Er überlegte kurz, ob er zu Georg gehen sollte. Schliesslich konnte er wieder arbeiten und er musste noch die neuen Verteidungssprüche lernen. Aber Georg wollte sicher auch alles ganz genau wissen. Das ging einfach nicht. Er hatte es ihm versprochen. Harry lächelte verträumt. Hätte ihm damals jemand prophezeit, dass sich die Geschichte so entwickeln würde, er hätte ihn auf direktem Weg ins St. Mungo geschickt. Er erinnerte sich als wäre es gestern gewesen:
Harry erwachte zum dritten Mal im selben Bett. Es war immer noch dunkel draussen, Harry sah sich um, im Raum war alles wie vorher. Er versuchte sich aufzusetzen, aber seine Muskeln gehorchten ihm nicht. Von der Brust abwärts war er wohl mit einem Bann belegt worden, der ihn bewegungsunfähig machte. Noch bevor sich Harry seiner misslichen Lage bewusst werden konnte, öffnete sich die Tür erneut. Harrys Herz raste, er konnte sich nicht verteidigen, er sass wie das Kaninchen vor der Schlange. Die Gestalt im schwarzen Mantel drehte sich zu ihm um. Harry erkannte die blonden Haare und den weissen Teint sofort: „Malfoy!" stiess Harry keuchend vor Überraschung und Aufregung hervor. „Ich sehe, dir geht es wieder besser", mit einem breiten Grinsen näherte sich Malfoy Harrys Bett, „ich wusste ja, dass ich gut aussehe, aber dass du bei meinem Anblick gleich umkippst!" Dracos Grinsen wurde noch breiter. „Deswegen diese kleine Vorsichtsmassnahme hier", er deutete auf Harrys bewegungslosen Unterkörper „nicht dass du dich noch verletzt." „Wo bin ich? Was hast du mit mir gemacht?" gab Harry scharf und so unbeeindruckt wie möglich zurück, „du feige Ratte, wenn andere die Drecksarbeit gemacht haben, wenn der Gegner am Boden liegt, dann traust du dich raus." Harry wusste, dass er keine Chance hatte, aber er wollte Malfoy nicht zeigen, wie hilflos er war. „Wirst du Voldemorts rechte Hand, wenn du mich erledigst? Hast du diesmal den Mut, oder kneifst du wie bei Dumbledore? Noch einmal wird dich Voldemort nicht ungeschoren davonkommen lassen." Harry sank zurück ins Kissen, sein Schädel brummte. „Potter reiss dich zusammen!" befahl Malfoy mit schneidender Stimme, „du bist bei mir zu Hause. Ich hab dich in den letzten vier Wochen zusammengeflickt, allerdings muss ich zugeben, dass ich momentan daran zweifle, ob es die Mühe wert war." Mit diesen Worten verschwand er durch die Tür. Harry schluckte, Malfoy hatte ihn verarztet? Warum? Warum wollte Voldemort das? Was hatte sein krankes Hirn sich ausgedacht? Zu Tode foltern? Malfoy war doch ein Todesser? Oder doch nicht? Niemand, das heisst, die Mitglieder des Ordens, hatte Malfoy seit der Nacht, in der Dumbledore starb, wieder gesehen. Er und seine Mutter waren wie vom Erdboden verschluckt. Und jetzt war er bei Malfoy zu Hause? In Malfoys Anwesen? Aber die Villa war doch seit fünf Jahren unbewohnt. Harry konnte sich keinen Reim darauf machen. Er musste wohl oder übel auf Malfoy warten.
Am nächsten Morgen wurde Harry durch leichtes Schütteln geweckt. „Potter, wach auf, Frühstück, du hast lange genug geschlafen." Harry blinzelte. „Sehr gut, Potter. Bist du wach, hörst du mich?" Harry nickte stumm. „Es wäre gut, wenn du aufstehen könntest, ein bisschen Bewegung wäre das richtige für dich. Ich werde den Bann lösen. Erinnere dich aber an den Zusammenbruch beim letzten Mal. Du bist noch nicht soweit, überfordere dich nicht." Draco sprach mit ruhiger sachlicher Stimme, Harry konnte keinen Spott darin erkennen. Was war los? Sein Erzfeind liess sich die Gelegenheit entgehen ihn zu demütigen? Harry spürte, wie wieder Kraft in seine Beine kam. Allerdings merkte er auch, dass Malfoy recht hatte. Er war noch sehr schwach.
Harry setzte sich langsam auf. Malfoy wollte ihm helfen. „Pfoten weg!" zischte Harry. Malfoy lachte innerlich, Harry war immer noch derselbe dickköpfige Gryffindor. Er reichte ihm einen Morgenmantel. „Zieh dir den über. Ich geh schon mal vor und mach Tee, Frühstück gibt's rechts den Gang runter, die zweite Türe links." Harry war froh, dass er alleine war, so brauchte er nicht sein schmerzverzehrtes Gesicht zu verstecken, als er den Mantel anzog und sich zur Tür schleppte. Bevor er in den Gang hinaus trat, atmete er tief durch. Es blieb ihm keine andere Wahl, er musste zum Frühstück, wenn er mehr über seine Situation erfahren wollte. Der Gang war leer, etwas dunkler als sein Zimmer aber nicht unheimlich, im Gegenteil. Das war nicht Malfoys Anwesen, da war er sich sicher. Das Gehen klappte jetzt schon besser, sein Körper hatte sich wieder ein bisschen an die Bewegung gewöhnt. Nur sein linkes Knie versetzte ihm bei jedem Schritt einen stechenden Schmerz. Harry hörte, wie jemand, er nahm an, es war Malfoy, mit Geschirr hantierte. Er erreichte die gesuchte Tür und spähte in den Raum: ein grosses Esszimmer mit anschliessender offener Küche. Der Tisch war einladend gedeckt, Brot, Käse, Wurst, Obst, Butter, Konfitüre, Tee, Säfte. Harry merkte erst jetzt wie hungrig er war. „Setzt dich", rief Malfoy aus der Küche, „bin gleich soweit." Harry war baff. Wann hatte Malfoy gelernt in der Küche zu hantieren, wann hatte er gelernt in einer Muggel-Küche zu arbeiten. Was war hier los? Er setzte sich an den Tisch und goss Tee ein. Malfoy kam mit zwei Tellern mit Speck, Pancakes und Würstchen zum Tisch. „Nicht so gesund, ich weiss, aber du hast lange nicht recht gegessen, du brauchst das jetzt" Malfoy setzte einen Teller vor Harry, mit dem anderen setzte er sich selbst vis-à- vis. Harry wurde immer unsicherer. Das war nicht Malfoy wie er ihn kannte, ganz und gar nicht. Um sein Unbehagen zu verbergen, fing Harry an zu essen.
Malfoy tat es ihm gleich. Er wollte Harry noch etwas im Ungewissen lassen, schliesslich braucht er nach all den Wochen auch seinen Spass. Malfoy kannte die Gerüchte um ihn nur zu gut, der Tagesprophet hatte es nach seinem Verschwinden in grossen Lettern verkündet: „Malfoy junior wird jüngster Todesser aller Zeiten" „Malfoy junior setzt Familientradition fort und folgt Voldemort" Nichts von dem stimmte, aber es half ihm ein unbehelligtes Leben zu führen. Niemand suchte nach ihm, alle „wussten", dass der Dunkle Lord ihn persönlich beschützte.
„Warum bin ich hier", unterbrach Harry die Stille. „Weil du ein Idiot bist!" kam blitzschnell Dracos Antwort. Harrys Augen blitzten auf vor Wut, aber er beherrschte sich. Draco amüsierte sich köstlich, das wurde ja besser, als er erwartet hatte. „und ein Glückspilz dazu". Jetzt war Harry völlig perplex, ihm standen die Fragen ins Gesicht geschrieben. „Frag was gescheiteres, wenn du kannst!", grinste Draco ihn an. „Bist du ein Todesser" fragte Harry geradeaus. Er hoffte so, am besten abschätzen zu können woran er war. „Wenn dem so wäre, hätte ich dich wohl sterben lassen, nachdem du Snape getötet hast" Malfoy seufzte, Harry war wohl noch zu benebelt, um selbst darauf zu kommen. „Machen wir's kurz, sei still und hör zu!" befahl Malfoy barsch, „du warst blöd genug Snape allein anzugreifen. Was auch immer dich geritten hat, es hat dir die Kraft gegeben, länger durchzuhalten als er. Aber es war knapp, du hattest Glück, dass du nach dem Kampf zu mir gebracht wurdest. So ist es mit den Gryffindors, kein Hirn aber Todesmut. Tja" „Aber wie ... du bist ... warum?" stotterte Harry „Eloquent wie immer", unterbrach ihn Malfoy spöttisch „Ich versuch mal zu antworten, ich bin Arzt, Muggelarzt um genau zu sein, aber auch Heiler, du weißt ja, ich war in Zaubertränke immer der Star. Ich lebe hier seit fünf Jahren als Muggel, als Hausarzt. Einer meiner Patienten hat dich zu mir gebracht. Er hat dich auf seinem Feld gefunden, als er am Morgen seine Runde machte. Ich hab dein Knie geflickt, deine Armknochen nachwachsen lassen und dir drei Gegengifte verabreicht. Um nur das wichtigste zu nennen. Du warst vier Wochen bewusstlos"
In diesem Moment läutete ein Telefon. Draco nahm ab: „O'Dafly„ „Was ist passiert?" „Ja, komme sofort, zwanzig Minuten." und legte auf. Draco hatte ein Telefon? Harry verstand die Welt nicht mehr. „Was ist los?" fragte er hilflos. „Notfall. Ich muss los. Lass alles wie es ist. Ich räum später auf, du musst dich schonen!" rasselte Draco herunter. Er kam auf Harry zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Harry erstarrte. „Du bist nicht mein Gefangener. Mach keinen Blödsinn, Harry." Und Malfoy war weg.
Harry war baff, all die neuen Informationen schwirrten in seinem Kopf: Schwer verletzt, vier Wochen bewusstlos, Malfoy Arzt und Heiler, Muggelküche. Malfoy hat ein Telefon! Und Malfoy nennt ihn Harry! Mach keinen Blödsinn, Harry!
Harry fühlte sich wie von einer Herde Elefanten überrannt. Vielleicht war das alles nur ein Täuschungsmanöver, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Malfoy war ein Meister der Schauspielerei. Aber wozu? Harry seufzte, er spürte, wie sehr ihn das ganze aufgewühlt und erschöpft hatte. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig als zu bleiben. Für eine Flucht war er zu schwach. Wie Malfoy angeboten hatte, liess Harry alles stehen und ging zurück in „sein" Zimmer, um sich ein bisschen auszuruhen.
Nach ein paar Stunden Schlaf fühlte sich Harry soweit wieder fit genug, um das Haus ein bisschen unter die Lupe zu nehmen. Malfoy war noch nicht zurück, also die Gelegenheit für einen Streifzug. Sein Zimmer lag im Parterre, trotzdem hatte es eine wunderbare Aussicht auf den Garten und den daran angrenzenden Fluss.
Gegenüber seinem Zimmer, lag das Wohnzimmer. Hier war alles in einem dunklen blau gehalten. Zwei Sessel und ein Sofa waren um den Kamin arrangiert. Schwere Vorhänge säumten die Fenster, was dem Raum Eleganz aber auch einen Hauch Hochmut verlieh. Vor einem grossen Fenster stand ein schwarzer Flügel. Harry stutzte, spielte Malfoy Klavier?
Neben der Muggelküche gab es auch eine riesige Tränkeküche, mit Tausendend von Zutaten. Malfoy hatte sich ein Lager angelegt, dass jenes von Snape in Hogwarts mit Leichtigkeit in den Schatten stellte. Harry schüttelte es beim Gedanken, dass Snape auch schon damals ein Spion Voldemorts war. Warum wollte Dumbledore Harry nicht glauben? Dann wäre alles anders gekommen. Er seufzte. Jetzt war wohl nicht der richtige Zeitpunkt melancholisch zu werden. Frische Luft wäre wohl das richtige.
Der Garten war gross mit vielen Blumenbeeten und Obstbäumen. Harry ging hinunter zum Fluss. Malfoy hatte sich hier ein kleines Paradies geschaffen. Er setzte sich ins Gras und liess sich von der Sonne wärmen. So konnte er es sich gefallen lassen, er hatte die Sonne vermisst. Im „Dorf" gab es wohl auch Licht, aber das hier, das war echt.
Als Draco nach Hause kam, ging er als erstes ins Krankenzimmer, um nach seinem Patienten zu sehen. Harry war nicht in seinem Bett, doch Draco sah ihn am Flussufer liegen. Er war also noch da. Gegen seinen Willen spürte er wie sich Erleichterung in ihm breit machte. Er ging hinaus, um Harry zu begrüssen.
„Bin wieder da, hab dir noch was zum anziehen mitgebracht." „Danke", murmelte Harry. Er war gerade unsanft aus seinem Dämmerschlaf gerissen worden. „Wie fühlst du dich?" Harry zögerte, war die Frage ernst gemeint? „Potter, bist du jetzt auch noch taub?" Draco wusste, dass das nicht die feine Art war mit Patienten zu sprechen, aber das hier war Potter, der konnte das vertragen. Er grinste innerlich. „Ja, ja" zischte Harry genervt „mir geht's soweit gut, viel besser als heute Morgen." „Frische Luft ist immer noch die beste Medizin, aber eine Dusche könnte dir auch nicht schaden", grinste Draco. Harry wurde rot. Das er darauf nicht selbst gekommen war. „Komm, ich zeig dir, wo alles ist. Kannst du aufstehen?" säuselte Draco mit süsser Stimme, wohl wissend dass Harry niemals zugeben würde, wen dem nicht so wäre. Harry setzte sich auf und stand langsam auf. Er spürte jeden Knochen, versuchte aber sich nichts anmerken zu lassen. Draco war beinahe beeindruckt, Potter war wirklich hart im nehmen. Er war beruhig als er sah, dass sich Harrys Körper nach einigen Schritten entspannte. Es schien im wirklich besser zu gehen.
Sie waren im ersten Stock des Hauses. „Potter, das ist das Gästezimmer, ich denke, du bist soweit fit genug, dass du ab jetzt hier wohnen kannst. Ist weniger praktisch, aber gemütlicher. Durch die Tür dort und du bist im Bad. Kleider sind im Schrank. Ich hoffe, sie passen einigermassen. Wenn du geduscht hast, komm bitte runter ins Sprechzimmer. Ich möchte dich genauer untersuchen."
Und damit liess Draco Harry allein. Dieser schaute sich kurz um, das Zimmer war hell und gemütlich eingerichtet. Alles in gold und rot. Ob das ein Zufall war? Harry schmunzelte.
Im Bad fand er alles, was er brauchte, Shampoo, Seife und Badetücher. Er zog sich aus Es ging den Umständen entsprechend gut. Sein Blick fiel auf sein Spiegelbild. Er war dünn geworden. Sein Gesicht war fahl und die Wangen eingefallen. Von der linken Schulter quer über seiner Brust verlief eine Schnittwunde, die noch nicht vollständig verheilt war. Sein linker Arm war besonders dünn und schlaff. Als Harry sich umdrehte, um auch seine Rückseite zu begutachten, traute er erst seinen Augen nicht. Über seinem Rücken unter der Haut verlief ein Netz von schwarzen Fäden. Er konnte erkennen wie sich das Netz langsam bewegte, obwohl er davon nichts spürte. Was war das? Malfoy musste ihm das erklären. Abgesehen davon, sah er eigentlich ganz passabel aus, dachte Harry. Leider gelang es ihm nicht so recht, das auch zu glauben.
Etwas unbehaglich im eigenen Körper, stieg er in die Dusche. Das warme Wasser entspannte ihn, nur seine Schnittverletzung brannte etwas. Das Wasser massierte seine steifen Schultern und streichelte über seine Beine. Harry konnte sich nicht erinnern, jemals eine Dusche so genossen zu haben. Als er endlich aus der Dusche kam, war das ganze Bad eingenebelt. Harry trocknete seine Haare, schlang ein Tuch um seinen Taille und ging ins Schlafzimmer. Aus dem Schrank nahm er Unterwäsche, Socken, ein grünes T-shirt und ein dunkelblaue Trainerhose. Die Hose war etwas weit, aber in den nächsten Tagen würde das vielleicht ändern. Harry lächelte, er fühlte sich wieder wie ein richtiger Mensch.
Gleichzeitig verwandelte Draco im unteren Stock das Krankenzimmer wieder in sein ursprüngliches Sprechzimmer. Das Bett wurde zum Untersuchungstisch, die Tränke kamen zurück in die Küche und der Tische wurde zum schweren Schreibtisch. Nur den Sessel, liess er neben dem Kamin stehen. Er nahm die Wolldecke und das Buch auf und liess sich hineinfallen. Er hatte viele Tage und Nächte hier verbracht. Harrys Leben hing an einem seidenen Faden und er brauchte rund um die Uhr Betreuung. Die ersten zehn Tage konnte Draco kaum schlafen. Wenn er nicht Harry behandelte, braute er Tränke und umgekehrt. Doch Draco wusste jetzt, dass die Strapazen es Wert gewesen waren. Er spürte eine tiefe Genugtuung, ein Glücksgefühl wie er es selten erlebt hatte. Er hatte ein Menschenleben gerettet. Andererseits war es Potter, ausgerechnet sein ärgster Feind aus Hogwartstagen. Während Potter bewusstlos war, spielte es keine Rolle, aber jetzt ... Draco seufzte. „Es wird schon gehen, wir sind keine Teenager mehr", sagte Draco laut vor sich hin. Er klappte das Buch auf seinem Schoss zu: „Quidditch im Wandel der Zeit", Draco lächelte, das war ein Hinweis, wohl so ziemlich das einzige, was er und Potter gemeinsam hatten.
