendjemand erklären?", fragte Ron gereizt, während alle im Raum weiter schwiegen. „Sie haben unseren Respekt, Snape, das steht fest. Aber was ist das? Und warum bist du hier, Hermione? Solltest du dich nicht im St. Mungo auskurieren?"
„Mir geht es gut, Ron." Hermione lächelte ihren Freund schüchtern an. „Harry und Ginny haben mir geholfen herzukommen. Ich musste herkommen. Ich muss Severus hier herausholen."
„Ich sehe, wie engagiert du für deinen Mandanten bist", schnaubte Ron. „Aber das …" Er deutete auf das Paar. „Was hat das alles zu bedeuten? Küsst du alle deine Mandanten, wenn du deren Haut rettest? So?"
„Natürlich nicht, Ron", lachte Hermione. „Sei nicht dumm."
„Dann erkläre." Ron konnte die Komik der Situation nicht erkennen. „Warum musstest du das St. Mungo vorzeitig verlassen, um herzukommen?"
„Das ist der einzige Weg, damit er frühzeitig entlassen wird", seufzte Hermione. „Harry war im Ministerium und hat es für mich überprüft; der Rest der unrechtmäßig inhaftierten Ordensmitglieder wird zuerst einige Monate im St. Mungo verbringen. Severus und Arthur blieben übrig. Aus Besorgnis um ihre physische und geistige Gesundheit hat der Zaubergamot darauf bestanden, dass sie nur zu ihren Familien entlassen werden, damit sie angemessene Zuwendung bekommen können, falls sie medizinische Hilfe benötigen."
„Seit wann bist du seine Familie?" Ron runzelte die Stirn.
Severus warf einen neugierigen Blick zurück auf Hermione. Ronald Weasley mochte ein Dummkopf gewesen sein; aber er brachte wirklich eine gute Frage auf's Tapet. Severus' Brauen hoben sich noch weiter, als er sah, dass Hermiones Wangen sich röteten. Die Hexe begann, auf ihrer Unterlippe zu kauen und warf Harry einen bangen Blick zu.
„Nun …" Harry räusperte sich. „Äh … seit heute Morgen."
„Was?" Ron wandte sich mit aufgerissenen Augen seinem Freund zu. „Du steckst da auch drin? Was hast du gemacht?"
„Es war nicht zu vermeiden." Harry versuchte, seine gelassenste Stimme zu gebrauchen, um mit seinem besten Freund zu argumentieren. „Im Augenblick wollte das Ministerium sie nur zu Familienmitgliedern entlassen. Als ich gestern recherchiert habe, wurde mir klar, dass aufgrund der Tatsache, dass Severus keine Familie mehr hat, der einzige Weg, ihn herauszubekommen, war, für ihn eine Familie zu schaffen. Und als ich zu Hermione ging und ihr dies sagte, beschloss sie, als seine Verlobte ein Gesuch einzureichen. Du weißt, wie schwierig es ist, ihr etwas auszureden, wenn sie einen Entschluss gefasst hat. Daher habe ich den Papierkram für sie erledigt und habe ihn heute Morgen eingereicht. Laut Aufzeichnungen des Ministeriums sind sie verlobt. Das ist der Grund, weshalb wir spät dran sind, Molly. Das tut mir leid."
Es herrschte eine so absolute Stille im Raum, dass man eine Nadel hätte fallen hören können.
„Verdammte Hölle!", bellte Ron. „Du hast was gemacht?" Ab seiner Schläfe wurden dicke blaue Venen sichtbar. „Bist du verrückt?!" Er wandte sich zu Hermione um. „Das kann nicht dein Ernst sein, Hermione! Habe ich dich wirklich so sehr gedrängt, einen Kerl zu finden? Es war nur ein Vorschlag, als ich sagte, du solltest dir als Neujahrsvorsatz überlegen, einen Mann zu finden. Aber ich habe nicht gemeint, dass du … dich mit jemandem wie ihm einlassen solltest! Du hast versprochen, mich und Harry zu informieren, falls du Hilfe brauchst, um eine Verabredung zu finden. Es kann nicht Snape sein. Das geht einfach nicht! Er mag ein Kriegsheld sein, aber er ist immer noch die Kerkerfledermaus, der schmierige Schwachkopf. Er verdient nicht …"
„Ronald Weasley!", polterte Arthur. „Du hältst jetzt augenblicklich den Mund und hörst auf, dich selbst zu blamieren!"
Ron schluckte, während er sich umdrehte, um seinen Vater anzusehen, der ihn wütend anstarrte.
„Du wirst Severus in gleicher Weise respektieren, wie du mich respektierst! Verstehst du?!", stellte Arthur mit vor Ärger zitterndem Körper entschlossen klar.
„In Ordnung, in Ordnung, mein lieber Vater, der es nicht abwarten kann, sein neugefundenes Brüllen auszuprobieren. Komm, setz dich ein bisschen hin." George fasste Arthur am einem Arm und führte ihn zu einem Stuhl. „Lasst uns alle ein wenig frische Luft genießen, ehe wir uns entscheiden, ob wir ein Duell stattfinden lassen oder eine Party schmeißen, in Ordnung?"
„Sagt Potter die Wahrheit?" Mit einem Stirnrunzeln sah Severus wieder zu Hermione.
Hermione holte tief Luft und sah auf ihre Füße hinab. Ohne Severus' Blick zu erwidern, nickte sie ruhig. „Es war die einzige Möglichkeit, deren dumme Regeln zu umgehen, Severus. Aber du kannst die Verlobung so befristet machen, wie du willst, sobald du offiziell von hier entlassen bist."
Severus stieß ein Seufzen aus. Er beschloss, dass dies ein Gespräch war, das er viel lieber mit Hermione privat führen würde. Ihre übereilte Entscheidung mochte wieder einmal nicht seine Zustimmung finden, aber er würde nicht vor den Weasleys dafür sorgen, dass es ihr noch elender ging.
„Oh, gut. Dann ist nichts in Stein gemeißelt." Molly brach mit einem gezwungenen Lächeln das unbehagliche Schweigen im Raum. „Genug Drama, Liebes. Lasst uns alle hier rauskommen. Bill und Fleur sind wahrscheinlich schon eher im Fuchsbau als wir. Und Charlie und Percy werden bald anfangen, sich Sorgen zu machen, wenn wir nicht zurückkommen. Severus, ich würde es verstehen, wenn du dich uns nicht anschließen möchtest. Flohe uns auf jeden Fall, wenn du etwas brauchst. Hermione, komm mit uns. Im Fuchsbau ist immer Platz für dich. Ich kann dich nicht in deine kleine Wohnung in London zurückgehen lassen. Du bist immer noch dabei, dich zu erholen. Ich werde mich gut um dich kümmern, wie eine Mutter."
„Äh … deswegen, Mum." Ginny mischte sich plötzlich ein.
„Ja, Liebes?" Molly sah zu ihrer Tochter. „Wegen was? Du bist die ganze Zeit bei Harry gewesen. Du kannst nicht wirklich etwas dagegen haben, dass Hermione in deinem Zimmer wohnt!?"
„Oh nein, überhaupt nicht", sagte Ginny, aber sie wechselte einen wissenden Blick mit Harry. „Die Sache ist …, Hermione wird mit Severus nach Hause gehen müssen."
„Was?" Molly hob die Stimme. „Woher hast du diese blöde Idee?"
„Nun." Ginny holte tief Luft. „Das St. Mungo wollte Hermione nicht entlassen, es sei denn, ein unmittelbares Familienmitglied mit ausreichenden medizinischen Kenntnissen wäre in der Lage, für sie zu sorgen, bis sie sich erholt hat. Daher sorgte Severus' Unterschrift für ihre Entlassung von den Heilern", schloss sie den ganzen Satz in einem Atemzug. „Und sie verlangen tägliche Berichte von Severus über Hermiones Zustand", fügte sie ruhig hinzu.
„Ich schwöre, liebes Mädchen" – Molly runzelte die Stirn –, „an manchen Tagen frage ich mich, ob du jemals gelernt hast, dich mit angemessenen Worten auszudrücken. Was hast du gerade gesagt?"
Severus jedoch erfasste jedes Wort von Miss Weasley. Seine Brauen waren zusammengezogen, während er die Information erwog. „Aber ich bin mir nicht bewusst, dass ich irgendein Schriftstück unterschrieben habe."
„Es tut mir leid, Sir …", antwortete Harry mit leiser Stimme. „Ich … äh … ich habe sie gefälscht … Ich dachte, dass Ihre Unterschrift sich seit den Tagen, als Sie in Ihrem alten Tränkebuch geschrieben haben, nicht so sehr verändert hat. Und sie haben sie akzeptiert, ohne sie infrage zu stellen."
„Harry Potter!" Molly konnte ihren Ohren nicht glauben. Ihre Augen waren genauso groß wie Rons, als sie den jungen Zauberer anstarrte, der bald ihr Schwiegersohn werden würde.
„Das waren jetzt genug Neuigkeiten für heute. Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee für meine Verlobte ist, sich zu überanstrengen." Severus nickte allen im Raum knapp zu. „Ich wünsche euch allen einen guten Abend."
Sein Blick blieb einen kurzen Moment lang auf Potter liegen. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er keinen Grund finden, den leichtsinnigen Pottersprössling höhnisch anzulächeln. Er ging davon aus, Potter die Fälschung seiner Unterschrift verzeihen zu können, wenn das bedeutete, dass er Hermione nicht bei den Weasleys lassen musste. „Ist der Portschlüssel unten?", fragte er Hermione leise. Als sie nickte, fragte er wieder: „Kannst du gehen?"
„Ja, aber nicht zu schnell", antwortete sie entschuldigend.
Sie stieß einen kleinen Schrei aus, als er sie auf die Arme hob und zur Tür hinaustrug. Langsam ging er das gewundene Treppenhaus hinunter und musste einfach lächeln, als der Versammlungsraum hinter ihnen explodierte.
„Wie kannst du mir das nicht sagen, Harry! Ich dachte, wir sind beste Freunde!"
„Verdammt, ich habe zehn Galleonen an Charlie verloren. Ich war so sicher, dass Hermione als Letzte der drei heiratet."
„Bist du sicher, was ihn betrifft, Arthur?!"
„Äh, Schwesterchen, auf wen soll ich wetten, wer das erste Baby bekommt? Du oder Hermione?"
„Halt die Klappe, George …!"
